14.5.1989 Pfingsten   Mainleus

 

4.Mose 11

 

Liebe Gemeinde,

 

wann ist wirklich Pfingsten? Dazu gibt uns eine Geschichte aus dem Alten Testament, die für diesen Pfingsttag der Predigt zugrunde liegen soll, ihre eigene Antwort: Dann ist Pfingsten, wenn die Leute, die das Sagen haben, in der Kirche, aber auch in der Politik und in der Wirtschaft – wenn also diese Leute, diese Männer und Frauen das sagen, was ihnen der Geist Gottes zuflüstert. Wann das geschieht und wo das geschieht und wie das geschieht, das lasse ich jetzt einmal offen. Hören wir uns die Geschichte an.

Unterwegs spielt sie, wie das eben so ist im Leben. Unterwegs: Das Volk Israel ist da unterwegs. Sie sind unterwegs zwischen Ägypten und dem verheißenen Land Kanaan. Die Knechtschaft haben sie hinter sich, und fast schon vergessen, wie übel das war: Die Schufterei Tag für Tag, die Willkür der Sklaventreiber, die Angst vor dem Terror der mächtigen Herren – ich komme gleich wieder darauf zurück. Das verheißene Land haben sie vor sich: Gott wird es ihnen geben, so, wie er das den Vätern, dem Abraham, dem Isaak, dem Jakob zugeschworen hat. Nun sind sie unterwegs, lagern in der Wüste, irgendwo dort, wo es leer ist, heiß am Tag  und kalt in der Nacht, unwirtlich. Und da ist Mose. Am Rand des Lagers steht sein Zelt, in dem er mit Gott redet: Das wissen die Leute. Wenn er dort hingeht, und wenn sich dann die Wolke auf das Zelt herab senkt, dann ist es wieder soweit. Jawohl: Für das Volk da, wie es unterwegs ist von Ägypten hin zum verheißenen, zum gelobten Land Kanaan ist dieser Mose sozusagen in einer Person der Heiland im Himmel und die Bibel, durch die Gott mit ihnen redet. Der Heiland im Himmel, der für sie eintritt vor Gott: Bitter notwendig ist das. Und zugleich der, der ihnen Gottes Wort und Willen sagt: Eine Bibel, das geschriebenen Wort haben sie ja noch nicht gehabt. Und es wird auch nicht viele unter ihnen gegeben haben, die lesen und schreiben konnten.

Das sind sie also: Mose, der Mittler, der mit Gott redet, und durch den Gott redet, und das Volk, die Leute, Männer, Frauen, Kinder – wie die Leute eben sind und erst recht dann, wenn sie auf einem Haufen beieinander sind, wankelmütig, voller Angst, ihren Stimmungen ausgeliefert. Sie jammern: Schlecht geht es uns. Warum sind wir bloß diesem Mose gefolgt? Keine Arbeit haben wir, keine Zukunft haben wir, kein Zuhause haben wir, keine Sicherheit haben wir. Sollen wir uns etwa bloß auf diesen Gott verlassen? Elend, diese Klagerei; elend diese Vergesslichkeit: Was haben sie nicht alles erlebt? Ägypten und die Knechtschaft haben sie erlebt, und den Auszug. Sie haben gesehen, wie das Heer des Pharao, das sie zurück holen sollte, im Roten Meer versank. Am heiligen Gottesberg sind sie gewesen. Und nun dieses Gejammer: Wir wollen unsere Sicherheit – mit diesem Gott weiß man ja nicht, wie man dran ist! Oh doch! Zornig muss dieser Gott werden – sein Blitz fährt vom Himmel, das Feuer lodert am Rand des Lagers. Gottes Zorn und sein Feuer – das kennen sie. Wisst ihr, wie das riecht, wenn so eine Stadt brennt? Wenn der Feuersturm durch die Straßen fährt? Wenn Menschen brennen und verbrennen? Ich kann das nicht vergessen! Und wer es nicht weiß, der soll es sich wenigstens erzählen lassen: Gottes Zorn, sein Feuer – damals loderte es am Rand des Lagers. Da sind sie schnell fromm geworden, und haben zu ihrem Heiland Mose geschrieen, und Mose bat den Herrn; da fiel das Feuer in sich zusammen. Tabera nannten sie den Ort – Feuerbrand. So weit sind wir nun in unserer Geschichte. Den Feuerbrand haben sie auch hinter sich, die da unterwegs sind. Und vergessen hoffentlich nie, nie wieder, wie das gewesen ist. Denn so etwas darf nicht wieder kommen.

