1.Juli 1956                   5. nach Trinitatis                             Münsingen

 

143, 1-3     O Gott, du höchster

242, 1.6     Er ist das Heil…

166,3                  Allein zu dir

166, 4                 Allein zu dir

 

Hes 18,21-32

Römer 3,21-28

 

Liebe Gemeinde!

 

Wir sind daran gewöhnt, dass in unseren Kirchen das Bild des Gekreuzigten steht. Wir sind daran gewöhnt, dass dies Kreuz das Zeichen unseres christlichen Glaubens ist.

Wir sehen dies Kreuz an als die Hilfe, die es uns ermöglichen soll, unser eigenes Kreuz zu tragen. Doch darüber, liebe Freunde, dürfte unter uns keine Unklarheit herrschen: Das Kreuz Christi und das Kreuz unseres Lebens, das ist zweierlei. Nicht darum glauben wir an Jesus Christus, weil er uns gezeigt hat, dass es eben keinem von uns erspart bleibt, sein Kreuz zu tragen bis zum Ende. Und weil er zugleich gezeigt hat, dass den Gottes Vergeltung in einem besseren Jenseits erwartet, der sein Kreuz bis zum Ende im Vertrauen auf Gott trägt.

 

Nein! Christi Kreuz und unser Kreuz, die sind ganz und gar verschieden. Verschieden nicht nur durch ihr Gewicht- ist doch manchem unter uns ein Kreuz auferlegt, das ihn fast zu Boden drückt. Nein! Christi Kreuz ist das Kreuz des Unschuldigen. Er ist gestorben, weil ihn die Menschen nicht ertragen konnten. Weil er nämlich das Bild des Menschen verkörperte, wie ihn Gott haben will. Weil er in seinem Leben, in sein Reden, in seinem Tun die Herrlichkeit Gottes bezeugte, bezeugte, dass nur Gott und niemand sonst, auch nicht wir selber, Herr ist über den Menschen. Das heißt aber: Er nahm nicht Rücksicht auf die Ordnungen und Gesetze dieser Welt. Er nahm nicht Rücksicht auf die Konventionen, die sich unter uns Menschen ausgebildet haben, von denen wir meinen, dass wir ohne sie nicht leben könnten, auf deren Einhaltung wir daher eifersüchtig bedacht sind. Nicht wahr, wir nehmen Rücksicht aufeinander, wir vermeiden es möglichst, einander zu nahe zu treten. Wir schwiegen lieber, als dass wir einem Andern eine unangenehme Wahrheit so direkt ins Gesicht hinein sagen.

Das gehört sich nicht, dass ich zu einem Menschen, mit dem ich zu tun habe, so ganz direkt etwas sage: Du bist ein Lügner. Du bist ein krasser Egoist, der nur darauf aus ist, möglichst gut zu leben. Du bist fromm, du gehst in die Kirche, du gibst dein Opfer für gute Zwecke einzig aus dem Grund, um dich mit Gott gut zu stellen, um dir einen möglichst bevorzugten Platz im Himmel zu sichern. – Ich sage, wir schweigen lieber, als einem anderen so nahe zu treten, wenn wir auch ähnlich und vielleicht noch viel schlimmer über ihn denken. Warum eigentlich? Weil wir uns vor einer Rückfrage fürchten, die uns selber sehr unangenehm werden könnte, vor der Frage nämlich: Wie steht es denn mit dir? Wenn du mir vorwirfst, ich hätte gelogen- bist du denn mit jedem Wort und in jeder Tat ehrlich? Wenn du mir vorwirfst, ich sei ein Egoist, der nur an sich selber denkt, an sein Fortkommen und das seiner Kinder, an seinen beruflichen Erfolg, an sein Geschäft und dessen Ausbau - wie steht es denn mit dir?

Doch nicht um ein Haar anders. Wenn du mir vorwirfst, ich sei ein Kirchenspringer, dem es nur um seine himmlische Lebensversicherung geht - bist du vielleicht um ein Haar besser, der du dir etwas darauf einbildest, ein treues Gemeindeglied zu sein, oder ob du dir etwas darauf einbildest, gerade kein Kirchenchrist zu sein, sondern deinen Gott im stillen Kämmerlein oder in der freien Gottesnatur zu finden. Ich sage, liebe Freunde, wir vermeiden es lieber, einander so nahe zu treten, weil wir die Rückfrage fürchten: Wie steht es denn eigentlich mit dir? Und glaubt doch bitte nicht, dass da die Pfarrer eine Ausnahme machten!

