14.n.Trinitatis 3. September 1961  Wolfenhausen / Nellingsheim

341,1-4               Aus meines Herzens Grunde (15)

283,1-5               Von Gott will ich nicht (237)

233,4                  Sei Lob und Ehr (220)

283,8+9              Von Gott will ich nicht (237)

Ps 50,14-17.22.23  Lk 17,11-19

Liebe Gemeinde!

Das, was da erzählt wird, mag uns zunächst einmal recht fremd gegenüber stehen. Denn wer von uns hat schon einmal einen Aussätzigen gesehen? Wer von uns kennt diese schreckliche Krankheit, welcher die Menschen früher hilflos ausgeliefert waren? So, dass sie sich nicht anders zu schützen wussten, als dass sie die Unglücklichen, welche von dieser Krankheit befallen wurden, davon jagten, um sich nicht anzustecken. Und diese Aussätzigen, die hatten dann keine Hoffnung mehr. Sie waren so gut wie tot – ohne Heimat, ohne Familie, ohne Besitz, auch wenn sie ihr Leben vielleicht noch ein paar Monate oder Jahre vom Bettel zu fristen vermochten. Sie waren aufgegeben, solche Leute: Und sie hatten sich selber aufgegeben.

Seht – wir kennen den Aussatz nicht. Aber das andere, das könnten wir vielleicht schon eher nachfühlen – was das heißt, aufgegeben zu sein, was das heißt, sich selber aufzugeben! Da ist dann unser Leben nichts mehr. Da merken wir, dass es uns gar nicht gehört, und dass wir gewiss nicht die Macht haben, dieses Leben willkürlich fest zu halten. Da ist es vorbei mit der Selbstverständlichkeit, mit welcher wir dieses Leben sonst hinnehmen, als ob es uns gehöre. Mit der wir dieses Leben gebrauchen, und das gebrauchen, was uns dieses Leben bietet! Ich sage: Das hat gewiss schon mancher erlebt, und wir alle vermögen es nach zu fühlen, was das heißt, aufgegeben zu sein, sich selber auf zu geben. Wie viele haben das etwa erlebt im Krieg, in Feuer und Blut oder in der Schwäche und dem Hunger der Gefangenschaft, wo es nicht mehr weiter zu gehen schien. Wo die Kameraden geblieben sind, einer nach dem anderen, und man sich eigentlich ausrechnen konnte: Jetzt bist dann du dran. Es kann auch ganz anders gewesen sein – daheim auf einem schweren Krankenlager, wo das Herz nicht mehr wollte, und der Atem nur noch schwer und mühsam ging – auch da kann es einer erleben, was das heißt, aufgegeben zu sein!

Seht, in einer solchen Lage da kommt es einen leicht ins Herz und über die Lippen, das Stoßgebet: „Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser!“ Noch leichter kommt ein solches Gebet da heraus, als die Flüche, mit denen wir sonst gerne unserer Wut Luft verschaffen, wenn es nicht geht, wie wir wollen – ich sage: Noch leichter als sonst die Flüche kommt da das Gebet, denn da ist es ja wirklich ernst, verzweifelt ernst, so, dass kein Ausweg mehr zu sein scheint. Erinnert euch doch daran – ihr, die ihr so etwas schon erlebt habt: Da kann mancher, von dem man nie gedacht hat, dass er den Namen Jesu anders als im bösen Fluch über die Lippen bringen würde, auf einmal wieder beten, wie ein unschuldiges Kind! So, wie damals alle die 10, die Aufgegebenen, gebetet haben: „Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser!“ Und Jesus hat sich ihrer erbarmt. Nicht so, dass sie es auf einen Schlag erlebt haben. Er forderte sie auf, zu den Priestern zu gehen, welchen es oblag, Erkrankung und Gesundung der Aussätzigen fest zu stellen. Sie mussten schon ein gewisses Vertrauen zu Jesus aufbringen, dass sie sich so einfach auf den Weg machten, um ihre Gesundheit feststellen zu lassen, von der sie noch gar nichts merkten, und die so unwahrscheinlich, ja  unmöglich schien, wie dies, dass ein Toter wieder lebendig werde. Aber was tut einer nicht alles, wenn ihm das Wasser bis zum Halse steht. Und wirklich, die Priester haben festgestellt: Ihr seid gesund. Das ist vorbei, dass ihr ausgestoßen seid, dass ihr aufgegeben seid, es gehört euch wieder, euer Leben.

Seht – auch das werden wir nachfühlen, wie das ist: Wenn die Krankheit gewichen ist, wenn das Tor des Gefangenenlagers sich öffnet, wenn man zurück kehrt in die Heimat: Nicht mehr aufgegeben, sondern noch einmal gerettet, nicht mehr den Tod vor Augen, sondern noch einmal eine Frist des Lebens! Das müsste schon ein hartherziger Mensch sein, der nicht in diesem Augenblick dankbar wäre, dessen Herz nicht erfüllt wäre von Jubel darüber, dass der Allmächtige noch einmal geholfen habe. Seht: Wir werden nicht zu schlecht denken dürfen von den Menschen, von welchen unsere Geschichte uns erzählt. Gewiss haben sie auch dieses Gefühl des Dankes in ihrem Herzen gehabt, und haben ihn in einem Dankgebet Luft gemacht – alle 10. Erst da beginnen sich dann ihre Wege zu trennen. Hören wir genau zu, was uns hier erzählt wird: Einer aber unter ihnen, da er sah, dass er gesund geworden war, kehrte er um, und pries Gott mit lauter Stimme und fiel auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm: Und das war ein Samariter. Jesus aber antwortete und sprach: Sind ihrer nicht 10 rein geworden? Wo sind aber die Neun? Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte, und gäbe Gott die Ehre, denn dieser Fremdling?

