3.n. Trin., 22. Juni 1958                          Wolfenhausen/Nellingsheim

 

336,1-4 All Morgen ist ganz frisch…

293, 1-4 Jesu meine Freude

265,7 Es glänzet der Christen

260,6.7 Jesu hilft siegen

 

Matthäus 5,1-10 1.Petrus 5,5b-11

 

Liebe Gemeinde!

 

Vielleicht kommen wir dann am schnellsten und am besten in den Gedankengang unseres Textes hinein, wenn wir zunächst einmal das Bild, das dieser Satz uns an die Hand gibt, ein wenig uns ausmalen. Da wird der Teufel beschrieben als ein brüllender Löwe, der umherstreift, um sich seinen Raub zu holen – und daran schließt der Apostel die Mahnung an: Dem widersteht fest im Glauben. Als ich das gelesen habe, musste ich an einem Filmbericht vom Krüger-Nationalpark in Südafrika denken, den ich einmal gesehen habe. Dieser Krüger-Nationalpark ist ein riesiges Naturschutzgebiet, in dem man versucht, die ursprüngliche Tierwelt der afrikanischen Steppe, wie sie ohne das Eingreifen der Menschen bestand, zu erhalten. Da gibt es riesige Herden von Antilopen, von Zebras, von Gnus, große Giraffenrudel – aber die eigentlichen Herren dieses Gebietes sind die Löwen, die dort unbehindert umherstreifen können, um sich unter den Tieren ihre Beute zu suchen. Natürlich kann man diesen Nationalpark auch besuchen. Aber schon wegen seiner Ausdehnung ist ein solcher Besuch nur im Auto möglich. Und die Touristen haben die strenge Anweisung, ihre Wagen auf keinen Fall zu verlassen, denn sonst liefen sie Gefahr, den umherstreifenden Löwen zur Beute zu werden.

 

Sind wir Christen dem Teufel gegenüber in derselben Lage, wie die Touristen im Krüger-Nationalpark gegenüber den Löwen? So, dass der Teufel der eigentliche Herr der Welt ist. Und dass unser Glaube das sichere Fahrzeug ist, in dem wir unangefochten durch diese vom Teufel beherrschte Welt gelangen können: Vorausgesetzt natürlich, dass wir es uns nicht einfallen lassen, auszusteigen – unseren Glauben zu verlassen? Ist die Mahnung des Apostels so zu verstehen – wenn er sagt: „Seid nüchtern und wachet; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und suchet, welchen er verschlinge. Dem widerstehet fest im Glauben.“

Ist das gemeint mit jenem „fest widerstehen im Glauben“, dass wir eben  uns nicht abbringen lassen dürfen vom Glauben, dann kann uns nichts geschehen, ob auch die Macht des Teufels in dieser Welt noch so groß ist? Seht, liebe Freunde! – so einfach geht es nicht. Wir sind in dieser Welt keine Touristen, die eben auch den Weg durch diese Welt zu machen haben und für die es allein darauf ankommt, diesen Weg durch die Welt eben möglichst sicher zurückzulegen. Und die sich im Übrigen nicht darum zu bekümmern haben, wer denn die Macht in dieser Welt innehat. – Seht, das geht nicht an. Das eben dürfen wir nicht tun, wenn wir unserem Glauben nicht untreu werden wollen – dem Teufel die Macht in dieser Welt überlassen.

Vielmehr: Dazu ruft uns der Apostel auf, dass wir dem Teufel Widerstand leisten sollen – dem widersteht fest im Glauben. Dazu ruft er uns auf, dass wir gegen die Macht des Teufels uns einsetzen mit der Macht unseres christlichen Glaubens.

