Phil 4,4-9
22.12.1957 (4. Advent), Wolfenhausen/Nellingsheim

EG 12,1-4 Gott sei Dank durch alle Welt
EG 9,1-5  Nun jauchzet all ihr Frommen
EG 398,1-2  In dir ist Freude
EG 9,6 Nun jauchzet, all ihr Frommen

Liebe Gemeinde,
jetzt ist Weihnachten, das Fest der großen Freude ganz nahe gerückt. Und aus den Worten des Apostels Paulus tritt uns die Mahnung zu dieser Freude entgegen: „Freuet euch in dem Herrn allewege! Und abermals sage ich: Freuet euch!“ – Aber ist denn das möglich, die Freude zu befehlen. Können wir nun einfach anfangen, uns zu freuen, weil das Fest bevorsteht? Und weil der Apostel Paulus uns zur Freude mahnt? Ja, in unseren Kindertagen, da war diese große Freude auf das Weihnachtsfest eine Selbstverständlichkeit. Da haben wir voll Ungeduld die Tage und die Stunden gezählt und konnten es kaum mehr erwarten, bis endlich der Christbaum brannte und das Weihnachtsfest so ganz richtig da war. Vielleicht denken wir auch heute noch hin und wieder: Ich bin froh, wenn das Fest endlich vollends da ist. Aber dies Denken hat dann einen leicht bitteren und gequälten Unterton: Ich bin froh, wenn vollends alles geschafft ist, was vor dem Fest zu tun ist; ich bin froh, wenn vollends alles geklappt hat, und das Fest ohne Aufregung und Ärger seinen Gang gehen kann. Ja, können wir uns noch so richtig auf Weihnachten freuen, wie wir uns als Kinder darauf gefreut haben? Denn wir sind ja keine Kinder mehr, und haben es oft genug sehr schmerzlich erfahren, dass die Lichter am Weihnachtsbaum nicht hell genug sind, um das Dunkel unserer Welt zu bannen. Ja, dass gerade diese Lichter oft die Erinnerung wecken an das, was wir verloren haben. Und dass oft genug gerade das große Atemholen des Festes uns zeigt, wie einsam wir doch im Grunde sind, wie verlassen und allein – dass uns das die ruhigen und besinnlichen Stunden der Festtage deutlicher zeigen als die Arbeit des Alltages, die uns gar nicht Zeit lässt, dem nachzuhängen, was gewesen ist!
Ja – können wir uns noch wirklich freuen, ganz und ungetrübt und aus vollem Herzen freuen? Oder ist unsere Weihnachtsfreude nicht nur im besten Falle ein schwacher Abglanz der Freude, die wir mit unseren Geschenken und mit dem Zauber des Festes den Augen und Herzen unserer Kinder entlocken? Können wir uns noch richtig freuen? Freuen darüber, dass es wieder Weihnachten werden will? Freuen darüber, dass das Fest wieder bevorsteht?
Liebe Gemeinde! Diese Freude, die rechte, kindliche Weihnachtsfreude, ist ein seltenes Geschenk, und wohl dem, der sie sich bis ins Alter zu bewahren versteht. Doch es gibt noch eine andere Art von Freude, und von dieser Freude redet der Apostel, wenn er uns heute zuruft: Freuet euch in dem Herrn allewege! Und abermals sage ich: Freuet euch! Ist die kindliche Weihnachtsfreude wie eine zarte Pflanze, die nur gar zu leicht von den rauhen Stürmen des Lebens geknickt und zerstört wird, so ist diese Freude, von der der Apostel redet, wie ein starker, fest gewurzelter Baum, dem diese Stürme nichts anhaben können. Sondern der durch diese Stürme nur gezwungen wird, sich immer fester in den Grund einzuwurzeln, auf dem er steht.
