16.n. Trin., 07.Oktober 1962,        Wolfenhausen/Nellingsheim

 

215,1-4 Jesu, der du bist     (7)

280,1-4 Was mein Gott will  (243)

207,7-9 Ach bleib bei uns    (65)

E214,5 Ich lobe dich von     (133)

 

Epheser 3, 14-21       Jes 40,1-8

 

Liebe Gemeinde!

 

Vorgestern Abend haben sie im Dom in Rottenburg einen Gottesdienst abgehalten, um den Bischof feierlich zu verabschieden, der nach Rom reist auf das Konzil, das dort am kommenden Mittwoch eröffnet werden soll. [S.: http://de.wikipedia.org/wiki/Zweites_Vatikanisches_Konzil]

Ihr habt davon gewiss alle in der Zeitung gelesen. Wir könnten nun freilich sagen: Was geht uns das an, was die Katholiken machen? Wir sind doch evangelisch.

Wir sind doch eine Kirche für uns. Was die Katholiken machen, das berührt uns nicht. Der Papst geht uns nichts an, und der Bischof von Rottenburg auch nicht.

Mögen die Katholiken voll Spannung und Erwartung nach Rom blicken. Mögen sie es voll Anteilnahme verfolgen, was dort geschieht, was diese Versammlung aller katholischen Bischöfe der ganzen Welt beraten und beschließen wird. Denn sie, die Katholiken, geht es ja schließlich an. Sie werden das anzunehmen und zu befolgen haben, was ihre kirchlichen Oberhäupter unter dem Vorsitz des Papstes dort beschließen werden: Wir sind evangelisch - Gott sei Dank! Und darum geht es uns nichts an, was dort ausgemacht wird!

 

Liebe Freunde! So einfach können wir und dürfen wir uns nicht abfinden mit dieser Versammlung, die dort in Rom am kommenden Mittwoch zusammentreten wird. Dieses Konzil führt ja den Namen: Ökumenisches Konzil. D.h.: Hier sollen alle Christen der ganzen Welt vertreten sein, sollen alle mit teilhaben an dem, was da beraten wird. Gewiss – das ist ein Anspruch, der sich nur so weit erstrecken kann, als er Anerkennung findet. Wenn wir sagen: Uns betrifft das nicht, wir sind nicht vertreten durch den Bischof von Rottenburg, und was in Rom beraten und beschlossen werden mag – wir halten uns keineswegs daran – dann kann jener Anspruch von uns zurückgewiesen werden. Aber er bleibt doch. Wir müssen uns dazu stellen. Müssen fragen: Ist das nun bloß falsche Anmaßung, wenn sie in Rom sagen: Wir sind die Vertretung der Christenheit in ihren berufenen Häuptern - oder ist denn doch etwas dran an diesem Anspruch?

Seht: Zwar die katholische Kirche behauptet, sie sei die einzig wahre und heilige und allgemeine apostolische Kirche – und alle anderen, die sich auch Christen nennen, seien von dieser wahren Kirche abgetrennte und darum äußerst gefährdete Glieder.

Aber die evangelische Kirche hat nun von sich aus diese Behauptung umgekehrt und gesagt, die katholische Kirche sei die falsche und unchristliche Widerkirche. O nein! So einfach können wir gar nicht unterscheiden, dass wir sagen: hier bei uns allein ist die Wahrheit, und dort bei denen allein ist die Lüge und die Unwahrheit. Seht, diese äußere Trennung zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Glauben und Unglauben, die ist gar nicht so einfach!

Vielmehr: Da das Recht und das Unrecht zu erkennen, das ist eine schwierige Sache. Denn wer kann ins Herz sehen? Und der wahre Glaube wird doch nur dort sein, wo es so ist, wie der Apostel hier sagt: „Dass Christus wohne durch den Glauben in eueren Herzen!“

Da ist die Wahrheit, wo Christus wohnt. Und wer von uns will sagen: bei dem, das weiß ich bestimmt – bei dem wohnt er nicht im Herzen? Wer von uns will denn beispielsweise behaupten, dass Christus nicht im Herzen des Papstes Johannes XXIII wohnt, oder im Herzen der Rottenburgers Bischofs? Nein! Da die Wahrheit nicht einfach auf der Hand liegt, diese Wahrheit des Glaubens, werden wir dass Urteilen lieber bleiben lassen!

