Phil 2,5-11
05.04.1998 (Palmsonntag), Eysölden

Liebe Gemeinde!
Es ist eines der ältesten christlichen Lieder, über das wir heute miteinander nachdenken wollen. Paulus hat es in seinem Brief an die Philipper angeführt, so, wie ich das immer wieder in meinen Predigten mit dem einen oder anderen Gesangbuchvers mache. Ich habe es in der Schule im Religionsunterricht auswendig gelernt und habe es als Pfarrer im Religionsunterricht selbst lernen lassen und mit den Schülern eingeübt. So ist mir der Wortlaut selbst recht vertraut, und ihr kennt ihn sicher auch. Vielleicht liegt es daran, dass wir erst beim zweiten Hinhören merken, was für eine seltsame Geschichte dieses Lied erzählt.
Als mein Bub noch klein war, hat er immer erst gefragt: Geht die Geschichte auch gut aus? Und erst, wenn wir ihm das versichert haben, ließ er sich eine solche Geschichte vorlesen.
Geht sie gut aus, diese Geschichte, die uns das alte christliche Lied erzählt? Natürlich geht sie gut aus, die Geschichte von Jesus Christus.
So ließe sich darauf antworten. Aber ganz so einfach lässt sich diese Antwort nun doch nicht geben. Ich könnte so sagen: Im ersten Vers, da führt diese Geschichte ganz in die Tiefe hinab (zitieren). Aber da ist dann doch der zweite Vers. Und da geht es wieder gut (zitieren).
Bloß: wir werden das erst dann ganz verstehen können, wenn wir begriffen haben, wie wir alle miteinander in diese Geschichte hineingehören, ich selbst und ihr, jeder einzelne und jede einzelne von euch.
Ich frage darum jetzt einmal andersherum: Was bedeutet das eigentlich, dass so eine Geschichte gut ausgeht? Eine Geschichte, die gut ausgeht, die heißt man heute eine „Erfolgsstory“. Und natürlich will jeder und jede darum ihre eigene Erfolgsstory haben, wenigsten an einer solchen Erfolgsstory teilnehmen. Die Firma BMW stellt uns in ihrer Bilanzpressekonferenz ihre Erfolgsstory vor und will diese Erfolgsstory damit krönen, dass sie nun die britische Nobelmarke Rolls Royce übernimmt. Dabei erinnern sich vielleicht die Älteren unter uns noch daran, wie BMW vor einigen Jahren gar nicht gut dastand und nur mühsam vom Ruin gerettet wurde. Unsere Politiker in Bonn oder in München erzählen uns ihre Erfolgsstory, gerade jetzt, wo wieder die Wahlen anstehen und sie wieder gewählt werden wollen. Und die von der Opposition weisen dann nach, dass es mit diesem Erfolg gar nicht so weit her ist und rechnen ihn auf gegen die Misserfolge. Die Größen im Showgeschäft,  Michael Jackson oder wer immer, haben ihre Erfolgsstory, die von den Managern und den Medien verbreitet wird. Die Sportler lassen sich mit ihren Erfolgen feiern, im Skilauf oder im Eisschnelllauf. Sind das Geschichten, die gut ausgehen? Soll ich diesen Erfolgsstorys das Palmsonntagsevangelium hinzufügen, Jesu triumphalen Einzug in Jerusalem? Oder war das etwa kein  Erfolg, da er doch sogar Jesu Gegner zu der resignierenden Feststellung veranlasste: „Ihr seht, dass wir nichts erreichen; alle Welt läuft ihm nach.“
Nun wissen wir freilich gut genug, wie es weitergeht. Jetzt in der Karwoche, die mit dem Palmsonntag beginnt, gehen wir ja miteinander die einzelnen Stationen der Geschichte Jesu durch. Auf dem Einzug in Jerusalem folgt die Auseinandersetzung mit seinen Gegnern, folgt das letzte Mahl mit den Jüngern am Gründonnerstag, folgt der Gebetskampf in Gethsemane und die Gefangennahme, und dann wird mit ihn ein kurzer Prozess gemacht und am Morgen des Karfreitag wird er an das Kreuz genagelt. Also doch keine Erfolgsstory?
Ich frage danach: Woran messen wir da eigentlich Erfolg oder Misserfolg? Woran erweist es sich, dass da die eine Geschichte gut ausgeht, und die andere Geschichte, die geht schlecht aus? Machen das die Leute aus, die die Medien beherrschen und uns in der Zeitung und im Fernsehen klarmachen, was gut ist und was nicht gut, was Erfolg ist und was Misserfolg, was ein Siegertyp ist, ein Winner, und wie ein Looser ist, ein Verlierer? Das trifft uns ja alle. Das geht uns ja alle an. Mein Enkel, der in der 3. Klasse ist, der muss immer wieder zusammenbrechen und macht sich das Leben schwer, weil er zu kämpfen hat in der Schule, und doch kommt da der Erfolg nicht, der seiner großen Schwester ohne Mühe in den Schoß fällt.
