Invokavit,
19.Februar 1961 Wolfenhausen /
Nellingsheim
282,1-7 Wenn wir in höchsten (247)
109,1-3 Gott der Vater (90)
244,5 Ich ruf zu dir (120)
118,9 Aus tiefer Not (17)
Hebr 2,
10-18 Mt 4,1-11
Liebe
Gemeinde,
als
Kinder haben wir die Versuchungsgeschichte naiv und unbeschwert gehört, haben
uns das, was hier geschildert wird, sehr leibhaftig und real ausgedacht, haben
uns den Teufel je nachdem vorgestellt als ein gräuliches und fratzenhaftes
Wesen, mit Pferdefuß und Hörnern und Schwanz, oder als eine menschenähnliche
Gestalt, die vielleicht gar nicht auf den ersten Blick in ihrem Wesen erkennbar
war, die dann aber doch von Jesus entlarvt worden ist. Ich sage: Als Kinder
haben wir diese Geschichte naiv und unbeschwert gehört. Aber wenn wir uns jetzt
überlegen, was uns hier geschildert wird, so werden wir vielleicht manche
Hemmung haben, das zu glauben, was da beschrieben wird. Denn, nennen wir es
ruhig beim Namen: Es geht doch recht märchenhaft zu in dieser Geschichte. Schon
dies, dass da der Teufel leibhaftig auftritt, das kennen wir doch sonst eben
aus einer Fülle von Märchen, die wir keineswegs mehr als bare Wirklichkeit
nehmen, wie das in unserer Kinderzeit der Fall war. Und dann gar, wie da die Reise
durch die Luft geht, zunächst von der Wüste hin zur Zinne des Tempels, und dann
gar auf jenen hohen Berg, von welchem sich die ganze Erde überblicken lassen
soll – auch das sind Aussagen, die wir so keineswegs zu glauben gewillt sind,
und wahrscheinlich getrauen wir uns nur nicht, das einzugestehen, weil wir
diese Geschichte in der Bibel finden, und darum nicht beim Namen zu nennen
wagen, was uns sonst durchaus klar wäre.
Seht: Ich
meine, wir sollten das alles ruhig zugeben. Ja, ich bin sogar der festen
Überzeugung, dass wir nur dann den richtigen Sinn dessen begreifen, was uns da
geschildert wird, wenn wir das tun. Wenn wir nämlich nicht wie Kinder, die ein
Märchen hören, diese Geschichte einfach zur Kenntnis nehmen. Sondern wenn wir
weiter fragen, und uns deutlich wird, dass hier in Gestalt einer märchenhaften
Erzählung ein Spiegel vorgehalten wird. Wenn wir sagen: So ist das eben einmal
passiert, zwischen Jesus und dem Teufel – dann begreifen wir nicht, dass es
hier ja gar nicht um das geht, was ein Märchen will, erzählen: Es war einmal –
sondern dass das, was hier geschildert wird, ein Spiegel ist, der uns vor Augen gehalten wird, ein Spiegel
unserer selbst, ein Spiegel unseres Herzens!
Darum
betrachten wir diese Geschichte gerade heute, am Landesbusstag – weil uns
dieser Spiegel, der uns da vorgehalten wird, zeigen soll, wie es aussieht in
unserem Herzen, zeigen soll, wie wir dran sind. Jesus- oder der Teufel: Wer hat
Recht? Jesus – oder der Teufel: Wer hat die Macht in unserem Herzen? Diese
Frage legt uns diese Geschichte vor – und tut das, wie es die Bibel oft macht,
indem sie uns im Gewande einer märchenhaften Geschichte unser eigenes Inneres
vor die Augen hält. Wohl uns, wenn wir das begreifen. Wenn wir uns nicht von
dieser Geschichte wie Kinder mit einem Märchen tun, unterhalten, und vielleicht
rühren und ergreifen lassen – und wenn wir uns nicht, wie das ein
Verstandesmensch vielleicht tun könnte, an ihrem märchenhaften Gewande stoßen,
und uns abwenden und so tun, als ob uns nicht anginge, was hier gesagt ist. Ich
will versuchen, liebe Freunde, euch den Sinn dieser Geschichte wenigstens
andeutungsweise zu erschließen.
Da heißt
es, Jesus sei vom Geis tin die Wüste geführt worden.
Das bedeutet zunächst einmal so viel: Auch wenn sich dann dort der Teufel breit
macht, und tut so, als sei er der Herr, so steht doch ganz gewiss Gott über ihm
und das, was geschieht, geschieht nach Gottes Willen und nicht gegen ihn. Seht:
Gottes Wille ist es, das Jesus versucht wird. Gottes Wille ist es, dass wir
alle miteinander versucht werden. Denn so hat Gott den Menschen geschaffen –
als den, welcher frei ist: Für Gott und gegen Gott. Jesus steht in dieser Versuchung
als der, welcher auch gegen Gott sich stellen könnte. Das hat Gott – menschlich
gesprochen – riskiert: Nicht nur das erste Mal, bei Adam, nicht nur all die
vielen Male, da die Menschen sich gegen Gott kehren und gegen seinen erklärten
Willen: Sondern jetzt noch einmal, jetzt, da es um seinen Sohn ging, jetzt, da
es darum ging, den rechten Glauben zu stiften: Gott hat es riskiert, dass sich
auch hier der Mensch – dass sich Jesus, der Erwählte Gottes, gegen ihn kehren
könne!
