Himmelfahrt, 26. Mai 1960, Wolfenhausen/Nellingsheim

 

Joh. 14, 1 - 12             Kol. 3, 1 – 11

 

90 Christ fuhr gen Himmel (26a)

93, 1 - 3 Auf Christi Himmelfahrt (739

423, 3 Herr Jesu, Deiner Glieder (4)

423, 5 – 7

 

Liebe Gemeinde!

 

Suchet, was droben ist! Wenn wir diese Aufforderung hören, so werden wir wahrscheinlich alle miteinander zunächst einmal in eine gewisse Verlegenheit kommen. Denn droben, im Himmel, den wir über uns sehen – da ist doch im Grunde nichts als eine ungeheurer Leere, mit ein paar Gestirnen dazwischen, der Weltenraum, der sich nach allen Richtungen ausdehnt.

Freilich: Um dieses oben, um diesen Himmel über uns, da handelt es sich gewiss nicht, wenn wir fragen nach dem, das droben ist, da Chrisus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Denn dieses droben, das ist gewiss nicht der Raum unserer Welt, der Raum des Sichtbaren – und wenn es den Menschen je gelänge, den Weltenraum nach allen Richtungen zu durchmessen, sie würden ganz gewiss nicht dahin kommen, wo Christus ist sitzend zur Rechten Gottes.

Aber freilich: Damit ist ja nun im Grunde noch gar nichts gesagt, wenn wir sagen, wo Christus nicht ist, wo jenes droben nicht ist. Vielmehr: Die Aufforderung bleibt ja bestehen, zu suchen. „Seid ihr nun mit Christus auferstanden, liebe Brüder, so suchet, was droben ist, da Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Trachtet nach dem, das droben ist, nicht nach dem, das auf Erden ist.“

Dazu will uns der Apostel anleiten, dass wir das erkennen, und wohl uns wenn wir uns von ihm auf die rechte, eigentliche Himmelfahrt weisen lassen.

 

Wir würden jenes: „Suchet was droben ist!“ ganz gewiss völlig missverstehen, wenn wir es so verstünden, als leite es uns an, in unseren Gedanken uns von dieser unserer bekannten Welt zu entfernen. Uns das Bild einer jenseitigen Welt auszumalen, eines ausgedachten Himmels, in dem wir Gott, und Jesus, in dem wir den Engeln und Heiligen ihren Platz anweisen. Das wäre ganz gewiss nicht das rechte Trachten nach dem, was droben ist, sondern im Spekulieren ins Blaue hinein – das gewiss nichts Unrechtes ist, das auch recht schön und erbaulich sein kann. Aber das, was droben ist, das erreichen wir damit gerade nicht. Dies, was „droben“ ist, seht, das ist nicht ein ferner Ort, sondern das ist jenes göttliche Wesen, das dem Menschenwesen, dem, was auf Erden ist, entgegengesetzt ist. Das, was droben ist, das ist das Ebenbild des, der uns geschaffen hat. Dieses göttliche Wesen, dieses wahre Gottesebenbild, das ist`s, das droben ist. Und dieses „droben“, das gilt es eben nicht sich auszudenken. Dieses droben, das ist nicht irgendwo in der Ferne einer unirdischen und überirdischen Welt zu suchen und zu finden. Sondern so ist es zu finden, dass wir es in Jesus finden, und nirgends anders.

 

So hat es Gott gefallen: Wenn wir ihn, den Vater, in seiner göttlichen Majestät und Herrlichkeit suchen, in seinem Wesen, das unsere irdischen Sinne, ja das unser Verstand nicht erreichen kann: Dann weißt er uns auf Jesus, auf den einen, den geliebten Sohn, dass wir in ihm das Ebenbild des Schöpfers erkennen. Seht – suchen, was droben ist, da Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes – das heißt: Jesus suchen, den Heiland suchen, so wie wir ihn kennen. Ihn suchen, nicht in einer fernen, fremden Weite, sondern ihn so suchen, wie er über diese unsere Erde gegangen ist. Kennen wir ihn? Haben wir erfasst, was sein Herz einst erfüllte? Haben wir begriffen, wie er sich bewegte, was er tat in dieser unserer Menschenwelt?