Noch einmal: Wir wollen ja nicht nur, dass eine Geschichte, die wir uns anhören, an der wir mit unserer Phantasie und mit unseren Empfindungen beteiligt sind, gut ausgeht. Wir wollen selbst unsere Erfolgsstory erleben oder mindestens daran beteiligt sein: Mein Verein soll gewinnen und Meister werden.
Seht, da kommt uns nun dieses alte christliche Lied. Es sagt uns: Wie Jesus Christus haltet es. Und der hat losgelassen. „Obwohl er wohl in göttlicher Gestalt war, hielt er es nicht für einen Raub, Gott gleich sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an.“ Nun ließe sich wohl fragen: Warum hat er das eigentlich getan? Warum hat er sich nicht festgeklammert am Erfolg, wie unsere Politiker und Manager, wie unsere Sportler und Popstars, wie wir selbst, wenn wir irgendwo einen Zipfel vom Erfolg in die Finger kriegen?
Vielleicht gerade deshalb, um uns zu zeigen: Dass es gut ausgeht mit dir, das liegt nicht an dir. Es liegt nicht am Geld, das du gewinnst, am Ansehen, das du dir erwirbst, an dem Beifall, den du bekommst, an einem zahlreichen Fan-Club. Darauf kommt es an, dass du gehorsam nimmst, was dir Gott gibt. Warum ist seine Geschichte so gelaufen, wie es dieses alte Lied erzählt?
Mir ist da ein Märchen eingefallen: Natürlich geht es da um eine Prinzessin, um den König, den sie zum Mann nehmen soll. Aber diese Prinzessin ist hochmütig und hat an jedem Bewerber etwas auszusetzen, und als ein leibhafter König um sie wirbt, da passt ihr sein  Gesicht nicht: Der hat ja ein spitzes Kinn wie ein Vogelschnabel, dieser König Drosselbart. Da wird ihr Vater böse und sagt: Der Nächste, der kommt, den musst du nehmen. Und als ein zerlumpter Bettler an die Palasttür klopft, da muss sie als seine Frau mit ihm gehen und lernt, was es heißt, in einer kleinen Hütte zu wohnen und mit eigenen Händen zu arbeiten – und bereut ihren Hochmut. „Ach hätt’ ich doch genommen den König Drosselbart“. Wahrscheinlich kennt ihr dieses Märchen auch und wisst schon längst: dieser Bettler da, das ist kein anderer als der König Drosselbart, der sich so erniedrigt hat, um die geliebte Frau doch noch zu gewinnen.
Ja, liebe Seele! So sagt mein Heiland zu mir, zu dir, zu jedem von uns. Ja, liebe Seele! Dich will ich haben. Dich will ich zu den Meinen zählen. Mir sollst du gehören, jetzt und in alle Ewigkeit. Sieh’ mich an! Sieh’ zu, wie es mit mir gegangen ist. Ich habe fahren lassen, was mir in den Schoß gefallen ist, ich bin wie ein Knecht geworden, damit ich dir gleich sei. Ja, liebe Seele! Weil ich dich gewinnen wollte, habe ich mich aufgemacht; bin dir entgegengekommen, voll Freundlichkeit und Liebe. Ich will dich nicht bezwingen durch meine Gewalt. Ich will dich gewinnen durch Sanftmut und Geduld. Ja, liebe Seele! Dir komme ich entgegen. An dir, an dir allein liegt mir. Reichtum, Macht, Ansehen, Erfolg: ich lasse sie fahren, um dich zu gewinnen, dich, du stolze Seele! So verstehe ich das: Ob er wohl in göttlicher Gestalt war, hielt er es nicht für einen Raub, Gott gleich sein. Ja, liebe stolze Seele!
Dein Heiland kommt dir entgegen, er will seine Geschichte mit der deinen verbinden, wie der König Drosselbart seine Geschichte mit der Geschichte der stolzen Prinzessin verbunden hat, dass es eine einzige Geschichte geworden ist. Ja, liebe Seele! Willst du nicht antworten: Ich danke dir, meine Herr und Bruder Jesus Christus. Du kommst mir entgegen, mich zu suchen. Du willst mich nicht in Hochmut in und in Verzweiflung steckenlassen, in all den zweifelhaften Erfolgs- und Misserfolgsstories, von denen uns die Ohren und Augen übergehen. Ich danke dir, mein Herr und Bruder Jesus Christus! Du gehst mir den Weg voran, den dich Gott gehen heißt! Dass ich meinen Weg gern und getrost gehen kann, den Gott mir weist. Du warst gehorsam bis zum Tod, ja zum Tod an Kreuz. Darum gehört dir meine Liebe, gehört dir mein Herz, gehört dir mein Lob!
Wenn wir so sprechen, dann sind wir mit dabei bei dieser Geschichte! Dann ist sie auch meine, deine, unsere Geschichte! Amen.