Seht, das
müssen wir zunächst einmal begreifen: Gott will das, dass jeder Mensch, jeder
ohne Ausnahme, die Freiheit habe, zu sündigen. Die Freiheit habe, sich gegen
Gott zu entscheiden. Lassen wir uns das sagen; beklagen wir uns nicht darüber,
sondern nehmen wir es ernst als Gottes Willen. Doch nun lasst uns an den drei
Versuchungen Jesu anschauen, wie sie aussieht, die Freiheit, die sich gegen
Gott entscheidet, und wie die echte, die wahre Entscheidung für Gott, wie der Glaube
aussieht, der sich dieser Versuchung erwehrt.
Der
Teufel fordert Jesus, den Hungrigen, auf, aus Steinen Brot zu machen, und der
gibt ihm die Antwort mit einem Bibelwort: „Der Mensch lebt nicht vom Brot
allein, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht.“
Werden wir wohl einzusehen vermögen, was damit gemeint ist? Brot – das ist eine
handfeste, reale Sache; ist es erst recht für den Hungrigen, der dies Brot
braucht. Seht – nicht bloß das Brot ist gemeint, wenn hier die Rede davon ist,
dass Jesus aus den Steinen Brot machen solle, viel mehr ist all das gemeint,
was wir brauchen, zum Leben brauchen. Es ist gemeint die ganze Vielfalt der
Dinge. Und der Versucher fordert uns auf: Da hinein geh! In diese Welt der
Dinge, da gib dich hinein! Sieh zu, dass du dir machst, was du brauchst, dann
hast du etwas Handfestes, dann hast du etwas Reales, dann hast du zu leben! Das
war es, was der Versucher von Jesus erwartete und verlangte – was er von jedem
von uns erwartet und verlangt! Und hat er nicht Recht? Die Dinge, sind die
nicht etwas Handfestes und Reales, das, was man eben zum Leben braucht? So
leben wir! Unsere Zeit. Unser Volk gar in seiner Unersättlichkeit, Dinge zu
machen und zu gebrauchen. Jesus hat gesagt: Nicht die Dinge allein, sondern
Gottes Wort. Nicht das ist Wirklichkeit – sondern jenes. Seht, unversehens
würden wir ganz dem Materialismus verfallen, wenn nicht dieses Bild uns warnte –
und wo wir ihm schon verfallen sind, können wir doch sehen, das Andere sehen,
Jesus, der mehr kannte als nur die Dinge. Jesus, der sagte: Gott, der Herr, ist
mehr als die Dinge, und sein Wort ist größer, gibt mehr, lässt die Wahrheit
unverstellt ans Licht treten und zeigt, was Leben ist.
Doch,
nachdem die Versuchung der Dinge, die Versuchung eines krassen und platten
Materialismus von Jesus abgeschlagen ist – kommt der Teufel mit dem Glauben.
Auch das gibt es: Einen falschen Glauben, der des Teufels ist und nicht Gottes.
Sogar auf die Bibel hat sich der Teufel ja berufen, wenn er Jesus mit dem
Psalmwort versuchte: Der Herr hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie
dich behüten auf allen deinen Wegen! Seht – dieser falsche Glaube – der missachtet
die Welt! Der missachtet die Welt, welche Gott geschaffen hat. Er will Gott
haben ohne die Welt. Er will Gott haben – aber nicht so, wie der uns begegnet.
Nicht so, wie er uns nahe ist im Gewande der geschöpflichen Wirklichkeit. Wie
er uns nahe ist im Kleid der menschlichen Ordnungen. Das ist dieser Glaube, der
sich recht fromm gibt, und ist doch vom Teufel. Der tut, als halte er sich an
Gottes Allmacht, und will doch bloß frevelnd Gottes Möglichkeiten ausprobieren,
statt sich an ihn zu halten, wie er wirklich ist. Und Jesus hält dem falschen
Glauben, der ihm mit der Bibel kommt, ein anderes Bibelwort entgegen: Wiederum
steht auch geschrieben: „Du sollst Gott, seinen Herrn, nicht versuchen.“
Aber nun
kommt die Versuchung noch einmal heran, kommt heran in ihrer gefährlichsten
Gestalt: Da soll Jesus Herr werden über die ganze Welt! Hätte sie nicht
wirklich einen guten Herrn in ihm bekommen? Nur eine kleine Bedingung musste
Jesus erfüllen: Vor dem Satan niederfallen und ihn anbeten. Ich habe mir lange
überlegt, was das wohl bedeuten solle. – Es ist nichts anderes, als dies: Dass
wir einander missachten. Dass wir Gottes Ebenbild im Menschen verachten – seine
ganze, unteilbare Persönlichkeit, die wir nicht beherrschen sollen, die wir
nicht hin- und herschieben sollen, wie ein paar Steine, die wir einem Bau
einpassen, oder wie ein paar Geldscheine, die wir hin und her einander
zuschieben. Jesus hat sich geweigert, das zu tun! Er hat jeden Einzelnen ganz
ernst genommen. Wir aber – was tun wir? In unserem Handeln, in unserer Politik,
schon in unserer Familie?
Seht –
erst hier, bei der dritten Versuchung, ist ausdrücklich davon die Rede, dass
Jesus den Satan erkannt habe, und dass er ihn von sich gejagt habe. Und wenn
wir genauer zusehen, merken wir das wohl, wie die erste und die zweite
Versuchung auf die dritte hinaus laufen: Wer die Dinge allein als Realität fasst,
macht den Menschen zum Ding! Und wer die natürliche, göttliche Ordnung des
Lebens verteufelt, der kann den Menschen nicht mehr ernst nehmen, wie das
Gottes Wille ist.
Seht: Ein
Spiegel wird uns vorgehalten. Werden wir uns darin wiedererkennen? Und werden wir
bereit sein, den Ruf, der hier an uns ergeht, zu hören? Amen.