Dreieinigkeitsfest, 1. Juni 1958    Wolfenhausen/Nellingsheim

 

103,1-4 O Heiliger Geist, kehr bei uns ein…

109, 1-3 Gott der Vater wohn uns bei….

198,8 Lobe den Herren, o meine Seele…

188,5 Nun lob, mein Seel, den Herren….

 

Jesaja 6,1-7                 Römer 11, 33-36

 

Liebe Gemeinde!

 

Wir feiern heute das Dreieinigkeitsfest. Nicht dazu ist dieses Fest da, dass nun auf der Kanzel mehr oder weniger unverständliche theologische Überlegungen angestellt werden über dieses unergründliche Geheimnis, das dem göttlichen Wesen anhaftet, dieses Geheimnis, dass Gott Einer ist, und doch zugleich in dieser Einheit unterschieden in den drei Personen Vater, Sohn und Heiliger Geist.

Darüber ist schon unendlich viel und unendlich Tiefsinniges gedacht worden, und doch –wie sollte es hinreichen, Gottes Wesen zu ergründen. Von dem Kirchenvater Augustin wird erzählt, er sei einmal am Strand des Meeres entlanggegangen, und da habe er ein Knäblein gesehen, das eifrig mit einer Muschelschale Wasser raus dem Meer schöpfte und auf dem Strande ausgoss. Er habe gefragt, was dies Tun bedeute, und das Knäblein habe ihm zur Antwort gegeben: Es wolle das Meer ausschöpfen. Da sei ihm deutlich geworden, dass Gott ihm durch dies Knäblein und sein kindliches Tun zeigen wollte: So ist es mit allem Denken und Grübeln über das Geheimnis des göttlichen Dreieinigkeit. Wir werden es mit all unserem Eifer nie ergründen können, so wenig wie jenem Knäblein sein Vorhaben gelingen könnte.

Seht: So stellt uns das Dreieinigkeitsfest vor das Geheimnis im Wesen Gottes. Doch: Wir brauchen vor diesem Geheimnis nicht zu erschrecken. Wir brauchen dies Geheimnis nicht zu scheuen. Es ist kein gefährliches, verderbliches, drohendes Geheimnis, mit dem sich Gott in seinem innersten Wesen umgibt. Vielmehr: Es ist ein tröstliches, ein heilsames und hilfreiches Geheimnis. Das zeigt uns der Apostel mit seinem wunderbaren Lobpreis Gottes, der ihm hilft, über die Dunkelheit dessen, was er vor Augen sieht, sich hineinzuschwingen in das helle Licht der göttlichen Herrlichkeit:

„O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes!

Wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!

Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen?

Oder wer hat ihm etwas zuvor gegeben, das ihm werde wieder vergolten? Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit. Amen.“

Seht – dieser Lobpreis ist es, mit dem sich der Apostel Paulus aus dem Dunkel der Anfechtung emporschwingt in das Licht der göttlichen Herrlichkeit. Denn das hat, wie wir aus den Kapiteln des Römerbriefes, die unserer Textstelle vorausgehen, erfahren, ihn ungeheuer bewegt und umgetrieben: Was wird aus meinem Volk? Aus diesem Volk, das Gottes Wundertaten in seiner Geschichte so ganz besonders erlebt hat, und das nun doch den Heiland in seinem Unglauben von sich stieß.

Was ist mit diesem Volk, so hat sich Paulus gefragt. Ist es endgültig verworfen, ist seine Gnadenzeit endgültig vorbei? Oder wird ihm Gott doch noch einmal einen Weg zum Heil eröffnen. Das war die schwere Frage, die den Apostel Paulus bewegte, ihn, der sein jüdisches Volk mit glühender Seele liebte, und der doch seinen Unglauben sehen musste, der sehen musste, wie die Heiden zur christlichen Gemeinde kommen, und wie die Juden die Predigt des Evangeliums nicht hören wollten, und ihr Herz dem Gnadenangebot Gottes verschlossen.

Nicht sein Verstand hat dem Apostel da geholfen, das Dunkel der göttlichen Gnadenwege zu lichten. Doch sein Glaube hat sich über dies Dunkel emporgeschwungen zu dem zuversichtlichen Lobpreis: „O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes!“ – Werden wir diesen Weg des Glaubens mit dem Apostel gehen können? Diesen Weg, der das Dunkel nicht leugnet, aber der nicht vor diesem Dunkel stehen bleibt, sondern hinfindet zum Lichte der göttlichen Herrlichkeit?