1. Lasst uns zunächst einmal von dem Grund dieser Freude reden, zu der uns der Apostel mahnt. Er drückt sich aus in dem kleinen Wörtchen: „in dem Herrn“! Nicht dazu mahnt uns der Apostel, dass wir uns überhaupt freuen, gleichgültig worüber. Nicht dazu ruft er uns auf, dass wir uns wieder wie Kinder dem Fest und seinen Geschenken und dem Zauber der Kerzen hingeben. Viel mehr: Wir sollen uns in dem Herrn freuen. In dem Herrn: damit redet der Apostel von dem Grund der echten, großen, wahren Freude. Er braucht seiner Gemeinde in Philippi nicht mehr zu schreiben als diese zwei Wörtlein: „in dem Herrn“. Denn er hat es ihnen ja oft genug gesagt, und sie haben’s schon lange begriffen, was das heißt: „in dem Herrn“! Das heißt ganz schlicht und einfach so viel: Freut euch darüber, dass ihr Christen seid. Freut euch darüber, dass ihr getauft seid. Dass ihr Gottes Wort habt, und dass dieses Wort euch gepredigt wird. Dass ihr miteinander das Mahl des Herrn feiern könnt. Dass ihr beieinander seid als eine christliche Gemeinde, die sich im Glauben an den Herrn untereinander verbunden weiß. Das heißt dieses „in dem Herrn!“, das der Apostel als den rechten Grund der Freude angibt. Freilich – wissen wir denn mit dieser Freude so recht etwas anzufangen? Ist uns all dies, was der Apostel als den Grund unserer Freude bezeichnet, nicht schon viel zu selbstverständlich geworden, als dass wir uns noch viel freuen sollten. Geht es uns hier nicht wirklich wie Kindern, die wohl zunächst einmal ein Geschenk, das sie unter dem Christbaum finden, bestaunen und mit sich tragen, aber nach einiger Zeit, da hat es seinen Reiz verloren, da gilt es nicht mehr, da gehört es mit zu dem, was man eben hat. Geht es uns nicht so mit unserem Christenglauben? Es ist für uns eine Selbstverständlichkeit, dass wir getauft sind: Jedermann hierzulande ist getauft. Und Gottes Wort zu hören haben wir ja alle reichlich Gelegenheit. Und einmal im Jahr gehen wir ja ganz bestimmt auch zum Heiligen Abendmahl. Aber deswegen sich freuen? Das ist eben so, das sind wir so gewohnt.
Liebe Freunde, vielleicht haben wir darum so oft Mühe und Not mit unserem Christenleben, weil wir es zu sehr aus Gewohnheit leben. Weil wir die große Gabe Gottes, der uns zu seinem Volk und Eigentum berufen hat, gar nicht mehr zu sehen und zu erkennen vermögen, sondern höchstens noch die Verpflichtung bemerken, die uns aus dieser Gabe erwächst. Darum gewinnt unser Christenleben leicht einen düsteren und traurigen Zug; darum wissen wir so wenig anzufangen mit der Mahnung des Apostels: „Freuet euch in dem Herrn allewege! Und abermals sage ich: Freuet euch!“
Seht: Ist es nicht Grund genug zur Freude, dass wir getauft sind? Das unsere Namen im Buch des Lebens geschrieben sind? Dass uns darum Tod und Teufel, Grab und Hölle nichts mehr anhaben können – denn wir gehören ja zusammen mit unserem mächtigen Herrn und Heiland. Ist es nicht Grund genug zur Freude, dass wir Gottes Wort haben: Dass es uns tröstet und aufrichtet, wenn wir müde und verzagt sind? Dass es uns zurechtweist, wenn wir den richtigen Weg verlieren? Dass es um uns leuchtet im Dunkel dieser Welt, damit wir wissen, wo wir in Wahrheit hin gehören?
Ist es nicht Grund genug zur Freude, dass wir miteinander das Heilige Abendmahl feiern können? Dass wir uns darin der Gegenwart unseres Herrn versichern können, seiner heilsamen Gaben, durch die uns Vergebung unserer Sünden, Gnade und ewiges Leben zuteil wird?
Und ist es nicht Grund genug zur Freude, dass wir als Christenmenschen miteinander leben können? Dass wir einander vertrauen können? Das einer dem anderen beistehen kann? Dass wir auch einmal da nachgeben können, wo wir vielleicht im Recht sind, nachgeben können, weil wir wissen, dass unser Herr Jesus Christus das so haben will?
Das ist der Grund der Freude, von der der Apostel redet: Dass wir als Christenmenschen miteinander leben dürfen, geleitet durch Gottes Wort und bewahrt durch seine heiligen Sakramente.
