2. Kor 3,1-7
21.03.1954 (Okuli), Heimsheim/Friolzheim

EG 83,1-3 Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld
363,1-7           Der Weg ist gut (548)
178,5.8            Mein Lebetage
178,9               Nun endlich

Jeremia 29,10-14
2. Kor 1,3-7

Liebe Gemeinde!
Nun sind wir schon beim 3. Sonntag in der Passionszeit angelangt: Passionszeit, das ist ja die Zeit von Aschermittwoch bis Karsamstag, in der wir in besonderer Weise des Leidens Jesu Christi gedenken. Passionszeit, das heißt auf Deutsch: die Leidenszeit.
Hast du schon einmal bedacht, in den letzten Tagen, dass es Passionszeit ist, Leidenszeit?
Dass uns jeder Tag dieser Zeit erinnern will an das, was Jesus Christus für uns gelitten hat?
Schieben wir diesen Gedanken nicht so schnell beiseite, liebe Freunde - diesen Gedenken ans Leiden. Denn wirklich, dieses Leiden unseren Herrn ist für uns heilsam und tröstlich, wenn wir erst einmal gelernt haben, uns seiner in der rechten Weise zu erinnern. Erinnern nicht allein so, dass wir uns dem Herrn mit seinem Leidenswege vorzustellen versuchen, dass wir sein Bild uns machen mit den Farben unserer Einbildungskraft, dass wir ihn vor uns sehen, wie er im Garten Gethsemane im Gebete ringt, wie er von den Häschern vor das Gericht geschleppt wird, wie er verhöhnt und geprügelt wird, wie er unter Last des Kreuzes zusammenbricht, wie er schließlich auf Golgatha sein Leben aushaucht. Es genügt nicht, liebe Freunde, wenn wir uns so hineinversenken in den Leiden unseres Herrn, wenn wir so betrachten, wie er alle Bitterkeit des Menschenlebens und  –sterbens bis zur Neige auskostet.
Nein! Wenn uns wirklich durch dies Leiden Christi geholfen werden soll, dann  kann das nur geschehen, wenn wir erkennen, dass nur der die Frucht des Leidens Christi genießen kann, der mitleidet, dann kann das nur geschehen, wenn wir lernen, wirklich mit dem Herrn mitzuleiden. Diesem Mitleiden ist die Verheißung Gottes gegeben, dass ihm Trost und Heil geschenkt werden. Hast du das Vertrauen auf deine Kraft verlernt? Hast du es erfahren, wie schwach der Mensch ist, der allein auf sich selber und seine eigene Hilfe angewiesen ist? Hast du das gemerkt, dass du Kraft brauchst von unserem Herrn, um dies Leben durchzustehen?
Dann hör mit mir darauf, wie der Apostel Paulus uns zu diesem rechten Mitleiden mit dem Herrn anleiten möchte! Zu diesem Mitleiden, dem Trost und Heil von Gott verheißen sind.
Wie sieht dieses rechte Mitleiden mit Jesus Christus aus?
1. Da lasst uns zuerst einmal das eine sehen: Es wird viel gelitten in dieser Welt! Es liegt mir nun gar nichts daran, etwa in besonderer Weise Schwarz in Schwarz zu malen, ein schreckliches und düsteres Bild von dem Leben dieser Welt zu entwerfen, um euch dadurch den Himmel möglichst schmackhaft zu machen. Solche Propagandakunststücke haben wir nicht nötig, liebe Freunde. Wir brauchen das Leben in dieser Welt nicht Schwarz in Schwarz zu malen, wir können gern zugeben, dass es in diesem Leben viel Schönes, viel Freude und Glück gibt. Aber auch das wäre verkehrt, wenn wir unsere Welt nun schön durch eine rosarote Brille ansehen würden. Nein! Dazu stehen wir jetzt in der Passionszeit, um uns das wieder einmal ganz deutlich zeigen zu lassen: Der Grundton in dieser Welt ist das Leiden. Es wird viel gelitten in dieser Welt. Stumm, unter Seufzen, unter Schreien. Nicht allein die Menschen haben Teil an diesem Leiden, auch die unvernünftige Kreatur leidet mit. Doch der Mensch allein weiß um dieses Leiden, kann es sich klarmachen. Liebe Freunde! Hat es einen Sinn, das besondere Leiden nun aufzuzählen, das jedem von uns aufgegeben ist?
Ist es doch in seiner Art so mannigfach und verschieden, wie wir verschiedene Menschen sind, mit ganz verschiedenem Wesen, mit ganz verschiedenem Schicksal, jeder besonders in seiner Art. Jeder von uns hat sein ganz eigenes Kreuz zu tragen, sein ganz eigenes Leiden.
Keinem von uns bleibt es erspart. Darf ich euch helfen, dass ihr euer Leiden richtig seht und euch darüber klar werdet, indem ich einfach drei Arten von Leiden einander gegenüberstelle:
Das Leiden, das uns von der Natur kommt, das Leiden, das uns von Menschen bereitet wird, das Leiden, das wir uns selber zufügen.

