Hebr 5,1-10
13.03.1960 (Reminiscere), Wolfenhausen/Nellingsheim

EG 82,1-4 Wenn meine Sünd mich kränken
EG 366,1-7 Wenn wir in höchsten Nöten sein
EG 87,4.5 Du großer Schmerzensmann
EG 82,7-8 Wenn meine Sünd mich kränken

Mk 14,32-42
Hebr 5,1-10

Liebe Gemeinde!
Es ist ein beruhigendes Gefühl, wenn man überall dort seinen Vertrauensmann hat, wo die Entscheidungen fallen: Sei es auf dem Rathaus oder bei den verschiedenen Genossenschaften und Vereinen, sei es bei den Berufsverbänden oder gar in den gesetzgebenden Organen.
Es ist gut, wenn man einen solchen Vertrauensmann hat, einen, auf den man sich verlassen kann, einen, der dafür sorgt, dass man im Widerstreit der Interessen nicht überspielt wird.
Einen, der weiß, wie es uns zumute ist - einen der Unseren! Darauf kommt es doch gewiss an: Unser Vertrauensmann, das sollte einer sein, der wirklich zu uns gehört. Das sollte einer sein, der weiß, wo uns der Schuh drückt. Das sollte einer sein, der aus eigener Erfahrung unsere Lage kennt und der darum auch unsere Interessen wirklich sachkundig vertreten kann.
So sieht das aus mit unseren Vertrauensleuten: Es ist gut, wenn wir sie haben. Es beruhigt, wenn wir wissen, sie sind da und verstehen es, unsere Interessen zu vertreten und durchzusetzen. Und je mehr Macht sie haben, desto besser. Je weiter oben sie sitzen, diese Vertrauensleute, desto besser sind wir vertreten, desto besser sind unsere Interessen gewahrt, desto ruhiger können wir sein.
Seht, liebe Freunde, wenn in unserem Text die Rede davon ist, das Christus unser Hoherpriester geworden ist, dann heißt das zunächst einfach dies: Er ist unser Vertrauensmann bei Gott. Er vertritt unsere Sache vor Gottes Thron. Wir kennen ja nicht mehr wie die Leute, an welche der Hebräerbrief gerichtet ist, die Einrichtung des Priestertums oder gar einen Hohenpriester. Darum fällt es uns auch nicht ganz leicht, den Hebräerbrief zu verstehen, welcher von Christus in der Sprache und Vorstellungsweise des jüdischen Opferwesens und des jüdischen Tempelgottesdienstes redet. Sehen wir es also zunächst einmal so an, wie wir das gewiss verstehen können: Jesus, das ist unser Vertrauensmann. Er ist einer von uns. Er kennt uns genau - so, wie das ja auch als Voraussetzung für den Dienst des Hohenpriester geschildert wird: „Ein jeder Hohenpriester, der aus den Menschen genommen wird, der wird gesetzt für die Menschen zum Dienst vor Gott, ... Er kann mitfühlen mit denen, die unwissend sind und irren, weil er auch selber Schwachheit an sich trägt.“
Freilich werden wir uns gewiss nicht mit dieser Feststellung begnügen, dass Jesus wohl imstande ist, uns vor Gott zu vertreten, für uns einzustehen, bloß wie er einer von uns gewesen ist, ein Mensch wie wir, einer, der die menschliche Schwachheit kennt, einer, der weiß, wie es uns Menschen zumute ist. Wenn es nur nach dem ginge, dann könnten wir uns ja einen ganz beliebigen Menschen  zu unseren Vertrauensmann wählen. Vielleicht einen der Heiligen, wie das die  Katholiken gerne tun, oder gar die Jungfrau Maria, zu deren Mütterlichkeit wir nun noch mehr Vertrauen fassen könnten als zu Jesus. - So ist das nicht, dass es in unserem Belieben stünde, uns unseren Vertrauensmann vor Gott auszuwählen. Nein, der den Vertrauensmann wählt, der unseren Sache zu vertreten hat, das ist Gott selber.
„Niemand nimmt sich selbst die priesterliche Würde, sondern er wird berufen von Gott gleichwie Aaron. So hat auch Christus sich nicht selbst die Ehre beigelegt, Hoherpriester zu werden, sondern der hat’s getan, der zu ihm gesagt hat: Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt. Wie er auch an anderer Stelle spricht: Du bist ein Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks.“
Seht, das steht da ganz eindeutig vor unseren Augen: Dieser Jesus und kein anderer ist der Mann des göttlichen Vertrauens. Und darum haben wir keinen anderen als ihn alleine, der in Wahrheit unsere Sache zu vertreten weiß.
Aber freilich: Wir können mehr erkennen, können mehr sagen von der Wahl Gottes, die eben auf Jesus gefallen ist, auf ihn, den Mann des göttlichen Vertrauens, auf ihn, der darum unser Vertrauen verdient. Unser Abschnitt redet sehr deutlich auch davon, warum die Wahl Gottes gerade auf ihn gefallen ist.
Der Grund liegt in seinem Leiden. Nicht allein daran, dass er gelitten hat. Das haben Unzählige vor ihm und nach ihm auch getan. Nicht allein darin, dass er in all diesem Leiden sein Gottvertrauen nicht aufgegeben hat. Auch darin steht er gewiss nicht allein da. Vielmehr: Der Grund liegt in der Geisteskraft, durch welche er ein wahres Vorbild und Beispiel des Gehorsams geworden ist.
