Neujahr 1961 Wolfenhausen/ Nellingsheim

188,1-3 Nun lob mein Seel (187)

36, 1-4 Nun wolle Gott (236)

40, 3-5 Freut euch ich lieben (8)

188, 4.5. Nun lob mein Seel (187)

 

Jes 12,1-6

Joh 16,31-33

 

Liebe Gemeinde!

„Jetzt glaubt ihr“ – das hat Jesus seinen Jüngern zunächst einmal zu einer ganz bestimmten Stunde gesagt: damals, als sie den letzten Abend beisammen waren. Damals, als sie ihrem Herrn die Treue geschworen haben, welche sie doch bald genug brechen sollten. „Jetzt glaubt ihr. Siehe, es kommt die Stunde und ist schon gekommen, dass ihr zerstreut werdet, ein jeglicher in das Seine, und mich allein lasset.“

Ich sagte: Es ist eine ganz bestimmte Stunde, welcher dies Wort Jesu gilt. Aber diese Stunde ist doch in ihrer Weite bezeichnend für das Schicksal des Glaubens überhaupt: Es sind nicht allein die ersten Jünger Jesu gewesen, welche diese Stunde durchmachen mussten. Vielmehr: Sie droht jedem Glaubenden, diese Stunde. „Jetzt glaubt ihr.“ – diese Worte weisen uns alle miteinander darauf hin: den Fortgang des Glaubens, den hat keiner von uns in der Hand. „Jetzt glaubt ihr.“ Heißt das etwa, dass unter den vielen Vorsätzen und Entschlüssen, welche wir zum Neujahr zu fassen pflegen, auch dieser Vorsatz stehe, vielleicht gar an bevorzugter, an erster Stelle: der Vorsatz zu glauben! Der Vorsatz, dass dieses Jahr, das wir beginnen ein Jahr des Glaubens sein solle, dass wir in diesem Jahr der Welt absagen wollen, dass wir in diesem Jahr Gott dem Herrn dienen wollen.

Seht – mit einem solchen Vorsatz wären wir ganz nahe bei den Jüngern, zu welchen Jesus gesagt hat: „Jetzt glaubt ihr.“

Aber freilich, dieses „Jetzt glaubt ihr“ hat ja in sich selber schon die Frage: Wie lange wird dieses „Jetzt“ dauern? Wie lange wird es dauern, dass der Glaube, unser Glaube anhält? Gewiss: Jesus hat zu solchen Menschen gesprochen, die glauben wollten! Zu Menschen, denen ihr Glaube wichtig war. Und wenn wir diese Voraussetzung nicht mitbringen, dann werden wir schwerlich verstehen, was Jesus meint mit seinen Worten.

Aber: Das Wollen ist eben gewiss noch kein Können. Darum geht es bei den Worten Jesu an seine Jünger: um die Zukunft ihres Glaubens.

Fassen wir doch einmal ins Auge – heute an diesem Neujahrstage, welcher wohl manchen Ausblick in die Zukunft bring: Jesus Wort redet zu uns von der Zukunft des Glaubens. Vielleicht dass es uns lieber wäre, etwas zu erfahren von der wirtschaftlichen oder von der politischen Entwicklung, welche die Zukunft bring. Vielleicht, dass wir denken: Unser Glaube, der wird schon durchkommen, auch in Zukunft. Aber das wäre dann viel eher ein Zeichen, dass es mit unserem Willen noch nicht ganz ernst ist, mit unserem Willen zu glauben, als dafür, dass andere Dinge heute an diesem Neujahrsmorgen doch eigentlich viel vernünftiger wären als unsere Fragen nach der Zukunft des Glaubens und die Antwort, welche Jesus auf diese Frage gibt. „Jetzt glaubt ihr“ – d.h.: jetzt habt ihr den besten Willen, euren Glauben in Zukunft, auch im kommenden Jahr, zu bewahren. Aber: Diese Jetzt, von dem da die Rede ist das gilt eben in diesem Augenblick und nicht für das ganze kommende Jahr 1961. Was Jesus unserem Glauben für eine Zukunftsprognose stellt, das müsste uns eigentlich jetzt erschüttern: Das wird passieren, dass es mit diesem Glauben im Augenblick zu Ende ist. „Siehe, es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass ihr zerstreut werdet, ein jeglicher in das Seine, und mich allein lasst.“ – Das gilt von uns genauso, wie von den ersten Jüngern Jesu. Das wartet auf uns, um unseren Glauben zu bedrohen, zu rauben. Dass wir zerstreut werden, ein jeder in das Seine. Vielleicht können wir nicht einmal unsere Gedanken jetzt im Augenblick bei der Sache halten – bei dem, was uns alle betrifft, nämlich bei der Zukunft unseres Glaubens. Sondern der eine denkt hierhin und der andere dahin. Jeder hat das Seine, um das er sich sorgt, sein Besonderes, sein Eigentum. Ob das nun sein Betrieb ist, oder ob es sein Leiden ist, ob es sein Stolz ist oder seine Feindschaft: Jeder von uns hat es, dieses Eigene, um das er sich sorgt, wo er wissen möchte, wie es damit weitergeht. Und je mehr wie dies Eigene in die Augen fassen, desto mehr verblasst der Glaube. So sieht das aus: Das Eigene, das was wir für uns haben, für uns besitzen, für uns pflegen, das zieht uns vom Glauben ab.