Seht - wie sollte ich in dieser kurzen Stunde jetzt sein Bild völlig klar und deutlich euch vor Augen malen? Wie sollte ich dieses herrliche, dieses strahlenden Ebenbild Gottes euch klar genug zeigen? Genug, dass wir wissen: Sucht, was droben ist, das heißt zunächst einmal dies: Suchet den Heiland, suchet ihn,  wie er über diese Erde ging. Sehet an, wie er mit unerbittlicher Schärfe die Heuchelei und Selbstgerechtigkeit der Frommen zerschlug – wie er ihnen zeigte: Gottes Gebot seinen gnädigen Willen, habt ihr mit euren Gesetzen und Gesetzlein zur Plage gemacht, habt die Menschen zerstört, dass sie der Stimme ihres Gewissens nicht mehr trauen, dass sie fragen, bei allem, was sie tun, voll Angst fragen: Darf ich das, oder darf ich’s nicht? Ihr habt vor dem Buchstaben den Geist verloren, habt vergessen, dass Gottes Wille, dem Leben der Menschen dienen ihnen helfen soll, und nicht sie quälen und zu Boden drücken.

Suchet, was droben ist, das heißt: Sehet den Heiland an, wie er sich der Verachteten und Geringen angenommen hat, wie er die Kinder segnete, wie er den Kranken half. Wie er die Sünder freundlich angenommen hat, wie er ihre Sünden ihnen vergeben und ihnen den Weg zu einem neuen Leben gewiesen hat. Suchet, was droben ist, das heißt: Sehet den Heiland an, wie er in seinem Leben zeigt, was der Mensch nach Gottes Willen sein soll, Abbild, Ebenbild der göttlichen Liebe und Treue! Suchet, was droben ist, das heißt: Sehet ihn an, wie sie ihn nicht ertragen konnten, wie sie alle miteinander den geheimen Vorwurf nicht leiden wollten, den er durch sein ganzes Wesen für sie geworden war. Wie sie ihn töteten, wie er sein Leben am Kreuz dahingab. Suchet, was droben ist, das heißt: Sehet ihn an, Jesus den Heiland, sehet ihn an, in dem was er getan, gesagt, erlitten hat in seinem kurzen Menschenleben, das eben nicht nur irgendein kurzes Menschenleben war, sondern die Erscheinung der göttlichen Herrlichkeit unter uns, Ebenbild unseres Schöpfers und Herrn.

 

Freilich, wir werden uns nicht damit einfach begnügen und beruhigen dürfen, dass wir so das Bild Jesu vor unser Auge stellen. Vielmehr müssen wir wissen, was es bedeutet, dass von ihm gesagt ist er sitze zur Rechten Gottes. Nicht ein Ort ist damit angegeben – wie sollte der weise und allmächtige Gott auch einen bestimmten Ort, und sei er noch so hoch und erhaben einnehmen? Vielmehr soll dadurch Jesu Würde bezeichnet werden. Dies, dass er zur Rechten Gottes sitzt, heißt: Gott hat sich zu ihm gestellt. Er hat Jesus, sein Leben, seine Worte, seine Taten autorisiert. Das ist etwas, was wir an sich schon längst wissen. Gehört es doch zu den einfachsten Grundtatsachen unseres christlichen Glaubens, die wir schon von klein auf kennen, so dass es uns schon fast zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Aber es ist gut, wenn wir uns diese Selbstverständlichkeit wieder deutlich vor Augen rufen: Jesus gehört zusammen mit Gott und darum ist sein Bild für uns verbindlich: So, wie er gewesen ist, so will Gott, der Schöpfer, seine Menschen haben. So will er uns haben liebe Freunde – so und nicht anders.

Das heißt: Trachten nach dem, das droben ist, dass wir sein Bild nicht nur vor Augen tragen, sondern dass dies Bild Jesu, das Bild unsere Heilandes, die Kraft ist, welche unser Leben bestimmt und gestaltet.

 

Freilich: Da mag nun der Einwand kommen, der uns allen recht nahe liegt: Wie vermag denn ein Mensch werden, wie Jesus, wie der Heiland einer gewesen ist? Wie vermag ich den Willen Gottes so rein und klar zu erkennen, wie er diesen Willen erkannt hat?

