1. Kor 13,1-13
04.02.1962 (Estomihi), Wolfenhausen/Nellingsheim

EG 384,1-4 Lasset uns mit Jesus ziehen
EG 401,1-5 Liebe die du mich zum Bilde
255,6+7
EG 325,11 Sollt ich meinem Gott nicht singen

Lk 18,31-34                1.Kor 13

Liebe Gemeinde,
prüfen wir, was wir gehört haben! So geht es uns: Kaum hören wir diese Worte des Apostels Paulus, da haben wir uns auch schon verhört. Wir denken: Das also ist es – das musst du tun: lieben! Natürlich ist das keine Neuigkeit für uns, dass solche Liebe das eigentliche Gebot unseres Glaubens ist. Aber so radikal und eindeutig wie hier im Korintherbrief des Apostels Paulus ist es doch nirgends gesagt. Jawohl, so geht es uns: Kaum hören wir diese Worte des Apostels, da haben wir sie schon falsch gehört, haben uns verhört, dann, wenn wir heraushören: Das müsst ihr tun, das sollt ihr tun! Und wahrscheinlich geht es uns allen so eben deshalb, weil wir es gewöhnt sind, so gerufen zu werden.
Lassen wir aber solches Hören ruhig einmal beiseite! Es hilft uns ja gar nichts, eben deshalb, weil es das Gehörte gleich in unsere Gewohnheit hineinzieht! Wohl kennt es der Apostel, dies Auffordern und Befehlen und gerade hat er das ja noch getan, wenn er seiner Gemeinde zurief: Strebet nach den größeren Gaben! Aber nun ist es damit zu Ende, nun kommt etwas ganz anderes!
Schauen wir’s uns an: Da ist die Rede von dem, was einer kann: Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete – das ist die Frömmigkeit, welche das Herz eines Menschen füllt und hinreißt – aber ist die Liebe nicht dabei, so ist’s nichts. Da ist die Rede von dem, was einer weiß - vom Weissagen, von der Erkenntnis, gar von einem felsenfesten Glauben, der auch Wunder vollbringen kann – ist die Liebe nicht dabei, so ist’s nichts. Es ist die Rede vom höchsten Maß der Selbstverleugnung, dass einer all seinen Besitz hingibt, ja, dass er sogar Leib und Leben hingibt um des Glaubens willen – ist die Liebe nicht dabei, so ist’s nichts. Wohl, das sind schon Dinge, welche uns groß erscheinen: Solche Frömmigkeit, solche Erkenntnis, solcher Glaube, solche Selbstverleugnung, die uns groß erscheinen, weil wir gar so bescheiden geworden sind in unserem Glauben. Weil wir diesen Glauben, weil wir uns selbst nichts mehr zutrauen! Vielleicht sollten wir gar, statt den Weg der Liebe zu betrachten, uns zu jenem Tun des Glaubens kehren, das der Apostel zunächst schildert und das ohne die Liebe doch nichts nütze ist. Jawohl, da hat der Befehl seinen Platz, die Aufforderung: Such danach! Jag danach! Sei nicht so bescheiden! Sieh zu, dass du weiterkommst in deiner Frömmigkeit! Dass sie nicht bloß ein Erbauungsstündlein füllt am Sonntagmorgen in der Kirche. Sondern dass sie dein Tagwerk füllt! Sieh zu, dass du weiterkommst in Einsicht und Erkenntnis! Begnüge dich nicht mit den paar Bibelsprüchen, die dir von der Schule her geblieben sind! Sieh zu, dass du mehr begreifst, dass du Rede und Antwort stehen kannst über deinen Glauben, dass du diese Welt verstehst als Gottes Werk und nicht bloß den Kopf über ihre Verkehrtheit schütteln musst, weil du zu bequem bist, um noch zu denken. Trau dem Glauben etwas zu, weil der eine Kraft ist. Und merke: Das Richtige zu tun, das kann wohl wehtun, dem Geldbeutel und der Bequemlichkeit und der Ehre. Seht: So können wir’s wohl machen, und verstehen den Apostel Paulus gewiss nicht falsch, wenn wir das begreifen: Da ist etwas zu tun! Da kann ich etwas! Und soll mich nicht davor drücken aus Bequemlichkeit. Vielmehr: Da habe ich mir immer wieder einen Ruck zu geben, da habe ich mich anzustrengen, dass es vorwärts gehe und nicht rückwärts, mit meiner Frömmigkeit, mit meiner Einsicht, mit meinem Glauben, mit meiner Selbstverleugnung. Und doch: Ist dies alles da, so da, dass es nicht besser und gewaltiger gedacht werden kann, und die Liebe ist nicht dabei, dann ist es nichts nütze.
