Erntedankfest 30.9.1951  (Ort nicht leserlich)

25,1-5        Nun preiset alle

6,1-3          Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut

19,4+5       Lobe den Herren, der sichtbar

21,5           Sei Lob und Preis mit Ehren

Schriftlesung Mt 6,25-34     Lk 12,15-21

Liebe Gemeinde!

Wir feiern heute das Erntedankfest. Das ist eine gute, alte Sitte in unserer christlichen Kirche. Hoffentlich ist es aber mehr als eine Sitte, die man weiter leben lässt, weil es halt früher so war. Und hoffentlich denken wir uns etwas mehr bei diesem Wort Erntedankfest als der Harmonikaverein Kaltental, der zu einem Erntedankfest-Tanz einlädt. Denn was das Geschiebe und Gehopse heute Nachmittag in der Turnhalle mit Erntedank zu tun hat, das kann ich mir einfach nicht vorstellen. Das Erntedankfest ist nicht eben eine Gelegenheit mehr, um sich in der üblichen Weise zu amüsieren, sondern der Ton sollte nun wirklich auf dem zweiten Teil des Wortes liegen, auf dem Dank.

Dank wofür? Wir können es ganz einfach sagen: Dank dafür, dass Gott noch immer seines Bundes gedenkt, den er mit Noah geschlossen hat – solange die Erde besteht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. Dank dafür, dass die Erde immer noch ihre Frucht bringt, dass wir auch in diesem Jahr wieder ernten konnten, ein Vielfaches von dem, was wir ausgesät haben. Ist das nicht selbstverständlich?

Liebe Freunde! Das ist gar nicht so selbstverständlich, dass man es nur einfach hinnehmen kann. Unsere moderne Technik und Wissenschaft hat ungeheure Leistungen vollbracht auf den allerverschiedensten Gebieten, aber eines ist ihr bis heute noch nicht gelungen: Das Leben her zu stellen, das uns nährt. Denn alles, was unser Leben erhält, ist ja fremdes, geopfertes Leben, sei’s Pflanze oder Tier. Und der heutige Tag will  uns daran erinnern, dass wir dankbar des Herrn gedenken, der all dies Leben geschaffen hat und es in wunderbarer Weise neu erfüllt.

Unser heutiger Text zeigt uns einen Menschen, der das nicht bedacht hat, einen Menschen, der nicht mit Gott rechnete, sondern nur mit Hektarerträgen, mit Lagerraum, mit Weizenpreisen. Ein kluger Mann, sicher, der immer seinen Vorteil wahrzunehmen wusste – und doch nennt ihn Jesus einen Narren. Denn er meinte, er sei Herr über sein Leben, und er müsste und könnte auf lange hinaus für dieses Leben sorgen, und er könne mit diesem Leben anfangen, was ihm beliebe. Ein dreifacher Irrtum, in dem dieser Mensch befangen war, und ein Irrtum, der so ganz plötzlich zerstört wurde durch das ganz einfache Sätzlein: „Du Narr, diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern.“

Hüten wir uns daher vor diesem dreifachen Irrtum des reichen Kornbauern:

1. Nicht wir selbst, sondern Gott ist der Herr über unser Leben.

Das ist eigentlich eine ganz einfache Tatsache, aber sie will uns oft gar nicht gern eingehen. Dass ein anderer es bestimmen soll, wie wir leben, wie lange wir leben, ja dass wir überhaupt leben, das will uns selbstherrlichen Menschen oft gar nicht eingehen. Ja, und darum täuschen wir uns gar zu gerne über diese einfache Tatsache hinweg. Unsere Arbeit, unsere Tüchtigkeit, unsere Klugheit und Geschicklichkeit, unsere sozialen Maßnahmen, unser fein ausgeklügelter Wirtschaftsapparat, sind es, die uns am Leben erhalten. Unsere Medizin hilft uns, wenn wir krank sind, und wenn wir bis jetzt auch noch keine sichere Heilmethode gegen den Krebs haben – das wird ja wohl auch noch kommen. In Amerika, und auch bei uns, werden ständig neue Methoden angepriesen, die uns das Leben verlängern sollen. Wir wollen es einfach oft nicht wahr haben, dass wir ganz auf Gottes Güte angewiesen sind, der seine Sonne aufgehen lässt über Böse und Gute, der es regnen lässt über Gerechte und Ungerechte. Und doch: Brauchte es wirklich schrecklicher Naturkatastrophen, oder eines Krieges, oder einer schleichenden, tödlichen Krankheit, um diese törichte Täuschung zu durchschauen? Ich brauche sonntags nicht in die Kirche zu gehen, ich halte meinen Gottesdienst in der freien Natur – das ist eine Ausrede, die wir oft von Leuten hören, die nicht mehr zum Gottesdienst kommen. Ja! Geh einmal in die Natur, aber nun nicht nur bis zur nächsten Gartenwirtschaft. Schau dir einmal in ehrfürchtigem Staunen das vielfältige Leben der Geschöpfe Gottes an. Sieh, wie im Frühjahr die feinen Gräslein sprießen. Betrachte das Gotteswunder, wie aus dem Samenkörnlein zuerst der frische, grüne Halm sprosst, wie sich dann die Ähre bildet, wie sie blüht und vom flüchtigen Wind befruchtet wird, und wie schließlich die Körner reifen, die uns Brot geben. Und sieh zu, was du dabei machen kannst. Und wenn du das gesehen hast, wie der gnädige Schöpfer alles so fein bereitet hat, dann komm aber auch wirklich und sage ihm Dank in seiner Gemeinde, dass er dir dein Leben täglich neu in seiner Freundlichkeit erhält durch seine guten Gaben. Ja, schon das allein kann genügen, damit du die Täuschung durchschaust, als ob du es selber seist, der Herr ist über dein Leben.