„Er hat in den Tagen seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen geopfert dem, der ihm von dem Tod konnte aushelfen; und ist auch erhört darum, dass er Gott in Ehren hielt. So hat er, wiewohl er Gottes Sohn war, doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt.“
Wir werden wohl alle miteinander, wenn wir diese Worte hören, an den Gebetskampf Jesu in Gethsemane denken. Freilich: Stimmt eigentlich, was der Apostel von dem Gebetskampf zu sagen weiß: Er ist erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt? Ist es erhört worden, jenes Gebet, dass der bittere Leidenskelch doch an ihm vorübergehen möge? Seht, gerade hier werden wir genau zusehen müssen, wo scheinbar Unvereinbares beieinander steht: Jesus flehte zu dem, der die Macht hatte, ihm vom Tode zu helfen, und wurde erhört. Und dann ist in nächsten Satz doch wieder vom Leiden die Rede, an welchem Jesus Gehorsam gelernt habe. Ich sage: Da steht scheinbar Unvereinbares nebeneinander. Und doch ist gerade dieses scheinbare Unvereinbare der eigentliche Schlüssel zum Verständnis unserer Worte: Wenn Jesus damals erhört wurde, dann war eben sein Leidensweg der Weg, der ihn vom Tode weg zum Leben führte. Dann war es gerade dieser Weg des völligen Gehorsams, welcher ihn dahin führte, wohin er mit seinem Gebet und Flehen strebte: Ins göttliche Leben hinein.
Wir werden gut tun, hier ein wenig innezuhalten und das zu betrachten: Der ist unser Vertrauensmann, der sich selber in seinem Vertrauen zu Gott in keiner Weise irremachen ließ. Der ist unser Vertrauensmann, dessen Vertrauen zu Gott so groß gewesen ist, dass er in diesem Vertrauen sein Gebet erhört wusste gerade dort, wo er das genaue Gegenteil von Erhörung vor sich hat: Leiden und Tod, wo er doch um Errettung und Leben gebetet hatte. Das ist unser Vertrauensmann vor Gott, dessen Vertrauen so groß war, dass es nicht erschüttert werden konnte durch das, was er erlitt. Der vertritt unsere Sache vor Gott, der sich in vollem und unerschütterlichem Vertrauen selbst auf Gott verlassen hat.
Seht, so ist er ein Opfer geworden, ein Opfer seines Gottvertrauens. Beachten wir wohl, wie dies Sätzlein einen doppelten Sinn hat in unserer deutschen Sprache - dies: er ist ein Opfer seines Gottvertrauens geworden. Da kann heißen: Er ist der Betrogene gewesen, und so mag das ja wohl auch aussehen, wenn wir sein Leiden und Sterben nach unseren gewöhnlichen Maßstäben messen. Er ist der Betrogene gewesen, wenn er darauf vertraute, Gott würde ihn erretten, und darum nicht um seine eigene Rettung sich sorgte. Er ist ein Opfer seines Gottvertrauens, seiner Gutgläubigkeit geworden. So kann man sagen, und wer nichts anderes kennt als die Maßstäbe dieser Welt, der mag mit solcher Rede sich auch ruhig im Recht fühlen.
Wir aber wollen anderes sehen und wollen anderes an ihm kennen. Wenn wir sagen:
Er ist das Opfer seines Gottvertrauens geworden, so wissen wir, was das heißt: Dass er ganz und gar aufgegangen ist in seinem Gottvertrauen. Dass er nicht anderes mehr kannte als dieses Gottvertrauen. Und dass er sich selbst mit seinem Gottvertrauen Gott als Opfer dargebracht hat. Und Gott hat sich’s gefallen lassen, dieses Opfer des Gottvertrauens. Er hat sich’s gefallen lassen, und hat ihn, Jesus, dies Opfer des Gottvertrauens, zu unser aller Vertrauensmann bei ihm, bei Gott selber, gemacht. „Da er vollendet war, ist er geworden allen, die ihm gehorsam sind, der Urheber ihres ewigen Heils, und ist genannt von Gott ein Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks.“
Seht, so ist er unser Vertrauensmann geworden, er, der das vollkommene Opfer seines Gottvertrauens darbrachte. So ist er der geworden, der unsere Interessen vor Gott vertritt, „Urheber unseres ewigen Heiles“, wie der Apostel sagt. Freilich, wir würden das nun noch einmal missverstehen, wenn wir meinten, wir hätten ihn also erst am Ende unserer Tage nötig. Wenn wir meinten, wir brauchten die Intervention dieses unseres Vertrauensmannes erst dann, wenn wir dies Leben hinter uns gebracht hätten. Und dann über unsere ewige Seligkeit (oder Verdammnis) entschieden werde. Vielmehr gerade jetzt haben wir ihn nötig, Jesus, den Mann des Vertrauens. Gerade jetzt haben wir ihn nötig, damit wir wirklich Gehorsam halten können. Damit wir wirklich unser Misstrauen überwinden , das Misstrauen gegen unseren Bruder. Das Misstrauen, das unser Zusammenleben vergiftet.
Seht, eigentlich sollten wir jetzt noch einmal von vorne anfangen. Sollten das, was Jesus geschah, in unser Leben übertragen. Sollten dies Misstrauen gegeneinander erkennen als den Krebsschaden unseres Zusammenlebens, dies Misstrauen, das sich fürchtet, zu kurz zu kommen. Jesus zeigt, dass der Weg des Vertrauens der lohnende Weg ist. Es zeigt, dass dieser Weg der ist, der zu Gott führt. Sind wir bereit, ihm wirklich unser Vertrauen zu schenken? Amen.