1. Joh 5,5-13
12.01.1964 (1. Sonntag nach Epiphanias), Wolfenhausen/Nellingsheim

EG 5,1-5 Gottes Sohn ist kommen
EKG [!] 47,1-8 O süßer Herre Jesus Christ
EG 66,8 Jesus ist kommen
EG 133,13 Zieh ein zu deinen Toren

Mt 11,25-30                1. Joh 5,5-13

Liebe Gemeinde,
der Apostel redet hier in einer verschlüsselten Sprache. Darum fällt es uns nicht leicht, gleich dahinterzukommen, was er meint. Was soll das heißen: „Dieser ist’s, der da kommt mit Wasser und Blut, Jesus Christus; nicht mit Wasser allein, sondern mit Wasser und Blut“? Seine ersten Leser, die müssen das anscheinend gleich richtig verstanden haben: Wasser, das ist nicht einfach das Element, das wir kennen. Es hat hier eine besondere, tiefere Bedeutung. Dieses Wasser ist Träger des Lebens, ist göttliche Schöpferkraft. Denken wir an den Regen, der vom Himmel herab auf die trockene Erde fällt, der sie durchfeuchtet und sie fähig macht, Leben hervorzubringen. So ist Jesus Christus: Kraft des Lebens, das von Gott kommt – die Wahrheit, das Licht, wie er von Johannes in seinem Evangelium benannt wird. Nun legt er aber besonderen Wert darauf, dass dieser Jesus nicht mit Wasser allein komme, sondern mit Wasser und Blut: Das ist nicht einfach eine Wahrheit von Gott oder eine Wahrheit über Gott, die Jesus aufgebracht hätte und die man nun wissen kann: Dass Gott der liebende Vater ist, etwa. Oder dass der Mensch unsterblich ist und nach seinem Tode in den Himmel eingeht. Oder dass wir Menschen einander lieben sollen. Wenn wir meinten, das sei Jesu Bedeutung, dass er derlei Wahrheiten aufgebracht habe, und das sei der Glaube, dass wir derlei nun glauben, so müssten wir uns von Johannes sehr deutlich zurechtweisen lassen: „Dieser ist’s, der da kommt mit Wasser und Blut, Jesus Christus; nicht mit Wasser allein, sondern mit Wasser und Blut“.
Das heißt: diese Lebenskraft von Gott her, das Wasser, wie es hier in der verschlüsselten Sprache heißt, die ist nicht für sich zu haben. Sie ist gebunden an das Blut – an den Menschen von Fleisch und Blut, der einmal gelebt hat, an Jesus. Sie ist gebunden an das, was Jesus einmal vor Zeiten getan und gesagt hat, ist gebunden an sein Leben  und an sein Sterben – an das Blut, das er vergossen hat an seinem Kreuze.
Gewiss: Das ist uns eine geläufige Sache, etwas, was wir schon lange wissen. Und vielleicht liegt es daran, dass wir darüber so selten wirklich nachdenken; liegt es daran, dass wir kaum bemerken, eine wie ärgerliche Sache das eigentlich ist – das, dass die Wahrheit unseres Glaubens gebunden ist an ein schon lange vergangenes Geschehen, an das Leben und Sterben eines Menschen, den keiner von uns gekannt hat. Ärgerlich ist das, weil wir hier nicht tun können, was uns überall am nächsten liegt: Wenn wir nach einer Sache fragen, dann bemühen wir uns, uns ein möglichst genaues und verständiges Bild von dieser Sache zu machen. Wir prüfen sie, wir vergleichen sie mit dem, was wir sonst sicher wissen. Wir messen sie an dem, was uns von anders woher bekannt ist. Und wenn sie damit übereinstimmt, dann wollen wir diese Sache uns gerne als Wahrheit gefallen lassen.
Ich sagte: Es ist im Grunde recht ärgerlich, was der Apostel da sagt, in seiner verschlüsselten Sprache: Er kommt nicht mit Wasser allein, sondern mit Wasser und Blut. Wäre es allein eine Wahrheit von Gott oder eine Wahrheit über Gott, dann könnten wir es machen wie sonst auch: Wir könnten prüfen, abwägen, vergleichen, und am Schluss uns unser Urteil bilden. Entweder: Er hat recht, Jesus, oder auch: Er hat nicht recht. Ich nannte eben schon solche Wahrheiten, geläufige Sätze, die uns unverlierbar zu dem Bestand des christlichen Glaubens zu gehören scheinen: Gott ist der liebende Vater. Der Tod ist nicht das Ende, wir werden vielmehr danach wieder leben. Es ist Gottes Wille, dass wir unseren Nächsten lieben sollen. Das sind alles Sätze, über die man trefflich diskutieren kann – mit sich selbst oder mit anderen. Da kann einer Gründe dafür und dagegen anführen – Erfahrungen, Erlebnisse, Wünsche, Hoffnungen. Doch es gibt nicht diese Wahrheit für sich, sondern es gibt nur eben diesen einen Jesus, in dem Gottes Lebenskraft da ist – in einem menschlichen Leben und Sterben.