Wie vermag ich gar diesen Willen so ohne Schwanken und ohne Zaudern in die Tat umzusetzen, wie er das getan hat? Seht, der Apostel rechnet wohl mit diesem Einwand, und er will diesen Einwand von vornherein entkräften: „Ihr seid gestorben“ – so ruft er uns zu – ihr, die ihr meint, ihr könntet nicht tun, was Gott von euch haben will. Ihr seid gestorben – was euch von Gottes Willen trennen möchte, das geht mich nichts mehr an. Und ruft uns zu, wir sollten nun auch wirklich die Konsequenzen daraus ziehen:

„So tötet nun die Glieder, die auf Erden sind, Unzucht, Unreinigkeit, schändliche Lust, böse Begierde und die Habsucht, welche ist Götzendienst, um derentwillen der Zorn Gottes kommt… Leget alles von euch ab, Zorn, Grimm, Bosheit, Lästerung, schandbare Worte aus eurem Munde. Belüget einander nicht.“

Seht, das verstehen wir wohl, was da gesagt ist. Verstehen wohl, dass sind alles keinen Platz mehr hat, wo Jesu Bild einem Menschen ausfüllt, wo er in einem Herzen regiert.

Werden wir darum bereit sein, ihm unser Herz einzuräumen als dem Ort, wo er bleiben kann?

 

Seht, ich meine, das wäre die rechte Himmelfahrt Jesu, dann hätte er wirklich den Platz eingenommen, der ihm gebührt, wenn wir ihm diesen Platz in unserem Herzen eingeräumt haben. Freilich, wir werden fragen, zweifelnd, ungläubig fragen: Wie soll denn das zugehen? Wie mag das geschehen? Wir kennen uns doch selber gut genug, wissen doch, was wir alle miteinander für Leute sind. Wie sollten wir der rechte Ort sein für unseren Heiland? Lassen wir doch einmal diesen Zweifel fahren. Geben wir doch einmal unserem Unglauben den Abschied. Hören wir ganz einfach auf das, was uns Gottes Wort sagt: Nicht was wir sind, zählt hier. Nicht was wir an uns feststellen können, wird hier von Bedeutung sein. Da gilt nicht, was wir von Geburt sind. Da zählt nicht unser Charakter. Da zählt nicht unsere Vergangenheit, mag sie nun gut sein oder schlimm, sondern da zählt einzig und allein Gottes Tat, von welcher der Apostel sagt: „Ihr habt ja ausgezogen den alten Menschen und angezogen den neuen, der da erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Ebenbild des, der ihn geschaffen hat. Da ist nicht mehr Jude, Grieche, Beschnittener, Unbeschnittener, Nichtgrieche, Skythe, Knecht, Freier, sondern alles und in allen Christus.“

Seht, wenn wir sagen in unserem Glaubensbekenntnis: „Aufgefahren gen Himmel, da sitzt er zur Rechten Gottes, seines allmächtigen Vaters“ – nichts anders heißt das doch, als dass er, unser Heiland, Herr ist über alles – Herr ist über unser Herz. Dass er die Macht hat, den Platz einzunehmen, der ihm gebührt. Dass er stärker ist als das, was ihm diesen Platz rauben will: Unsere Habsucht, unser unzüchtiges Wesen, unser schandbares Gerede – all das, was der Apostel da aufzählt. Glauben wir das? Seht, wenn wir es nicht glauben, dann brauchen wir keine Himmelfahrt zu feiern. Wenn wir meinen, Himmelfahrt, das sei etwas, was einmal vor langer Zeit geschehen ist, ein Wunder, das man sich nur scher vorstellen kann, das man aber eben glauben muss, - dann sollten wir es bleiben lassen, dies Fest zu feiern als ein Christusfest, und den freien Tag lieber auch zu einer feuchtfröhlichen Herrenpartie ausnützen. Nein! Das zeigt uns der Apostel: Himmelfahrt, Jesu Erhöhung, die geschieht jetzt und hier. Sie ist nicht vorbei, sie ist unsere Gegenwart.

Da geschieht sie, wo Jesu Bild einem Menschen vor Augen steht – das Bild des Gekreuzigten in seiner ganzen Niedrigkeit. Wo dieser Jesus erkannt wird als Ebenbild des Schöpfers, das uns verpflichtet. Wo er vom Herzen eines Menschen Platz ergreift und ihn erneuert nach seinem Bilde, dass er Christus sei alles und in allen.

Amen.