Klinikgottesdienst am 8.9.1957, 12.n.Trin.

Markus 7,31-37

50,1-6                 O Jesu Christe, wahres Licht (244)

188,4.5.

250,11-13          Ist Gott für mich (277)

 

Wenn wir diese Geschichte aus dem Evangelium hören, so drängt sich uns allen wohl gleich die Frage auf: „Warum geschehen solche Dinge nicht auch bei uns? Warum ist der Heiland nicht so bei uns, wie er es damals gewesen ist? Warum können wir uns in unserer Not nicht so zu ihm wenden, wie sich der Kranke damals einfach zu ihm begeben konnte, um von seiner Krankheit befreit zu werden?“

Das sind ernste und gewichtige Fragen, über die man nicht so leichthin weggehen kann. Aber ich meine doch, dass es nicht gut ist, wenn wir diese Fragen stellen, die alle mit einem warum beginnen, das getragen ist von einer gewissen Enttäuschung und Bitterkeit. Vielleicht werden wir durch diese Fragen geradezu gehindert, den Trost und die Mahnung zu hören, die für uns in dieser einfachen Geschichte liegen, wenn wir sie nur richtig verstehen. Vielleicht ist uns der Heiland mit seiner Liebe und mit seinem Erbarmen viel näher, als wir das merken und glauben können. Vielleicht hat er sein Heilandswerk an uns schon begonnen, und wir sehen es nur noch nicht.

Ich möchte dazu zunächst auf das eine hinweisen, wie Jesus sein Werk an dem Kranken, von dem uns das Evangelium berichtet, beginnt. Da heißt es: „Und er nahm ihn von dem Volk besonders“. Damit fängt es an, was Jesus tut, um diesen Mann zu retten. Ich glaube, das könnte uns doch gleich etwas zu denken geben. Weil er etwas mit diesem Menschen vorhat, darum nimmt ihn der Heiland besonders, holt ihn weg von den Menschen, mit denen er bisher beisammen war. Holt ihn heraus aus der gewohnten Umgebung, die ihn bis jetzt ganz und gar beschäftigt hat. Wenn Jesus einen Menschen besonders nimmt, dann ist das ein Zeichen, das er ihn nicht vergessen hat. Ein Zeichen, dass er sich um  ihn kümmert, dass er etwas mit ihm vorhat. Sehen wir das immer ein? Sehen wir es ein, gerade dann, wenn wir durch eine Krankheit herausgeholt sind aus dem, was uns bisher Tag für Tag beschäftigt und oft so ganz und gar in Anspruch genommen hat? Sehen wir, wozu gerade ein solches Schweres, das wir durchzustehen haben, gut ist? Was will Gott mit uns machen, wenn er uns so besonders nimmt? Das ist die erste Frage, die uns diese Geschichte aus dem Evangelium stellt.

Doch wir wollen weiter verfolgen, was mit dem Kranken geschieht. Jesus öffnet ihm die Ohren. Gewiss ist dabei zunächst an den rein leiblichen Vorgang gedacht, dass er dem Kranken sein Gehör wieder gibt. Aber das ist nicht das Ganze. Vielmehrliegt in diesem einfachen Vorgang noch ein tieferer Sinn: Denn wie oft geschieht es, dass wir mit unseren Ohren hören und doch nicht hören auf das, was Gott uns zu sagen hat. Dass wir die Stimmen der Welt, dieses vielfältige Geräusch, in den Ohren haben. Und die Stimmen unseres eigenen Herzens, das so voll ist von der iegenen Not und der eigenen Sorge, den eigenen Wünschen und dem eigenen Sinn, dass es gar nicht mehr imstande ist, auf Gott und sein Reden zu hören. Wir haben alle jeden Tag neu nötig, dass unsere Ohren angerührt und aufgetan werden. Das ist die zweite Frage, die diese Geschichte an uns stellt: Haben wir offene Ohren, um dies zu hören, was Gott uns sagen will?

Und weiter: Nicht nur die Ohren werden dem Kranken aufgetan, sondern auch der Mund. Jesus berührt seine Zunge, damit er richtig reden kann. Und auch hier richtet sich wieder die Frage an uns: Können wir wirklich reden? Es gibt ja vieles, was wir sagen, und niemand kann die Worte zählen, die jeden Tag über unsere Lippen kommen. Aber sind es denn alles Worte, um die es sich lohnt? Können wir das sagen, was wir wirklich zu sagen haben? Können wir Gott richtig loben über all dem, was er an uns tut? Und können wir davon auch anderen gegenüber Zeugnis ablegen, die nicht von Gott wissen wollen? Haben wir eine gelöste Zunge, um richtig zu reden? Das ist die dritte Frage, die unser Evangelium heute an uns stellt.

Ich meine, in diesen drei Fragen liege viel Trost und viel Mahnung zugleich: Gott nimmt uns besonders – das heißt doch: Er hat Besonderes mit uns vor. Darum wollen wir ihn um seinen Segen bitten, dass er sein Werk an uns tue, uns die Ohren zu öffnen für sein Wort, und den Mund zu seinem Lob aufzutun. Amen.