Vielleicht wäre es nun gescheiter, ich würde gar nicht fortfahren, die Darlegungen des Johannes zu erläutern, sondern würde anfangen, zu lesen und zu erzählen von dem, was wir von Jesus wissen müssen. Aber der da ist ja auch kein Missionar, der Leuten schreibt, die von Jesus noch nie etwas gehört haben. Er redet vielmehr zu solchen, die Jesus kennen, die an den Namen des Sohnes Gottes glauben. Die will er stärken und gewiss machen, dass sie dabei bleiben – sich nicht von dieser oder jener Wahrheit, möge sie sich auch noch so fromm geben, von Jesus weglenken lassen, sondern dabeibleiben: Der da, Jesus, sein vergangenes Leben, sein vergossenes Blut ist’s, was Gottes Leben zu uns bringt. Dessen versichert uns der Geist, den Johannes hier als den dritten Zeugen nennt: „Und der Geist ist’s, der bezeugt; denn der Geist ist die Wahrheit.“ Der Geist – damit meint der Apostel das Wort, die Schrift und die Predigt der Schrift, die jenen, Jesus Christus, an uns heranträgt, oder, wir können das genauso umgekehrt sagen: Der uns heranträgt an das, was damals geschehen ist. „Denn es sind drei, die bezeugen: Der Geist und das Wasser und das Blut; und diese drei sind beisammen.“ Diese Drei in ihrem Beisammensein, die sind das, was der Apostel hier „Sohn Gottes“ nennt. Nur so haben wir diesen Sohn Gottes, nur so haben wir das ewige Leben, das in diesem Sohn Gottes ist, dass wir diese Drei beisammen haben: Das Wasser – die göttliche Lebenskraft, in dem Blut, jenem vergangenen Leben und Sterben, durch den Geist – durch das Wort, das uns jenes vergangene Geschehen gegenwärtig macht.
Ich sagte vorhin, es sei, recht betrachtet, eine ärgerliche Sache, dass wir das Wasser, von dem hier die Rede ist, nicht für sich haben können, als eine Wahrheit, die wir diskutieren können, die wir prüfen können, die uns eingeht als eine verständige und verständliche Sache. Ärgerlich können wir diesen Sachverhalt deshalb nennen, weil er uns verhindert, bei uns zu bleiben, bei dem, was wir wissen, bei dem, was wir einsehen, bei dem, was wir prüfen können. Nein! Dieser da, Jesus, Gottes Sohn, der, der kommt mit Wasser und Blut, der, den der Geist uns bezeugt und nahe bringt, der verlangt von uns, dass wir herausgehen aus uns selbst – die Welt überwinden nennt das der Apostel. Er verlangt von uns das Eingeständnis, dass jener, Jesus Christus, es ist, der unser Leben lebt – anders kann ich’s nicht sagen. Der unser Leben lebt – das heißt einmal: Dass er mit sich nimmt, zu Ende bringt, was nichts taugt an diesem Leben. Die Sünde nennen wir das. Es ist eine ärgerliche Zumutung, wenn wir das eingestehen müssen: Ich werde selbst nicht fertig mit meinem Tun – ich kann nicht dafür geradestehen. Aber: So wir sagen, wir haben keine Sünde, so verführen wir uns selbst ... „Er kommt mit Wasser und Blut“ – das heißt: Er steht für uns ein, weil wir das nicht können. Das müssen wir fahren lassen, was wir verfehlt haben – und hängen doch dran, und meinen, wir könnten diese und jene Scharte wieder auswetzen. Damit ist es nichts! Der Geist, er trägt jenes Leben und Sterben an uns heran, sagt: Das ist dein, deine Schuld, deine Versäumnisse, deine Lieblosigkeit, deine Rechthaberei, dein Eigensinn. Sieh an, wie weit du es damit gebracht hast! Sieh ihn an, der da am Kreuz hängt. So kommt er – mit dem Blut. Es ist eine ärgerliche Sache, das zuzugeben, jawohl. Aber heilig und heilsam ist’s, wo wir das annehmen und gelten lassen. Sein ist’s, mein Leben!
Es ist auch sein, was mir gelingt. Es ist sein, wo ich das Rechte tun kann. Es ist sein, wo ich gehorsam bin gegen Gott. Es ist sein, wo ich das Gute tue, Liebe übe, wo ich einen Menschen halten kann. Sein ist das, sein Tun, sein Leben, seine göttliche Kraft. Es ist sein, wo ich glaube, Gott vertraue, es ist sein, wo ich zum Vater rufe – alles sein. Sein mein Böses, wie mein Gutes. Das ist jenes Zeugnis der Drei, die beisammen sind, des Wassers, des Blutes, des Geistes. Gottes Zeugnis ist’s, sagt Johannes, und warnt uns davor, dies Zeugnis zu verwerfen, denn damit machten wir Gott zum Lügner. Das sei ferne: Denn wie sollten wir Gottes Gabe von uns stoßen, das Leben, das er uns schenkt in seinem Sohn? Sein sind wir, und mögen des täglich gedenken, was wir am Tage unserer Konfirmation erbeten haben: „Herr Jesus, dir leb’ ich, dir leid ich, dein bin ich tot oder lebendig. Mach mich, o Jesus, ewig selig!“ Amen.