Röm 13, 8-14
01.12.1991 (1. Advent), Erlangen – Neustadt

Frühgottesdienst mit Abendmahl
EG 4,1-5 Nun komm, der Heiden Heiland
EG 16,1-5 Die Nacht ist vorgedrungen
EG 1,5 Komm, o mein Heiland

Hauptgottesdienst
EG 11,1-3 Wie soll ich dich empfangen
EG 4,1-5
EG 1,5
EG 16,1-5

 

Du unser Gott, freundlich bist du uns begegnet in Jesus Christus, deinem Sohn, unserem Bruder. Wir bitten dich, lass uns die Hoffnung auf dein Kommen festhalten, und uns nach deinem Reich ausstrecken, durch unsern Herrn und Bruder Jesus Christus, deinen Sohn, der mit dir und dem Heiligen Geist lebt und regiert in Ewigkeit. Amen.

Liebe Gemeinde,
„die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbei gekommen.“  Das ist eine gute Nachricht. Wer einmal gewartet hat, schlaflos, bis es soweit ist, bis der Morgen graut, weiß: das ist eine gute Nachricht. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbei gekommen. Dass es so ... ist, wollte ich gerne zeigen, doch worauf soll ich hinzeigen? Wir, wir machen diesen nahenden Tag ja nicht, mit unserem Adventslichtlein, das wir anzünden. Gut! Es soll auf diesen nahenden Tag hinweisen, aber wir machen diesen nahenden Tag ja nicht! Auch nicht, wenn wir uns bemühen, jetzt ganz besonders sorgfältig und gewissenhaft das zu tun, was immer zu tun ist: Aufmerksam miteinander um zu gehen und rücksichtsvoll, wie das die Art der Liebe ist. „Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbei gekommen!“ Worauf soll ich hinzeigen, wenn ich denn beweisen soll, was ich zu sagen habe – wenn nicht auf das, was wir tun können? Dann gewiss auch tun.
Davon, was wir tun und tun können, redet der Apostel Paulus ja auch, und weist hin auf das, was uns allen wohl bekannt ist: „Seid niemand etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebt; denn wer den anderen liebt, der hat das Gesetz erfüllt.“ Und zählt dann einzelne Gebote auf, um klar zu machen, wie das aussehen könnte: „Denn was da gesagt ist: du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren, und was da sonst an Geboten ist, das wird in diesem Wort zusammengefasst: du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Ein Begründung braucht da nicht weit hergeholt zu werden: „Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.“
Also doch: Unser Tun als das Anzeichen dafür, dass der Tag nahe herbeigekommen ist? Aber damit würden wir ja gerade herumdrehen, was da gesagt wird, das Zweite zum Ersten machen und damit womöglich das Erste ganz versäumen: „und das tut, weil ihr die Zeit erkennt, nämlich dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden.“ Das wäre doch der Tag, der nahe herbeigekommen ist, unser Heil, wie Paulus hier sagt. Unser Heiland, der kommt, wie wir das heute am Adventssonntag feiern. Und wir warten darauf, das es wahr werden soll, was wir erhoffen. Sicher, wenn wir unsere Adventslichtlein anzünden, wollen wir hinweisen auf diesen Tag, der nahe herbeigekommen ist. Und wenn wir in dieser Zeit auf das Weihnachtsfest hin besonders aufmerksam und rücksichtsvoll bedenken, was da getan werden soll, bei den Nahen und bei den Fernen, dann wollen wir hinweisen auf die Zeit des Heiles, das uns verheißen ist. Aber unsere Adventslichtlein sind nicht der helle Morgenstern, der den kommenden Tag anzeigt. Und unsere Liebe ist nicht das verheißene Heil, auf das wir warten.
Worauf also soll ich hinzeigen, der ich doch dieses Wort auszulegen habe und tue mich schwer damit, das nun hier herzunehmen: „Das tut, weil ihr die Zeit erkennt, nämlich, dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden.“ Geht es uns nicht viel eher wie jenem Wächter, von dem da bei Jesaja die Rede ist: „Man ruft nur aus ... : 'Wächter, ist die Nacht bald hin? Wächter, ist die Nacht bald hin?' Der Wächter aber sprach: 'Wenn auch der Morgen kommt, so wird es doch Nacht bleiben. Wenn ihr fragen wollt, so kommt wieder und fragt.'“ Auf die Nacht hinzeigen, auf die Nacht, und immer nur auf die Nacht, das kann ich schon. Das Nachtleben – das ist in vollem Gang. Auf den Lasterkatalog kann ich da verweisen, den Paulus anführt: „Fressen und Saufen, Unzucht und Ausschweifung, Hader und Eifersucht.“ Und so ein Lasterkatalog lässt sich dann ja leicht ausbauen und fortschreiben: Ausbeutung und Üppigkeit, Hektik und Rücksichtslosigkeit, Protzerei und Konkurrenzneid, so läuft das – das Nachtleben können wir es nennen in der Bildsprache unseres Textes. Und jetzt, so vor Weihnachten, da dreht dieses Nachtleben doch noch einmal eine Tour auf – und die Adventslichtlein, die wir anzünden, und Aufmerksamkeit und Rücksicht der Liebe, um die wir uns bemühen, die verschwinden hinein in dieses Getriebe und werden mitgerissen, ob wir das wollen oder nicht.
