Christvesper Kosbach 1983  Joh 1,1-5

 

Herr, unser Gott, der du deinen Sohn Jesus Christus zu uns gesandt hast, damit wir durch ihn mit dir versöhnt werden, wir bitten dich, erfülle unsere Herzen mit deiner Freude und gib uns deinen Frieden, durch unsern Herrn Jesus, Christus, deinen Sohn, der mit dir und dem Hlg. Geist lebt und regiert in Ewigkeit. Amen

 

Liebe Gemeinde,

 

vom Leben ist da die Rede, leben, das fühlen wir: Die Wärme und das schlagende Herz. Es kann ein gutes Gefühl sein, und wir suchen dieses gute Gefühl des Lebendigen, wenn wir eine Katze streicheln und spüren, wie sie schnurrt, wenn der Hund seinen Kopf auf unser Knie legt und uns anschaut, wenn wir uns an den Hals des Pferdes lehnen. Und erst recht fühlen wir dieses Leben, wenn wir einen Menschen haben, zu dem wir gehören und der zu uns gehört.

Leben, das fühlen wir und es kann ein gutes Gefühl sein. Aber jeder weiß auch, wie das ist, wenn er sich elend fühlt, schwach, am Ende. Nun könnte ich gleich damit fortfahren, dass ich von unserem Feiern rede: Hier in der Kapelle und in unseren Häusern. Da soll es ja zu einem solchen guten Gefühl kommen, wenigstens diesen Abend und vielleicht die Feiertage mit dazu. Und wenn sich dieses gute Gefühl nicht gleich einstellen will, dann können wir ihm ja einen Stoß geben, mit einem Bier, einer Flasche Wein. Doch wir würden zu kurz greifen, wenn wir dabei bleiben: Leben, das fühlen wir; und es ist ein gutes Leben, wenn wir uns gut fühlen. Darum habe ich für diesen Abend den Eingang des Johannesevangeliums heraus gesucht: „Im Anfang war das Wort.“ Viele von Ihnen wissen, wie das dann weiter geht: „Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns und wir haben seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit; ... und von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade.“

Aber es kommt mir nun gerade auf den Eingang des Evangeliums an, wo vom Anfang die Rede ist, vom Wort, das bei Gott war und das selbst Gott war. Alle Dinge sind durch dieses Wort geschaffen und ohne dasselbe ist nichts, was gemacht ist. Und dann geht es weiter: „In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.“ Leben, das fühlen wir nicht nur. Leben ist auch Denken. Und das ist doch das Besondere gerade des menschlichen Lebens, dass es nicht aufgeht im augenblicklichen Gefühl, sondern dass es ausgreift: Dem nachsinnen kann, was gewesen ist, auf das voraus blicken, was kommt.

Das gute Gefühl, das ist Wärme und Geborgenheit, Dunkel. Aber hier ist die Rede vom Licht: Im Licht greifen wir weit aus mit unserem Blick. So ist es auch mit unserem Denken, mit unserem Sprechen. Beides gehört ja zusammen: Wenn wir denken, so sprechen wir nach innen. Wenn wir sprechen, so denken wir nach außen. Licht ist das, lasst uns ausgreifen, über das hinaus, was gerade da ist. Als ich gestern in einem Stoß papieren auf meinem Schreibtisch kramte, da fiel mir ein Brief meiner Mutter in die Hand. Wir haben sie in diesem Frühjahr begraben, aber ihre Worte waren noch da, und ich konnte mit ihr Zwiesprache halten.

Wenn wir fühlen, leben wir im Augenblick. Und das ist ein guter Augenblick, wenn wir uns gut fühlen, und ein elender Augenblick, wenn wir uns schlecht fühlen. Doch Leben, menschliches Leben ist mehr als dieses Fühlen. Es kann hell sein, ausgreifen, im Denken, im Wort. Es kommt bis dahin, wo der Anfang allen Lebens ist, und zugleich das Ziel allen Lebens. Mit zwei Ausdrücken wird dieser Ort hier im Eingang des Johannesevangeliums bezeichnet: Im Anfang, so heißt es hier, da war das Wort. Und bei Gott war das Wort. Anfang und Gott ist da, und das Wort ist dabei, Sprechen und Denken.  Wer dem folgen will, was ich hier sage, der kann in solchem Sprechen und Denken selbst bis hin zu dem Anfang kommen, bis hin zu Gott.

Das ist mir zu hoch – so wird jetzt mancher einwenden. Das verstehe ich nicht. Das sind Gedanken, die ich nicht nachdenken kann und nachdenken will. Ich kann diesen Einwand schon akzeptieren, freilich nur zu Hälfte. Er hätte recht, wenn es da bloß ums Denken ginge, und das, was menschliches Denken fertig bringt. Aber es geht da nicht nur ums Denken. Es geht um unser Leben und das Licht dieses Lebens.

Vom Brief meiner toten Mutter habe ich eben geredet, und von der Zwiesprache, die ich mit ihr halten kann. Es wäre eine eingebildete und kraftlose Zwiesprache, wenn da allein die Erinnerung wäre. Aber da ist mehr als die Erinnerung: Da ist das Wort. Ihre Worte, meine Worte – unser Denken und Sprechen kann zum Anfang zurück kommen, und so zu Gott. Und da ist dann nicht bloß Erinnerung. Da ist Leben, das nicht vorüber geht, weil der Anfang des Lebens, Gott und sein Wort, zugleich das Ziel ist, auf das wir zugehen. In ihm ist Leben und Licht. In ihm ist jeder unserer gefühlten Augenblicke aufgehoben, die guten und die elenden. Darauf können wir mit unserem menschlichen Leben uns einlassen, weil Gottes Wort selbst sich auf unser menschliches Leben eingelassen hat. Amen.

 

Herr, unser Gott, wir danken dir für dein Wort, durch das du uns erleuchtest. Lass uns in seinem Lichte leben und dich finden.

Wir bitten dich um den Frieden in dieser Welt. Gib du den Herrschenden Einsicht und guten Willen, dass sie sich verständigen zum Wohl aller Menschen. Wir bitten dich für alle, die es an diesem Abend besonders schwer haben, die Einsamen, die Kranken, die Trauernden, die Hoffnungslosen. Lass ihnen dein Licht aufgehen.

Herr, unser Gott, du bist der Anfang und das Ziel unseres Lebens. Führe uns zu dir. Amen.