4.n.Trinitatis  7. Juli 1963  Wolfenhausen / Nellingsheim

 

337,1-5               Du höchstes Licht (8)

104,1-6               O Heiliger Geist, o heiliger (204)

262,10+11          O Durchbrecher (109)

233,8+9              Sei Lob und Ehr (220)

1. Kor 1,26-30             Lk 9,57-62

 

Liebe Gemeinde!

Solange wir Zuschauer bleiben, ist das, was uns da geschildert wird, leicht zu begreifen. Jesus ist mit seinen Jüngern unterwegs – hinauf nach Jerusalem. Dieses Hinauf nach Jerusalem, das heißt: Hin zu dem letzten, entscheidenden Kampf für Gottes Wahrheit gegen die Selbstgerechtigkeit und Unverständigkeit der Menschen – hin zum Leiden, hin zum Sterben! Dahin ist Jesus unterwegs, das müssen die wissen, welche ihn begleiten, seinen Weg mitgehen. Darum gibt es bei ihm nur die Ungeborgenheit, aber keine Sicherheit: „Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester, aber ich habe nicht, da ich mein Haupt hinlege.“ Darum gibt es keine Zeit für irgendetwas anderes, und sei es auch die heilige Kindespflicht, den toten Vater zu begraben. Nicht einmal dazu ist jetzt Zeit – jetzt, wo es hinauf geht nach Jerusalem. „Lasst die Toten ihre Toten begraben; geh du aber hin und verkündige das Reich Gottes!“ Und es gibt nichts anderes als das Ziel, das bezeichnet ist in diesem „Hinauf nach Jerusalem“ – das Ziel, für Gott und sein Kommen einzutreten. Darum gilt das: „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt zum Reich Gottes.“

Ich sagte: Solange wir Zuschauer bleiben, ist dieser kleine Abschnitt gar nicht schwer zu verstehen: So war das, damals, bei diesem Weg hinauf nach Jerusalem. Aber haben wir ihn denn verstanden, diesen Text, wenn wir eben nur das sehen und verstehen: So war es damals! – Wenn wir nur das zur Kenntnis nehmen, was daran vergangene ist? Denn dieser Weg hinauf nach Jerusalem, der ist ja ganz ohne Zweifel jetzt schon lange vorbei. Er hat Jesus zur Verurteilung und zum Tode geführt. Aber das war nicht das Ende dieses Weges, der durch den Tod hindurch zur Herrschaft führte – dass wir seinen, den Christusnamen des Gekreuzigten tragen. Dass wir sein, des Gekreuzigten Wort hören, weil es Gottes Wort ist. Dass sein Weg der Weg ist, der uns zum Heil führt!

So gehört es dazu, dass wir nicht einfach nur Zuschauer bleiben können bei dem, was uns da erzählt wird – sonst verstehen wir es gerade nicht richtig. Sonst verstehen wir nicht richtig, dass der Weg nach Jerusalem, den Jesus gegangen ist, der Weg des Heiles, unseres Heiles, geworden ist – wenn anders wir diesen Weg mitgehen, wenn anders wir das hören: Folge mir nach! Doch gerade dann, wenn wir nicht einfach Zuschauer bleiben wollen, wenn wir nicht einfach dieses Geschehen betrachten wollen als ein Stück Vergangenheit, das wir unbeteiligt zur Kenntnis nehmen, sondern wenn wir das hören, aus diesem Text heraus, dass Jesus da uns zuruft: Folge mir nach – gerade dann fängt diese kleine Erzählung an, uns immer unverständlicher und schwieriger zu werden!

Wer bin ich denn, der ich dies Wort Jesu zu wiederholen habe, indem ich’s euch auslege? Der dänische Religionsphilosoph Sören Kierkegaard hat sich ja mit Recht schon vor hundert Jahren darüber in bitterem Spott ausgelassen, dass ein wohlversorgter Bürger mit Amt und Gehalt, mit Haus und Weib und Kindern jenes‘ Worte in den Mund nimmt, den wir da vor uns sehen, unterwegs nach Jerusalem, ohne Bleibe, aller menschlichen Bindungen ledig, nur das Reich vor Augen und den Kampf für dieses Reich! Ja – reden wir, wenn wir diesen Ruf in die Nachfolge betrachten, nicht über ein Tun, das wir weder uns selbst noch denen, die uns zuhören, zuzumuten gewillt sind?

Was dann? Sollen wir Jesu Ruf so weit ermäßigen, dass er zu uns besser passt? Sollen wir seine radikale Forderung so weit zurück schrauben, dass wir sie schließlich mit einigem guten Willen schon erfüllen können? Statt dieses: Folge mir nach mitsamt seinen Konsequenzen, gibt es dann die Forderung: Jetzt übergibt dich dem Herrn Jesus. Und wenn einer fragt: Wie soll ich das machen? – Dann könnten wir zu Antwort geben: Bete; lies die Bibel; halte dich zur christlichen Gemeinde; tu, was Recht ist.

