Röm 12,1-3
11./12.1.1986 (1. Sonntag nach Epiphanias)  Prackenfels

EG 300 ,1-2 Lobt Gott, den Herrn der Herrlichkeit
EG 398,1-2 In dir ist Freude
EG 67,1-5 Herr Christ der einig Gotts Sohn
EG 421 Verleih uns Frieden gnädiglich

Herr, unser Gott, der du uns in Jesus Christus gnädig erschienen bist, damit wir uns deiner Freundlichkeit freuen können, wir bitten dich, nimm uns in deinen Dienst, wie es dir gefällt, und vollbringe an uns und durch uns deinen Willen, durch unsern Herrn und Bruder Jesus Christus, deinen Sohn, ...

Liebe Schwestern und Brüder,
wie steht es mit deine Selbsteinschätzung? Und natürlich dann auch mit deiner Selbstdarstellung, die einer solchen Selbsteinschätzung entspricht. So fragt hier der Apostel und beruft sich ausdrücklich auf die ihn verliehene Gnade Gottes: „Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedermann unter euch, dass niemand höher von sich halte, als sich’s gebührt zu halten, sondern dass er von sich mäßig halte, ein jeglicher, wie Gott ausgeteilt hat das Maß des Glaubens.“ Wie steht es mit deiner Selbsteinschätzung? Und mit der dieser Selbsteinschätzung entsprechenden Selbstdarstellung? So höre ich das als Frage in der Mahnung des Apostels.
Aber kann ich mich dieser Frage überhaupt stellen? Darf ich mich ihr stellen und meine Selbsteinschätzung auf das angemessene Mittelmaß herabsetzen. Wohlgemerkt: Meine Selbsteinschätzung als Christ, als einer, der ein bisschen darüber Bescheid weiß, was Christsein heißt, was Glauben heißt? Kann ich das, oder bin ich nicht in meiner Selbsteinschätzung und erst recht in meiner Selbstdarstellung gebunden durch das, was an mich herangetragen wird. Wenn mir da einer sagt: „Für mich ist das im Augenblick ganz entscheidend wichtig, dass Sie glauben“ Soll ich das zurückweisen? Soll ich von meinen Zweifeln reden, von meinen Schwierigkeiten im Kopf und im Herzen? Soll ich einen solchen Menschen auf das Wort hinweisen, an das allein sich der Glaube hält? Aber offensichtlich ist für den in seiner augenblicklichen Situation das Wort nicht einfach abzulösen von meiner Person – oder soll ich lieber sagen: Von meiner Rolle als Theologieprofessor, als Amtsträger, als einer, von dem man doch mit Recht erwarten kann und erwarten muss, dass er glaubt. Wie kann ich da mäßig von mir halten – nach dem von Gott ausgeteilten Maß des Glaubens? Muss ich nicht die mir angetragene Rolle spielen, und gut spielen? Und dazu gehört dann doch auch, dass Selbstdarstellung und Selbsteinschätzung nicht zu weit auseinanderfallen; dass ich mich also auch als einen Glaubenden einschätze, wenn ich schon aufgrund der mir entgegen gebrachten Erwartung nicht umhin kann, mich als einen solchen Glaubenden darzustellen.
Sie wissen, wie das ist! Nicht nur der Pfarrer, der Berufschrist, ist mit dieser Frage konfrontiert. Sie betrifft auch sein Haus, mit dem zusammen er in einem gottgefälligen Leben denen vorangehen soll, die ihm anvertraut sind; und wer als Pfarrerskind groß geworden ist, der kennt die Konflikte und Schwierigkeiten, mit denen einer da konfrontiert ist. Man weiß das, wie uns das Sprichwort belehrt: Pfarrers Kinder, Müllers Vieh, geraten selten oder nie. Wie steht es mit der Selbsteinschätzung und mit der Selbstdarstellung unter dem Druck einer solchen Erwartung?
Liebe Schwestern und Brüder! Ich will nun nicht die Rollenprobleme, die einer als Pfarrer oder Pfarrfrau oder Pfarrerskind hat, zu sehr isolieren und herausnehmen aus den Fragen, den Problemen und Schwierigkeiten, in denen auch andere stehen, die als Christen in dieser Welt leben wollen. Aber es zeigt sich doch gerade hier die Problematik in einem ganz besonderen, scharfen, grellen Licht: Festgelegt zu sein auf meinen Glauben, den keiner von uns in der Tasche hat. Jeder ist darauf angewiesen, dass Gott ihm das Maß dieses Glaubens zuteilt.
Selbsteinschätzung und Selbstdarstellung müssten da sich auf ein recht bescheidenes Maß zurückgenommen werden. Aber es ist das doch keine private Selbsteinschätzung und Selbstdarstellung. Das meint ja auch der Apostel in seiner grundsätzlichen Aufforderung zum vernünftigen Gottesdienst: Handeln und Verhalten des Christen haben so etwas wie Signalcharakter. Sie sollen kenntlich sein als ein christlichen Handeln und Verhalten. Sie sollen Gottes Willen darstellen!
