16.n. Trin., 07.Oktober 1962, Wolfenhausen/Nellingsheim
215,1-4 Jesu, der du bist (7)
280,1-4 Was mein Gott will
(243)
207,7-9 Ach bleib bei uns
(65)
E214,5 Ich lobe dich von
(133)
Epheser 3,
14-21 Jes 40,1-8
Liebe Gemeinde!
Vorgestern Abend haben sie im Dom in Rottenburg einen Gottesdienst
abgehalten, um den Bischof feierlich zu verabschieden, der nach Rom reist
auf das Konzil, das dort am kommenden Mittwoch eröffnet werden soll.
Ihr habt davon gewiss alle in der Zeitung gelesen. Wir
könnten nun freilich sagen: Was geht uns das an, was die Katholiken machen? Wir
sind doch evangelisch.
Wir sind doch eine Kirche für uns. Was die Katholiken
machen, das berührt uns nicht. Der Papst geht uns nichts an, und der Bischof
von Rottenburg auch nicht.
Mögen die Katholiken voll Spannung und Erwartung nach Rom
blicken. Mögen sie es voll Anteilnahme verfolgen, was dort geschieht, was diese
Versammlung aller katholischen Bischöfe der ganzen Welt beraten und beschließen
wird. Denn sie, die Katholiken, geht es ja schließlich an. Sie werden das
anzunehmen und zu befolgen haben, was ihre kirchlichen Oberhäupter unter dem
Vorsitz des Papstes dort beschließen werden: Wir sind evangelisch - Gott sei
Dank! Und darum geht es uns nichts an, was dort ausgemacht wird!
Liebe Freunde! So einfach können wir und dürfen wir uns
nicht abfinden mit dieser Versammlung, die dort in Rom am kommenden Mittwoch
zusammentreten wird. Dieses Konzil führt ja den Namen: Ökumenisches Konzil.
D.h.: Hier sollen alle Christen der ganzen Welt vertreten sein, sollen alle mit
teilhaben an dem, was da beraten wird. Gewiss – das ist ein Anspruch, der sich
nur so weit erstrecken kann, als er Anerkennung findet. Wenn wir sagen: Uns
betrifft das nicht, wir sind nicht vertreten durch den Bischof von Rottenburg,
und was in Rom beraten und beschlossen werden mag – wir halten uns keineswegs
daran – dann kann jener Anspruch von uns zurückgewiesen werden. Aber er bleibt
doch. Wir müssen uns dazu stellen. Müssen fragen: Ist das nun bloß falsche
Anmaßung, wenn sie in Rom sagen: Wir sind die Vertretung der Christenheit in
ihren berufenen Häuptern - oder ist denn doch etwas dran an diesem Anspruch?
Seht: Zwar die katholische Kirche behauptet, sie sei die
einzig wahre und heilige und allgemeine apostolische Kirche – und alle anderen,
die sich auch Christen nennen, seien von dieser wahren Kirche abgetrennte und
darum äußerst gefährdete Glieder.
Aber die evangelische Kirche hat nun von sich aus diese
Behauptung umgekehrt und gesagt, die katholische Kirche sei die falsche und
unchristliche Widerkirche. O nein! So einfach können wir gar nicht
unterscheiden, dass wir sagen: hier bei uns allein ist die Wahrheit, und dort
bei denen allein ist die Lüge und die Unwahrheit. Seht, diese äußere Trennung
zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Glauben und Unglauben, die ist gar nicht
so einfach!
Vielmehr: Da das Recht und das Unrecht zu erkennen, das ist
eine schwierige Sache. Denn wer kann ins Herz sehen? Und der wahre Glaube wird
doch nur dort sein, wo es so ist, wie der Apostel hier sagt: „Dass Christus
wohne durch den Glauben in eueren Herzen!“
Da ist die Wahrheit, wo Christus wohnt. Und wer von uns will
sagen: bei dem, das weiß ich bestimmt – bei dem wohnt er nicht im Herzen? Wer
von uns will denn beispielsweise behaupten, dass Christus nicht im Herzen des
Papstes Johannes XXIII wohnt, oder im Herzen der Rottenburgers Bischofs? Nein!
Da die Wahrheit nicht einfach auf der Hand liegt, diese Wahrheit des Glaubens,
werden wir dass Urteilen lieber bleiben lassen!