Freilich – das Heilmittel dagegen, das ist nun gewiss auch nicht das Kollektive, das ist gewiss nicht dies, dass wir das Eigentum aufgeben, so wie das der Kommunismus den Menschen weismachen will. Denn dies Eigene, das sitzt ja so tief, dass wir alles weggeben könnten, was wir besitzen und hätten dies Eigene immer noch bei uns, würden uns immer noch wichtig nehmen, überaus wichtig, so dass wir sonst gar nichts kennten (?) als eben dies Eigene. Der Hochmut ist der Begleiter aller besonderen Frömmigkeit.

Nein! Im Gegenteil werden wir zunächst einmal sagen müssen: Wenn wir den Geist unseres Glaubens festhalten wollen, dann dürfen wir uns selbst nicht zu wichtig nehmen, uns selbst mit unserem Eigenen, mit unserer eigenen Zukunft, mit unserem eigenen Wollen, um dessen Durchsetzung wir uns sorgen, jeder auf seine Weise. Der eine sorgt um sein Fortkommen, der andere um seine Gesundheit, der dritte um die Familie und um die Kinder, der vierte um öffentliche Angelegenheiten. Das ist das Eigene, in welches wir uns zerstreuen – statt dass wir die Zukunft des Glaubens im Auge haben. – Aber was heißt denn das? Können wir uns überhaupt solchen Sorgen entziehen? Können wir eben dies Eigene, was uns doch bedrängt, was doch unausweichlich vor uns steht, was doch nun einmal besorgt sein will, vergessen? Seht – davon redet Jesus ja gerade nicht, dass wir das könnten. Davon redet er ja gerade nicht, dass wir unseren Glauben bewahren und festhalten könnten, dass wir der Welt nicht verfallen wären. Vielmehr: ganz klar und eindeutig spricht Jesus das aus: euer Wille zu glauben, euer Vorsatz, zu glauben, der hält vielleicht einen Augenblick, der hält ein kurzes Jetzt! Und dann ist es damit wieder vorbei. Dann zerstreut ihr euch in das Eigene. Und dann beginnt die Angst. Seht – das gehört ja nun nach dem Worte Jesu mit dazu zu diesem eigenen: die Sorge, die Angst, diese Eigene durchzubringen. Aber ist das wahr, so allgemein hingesagt, als eine Regel von welcher es keine Ausnahme gibt: „In der Welt habt ihr Angst!“? Vielleicht sagen wir: für mich gilt das nicht. Angst habe ich nicht. Aber irgendwo sitzt sie schon drin diese Angst. Irgendwo plagt sie schon, diese Angst. Jeder wird sie selber am besten kennen, seine Angst, seine besondere Angst und ich habe es gewiss nicht nötig die allgemeinen Ängste unserer Zeit alters? als schwarzen Mann an die Wand zu malen. Dazu sind uns diese Ängste viel zu nahe und viel zu klar bewusst.

Nein! Nicht darum geht es, diese Zukunft vor Augen zu malen, die Zukunft in unserem Eigenen, die Zukunft in der Welt. Da haben wir Angst – das werden und dürfen wir gerade zugestehen, dass es so ist ohne uns etwas zu vergeben. Aber – so fragen wir: Was hilft dann dagegen? Nun, die Antwort wäre eigentlich leicht gegeben: Der Glaube hilft gegen diese Angst. Aber: Wissen wir denn, ob wir diesen Glauben haben, dann ihn haben, wenn es zum Treffen kommt, dann ihn haben, wenn uns die Angst überfällt oder die Lebensgier, oder der Hass und Neid, der dem Nächsten nichts gönnt?

Seht: da sagt Jesus: ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir! Wir könnten das auch so umschreiben: Jesus sagt, dass wenigstens er glauben werde, er allein, auch wenn alle anderen, alle seine Anhänger und Jünger, sich zerstreut haben. Er bleibt bei seinem Glauben, und darum bleibt Gott der Vater bei ihm. – Wir, wir können das gewiss nicht sagen, so einfach und so sicher, und doch so ohne jede Überheblichkeit. Das könnte nur der sagen, der die Welt überwunden hat, er, der nichts mehr sein eigen nennen könnte, da er wusste, sogar sein Leben werde ihm in den nächsten Stunden genommen werden.

Ich sagte: Wir wüssten wohl, was gegen die Angst in dieser Welt hilft: der Glaube, der wahre und herzliche Glaube. Aber wer hat diesen Glauben, dass er sagen kann: Auf meinen Glauben kann ich mich verlassen? Keiner hat ihn. Und darum bleibt uns nur eines: der fremde Glaube – der Glaube Jesu. „Solches habe ich mit euch geredet, dass ihr in mir Frieden habt.“

Das ist unsere Zukunft, die Zukunft unseres Glaubens: Dass wir nicht an uns selber uns zu halten brauchen, dass wir den fremden Glauben haben, der uns aus der Angst rettet.