Doch freilich: Da kann es nun nicht heißen: Auf! Sieh zu, dass du sie daher bringst, diese Liebe! Stell etwas auf die Beine, damit man sie sieht, diese Liebe! Da heißt es beim Apostel Paulus nun auf einmal doch nicht, wie wir’s eigentlich erwarten sollten: Ich, ich, tu dies und ich tu das, ich liebe, und darum bin ich langmütig, und ich bin gütig usw.! Nein, so heißt es gerade nicht. Ich – das gilt jetzt auf einmal nicht mehr. Sondern da ist nun von der Liebe die Rede, ist so von dieser Liebe die Rede, wie wenn sie eine Person für sich selbst wäre: Die Liebe ist langmütig und freundlich, die lässt sich nicht rausbringen durch irgend jemand. Die Liebe eifert nicht, sie ist nicht gewalttätig,  so, dass sie sich durchsetzen müsste, egal, was dabei geschieht. Sie treibt nicht Mutwillen, diese Liebe, sie führt niemanden an der Nase herum, so, wie wir das doch gar zu gern machen, dass wir einem anderen etwas vormachen, ihn täuschen, ihn im Unklaren lassen darüber, ob wir’s auch ernst meinen oder nicht. Die Liebe blähet sich nicht, tut nicht groß mit dem, was sie hat und was sie ist. Sie stellt sich nicht ungebärdig, sie will nicht auffallen, will nicht mit aller Gewalt etwas Besonderes sein. Sie sucht nicht das ihre, diese Liebe, sondern sie ist selbstlos im wahren Sinn des Wortes. Sie rechnet das Böse nicht zu, sie versteht es, zu vergeben und zu vergessen, sie versteht es, sich ihr Tun und Verhalten nicht von anderen vorschreiben zu lassen, sie ist vielmehr selbst ihr Gesetz. Sie freut sich nicht der Ungerechtigkeit, sie ist nicht schadenfroh, nicht voller boshaften Vergnügens, wenn anderen etwas schief geht, sie freut sich aber der Wahrheit, freut sich über das, was echt ist in dieser Welt. Und nun weiter jene großen Worte, die diese Liebe erst recht über alles menschliche Maß hinaus heben: „Sie verträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles!“
Seht – Von der Liebe ist in dem allen die Rede – aber: Gibt es denn diese Liebe? Ist sie nicht bloß eben ein schöner Gedanke, aber ohne allen realen Wert? Eben deshalb ohne allen realen Wert, weil es diese Liebe doch nicht gibt. Denn wohl: So ist die Liebe! Aber diese Liebe gibt es doch nicht an und für sich, sondern diese Liebe, die gibt es doch nur als eine Eigenschaft an jemanden, als die Liebe, die irgendeiner aufbringt. Und so könnten wir nun ja sagen: Ist sie eigentlich eine schöne Idee, diese deine Liebe, Apostel Paulus, die du so fein zu beschreiben weißt? Ist sie etwas, das wohl sein soll, aber das in Wirklichkeit doch gar nicht ist? Gehört sie jenem Geisterreich der Gedanken an, welches von schönen und erhabenen Gestalten bevölkert ist und doch himmelweit geschieden von uns und unserer Welt?
Seht: wir können so fragen, ja, mit Recht können wir so fragen! Und müssen doch wissen: Die Antwort, die uns der Apostel Paulus gibt, die kann gerade das nicht sein, jenes: Es sollte so sein, es wäre so schön, wenn es so wäre. Vielmehr lautet seine Antwort: Die Liebe ist. Diese Liebe ist. Sie ist, weil sie die Liebe Gottes ist. Oh nein! An keinem noch so schönen menschlichen Beispiel lässt sich diese Liebe ablesen, die Gottes Liebe ist, nur an ihm, an dem einen, an Jesus, dem Gottessohn. Wohl uns, wenn wir’s an ihm lernen, was diese Liebe ist. Wenn wir den rechten Blick bekommen für diese Liebe: Dass sie nicht an dir selber wahrgenommen werden kann! Da kannst du lange auf dich schauen. Da kannst du lange an dir selber herum machen, und findest sie nicht, diese Liebe! So ist sie, sei nicht betrübt darüber, sondern froh! Du kannst dich selber beobachten, du kannst dich selber im Spiegel beschauen. Nichts ist da von dieser Liebe, auch nicht die geringste Spur. Was du da findest, ist die Frömmigkeit, viel oder wenig, gar zu wenig, und nimmst zum Anlass zu sagen: Auf, bessere dich! Was du findest, ist Erkenntnis, Einsicht, Glaube, die Selbstverleugnung, deren du vielleicht fähig bist. Nimmst zum Anlass, dir einen Ruck zu geben und zu sagen: Auf, bessere dich! Anders soll es werden mit dir! Und wisse doch: Ohne die Liebe ist das alles nichts. Und diese Liebe hast du nicht, die hat keiner, die findet keiner bei sich selber. Denn die gehört Gott, einzig und allein Gott gehört diese Liebe. Darum triffst du sie nie bei dir, darum triffst du sie nur bei anderen, so, dass sie dir angetan wird!
Jawohl: sehen wir sie an Jesus, diese Liebe, dann merken wir, wie sie da ist, wirklich, als das, was Gott tut, und was darum nicht als Menschenwerk vergehen kann. Sehen wir sie in ihrer unscheinbaren Gewalt, diese Liebe, dann merken wir: sie ist etwas, das wir nicht tun, das wir nur empfangen können. Nie ist sie deine, diese Liebe, sondern sie ist’s, die dir widerfährt! Ob wir sie darum nicht tun? Wenn du sie dir abzwingen willst, ist sie verderbt. Aber Gott hat sie,  auch durch dich, wo du’s am wenigsten merkst.
Amen.