Doch nun werdet ihr ja mit Recht fragen: Ist also jeder
Glaube gleichgut oder gleich schlecht? Ist es also im Grunde genommen egal, ob
einer nun evangelisch ist oder katholisch- Hauptsache, er ist ein rechter
Christ? Jawohl, das stimmt schon, dies: Hauptsache, er ist ein rechter Christ.
Aber wie wird man das? Wie kommt man dazu, „zu begreifen mit allen Heiligen,
welches da sei die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe“? Wie kommt
man dazu, „erfüllt zu werden mit aller Gottesfülle“?
Seht: Da muss ich nun noch einmal auf jenes Konzil zu
sprechen kommen, das am nächsten Mittwoch in Rom zusammentreten wird. Dieses
Konzil soll eine Vertretung der Christenheit sein. Wenn wir nun eine solche
Vertretung aussuchen müssten, wie würden wir es machen?
Wir könnten so sagen, beispielsweise: Es müssten Menschen
aus allen Ständen vertreten sein und aus allen Völkern, so dass diese
Versammlung wirklich so etwas sei wie ein verkleinertes Spiegelbild der
Christenheit wäre. Oder wir würden sagen: Wir schicken dorthin die klügsten und
die frömmsten Leute, die wir haben, denn bei deren Beratungen, da muss ja dann
doch am meisten herauskommen. So machen es die Katholiken aber gerade nicht –
sondern dort ist es eine ganze Selbstverständlichkeit: „Auf das Konzil, da
gehören die Bischöfe hin und niemand sonst.“ Nun will ich gewiss nicht
behaupten, dass die katholischen Bischöfe keine klugen und dass sie keine
frommen Leute wären; aber gewiss sind sie nicht die einzig klugen und die
einzig frommen Leute der katholischen Christenheit.
Und doch sind es einzig sie, welche auf jenem Konzil Sitz
und Stimme haben sollen. Warum?
Die katholische Lehre gibt uns darauf eine ganz einfache
Antwort: Sie sind geweiht! Man hat ihnen die Hände aufgelegt, und so sind sie
einer besonderen Gnade teilhaftig geworden, die sie befähigt, ihr Amt als
Hirten und Lehrer der Gemeinde Christi auszuüben.
Diese Weise ist es, die sie von allen anderen, noch so
frommen und noch so klugen katholischen und sonstigen Christen unterscheidet –
und darum sind sie es, die auf das Konzil
gehören. Denn in ihnen wirkt der Beistand des Heiligen
Geistes, welchen Jesus Christus seiner Kirche verliehen hat. Darum schauen sie
so voll Erwartung und Spannung auf das Konzil, weil sie dort in den Bischöfen
die Fülle der Gnade und des Geistes versammelt sehen!
Da ist etwas von Gottes Wahrheit, die er seiner Christenheit
anvertraut hat!
Aber freilich: Hier werden wir nun unsererseits fragen: Hat
sich jene Wahrheit denn so ans Amt gebunden, dass sie dort ist, wo die Träger
des Amtes versammelt sind? Ist denn jener Geist, durch welchen wir stark werden
am inwendigen Menschen, an jene gebunden, die durch die Weihe ein Amt
überkommen haben, von dem sie behaupten, es gehe über die zwölf Apostel direkt
auf Jesus Christus zurück. Und es habe jener an diesem Amt und an diesem Geist
und an dieser Gnade Anteil, der durch das Sakrament über den Priester mit
diesem Amt verbunden ist.
Nein! Da stehen wir auf dem Wort! Und sagen: Nicht ums Amt
geht es, das uns die Fülle Gottes hertragen könnte, sondern ums Wort, das uns
die Liebe Christi nahe bringt. Und nicht in einer Zugehörigkeit zu jener
äußeren Organisation der römischen Kirche erweist sich unsere Zugehörigkeit zur
Fülle Gottes, sondern indem wir die Liebe tun!
Seht – ein Christ wird einer durchs Wort, und erweist durchs
Tun der Liebe, dass er einer ist! Weil sie das Wort haben, in Rom, darum geht
es uns an, was sie beschließen. Dass es in der Liebe geschehe, und uns ein
wenig zusammenbringe zu jener Gemeinschaft der Liebe, welche unsere Welt
braucht, darum wollen wir bitten. Und hoffen, dass wir etwas seien zu Gottes
Ehre!
Amen