2. Das ist der Grund der Freude, zu der uns der Apostel auffordert: Unser christlicher Glaube. Aber nun lasst uns auch den Inhalt dieser Freude betrachten. Er ist ausgesprochen in dem kleinen Sätzlein: „Der Herr ist nahe.“ Begreifen, wir, was das heißt: „Der Herr ist nahe?“ Freilich: Wir beten zu diesem Herrn, und sind gewiss, dass er uns hört. Wir vertrauen ihm, und wissen uns in seiner Hand geborgen. Aber sind wir uns wirklich klar, was das heißt: „Der Herr ist nahe?“
Seht: Unseren menschlichen Herzen ist das Sorgen mitgegeben auf seinem Lebensweg. Wir alle wissen um das Morgen und das Übermorgen. Wir können nie ganz in der Gegenwart des Augenblicks leben wie ein Tier oder auch ein kleines Kind. Vielmehr sehen wir uns genötigt, immer danach zu fragen, wie es wohl mit uns weitergehen wird, was morgen sein wird und übermorgen und übers Jahr. Und wir suchen zu sorgen, dass wir auch dann leben können, dass wir auch dann uns freuen können, dass wir auch dann ein lebenswertes Leben führen können. Das ist unser Menschenherz, immer bestimmt von der Sorge, was doch wohl kommen wird, immer bestimmt von der Frage, was uns denn erwartet, wenn dieser Tag vorbei ist, immer bestimmt von dem Willen, vorzusorgen für die kommende Zeit. Und diesem unserem sorgenvollen und sorgenschweren Menschenherzen ruft nun der Apostel zu: „Der Herr ist nahe.“ Darum sorget nicht. Wissen wir, was uns in der Zukunft erwartet? Wissen wir, was der morgige Tag bringen wird und der danach kommt in der Reihe unserer Tage, bis hin zu dem letzten Tag, der unserem Leben in dieser Welt ein Ende setzen wird? Wissen wir, was in dieser Zukunft auf uns wartet? Unsere Sorge möchte es wohl gerne wissen, um all dem zu begegnen, was da an Bedrohlichem und Gefährlichem unseren Lebensweg umsäumt. Aber diese Sorge weiß nichts. Und das ist gut so. „Sorget nicht“, so mahnt uns der Apostel, „sondern in allen Dingen lasset eure Bitten im Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kund werden.“ Das ist die beste Art der Sorge! Liebe Freunde, dass wir all unsere Sorge nehmen und auf Gott werfen. Denn bei ihm ist sie am besten aufgehoben. Aber das reicht nun noch nicht. Vielmehr, wir wissen ja doch, was in dieser Zukunft auf uns wartet: Morgen und Übermorgen, jeden Tag unseres Lebens bis hin zu dem letzten unserer Tage, ja noch über diesen letzten Tag hinaus: Das ist der Herr. Der Herr, der uns nahe ist! Und wenn wir darum in unserem Herzen danach fragen, was denn wohl weiter kommen wird, so soll es nicht ein Fragen der Sorge und Angst sein, sondern ein Fragen des Glaubens und der freudigen Erwartung, die weiß: In jeder Stunde, und mag sie noch so dunkel erscheinen, ist der Herr nahe. Was auch kommen mag in unserem Leben: Immer ist er dabei. Und wo er ist, da hat das bange Sorgen unseres Herzens keinen Platz mehr. Das ist der Inhalt unserer Freude: „Der Herr ist nahe!“ Darum sorget nicht.
3. Doch nun lasst uns auch noch von der Folge unserer Freude reden: Seht, liebe Freunde, das sollte man uns eigentlich anmerken, dass wir wissen, unser Herr ist nahe. „Eure Lindigkeit lasset kund sein allen Menschen – der Herr ist nahe.“ Seht, wenn wir wirklich wissen, dass uns der Herr nahe ist, dann bekommt unser Leben eine Ruhe und Gelassenheit, die auch auf die Menschen ausstrahlen sollte, mit denen wir zusammen leben. Denn weil der Herr uns erwartet, darum ist für uns gesorgt. Und darum haben wir nun wirklich Zeit für andere zu sorgen. Uns den Menschen zur Verfügung zu stellen, mit denen wir zusammen leben. So ermahnt uns Paulus: „Weiter, liebe Brüder, was wahrhaftig ist, was ehrbar, was gerecht, was keusch, was lieblich, was wohl lautet, ist etwa eine Tugend, ist etwa ein Lob, dem jaget nach.“ Liebe Freunde! So kommen wir wirklich zu der Freude, zu der uns der Apostel aufruft, in dem wir wissen, dass unser Verlangen nach Freude in dem Herrn gesättigt ist. Und indem wir darum Zeit haben, anderen Freude zu bereiten. Seht, dann wird es wirklich bei uns allen Weihnachten werden, wenn wir so nicht darauf sinnen, wie wir wohl uns selber die größte Freude machen können. Sondern indem wir danach fragen, wie wir Anderen Freude machen können. Nicht allein unseren Kindern. Nicht allein unseren Lieben. Sondern vor allem denen, die diese Freude besonders brauchen. „Freuet euch in dem Herrn allewege. Und abermals sage ich: Freuet euch. Eure Lindigkeit lasset kund sein allen Menschen. Der Herr ist nahe.“ Amen.