Darum wird der Mann, den uns Jesus im Gleichnis zeigt, mit Recht ein Narr genannt. Narr, der meint, er hätte sein Leben in Händen. Narr, der meint, nun könne ihm nichts mehr passieren, nun, da er eine reiche Ernte eingebracht hat, nun, da seine Scheuern nicht mehr ausreichen, um die Fülle der Garben zu bergen. Narr, wenn du meinst, es könne dir nichts mehr passieren, wenn du ein schönes Bankkonto hast, wenn du deine Pensionsberechtigung in der Tasche hast, wenn du dir eine feste Rente gesichert hast. Gott ist der Herr über dein Leben und nicht du selbst. Das ist der erste Irrtum, vor dem uns unser Gleichnis warnt.

Und der andere Irrtum dieses Mannes, der aus dem ersten Irrtum folgte:

Nicht du sorgst mit all deiner Geschäftigkeit für dein Leben, sondern allein Gott.

Du hast einen Vorrat auf viele Jahre – wir können uns recht gut die Geste vorstellen, mit der der reiche Bauer bei diesen Worten seine Hände rieb. Nun endlich hatte er erreicht, wonach er so lange schon strebte, für was er bisher gearbeitet und sich gemüht hatte. Nun war er gesichert auf lange hinaus. Ein ganzer Kerl war er, dass er es so weit gebracht hatte und sich nun beruhigt einen schönen Tag machen konnte. Er hatte ja Vorrat auf viele Jahre. Ein Narr, ja! Aber sind wir so sicher, dass wir keine solchen Narren sind? Nehmen wir alles, was Gott  uns in seiner reichen Güte schenkt, dankbar an in dem festen Wissen darum, dass wir nichts dazu tun können, und im Vertrauen darauf, dass er weiter helfen wird, wenn die Speisekammer auch einmal leer ist, und der Geldbeutel mager. Haben wir wirklich Jesu Mahnung ganz ernst genommen, die wir vorhin gehört haben: Ihr sollt nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen, was werden wir trinken, womit werden wir uns kleiden? Nach solchem allem trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr des alles bedürfet. Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen!

Dieses Wort des Herrn soll uns dazu helfen, den dritten Irrtum mit zu denken, in dem der Mann unseres Gleichnisses gefangen war. Er meinte, da er ja selber Herr seines Lebens sei, und selber für es gesorgt habe, so könne er nun wirklich mit diesem Leben auch anfangen, was er wolle. Das ist der schlimmste, verhängnisvollste Irrtum, in dem er sich verstrickt hatte. Iss und trink und sei guten Muts, du hast einen Vorrat auf viele Jahre. Nein! So soll es bei uns nicht heißen. Gott ist der Herr über unser Leben, er hat uns dieses Leben geschenkt, er erhält uns dieses Leben. Es ist uns anvertraut. Nicht dazu, dass wir nun dieses Leben genießen, so gut wir’s zu verstehen meinen. Sondern damit wir Gott dienen und ihm dankbar sind. Nicht nur mit Worten allein, sondern mit der Tat. Ein Zeichen dieser Tat ist es, wenn wir von den Gaben, die wir aus Gottes Güte empfangen haben, einen Teil wieder ihm bringen und am heutigen Festtage auf seinem Altar nieder legen.

Aber es soll nicht bei dieser Geste bleiben. Denn ernst, wirklich sehr ernst steht die Mahnung unseres Gleichnisses vor uns: Du Narr, diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern. Unser Leben, unser Gut ist uns anvertraut, um Gott zu dienen in freudiger Dankbarkeit, zu dienen, indem wir unserem Nächsten, der diese Hilfe nötig hat, mit dem Gut beistehen, das Gott uns geschenkt hat. Wir sollen wissen, dass wir einmal vor Gottes Richterstuhl auf die Frage antworten müssen, ob wir mit dem anvertrauten Gut recht hausgehalten haben. Wenn wir uns diese Frage vorlegen, dann sehen wir’s ein, warum auf dem Altar, mitten unter den Früchten, das Kreuz Jesu Christi empor ragt. Dann erkennen wir in tiefer Dankbarkeit die größte Gabe des barmherzigen Vaters, seinen lieben Sohn, der uns die Gerechtigkeit des Reiches Gottes gebracht hat.

Erntedankfest, liebe Freunde! Es soll  uns zu rechtem Dank für alle guten Gaben Gottes bewegen. Lasst uns diesen Dank abstatten mit der Tat unserer Liebe, frei von aller Sorge, ob das, was wir geben, uns nicht nachher fehlen wird. Eine törichte Sorge. Denn die Verheißung Gottes steht! Trachten am ersten nach dem Reich Gottes  und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen. Amen.