Seht – da ist doch sichtlich mit der Dankbarkeit mehr gemeint, als jenes Gefühl der Befreiung, welches uns erfüllt, wo uns das Leben neu geschenkt ist. Es ist mehr gemeint auch als das – stille oder laute – Dankgebet zu Gott, das uns dann ins Herz und auf die Lippen kommt, wenn wir nicht ganz hartnäckige und verstockte Menschen sind. Vielmehr: Dankbarkeit, wie sie die Neun vermissen ließen, wie sie nur der Eine aufgebracht hat, diese Dankbarkeit – die heißt: Mit dem neu geschenkten Leben zurück zu kommen zu Jesus, und damit Gott die Ehre zu geben. Nun werdet ihr mit Recht fragen, wie das geschieht. Zweierlei kann ich dabei nennen: Einmal dies, dass wir nicht mehr selbstverständlich besitzen, was uns gehört, sondern dass wir’s als ein Geschenk Gottes erkennen: Zum Beispiel das Brot, das uns einmal so bitter mangelte, und das wir neu essen können, so oft uns danach hungert. Zum Beispiel das Dach überm Kopf, gar das eigene Dach, das uns schützt vor Hitze und Nässe und Frost. Natürlich sind das Selbstverständlichkeiten – jetzt, wo wir unser normales Leben führen. Aber: Erinnern wir uns auch an die Zeit, wo es ganz anders gewesen ist? Wir sollen als Geschenk Gottes begreifen, was unser ist: Die Ehefrau oder der Ehegatte, die Kinder, die Freunde, die Heimat – all das, was uns einmal schon entschwunden war, dass wir dachten: Nie mehr! – Und nun ist es uns noch einmal geschenkt worden durch Gottes Güte und die Hilfe unseres Heilandes. Das ist das Erste, dass wir es so lernen, als Geschenk Gottes zu begreifen, was unser selbstverständlicher Besitz zu sein scheint. Das hieße recht danken – Gott nicht bloß in einem Gefühl des Augenblicks, sondern weiterhin die Ehre zu geben.

Ein Zweites möchte ich nennen, worin diese rechte Dankbarkeit besteht: Dass wir das rechte Vertrauen in die Zukunft fassen! Seht – wer einmal aufgegeben hat, wer einmal aufgegeben war, wer einmal dort gestanden ist, wo der nächste Schritt den Tod und das Vergehen bedeutet hätte, der hat eines erfahren: Dass wir Menschen nichts, aber auch gar nichts in der Hand haben, wo es um den letzten Schritt unseres Lebens geht. Er hat aber auch ein anderes erfahren, wenn er wieder zurück gekehrt ist, in dies vergleichsweise normale, überschaubare, sichere Leben: Er hat erfahren, dass der Herr, welchen er dort im Dunkel angerufen hat, die Macht hatte, diese letzte Bedrohung noch einmal abzuwenden. Dass er diese Macht hatte – das soll das Vertrauen begründen darauf, dass er auch weiterhin die Macht hat, die Macht dort an der Grenze, wo alle menschliche Kraft sich in völlige Ohnmacht verkehrt. Seht, es soll das Vertrauen auf ihn bleiben, das Vertrauen nicht nur, dass er jene letzte schreckliche Bedrohung unseres Lebens abzuwenden vermag, sondern auch, dass er durch sie hindurch zu führen vermag.

Seht: Jener Eine von den Zehnen, die aufgegeben waren und ihr Leben doch noch einmal geschenkt bekommen haben, ist zu Jesus zurück gekommen, um richtig zu danken und Gott die Ehre zu geben – damit, dass er das zeigte: Geschenk ist das Leben, das ich noch einmal bekommen habe, damit, dass er zeigte: Auch in Zukunft will ich dir vertrauen. Deshalb hat Jesus auch gerade zu ihm, und nicht zu den Anderen, die doch auch gesund geworden waren, gesagt: „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Doch – das werden wir gerade daraus nun als Letztes entnehmen können: Damit diese rechte Dankbarkeit dauert – damit sie nicht untergeht in den Selbstverständlichkeiten unseres Lebens, dazu brauchen wir die Erinnerung unseres Glaubens. Dazu brauchen wir das Wort, dazu brauchen wir das Gebet. Seht: 10 waren aufgegeben, und 10 haben noch einmal ihr Leben geschenkt bekommen. Aber nur einer hat das wirklich begriffen, und hat neu angefangen – und hat sich darin halten lassen, und damit war ihm allein wirklich geholfen für Zeit  und Ewigkeit. Amen.