Gewiss: Da ist die Mahnung, sich so nicht mitreißen zu lassen, die Aufforderung „lasst uns ehrbar leben, wie am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Unzucht und Ausschweifung, nicht in Hader und Eifersucht“ – nicht in Ausbeutung und Üppigkeit, nicht in Hektik und Rücksichtslosigkeit, nicht in Protzerei und Konkurrenzneid. Aber kommen wir in eine solche Distanz? Können wir uns denn heraushalten aus diesem Nachtleben? Gewiss: das will ich nicht gering schätzen, dass wir wenigstens noch hören: Dass da die gebotene Liebe ist und ihre Ausfaltung in jenen Geboten, die Paulus nennt: „Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren.“ Aber ist damit jener klare und feste Weg abgesteckt, den wir alle so nötig hätten – gerade in der Nacht so nötig hätten? Geht das an – einfach so ein Wort in diese Nacht hineinzuschreien: „Du sollst nicht töten!“ Und damit wäre dann geholfen und der Liebe ihr Recht geworden? Zum Beispiel in der Frage, die in unserer Landessynode in der letzten Woche wieder im Anschluss an die Rosenheimer Erklärung kontrovers diskutiert wurde: Wie es mit der Frage eines Schwangerschaftsabbruchs zu halten sei. In der Nacht und in jenem Nachtleben, auf das ich nicht hinzeigen muss, weil wir alle drin stecken bis über die Ohren – da ist es wirr und unklar, was das Richtige ist, gerade wo dann dieser oder jener Mensch, eine Frau, betroffen ist. Und wir machen die Nacht nicht zum Tag des Heiles, wenn wir da hineinschreien: „Du sollst nicht töten“ – und halten unser Gewissen nicht rein und können uns nicht befreien von unserer Schuld, in die wir verstrickt sind, wenn wir unsere Adventslichtlein anzünden und in diesen Wochen vor dem Weihnachtsfest uns bemühen, besonders rücksichtsvoll und aufmerksam miteinander umzugehen. Denn wir machen es ja nicht, dass der Tag kommt.
Wo soll ich dann hinzeigen, um das zu beweisen, was ich auszulegen habe: „Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen.“ Muss ich es nicht so halten, wie jener Wächter in dem bei Jesaja überlieferten Spruch, den sie fragen: „Wächter, ist die Nacht bald hin? Wächter, ist die Nacht bald hin?" Der Wächter aber sprach: "Wenn auch der Morgen kommt, so wird es doch Nacht bleiben. Wenn ihr fragen wollt, so kommt wieder und fragt“? Bleibt mir anderes übrig? Seht, wenn ich es anders könnte und besser könnte, als auf die Nacht und dieses wilde und chaotische Nachtleben hinzuweisen – soll ich den Lasterkatalog noch einmal herbeten: „Fressen und Saufen, Unzucht und Ausschweifung, Hader und Eifersucht“, Ausbeutung und Üppigkeit, Hektik und Rücksichtslosigkeit, Protzerei und Konkurrenzneid – nichts wäre mir lieber als das. Aber wollen wir uns denn etwas vormachen? Das machte auch nicht den hellen Tag, den Feiertag, die Gnadenzeit, nach der uns verlangt: Uns, die diese verheißene Zeit kennen, weil wir das Gotteswort kennen und jene alle, die sie so nötig haben, wie wir.
Es ist nicht viel, was uns bleibt: den hellen Tag machen wir nicht. Aber ich will nun auch nicht schwarz in schwarz malen. So dunkel ist die Nacht doch nicht, dass da alle Katzen grau sind! Da ist mir auch jemand mit Aufmerksamkeit begegnet und voll Rücksicht, wie das die Sache der Liebe ist. Und jenes Nachtleben, das Paulus mit seinem Lasterkatalog beschreibt, ist nicht die Welt Gottes, in der sein guter Wille wirksam ist. Hier und dort leuchtet das auf, und manches Mal lässt es sich sehen und wahrnehmen. Wir machen den Tag nicht, auch so nicht. Aber ich weiß, dieses Nachtleben, das ist er nicht, der Tag, Gott sei Dank. Der Tag kommt. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen. Er hat seinen Namen, dieser Tag – Gott sei’s gedankt durch unseren Herrn Jesus Christus: Er hat ein Gesicht, dieser Tag: Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und vertritt uns. Wir können ihn herbeirufen und anrufen: Maranatha, unser Herr kommt. Amen, ja komm, Herr Jesus.

Gott, in unsere Nacht hinein lass das Licht deines kommenden Tages leuchten, damit wir den Weg finden, den du zeigst. Wir bitten dich für deine Gemeinde an diesem Ort und in aller Welt, Erleuchte sie, gib ihr Frauen und Männer, die in Vollmacht dein Wort sagen und deinen Willen kundtun, damit wir nicht allein bleiben, sondern deine Leitung erfahren.
Wir bitten dich für die Völker und Staaten, für alle, die Macht erleiden und Macht ausüben. Hilf du, dass die Menschen zusammenfinden und gemeinsam dem folgen, was gerecht ist. Schaffe du Frieden für die geplagten Menschen in Jugoslawien.
Wir bitten dich: Gib allen Menschen, was sie brauchen – Brot und Arbeit, Heimat und Anerkennung.
Wehre du der Selbstsucht und der Ausbeutung von Mensch und Natur und bewahre deine Geschöpfe.
Wir bitten dich: Besuche die Einsamen und Kranken, geleite die Sterbenden, tröste die Trauernden.
Wir warten auf den Tag deines Heiles. Komm, Herr Jesus! Amen.