Aber es kommt: Wenn die Leute beieinander sind, dann schwankt die Stimmung. Und da gibt es immer so ein paar, die dann sagen: Ach, so schlimm war das doch gar nicht – wie sie jetzt alle tun. Hatten wir nicht Arbeit, hatten wir nicht zu Essen, hatten wir nicht unsere Sicherheit? Oh die Leute: Sie lassen sich darauf ein, auf diese Parolen, vergesslich, wie sie sind: Fleisch, Töpfe voll Fleisch – in Ägypten hatten wir das doch. Und  die Kürbisse, die Melonen, das leckere Gemüse, Porree und Zwiebeln und Knoblauch: Das haben sie nicht vergessen, und das Wasser läuft ihnen im Mund zusammen, wenn sie bloß daran denken. Und was haben wir jetzt? Manna, Gottes Brot vom Himmel, jeden Tag. Nichts als Manna – ekelhaft. Und laufen wieder zu ihrem Heiland, zu ihrem Mose: Gib uns Fleisch, Fleisch – so greinen sie daher.

Was soll einer da sagen? Mose, der weiß, wo es lang geht, der kein so kurzes und verqueres Gedächtnis hat, der Ägypten und seine Verlockungen längst hinter sich gelassen hat, Sicherheit und Konsum und die elende Knechtschaft. Was soll einer da sagen? Ist den Leuten noch zu helfen – in ihrer Vergesslichkeit, mit ihrem Wankelmut? Nein! Ihm recht es. Und redet mit seinem Gott, redet sich sein Elend vom Herzen, sagt, wie es ihm zumute ist: Ja, Gott, tu mir noch einen Gefallen. Lass mich sterben, dass ich diese Last los bin. Aber so einfach geht es nicht. Gleich zwei Antworten bekommt er: Such dir Menschen aus, die dir helfen, deine last zu tragen. Und ich will meinen Geist auf sie legen wie auf dich. Von den Ältesten nimm sie, von den Amtleuten, solche, die Sagen haben. Dann wir dir leichter. Und die Leute: Wohl, sie sollen ihr Fleisch bekommen – einen Monat lang Fleisch, bis sie es nicht mehr riechen können. Bis sie krank sind von ihrer Fresserei, sich die Ruhr und Cholera geholt haben, dass sie merken, wie weit sie kommen, die Gottes Gaben verachten und sich selbst suchen, wonach sie gelüstet.

Wie Gott dem Mose gesagt hat, so kommt es. Da sind die Siebzig, die er sich ausgewählt hat, Älteste, Amtleute, die etwas gegolten haben im Volk, die das Sagen hatten. Jetzt redeten sie, was Gottes Geist ihnen einflüsterte, hörten nicht auf damit. Dort um das Zelt des Mose waren sie versammelt. Da kommt ein Junge gelaufen, aus dem Lager, aufgeregt: Der Eldat und Medat, die reden auch aus Gottes Geist. Josua passt das nicht. Wohin kommen wir denn, Mose, wenn da jeder anfängt? Aber Mose beschwichtigt ihn: Wollte Gott, dass alle im Volk des Herrn Propheten wären und der Herr seinen Geist über sie kommen ließe! Das wäre erst recht ein Pfingsttag!

Aber soweit sind wir nicht! Unterwegs, zwischen Ägypten und dem gelobten Land, da sind die Propheten rar. Gerade noch loderte der Feuerbrand. Aber vergessen ist Gottes Zorn, und das Gelüste ist da. Und dann kommt der Sturm vom Meer, und bringt einen riesigen Vogelschwarm, Wachteln. Nur einsammeln müssen sie, und schlachten und kochen und braten – und haben das Fleisch noch zwischen den Zähnen, da sterben sie in ihrem Gelüste. „Lustgräber“ heißen sie den Ort.

Auch das gehört dazu zu dieser Pfingstgeschichte. Da spielt sie: Zwischen Feuerbrand und Lustgräbern. Und doch nicht hoffnungslos. Denn da sind die Propheten; nicht nur Mose hat dieses Volk am Hals. Andere sind es, die mittragen, weil Gottes Geist ihnen zuflüstert, wie es weiter gehen soll. Wann ist wirklich Pfingsten? Das ist nicht der St. Nimmerleinstag, wo das geschieht. Sonst wären wir alle schon längst im Feuerbrand zu Asche geworden. Oder in unseren Lustgräbern verrottet. Aber immer wieder sind da Leute, die nicht bloß das Sagen haben, sondern die sagen, was Gottes Geist ihnen einflüstert. Wie bei Eldat und Medat kann das sein. Dass wir Nachrichten hören von dort, wo wir das nicht vermutet hätten. Ich bin dann nicht besorgt wie Josua oder Chenerz, sondern freue mich und bitte Gott um seinen Geist – bis nach Kanaan. Amen.