Miserikordias Domini 16.4.1961  Wolfenhausen / Nellingsheim

89,1-6                 Jesus lebt, mit ihm (146)

178,1-5               Der Herr ist mein (182)

297,11+12          Warum soll ich mich (241)

88,10                  Wach auf, mein Herz (4)

Hes 34,11-16  Joh 10,11-16

 

Liebe Gemeinde!

Die Herrscher m alten Ägypten in Babylon und Ninive, in Griechenland wie in Rom haben sich mit Vorliebe Hirten ihrer Völker und Reiche nennen lassen. Jedermann wusste: Der Hirte, das ist der Herrscher. Der Hirte, das ist der, der richtet und zurecht bringt. Der Hirte, das ist der, welcher Gesetz und Ordnung unter den Menschen stiftet. So war es allgemeine Übung unter den Menschen, zu welchen Jesus seine Worte sagte. Gerade, weil das nicht mehr so unbedingt der Fall ist, wenn wir das Wort vom guten Hirten Jesus hören, gerade darum werden wir uns das deutlich machen müssen: Das Wort vom Hirten, das hatte in den Ohren der Hörer Jesu recht deutlich einen politischen Klang, so wie es diesen politischen Klang schon in den Ohren des alttestamentlichen Israel gehabt hatte. Wir brauchen darüber gewiss nicht zu erschrecken, obwohl wir es uns eigentlich angewöhnt haben, dass wir meinen, Politik und Glaube sei zweierlei und habe gewiss nicht miteinander zu tun – und weil wir uns dann aus dieser Gewohnheit heraus dagegen wehren, dass eine politische Frage im Gotteshaus auch nur erwähnt wird.

Freilich – wenn ich meinen Text richtig auslegen will, dann kann ich gar nicht anders, als zunächst einmal von dem zu reden, was Jesus mit seinen Worten meint: Ich bin der gute Hirte. Was in diesen Worten gesagt ist, das ist noch lange nicht ausgeschöpft in dem schönen Kinderlied: „Weil ich Jesu Schäflein bin, freu ich mich nur immerhin über meinen guten Hirten, der mich wohl weiß zu bewirten, der mich liebt und der mich kennt und bei meinem Namen nennt.“ Vielmehr: Wenn Jesus dieses Wort sagt, so erhebt er einen gewaltigen Anspruch. „Ich bin der gute Hirte“ – d.h. alle anderen, die auch behaupten, Hirten zu sein, sind’s nicht. – Alle die Könige und Herrscher der Völker, die klugen Gesetzgeber und die weisen Richter – sie alle sind nicht das, was sie zu sein beanspruchen. Sie alle sind’s nicht, welche die rechte Politik machen – eine Politik, die wirklich Frieden und Gerechtigkeit unter den Menschen zu stiften vermag. Das ist der Anspruch Jesu, welchen er mit seinen Worten erhebt: Frieden und Gerechtigkeit zu schaffen, das vermag nur er allein.

Seht – da sind wir dann sehr rasch in unserer Zeit und Gegenwart, wenn wir das richtig verstehen, was Jesus mit seinen Worten meinte: Ich bin der gute Hirte – wie er damit sagen wollte: Frieden und Gerechtigkeit, die vermag nur ich allein zu schaffen, keiner sonst, keiner von den Regenten und Politikern, die doch alle miteinander das versprechen: Frieden und Gerechtigkeit, und können doch nicht durchführen, was sie versprechen. Seht: Jesu Wort geht gegen alle  und jede Politik, radikal und absolut, radikal und absolut in seinem Anspruch: Frieden und Gerechtigkeit, die vermag nur er allein zu verschaffen und keiner sonst – so sehr sie auch sich bemühen, zu überzeugen, dass sie es seien, welche Frieden und Gerechtigkeit zu bringen vermögen!

Seht: Das werden wir zuerst einmal aus diesen Worten zu lernen haben, wo wir wirklich bereit sind, auf sie zu hören – dies werden wir zu lernen haben, dass wir uns keinen Illusionen hingeben über das, was uns erwartet, das, was wir von Menschen erwarten. Nur all zu leicht passiert das ja, dass wir einem dieser Hirten nachlaufen, dass wir ihm vertrauen, dass wir von ihm Frieden erwarten und Gerechtigkeit – und werden gewiss enttäuscht werden. Wohl erinnern wir uns, beschämt und voll Trauer, wie wir hereingefallen sind, wir Deutschen, herein gefallen sind auf einen, der sich wirklich als Hirte aufspielte und der doch ein ganz erbärmlicher Mietling gewesen ist! Seht – nur das kann uns davor bewahren, wieder so herein zu fallen, wieder so in die Irre zu laufen, wenn Jesu Bild in unserem Auge steht, und sein Wort unsere Ohren füllt. Nur dann sind wir sicher, dass wir nicht in die Irre laufen; es genügt gerade nicht, dass wir uns nur daran erinnern, dass wir ja schon einmal bös hereingefallen seien und darum jedenfalls vor der Wiederholung eines solchen politischen Irrtums sicher seien! Nein – das genügt nicht – nur eines vermag uns klare Sicht und ein sicheres Urteil zu geben: Eben das, dass wir Jesus kennen, dass wir wissen: Frieden und Gerechtigkeit, wie wir sie suchen, wie wir sie brauchen, finden wir nur bei ihm allein du nirgends sonst.