Nicht wahr: Auch uns mag hin und wieder der Unglaube eine wirkliche Anfechtung sein. Es mag uns die Frage bewegen: Wohin soll es gehen mit unserer Welt. Führt ihr Weg sie denn wirklich auf den Heiland zu, oder führt dieser Weg sie nicht immer weiter weg vom Glauben. Führt er sie nicht immer mehr hinein in den alles verderbenden Materialismus, der von Gott und Ewigkeit nichts mehr wissen will, sondern der sich damit begnügt, in den Tag hinein zu leben, nach dem uralten Motto: „Lasset uns Essen und Trinken, denn morgen sind wir tot!“

Und wenn es auch vielleicht nicht die ganze Welt ist, die diesen verderblichen Weg geht. Wenn auch vielleicht in Afrika oder Asien der christliche Glaube im Vormarsch begriffen ist: Wenigstens bei uns ist es doch so. Ist nicht wirklich der Glaube im Schwinden?

Wäre es vor hundert Jahren jemanden eingefallen, aus purer Gleichgültigkeit, ohne ausdrücklich aus der Kirche ausgetreten zu sein, seine Kinder nicht taufen zu lassen, seine Ehe nicht christlich einsegnen zu lassen? Wäre es damals möglich gewesen, dass nur 1/10 der Menschen am Sonntag in den Gottesdienst kommen, oder auf dem Land, wo ja die alte Sitte sich immer länger hält, nur 1/5? Ja, geht es nicht zu Ende mit der Christlichkeit unseres Volkes?

Hat es seine Geschichte mit dem christlichen Glauben, die nun schon 1100 Jahre dauert, endgültig hinter sich, und wird es wieder in den Unglauben und in ein neues Heidentum versinken? Und seht: Da wird diese Frage ja ganz besonders dringlich, wo wir nicht nur so gemeinhin den Unglauben und die Gottlosigkeit unserer Zeit und unseres Volkes bedauern, sondern wo wir diesen Unglauben und diese Gottlosigkeit in allernächster Nähe vor uns haben:

Wo wir merken, wie dieser Unglaube sich schon in dem aller engsten Bezirk unseres Lebens breitmacht. In unserer Familie, bei unseren allernächsten Angehörigen. Bei unseren Kindern, bei unseren Ehegatten. Welches Ende wird es mit ihnen nehmen. Seht, so leicht dürfen wir uns darüber nicht hinwegtrösten, indem wir sagen: Es wird schon noch einmal alles gut werden. Sie werden einmal schon noch einmal den Weg finden. Sie werden sich schon noch einmal zu Gott bekehren. So einfach dürfen wir es uns nicht machen!

Denn wer weiß, wie lange ein jedes von uns noch Zeit hat, sich zu Gott zu kehren? Wer weiß, wie lange ein jedes von uns noch Zeit hat, Gottes Gnadenangebot zu ergreifen? Wer weiß, wann für jedes von uns der Augenblick kommt, da er vor Gottes Richterstuhl treten muss, und Rechenschaft abzulegen hat über all sein Tun und Lassen!

Wie ist es mit denen, denen in ihrer Taufe Gottes Heil zugesprochen wurde, und die doch gezögert haben, dieses Heil zu ergreifen? So lange gezögert haben, bis es zu spät war? Seht, dieses Dunkel dürfen wir uns nicht verhehlen. Es ist da, dieses Dunkel des Unglaubens. Es ist da, dieses Dunkel des Abfalls, der Gottes Gnadenangebot ausschlägt. Es ist da mitten unter uns. Es ist da, dieses Dunkel des Unglaubens, ist da in unserer allernächsten Nähe. Und dieses Dunkel des Unglaubens, es ist ja zugleich das Dunkel des göttlichen Geheimnissen: „Wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte, und unerforschlich seine Wege.“ Warum hat er den einen weggerissen aus diesem Leben, ehe er zur Wahrheit des Glaubens gefunden hat?

Warum hat er den anderen durch wunderbare Führungen dahin gebracht, seine göttliche Wahrheit zu erkennen und sich mit ganzem Herzen an sie zu klammern. Und warum lässt er den Dritten laufen in die Gleichgültigkeit und Verhärtung des Herzens? Es ist das Dunkel des göttlichen Geheimnisses, dass er den Unglauben erträgt, dass er diesen Unglauben duldet. Es ist das Dunkel des Göttlichen Geheimnisses, dass er allen sein Heil anbietet, und dass es doch so gar viele sind, die dies Heil ausschlagen.