Doch nun werdet ihr ja mit Recht fragen: Ist also jeder Glaube gleichgut oder gleich schlecht? Ist es also im Grunde genommen egal, ob einer nun evangelisch ist oder katholisch- Hauptsache, er ist ein rechter Christ? Jawohl, das stimmt schon, dies: Hauptsache, er ist ein rechter Christ. Aber wie wird man das? Wie kommt man dazu, „zu begreifen mit allen Heiligen, welches da sei die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe“? Wie kommt man dazu, „erfüllt zu werden mit aller Gottesfülle“?

Seht: Da muss ich nun noch einmal auf jenes Konzil zu sprechen kommen, das am nächsten Mittwoch in Rom zusammentreten wird. Dieses Konzil soll eine Vertretung der Christenheit sein. Wenn wir nun eine solche Vertretung aussuchen müssten, wie würden wir es machen?

Wir könnten so sagen, beispielsweise: Es müssten Menschen aus allen Ständen vertreten sein und aus allen Völkern, so dass diese Versammlung wirklich so etwas sei wie ein verkleinertes Spiegelbild der Christenheit wäre. Oder wir würden sagen: Wir schicken dorthin die klügsten und die frömmsten Leute, die wir haben, denn bei deren Beratungen, da muss ja dann doch am meisten herauskommen. So machen es die Katholiken aber gerade nicht – sondern dort ist es eine ganze Selbstverständlichkeit: „Auf das Konzil, da gehören die Bischöfe hin und niemand sonst.“ Nun will ich gewiss nicht behaupten, dass die katholischen Bischöfe keine klugen und dass sie keine frommen Leute wären; aber gewiss sind sie nicht die einzig klugen und die einzig frommen Leute der katholischen Christenheit.

Und doch sind es einzig sie, welche auf jenem Konzil Sitz und Stimme haben sollen. Warum?

Die katholische Lehre gibt uns darauf eine ganz einfache Antwort: Sie sind geweiht! Man hat ihnen die Hände aufgelegt, und so sind sie einer besonderen Gnade teilhaftig geworden, die sie befähigt, ihr Amt als Hirten und Lehrer der Gemeinde Christi auszuüben.

Diese Weise ist es, die sie von allen anderen, noch so frommen und noch so klugen katholischen und sonstigen Christen unterscheidet – und darum sind sie es, die auf das Konzil

gehören. Denn in ihnen wirkt der Beistand des Heiligen Geistes, welchen Jesus Christus seiner Kirche verliehen hat. Darum schauen sie so voll Erwartung und Spannung auf das Konzil, weil sie dort in den Bischöfen die Fülle der Gnade und des Geistes versammelt sehen!

Da ist etwas von Gottes Wahrheit, die er seiner Christenheit anvertraut hat!

Aber freilich: Hier werden wir nun unsererseits fragen: Hat sich jene Wahrheit denn so ans Amt gebunden, dass sie dort ist, wo die Träger des Amtes versammelt sind? Ist denn jener Geist, durch welchen wir stark werden am inwendigen Menschen, an jene gebunden, die durch die Weihe ein Amt überkommen haben, von dem sie behaupten, es gehe über die zwölf Apostel direkt auf Jesus Christus zurück. Und es habe jener an diesem Amt und an diesem Geist und an dieser Gnade Anteil, der durch das Sakrament über den Priester mit diesem Amt verbunden ist.

Nein! Da stehen wir auf dem Wort! Und sagen: Nicht ums Amt geht es, das uns die Fülle Gottes hertragen könnte, sondern ums Wort, das uns die Liebe Christi nahe bringt. Und nicht in einer Zugehörigkeit zu jener äußeren Organisation der römischen Kirche erweist sich unsere Zugehörigkeit zur Fülle Gottes, sondern indem wir die Liebe tun!

Seht – ein Christ wird einer durchs Wort, und erweist durchs Tun der Liebe, dass er einer ist! Weil sie das Wort haben, in Rom, darum geht es uns an, was sie beschließen. Dass es in der Liebe geschehe, und uns ein wenig zusammenbringe zu jener Gemeinschaft der Liebe, welche unsere Welt braucht, darum wollen wir bitten. Und hoffen, dass wir etwas seien zu Gottes Ehre!

Amen