Liebe Freunde: Das ist gewiss nicht Nichts, ein solches Tun! Das ist gut und richtig und notwendig. Aber kann es bestehen gegenüber der Radikalität der Forderung Jesu – lass die Toten ihre Toten begraben – du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes. Das ist doch noch einmal ein anderes, als wenn zu dem anderen, was wir tun, und worin unser Leben besteht, zu unserem arbeiten und schlafen, zu essen und feiern und sich freuen und traurig sein, noch dieses dazu kommt: Beten, Bibel lesen, den Gottesdienst besuchen – und in dem allen auf eine saubere und anständige Lebensführung achten! Sollen wir es so machen? Aber wird dann nicht aus dem einfachen und klaren „Entweder – Oder“ der Forderung Jesu – wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt zum Reich Gottes, ein mattes und kraftloses – sowohl – als auch – sowohl Reich Gottes als auch das, woran wir hängen, was unseren Leben Sinn und Zweck und Inhalt gibt.

Seht – da geraten wir hin, wenn wir es einmal unterlassen, bloß zuzuschauen, wenn wir mit dabei sein wollen! So, wie Jesus dabei ist, da auf dem Weg nach Jerusalem – so wie seine Jünger dabei sind – so können wir nicht dabei sein. Wie sollten wir das auch machen? Was sollten wir denn da tun? Wohin gehen – wenn wir mit der Nachfolge Ernst machen wollen? Seht – da bietet sich uns ein Ausweg an. Wir können ja sagen: Nicht zu jeder Zeit geht es auf den Weg nach Jerusalem, den Weg Jesus nach, den Weg zum Leiden und zum Sterben, den Weg heraus aus der Welt, mit ihrer Ordnung und ihren vielfältigen Aufgaben, die uns in Anspruch nehmen. Nicht zu jeder Zeit – nicht eigenwillig, kann ich mich auf den Weg machen. Dazu braucht es die besondere Stunde und braucht es den besonderen Ruf. Was ich jetzt kann – ist, mich bereiten auf diese besondere Stunde, diesen besonderen Ruf. Das ich mein Herz nicht an die Dinge hänge, mit denen ich umgehe, sondern weiß: Du kannst daraus heraus gerufen werden, wenn es dienen Herrn Wille ist.

Wohl! So können wir das hören und verstehen – als Vorbereitung gleichsam auf den Ruf, der uns einmal treffen kann, und dem wir dann Folge leisten wollen – wenn es notwendig ist! Aber wie, wenn wir diesen besonderen Ruf in der besonderen Stunde nie hören? Wenn wir uns nur einbilden, wir seien auf diesen Ruf vorbereitet, warteten auf ihn? Wie, wenn wir uns so unseren zukünftigen Gehorsam einem zukünftigen Ruf gegenüber nur einbilden, und darüber den gegenwärtigen Ruf überhören und den gegenwärtigen Gehorsam versäumen? Ist nicht immer Zeit der Nachfolge, Zeit des Gehorsams, Zeit, mit Jesus zu gehen?

Liebe Freunde: Ich meine, wenn wir einfältig und ohne Vorbehalte das gelten lassen, was da steht, dann seien uns diese Auswege verbaut. Dann merken wir, dass es ein anderes ist, der radikalen Forderung Jesu zu gehorchen, und wiederum ein anderes, diese Forderung so weit zu ermäßigen, dass wir ihr jetzt gehorchen können. Dass es ein anderes ist, wenn wir in uns die Bereitschaft sehen, dann einmal, wenn es sein muss, zu gehorchen – und jetzt zu hören auf dieses: Folge mir nach!

So werden wir gestellt! Wozu? Dass wir Jesus sehen – der ist, was ich sein sollte – radikal, kompromisslos, bereit, der Eine, der nicht zurück zieht, der Eine, der wirklich geschickt ist zum Reiche Gottes! Jawohl, so sollen wir ihn sehen – wie er hinauf eilt nach Jerusalem. Da ist’s wahr, wirklich, erfüllt, was bei uns eben nicht wahr, nicht wirklich, nicht erfüllt ist. Da ist der, der voraus geht. Ohne Nachfolger? Wohl, er ist voraus, aber er will uns holen. Er macht’s. Sein Werk ist’s. Das mögen wir nehmen, nicht als bequemes Ruhekissen, sondern als den lebendigen Ruf Gottes: Da ist deine Zukunft. Dein Nichtkönnen ist überholt. Amen.

 

Herr Jesus Christus!

Du willst Nachfolger haben, die ungeteilten Herzens dir nachfolgen, die den Weg gehen, auf den du sie rufst, ohne zurück zu blicken.
Wer aber bin ich, dass ich sagen könnte:  Ich will dir nachfolgen?
Herr, du bist die Wahrheit und das Leben, du allein. Du bist der Weg, der uns zum Heile führt. Du hast erfüllt, was wir verfehlen. Darum nimm du uns auf. Deine kraft sei mächtig in unserer Schwachheit! Dein Gehorsam überwinde unseren Ungehorsam. Auf deine Zukunft richte unser Herz, und lass in allem, was wir tun, dies Ziel vor unseren Augen stehen.
Wir bitten dich für alle Kranken, für die, die dich nicht kennen wollen, für die, die dienen Tag entheiligen. Herr, du bist uns nahe, auch wo wir dir fern sind. Darum trage sie und uns alle, du unser göttlicher Erlöser. Amen.