Wie das? „Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern verändert euch durch Erneuerung eures Sinns, auf dass ihr prüfen möget, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.“ Dabei haben wir es nun mit der ersten Hälfte dieser Mahnung scheinbar leichter als mit der zweiten. „Stellt euch nicht dieser Welt gleich“ – lateinisch heißt das: nolite conformari  huic saeculo. Nonkonformismus: Passt das also? Dass wir die uns in dieser Welt (die eine christliche Welt ist und sich ihre Religion und die Anstalt Kirche als religiöses Subsystem durchaus etwas kosten lässt) angetragene Rolle aufnehmen, um sie dann verkehrt herum zu spielen: Wenn sie Deutschlandlied und Bayernhymne singen, bleibe ich demonstrativ sitzen. Wenn sie gegen Atomwaffen und Atomindustrie auf die Straße gehen, dann marschiere ich mit, am besten im Talar, dass jeder gleich merkt: Das ist ein Pfarrer.  Wenn ich homosexuell veranlagt bin, tue ich das auch öffentlich kund, und bin ich „normal“, wie man sagt, dann solidarisiere ich mich doch wenigstens mit denen, die der verfemten Minderheit angehören.
Nonkonformismus also – nolite conformari huic saeculo. Aber passt das so? Ich verhehle nicht, dass ich gelegentlich und eher häufiger als andersherum mit solchem Nonkonformismus sympathisiere. Aber dass Paulus das so gemeint haben könnte, dagegen spricht doch die zweite Hälfte dieser Ermahnung mit ihrem Verweiß auf das Gute, das Wohlgefällige und das Vollkommene. Was das ist? Er benennt es als den Willen Gottes. Aber die Ausdrücke, mit denen er es benennt, eben: Das Gute, das Wohlgefällige, das Vollkommene – die weisen darauf, dass genau das gemeint ist, was die Leute als gut, als wohlgefällig, als vollkommen erkennen und anerkennen. Also doch lieber ein Konformismus, ein angepasstes Christsein – als solches auf jeden Fall vom Pfarrer (samt seinem ganzen Hause) praktiziert.
Liebe Schwestern und Brüder! Ich kann hier und ich kann angesichts dieses Textes nicht von etwas anderem reden als von dem, wie es ist, wie wir es erleben und erfahren, gerade auch in seiner Problematik, die jeder von uns kennt. Selbsteinschätzung und Selbstdarstellung, Selbstdarstellung und Selbsteinschätzung: Damit gehen wir um und müssen damit umgehen. Wir werden’s nicht los. Auch dann nicht, wenn wir uns entschließen zu dem, wozu Paulus hier auffordert: „dass ihr eure Leiber gebt zum Opfer, das da lebendig und heilig und Gott wohlgefällig sei.“ Was sollte ein solcher Entschluss auch verändern? Vielleicht einen Schwenk vom Konformismus zum Nonkonformismus? Oder umgekehrt – auch das beobachten wir ja. Aber vielleicht ist solche Selbsteinschätzung und solche Selbstdarstellung gar nicht das, worauf es ankommt. Noch einmal: Sie ist für uns als Christen, und gerade als Berufschristen, ungemein wichtig und beschäftigt uns zu Recht. Aber sollte sie nicht auch einmal aufgehoben werden können? Als Selbsteinschätzung und als Selbstdarstellung so aufgehoben, dass sich Gott ihrer bedient. Ob das dann ein konformistisches oder ein nonkonformistisches Rollenverhalten ist, darauf kommt es dann gar nicht so sehr an. Darauf kommt es an, dass es als Gottes Wille an uns kenntlich wird – als gut und als wohlgefällig und als vollkommen. Dann lasse ich es mir gefallen, Selbsteinschätzung hin oder her, auch einmal so eine Art verbum externum darzustellen, an das sich ein anderer hält. Ist vielleicht das gemeint, gerade das, wenn Paulus hier von dem vernünftigen Gottesdienst und dem Gott wohlgefälligen Opfer redet? Lassen wir es uns gefallen, dass wir zu dem werden, was andere aus uns machen. Es ist Gott, der uns das zuteilt, jedem das, was er tragen kann. Amen.

Herr, unser Gott, du willst unseren Dienst annehmen zu deiner Ehre. Wir bitten dich für die Christenheit, dass sie deine Freundlichkeit bezeuge in ihren Worten und in ihrem Tun. Wir bitten dich für unsere Landeskirche, ihre Kirchenleitung, ihre Pfarrer und Gemeinden. Gib uns Leben und Ordnung, wie es dir gefällt und dienlich ist. Gib Frieden und Gerechtigkeit unter den Völkern. Wehre der Angst und gib Hoffnung, Liebe und Glauben, dass wir menschlich miteinander leben können. Wir bitten dich, gib allen Menschen, was sie zum Leben brauchen, Arbeit, Nahrung, Freude und Anerkennung. Lass uns deine Güter gerecht verteilen. Wir bitten dich für die Eheleute, für Eltern und Kinder, für die Kranken, die Sterbenden, die Trauernden. Geleite uns durch dieses Leben in dein ewiges Reich. Amen.