Doch wie geschieht das nun? Diese Frage, ist nicht so ganz einfach zu beantworten. Da kommt es zunächst einmal darauf an, dass wir noch ein wenig mehr erkennen von unserem Gegner, von dem Teufel, als dies, dass er ein gefährlicher, ein tödlich gefährlicher Feind ist. Der Apostel zeigt uns etwas davon, indem er sagt, wie diesem Feind zu begegnen ist: „Allesamt seid untereinander untertan und haltet fest an der Demut.“ Wenn die Waffe, womit dieser Gegner zu schlagen ist, die gegenseitige Unterordnung ist, und die Demut – so sehen wir schon einmal klarer: Dann sind die Waffen, deren sich der Satan bedient, um uns in seine Gewalt zu bringen, die Herrschaft, die Machtgier, der Hochmut. - Ja seht: Das ist recht eigentlich der Teufel, der in dieser Welt regiert und uns unter seine Gewalt bringen möchte: Die Macht. Die Macht und das Streben nach Macht, das die Menschen gegeneinander hetzt und sie nicht zusammenkommen lässt, und der Glaube an die Macht, der meint: Der Gewalt lässt sich nur mit Gewalt begegnen, und der ist auf jeden Fall verloren in dieser Welt, der nicht immer noch ein wenig stärker ist als sein möglicher Gegner. Seht, es ist ein großer Irrtum, wenn man meint, diesen Glauben an die Macht, den gebe es nur im Raum der großen Politik. Den Glauben an die Macht, den gibt es ganz selbstverständlich auch im Wirtschaftsleben, aber diesen Glauben an die Macht, den gibt es auch schon im kleinsten Kreis, wo Menschen beieinander und miteinander zusammen leben. Und wahrscheinlich kennen wir ihn alle gerade dort sehr genau, den Glauben an die Macht. Und den Kampf um die Macht. Den Kampf, den eigenen Kopf durch zusetzen mit allen Mitteln. Den Kampf, auf jeden Fall recht zu behalten. Wahrscheinlich kennen wir auch alle recht gut die Lust, überlegen zu sein. Die Lust, alle Möglichkeiten des Verstandes, des Wortes, der körperlichen Kräfte einzusetzen, um den anderen zu zeigen, dass er an uns doch auf keinen Fall herankommen kann. Sind wir nicht alle im Grunde unseres Herzens gar nicht viel anders als ein paar streitsüchtige Schulbuben, die nicht eher Ruhe geben können, als bis ganz genau ausgemacht ist, wer der Stärkste ist – und der sich dann als der Stärkste herausgestellt hat, der nützt seine Macht aus, so gut er das kann!

 

Seht, liebe Freunde! – Dann sind wir schon lange dem Satan verfallen, wenn wir so denken. Dann sind wir schon zur Beute des brüllenden Löwen geworden, wenn wir in diesem Glauben an die Macht befangen sind. -

Aber geht es denn überhaupt, dass wir in dieser Welt anders leben als eben so, anders als dass wir versuchen, unseren Mann zu stellen? Als dass wir versuchen, die Kräfte unseres Körpers und unseres Geistes einzusetzen, so gut wir das eben können, um uns durchzusetzen?

Muss das nicht so sein? Ist das Leben nicht einfach ein Kampf, bei dem jeder mitmachen muss, der nicht untergehen möchte? – Seht – Gott sei gedankt, dass es nicht so ist. Gott sei gedankt, dass das Wissen darum auch noch nicht ganz und gar ausgestorben ist unter uns. Sondern dass wir tagtäglich das noch, und hoffentlich in reichem Maße, erleben dürfen, dass die Kraft der Liebe, die Kraft der Demut es vermag, den Glauben an die Macht aus dem Felde zu schlagen, den Satan, den brüllenden Löwen, der danach sucht, uns zu verschlingen. – Wohl uns, wen wir etwas erfahren von dieser Kraft der Liebe, es erfahren in unserem Familien und Häusern. Das erfahren, dass es nicht darauf ankommt in unserem Leben, sich selber durchzusetzen. Dass wir das erfahren, dass der doch ein armer, bedauernswerter Mensch ist, der nur sich selber hat – und mag er noch so stark, noch so selbstherrlich sein, und mag sich seine ganze Umgebung noch so sehr nach seinem eigenen Willen richten. Der ist ein armer Tropf, der nur sich selber hat, der nur sich selber kennt und seinen eigenen Willen. Gott sei gedankt, dass wir das tagtäglich erfahren dürfen, in unserer Ehe, unserem Haus, unserer Nachbarschaft und Gemeinde, wie reich unser Leben wird, wenn wir es nicht nur für uns selber leben, sondern wenn wir richtig teilnehmen am Leben unserer Mitmenschen. Wenn wir so an ihnen Anteil nehmen, dass wir sie wirklich kennen, mit ihrer Schwäche vielleicht, und mit ihrer Not – und dass wir und dann richtig neben sie stellen, und unser gemeinsames Leben leben. Das meint der Apostel, wenn er die Mahnung ausspricht: „Allesamt seid untereinander untertan, und haltet fest an der Demut. Denn Gott widersteht den Hoffärtigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.“ – Seht, liebe Freunde, es ist ein Großes, wenn wir das merken. Wenn wir die Gnade Gottes in unseren Leben merken, die er über uns ausgießt durch die Menschen, die er uns zur Seite gestellt hat. Und um diese Gnade Gottes zu erspüren, da braucht er nun nicht so zu sein, dass das ganz besonders liebenwerte, ganz besonders angenehme, ganz besonders tüchtige Menschen sind. Vielmehr: Darauf kommt es an, dass wir unser Herz öffnen für diese Menschen, und erkennen, was uns in jedem ganz besonders gegeben ist. Das ist die Demut, von der der Apostel spricht, die Demut, die nicht wie der Hochmut den eigenen Wert über alles andere setzt, sondern die diesen eigenen Wert beiseite setzt, und uns dadurch erkennen lehrt, wie wertvoll die Menschen sind, die Gott uns zur Seite gestellt hat. Wohl uns, wenn wir das erkennen! Wenn wir das erfahren, wie wahr jenes Wort ist, wie sehr es sich schon in diesem Leben als richtig erweist: „Gott widersteht den Hoffärtigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.“