  1. Das Leiden, das uns von der Natur kommt: Da meine ich nicht nur Naturkatastrophen, Überschwemmungen, Erdbeben und Vulkanausbrüche, sondern vielmehr noch das Leiden, das uns davon kommt, dass unser Leib ein Stück Natur ist. Dass er den Gesetzen und der Vergänglichkeit dieser Natur unterworfen ist. Meine ich das Leiden und den Schmerz, die Krankheit und Schwäche, die uns von diesem Leibe kommt.
  2. Das Leiden, das uns von Menschen bereitet wird: Das sind die vielen kleinen Bosheiten, mit denen wir einander das Leben vergällen, das ist aber genauso das Leiden, das der Hass und die Zwietracht der Völker über uns bringen. Das Leid um einen lieben Menschen, der viel zu früh dahingerafft wurde, das Leid um die verlorene Heimat, die Sehnsucht nach Ruhe und Frieden.
  3. Das Leiden, das wir uns selber zufügen: Dies, dass unser guter Wille sich immer wieder geschlagen geben muss vor den finsteren Mächten, die in unserem Herzen regieren. Dass wir so gerne glauben wollten, und doch steckt der Zweifel immer neu sein Haupt hervor.  Dass wir so gerne Gottes Gebot gehorsam sein wollten, und taumeln dahin von Sünde zu Sünde. Dass wir uns selbst nicht mehr zu achten vermögen, und sind doch unauflöslich an diesem Menschen gekettet, der wir selber sind.

Jawohl, es wird viel gelitten in dieser Welt, liebe Freunde! Und wir haben alle Teil an diesem Leiden.
2. Doch nun das andere, das wir erkennen sollen: Unser Leiden soll uns zum Leiden Christi werden. Wie geht das zu? Ist nicht das Leiden Christi etwas, das schon längst vergangen ist? Etwas, das zu Ende ist mit dem letzten Atemzug, den der Herr am Kreuz getan hat? Hören wir den Apostel Paulus: er spricht von seinen mannigfachen Trübsalen, die ihm ja in einem überreichen Maße zuteil geworden sind, als von dem Leiden Christi. Wir werden dies Geheimnis wohl nie fassen können: Wo wir leiden, da leidet Christus mit. Aber nun geht es darum, liebe Freunde, das wie klar erkennen, was das heißt.
Das heißt zunächst einmal: Dass in der Welt so viel gelitten wird, das ist nicht in Ordnung.
Dass es Leiden gibt in dieser Welt, das ist kein Naturgesetz, das eben zu dem Leben gehört, das in dieser Welt gelebt wird. Es ist nicht in Ordnung, das uns die Natur Leiden bringt, es ist noch weniger in Ordnung, dass uns die Menschen, ja dass wir uns selber in immer neues Leiden stürzen. Die Welt bedarf der Erlösung von dieser Unordnung, wir brauchen Heil und Rettung, liebe Gemeinde, die uns herausholen aus allem unseren Leiden. Darum hat Jesus Christus für uns sein Leiden auf sich genommen, das doch nicht sein Leiden ist, sondern unser Leiden und das Leiden der ganzen Welt. Dass gelitten wird, das ist nicht in Ordnung. Doch allein durch Leiden, liebe Freunde, kann die Welt wiederum recht in Ordnung gebracht werden! Das ist das andere, das uns klarwerden soll: Nur durch Leiden kann die Welt wiederum in Ordnung kommen. Nur durch Leiden kannst du selber in Ordnung kommen. Schau auf den Herrn in seinem Leiden, dann wirst du erkennen, dass das Leiden, alles Leiden, das dir widerfährt, dazu dient, dass du in Ordnung kommst und dass du andere in die rechte Ordnung hineinführen kannst.
Liebe Freunde! Das Leiden hat seinen notwendigen Platz in unserer Welt, die durch menschliches Verschulden in Unordnung geraten ist. Das Leiden hat seinen Platz in unserem Leben, das immer wieder der Ordnung Gottes entfliehen will und hineintauchen in der Unordnung der Welt. Das Leiden hat seinen notwendigen Platz in unserer Welt, denn Gott der Herr hat bestimmt, dass durch Leiden die Welt und unser eigenes Leben wieder in Ordnung kommen soll. Glauben wir das? Lassen wir uns das sagen? Dann werden wir unser Leiden, jeder sein ganz besonderes Kreuz, das über seinem Leben steht, willig auf uns nehmen.
Und wenn wir so im Blick auf Christi Leiden unser Leiden gehorsam tragen, dann wird – o herrliches Geheimnis - unser Leiden zum Leiden Christi, das er mit uns und für uns trägt.
3. Doch, wenn nun unser Leiden so zum Leiden Christi wird, wenn wir es aus Gottes Hand willig annehmen, so dürfen wir das wunderbare Gesetz erfahren, das Paulus preist: Gott ist der Vater der Barmherzigkeit und der Gott allen Trostes. Weil das so ist, darum, liebe Freunde, ist das Leiden nie größer als der Trost, den Gott uns in diesem Leiden zukommen lässt. So viel Leiden, Christusleiden – so viel Trost! So bezeugt es uns der Apostel: „Gleichwie wir des Leiden Christi viel haben, also werden wir auch reichlich getröstet durch Christum!“
Getröstet durch Christum, getröstet, wenn wir auf sein Leiden schauen. Denn Gott hat seinen Sohn nicht alleingelassen in seinem Leiden, sondern er hat ihn getröstet und gestärkt, ja viel mehr noch, er hat ihn nicht in Leiden und Tod belassen, sondern hat ihn auferweckt und aufgenommen in seine himmlische Herrlichkeit. Darum sind wir gewiss, dass dieser selbe Gott und Vater unseres Herrn Jesu Christi auch uns nicht im Stich lässt in unserem Leiden, ja dass er uns zu sich holen will, das wir bei unserem Herrn sind. Dies Wissen ist der beste, ja der einzige Trost. Diesen Trost wollen wir einander immer wieder zurufen, uns damit zu trösten: Schau auf dem Herrn und sein Leiden, schau wie Gott sich zu ihm bekannte. Darum leide du mit ihm, dass du auch mit ihm Trost erfahren kannst und andere trösten kannst.
Amen.