 

Aber dazu ruft uns der Apostel Paulus auf, dass wir nicht stehen bleiben vor diesem Dunkel. Dass wir uns nicht beirren lassen von diesem Dunkel, das uns vor Augen liegt, wenn wir die verderbliche Macht des Unglaubens betrachten. Sondern dass wir hineinschauen in das Licht Gottes, ins Licht seiner unbegreiflichen Herrlichkeit! Dass wir seinen unermesslichen Reichtum preisen. Den Reichtum seiner Wege. Seine Weisheit, die weiß Rat, wo wir nichts sehen als Abkehr und Gottlosigkeit.

Er erkennt, was vor unseren Augen verborgen ist. Und darum sollen wir darin Trost finden: Keiner ist verloren, solange ihn Gott nicht verlassen hat.

Keiner ist imstande, von Gott davonzulaufen, keiner ist imstande, sich in seinem Unglauben vor Gott zu flüchten – wenn Gott ihn nicht laufen lässt!

Seht, das ist nun das helle Licht, das aus dem Dunkel des göttlichen Geheimnisses uns entgegenleuchtet: Dass die Welt noch nicht verloren ist in ihrem Unglauben, solange Gott sich ihr zuwendet. Dass niemand vom göttlichem Heil ausgeschlossen ist, solange Gott ihn sucht, ihn sucht freilich auf unbegreifliche und unerforschliche Weise.

Dazu will uns Paulus helfen mit seinen herrlichen Lobpreis Gottes, dass wir erkennen: Bei aller Abwendung der Welt vom Glauben bleibt doch die göttliche Zuwendung zur Welt bestehen. „Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge.“ Schon die früheste Auslegung dieser Worte des Apostels hat in ihnen einen Hinweis auf das Geheimnis der göttlichen Dreieinigkeit gefunden. Einen Hinweis darauf, dass die ganze Welt, mit all ihrem für unseren Verstand so dunklen und undurchschaubaren Wesen, eingeschlossen ist in das dreieinige Wesen Gottes.

Seht, weil sie Gottes Welt ist, weil sie von ihm ist, darum ist diese Welt nicht heillos. Weil es Gottes, des Schöpfers Hand ist, die über ihr ruht und sie in ihrem Bestand erhält, Tag für Tag, darum kann diese Welt nicht vergehen im Dunkel ihres Abfalls. Weil sie durch Gott erlöst ist, durch Gott den Sohn, darum ist diese Welt nicht heillos. Weil Gott durch ihn, durch den Heiland, diese Welt sucht, weil er jeden sucht, der in dieser Welt lebt, darum kann diese Welt nicht vergehen in ihrem Ungehorsam. Wir können nicht wahrnehmen, wie das geschieht, es ist oft genug vor unseren Augen verborgen, wie durch Gott den Sohn alle Dinge geheilt sind, die des Menschen Sünde verderbt hatte. Und wissen doch in der Kraft unseres Glaubens: Durch ihn sind wir alle erlöst. Und zu ihm, zu Gott hin führen alle die vielfältigen, die so wirren und mannigfach verschlungenen Wege dieser Welt. Zu ihm – zu Gott hin werden alle Dinge ausgerichtet durch den Heiligen Geist.

Durch den Geist, der unsere Herzen neu macht, der uns zu Gott hinführt, der uns auf ihn weist. Durch diesen Geist, der unerkannt und doch so unendlich wirkungsmächtig die ganze Welt durchwaltet, und sie zu Gott hinführt.

 

Seht: Da ist das Licht, das unserem Glauben von dem dreieinigen Gott, von Vater, Sohn und Heiligen Geist leuchtet: Dass wir wissen: Gott hat sich nicht abgekehrt von dieser Welt. Er bleibt ihr zugewandt, als Gott Vater, der Schöpfer, von dem alle Dinge geschaffen sind, als Gott Sohn, der Erlöser, durch den alle Dinge geheilt sind, als Gott Heiliger Geist, der alle Dinge zu Gott hinzieht.

Seht, weil wir das wissen, darum soll uns der Unglaube, die Abkehr der Welt von Gott, die wir wahrnehmen, nicht beirren. Vielmehr: Wir wollen von Herzen einstimmen in den Lobpreis des Apostels: O welch eine Tiefe, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes…Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit.

Amen.