Seht, es ist eine große Sache, liebe Freunde, wenn in unserem Zusammenleben nicht der Glaube an die Macht regiert. Sondern wenn jene Demut ihren Platz hat in diesem Zusammenleben, der Gott seiner Gnade verheißen hat. Aber das genügt nun doch nicht – dass wir meinen, damit sei es getan, dass wir in unserem kleinen, überschaubaren Lebensbereich versuchen, diese rechte Ordnung durchzuhalten. Und im Übrigen eben doch dem Teufel, dem brüllenden Löwen, die Macht in der Welt zu überlassen. Wir können und dürfen nicht so tun, als ob wir auf einer wenigstens halbwegs glücklichen und so leidlich befriedeten Insel lebten, während uns alles Geschehen in der ganzen weiten Welt sonst möglichst wenig bekümmert. „So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit.“ So ruft uns der Apostel zu, und mahnt uns damit, uns in die Gemeinschaft des Leidens mit hineinzustellen, die über die ganze Welt hin sich erstreckt, überall da, wo Christen sind, Christen, die ihren Glauben bekennen, Christen, die im Kampfe liegen gegen die Macht, die sie nicht dulden kann: Denn das Gesetz Christi, das Gesetz der Demut, ist ein anderes Gesetz, als dass die Mächte der Welt es dulden könnten. Vergessen wir nie, was unseren christlichen Brüdern und Schwestern in der Ostzone widerfährt von einer Macht, die den Geist des Glaubens, den Geist der Liebe und der Demut nicht brauchen kann in ihrem materialistischen System. Vergessen wir die nicht, die um eines nichtigen Vorwandes willen in den Zuchthäusern verschwunden sind, weil man ihre Stimme nicht mehr hören wollte. Vergessen wir sie nicht, in unserer Ruhe, die uns vergönnt ist. Vergessen wir sie nicht mit unserem Gebet, vergessen wir sie aber auch gerade darin nicht, dass wir selber in Gemeinschaft mit ihnen dem Satan widerstehen, dem brüllenden Löwen, der uns alle miteinander zu verschlingen droht. Seht: Ich habe gesagt, dass die Waffe des Teufels, derer er sich bedient, um uns in seine Gewalt zu bekommen, der Glaube an die Macht ist. Vielleicht ist es unserer Generation aufgegeben, die den Glauben an die Macht und seine grausigen Folgen so sehr am eigenen Leibe erlebt hat, diesem Glauben wirklich Abschied zu geben – ihm nicht nur im persönlichen Leben Abschiede zu geben, wie das schon immer geschehen ist; sondern ihm Abschied zu geben auch im Raume der Politik. Denn vielleicht sind wir endlich dabei, die Wahrheit jener merkwürdigsten Seligpreisung Jesu zu verstehen: Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen. Sie, und nicht die Machthaber drüben, die mit Terror und Gewalt jede Regung der Freiheit ersticken. Und auch nicht die Machthaber hüben, die sich das Gesetz des Schreckens haben aufnötigen lassen. Glauben wir daran? Das mag vielleicht ein mitleidiges Lächeln hervorrufen.

Aber: Demütigt euch unter die gewaltige Hand Gottes: Das heißt eben auch: Lasst Gott mehr gelten als die Vernunft.

Amen.