Freilich: Das allein darf uns nicht genügen, dass wir das eben nur nachsprechen: Er ist der gute Hirte, er, Jesus, und niemand sonst; Frieden, Gerechtigkeit, wie wir sie suchen, wie wir sie brauchen, finden wir nur bei ihm allein und bei niemand sonst, mag er nun versprechen, was immer er will. Vielmehr gilt es nun, genauer zuzusehen, warum das so ist. Jesus sagt es ganz einfach: Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. Weil er, Jesus, der gute Hirte ist, darum gilt von ihm allein, dass er sein Leben lässt, und eben darin erweist er sich als der gute Hirte, dass er, er allein, sich so einsetzt. Freilich: Da werden wir nun mit Recht weiter fragen dürfen: Sind denn andere nicht auch gestorben? Sind sie nicht auch gestorben, um Frieden zu schaffen, um die Gerechtigkeit durch zu setzen, ohne welche die Menschen nicht leben können? Hat es nicht – neben einer ungeheuerlichen Fülle von Eigennutz und Machtgier, von Brutalität und Materialismus nicht gerade in der Politik auch immer wieder viel Gemeinsinn gegeben, viel Idealismus und Opferbereitschaft? Seht – noch einmal werden wir mit unseren Gedanken neu ansetzen müssen, um das zu durchschauen, was uns Jesus hier sagt. Um zu begreifen, wie er allein das schenken kann, was wir brauchen: Wahren Frieden und echte Gerechtigkeit. Da heißt es: Ich bin der gute Hirte und erkenne die Meinen und bin bekannt den Meinen, wie mich mein Vater kennt und ich kenne den Vater. Das müssen wir sehen: Jesus hin und her – von Gott zu Jesus und weiter zu denen, die er die Seinen nennt, und wieder zurück zu den Seinen zu Jesus und von ihm hin zu dem himmlischen Vater. Wir könnten das einmal sehr einfach und ein wenig trocken so aussprechen, dass wir einfachsagen: Jesus weiß, was wir brauchen, weil Gott es weiß, der uns geschaffen hat. Und eben darum bringt Jesus eben den Frieden, den wir brauchen, und die Gerechtigkeit, die uns angemessen ist. Die anderen alle, die wollen ja auch den Frieden, und haben ihre Rezepte für den Frieden – eine kommunistische Diktatur oder eine allgemeine Weltregierung, oder ein Gleichgewicht des Schreckens, bei dem eben das letzte Übel der allgemeinen Vernichtung gebannt ist. Aber Jesus kennt den wahren Frieden: Ich bin euer Friede – sagt er. In der Welt habt ihr Angst – aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden – sagt er, und daran vermögen wir uns zu halten. Dann ist ins rechte Licht gerückt, was uns bedrängt. Die anderen, die versprechen auch Gerechtigkeit. Wenn jedem genommen wird, was er hat, und dann wird gleich zu gleich verteilt – das ist Gerechtigkeit, sagen die einen. Freie Bahn dem Tüchtigen und wer sich nicht durchsetzt, der geht eben unter – das ist Gerechtigkeit. Und Jesus zeigt, wie seine Gerechtigkeit aussieht, die Liebe, von der er sagt: Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde. Seht: Vielleicht sind wir damit nun gar nicht recht zufrieden. Damit, dass uns hier ein Friede und eine Gerechtigkeit geboten werden, welche uns sehr nebelhaft erscheinen und sehr weltfremd – eben so, dass wir denken: Für den Glauben ist das schon recht, und da sind wir’s ja schon gewöhnt, aber im Übrigen muss man doch sagen: Dass das alles für die Politik aber auch gar nichts austrägt. Sind wir dessen so gewiss? Wissen wir das so genau? Ist es nicht richtig, was der gute Hirte zeigt: Einen Frieden, der nicht auf Kosten der Unterlegenen geht, sondern dessen Kosten der Stärkere zahlt? Eine Gerechtigkeit, die nicht nimmt, was der Andere hat, sondern die das Eigene hinein gibt?

Und wenn wir sagen: Das sei eben Theorie – damit lasse sich nicht weiter kommen: Ist denn das Theorie, dass er geblutet hat? Und wenn wir daran glauben, dann sollten wir auch anfangen, uns an seine Ordnung zu halten!