 

Doch er, Jesus, hat diese Rückfrage nicht gefürchtet, er brauchte sie nicht zu fürchten: War er doch der absolut Ehrliche, ohne Falsch in Wort und Tat. War er doch der Einzige, bei dem das Ich mit seinem Wünschen und Begehren ganz und gar ausgelöscht war, und nur das Du etwas galt. War er doch der einzige, der sich ganz und gar, ohne jeden Hintergedanken, ohne jede Berechnung in den Willen Gottes einfügte. Darum haben sie ihn damals nicht ertragen, den Jesus von Nazareth, der ein Mensch nach Gottes Willen war, darum haben sie ihn nicht hören wollen, darum haben sie es sich energisch verbeten, dass er ihnen zu nahe trat. Und als er sich nicht zum Schweigen bringen lies, als er immer weiter in Wort und Tat den Willen Gottes vollbrachte, da haben sie ihn ans Kreuz geschlagen. Und ich bin davon überzeugt, dass das heute nicht ein Deut anders wäre. Dass auch wir versuchten, diesen Menschen, der unsere Konventionen nicht achtet, der uns zu nahe tritt, auszuschalten, zu beseitigen. Vielleicht würden wir ihn nicht ans Kreuz schlagen, sondern ihn in ein modernes Irrenhaus einsperren, ihn da mit allem Komfort unter fachärztliche Betreuung lebendig begraben. Aber weg müsste er. Darum, liebe Freunde, ist das Kreuz Christi etwas ganz anderes als unser Kreuz, weil es das Kreuz des Unschuldigen ist, weil es unübersehbares Zeichen dafür ist: Die Welt konnte den nicht ertragen, der ein Mensch nach Gottes Willen war. Den einzigen, der darum in der Schrift der eingeborene liebe Sohn Gottes genannt wird. Entweder der Gottessohn oder wir, die von Gott abgefallenen Menschen. Beide zugleich konnte die Welt nicht ertragen. Darum ist er gestorben! Das will uns das Kreuz Christ sagen, das in unserer Mitte aufgerichtet ist. Aber damit stellt sich uns jetzt in aller Schärfe die Frage, auf die der Apostel in unserem heutigen Schriftabschnitt die Antwort gibt: Warum hat Gott das zugelassen? Ist das gerecht, dass der Unschuldige stirbt, dass die Schuldigen am Leben bleiben? Warum hat Gott nicht eingegriffen? Warum hat er sie nicht weggefegt mit seinem allmächtigen Arm, die selbstgerechten Pharisäer und den eiskalt berechnenden Pilatus, die brüllenden Volksmassen und die höhnenden Kriegsknechte?

Was ist das für eine Gerechtigkeit Gottes, die uns entgegentritt in der Gestalt des Gekreuzigten in unserer Mitte?

 

Das Erste, was uns als Antwort auf diese Frage nach der Gerechtigkeit Gottes zuteil wird, ist dies: Weil Gott geurteilt hat, ist uns jedes Urteilen verwehrt. Wie dies Urteil Gottes lautet, brauche ich euch nicht zu sagen. Ich brauche nur auf den hinzuweisen, an dem dies Urteil Gottes vollstreckt wurde. Da hängt er, blutend aus vielen Wunden, das Haupt im Tode zur Seite geneigt. Jawohl, das ist das Urteil Gottes: Tod! Er ist des Todes schuldig! Aber wer denn! Der da am Kreuz hängt? Über den der Hohepriester Kaiphas das Todesurteil ausgesprochen hat, dessen Todesurteil dann von dem Römer Pontius Pilatus bestätigt und von den römischen Soldaten vollstreckt wurde? Ist es dieser, über den Gottes Todesurteil ergangen ist? Soviel steht jedenfalls fest, liebe Freunde, dass es an ihm vollstreckt wurde, dieses Todesurteil. Dass Gott es jedenfalls nicht verhindert hat, dass Jesus aus der Gemeinschaft der Menschen, ja seines auserwählten jüdischen Volkes ausgestoßen wurde, dass er als Verbrecher verurteilet und hingerichtet wurde. Aber gilt Gottes Todesurteil wirklich ihm? Er hat es doch nicht verdient zu sterben. Er am wenigsten von allen Menschen, die damals in Jerusalem waren, er am wenigsten von all den Millionen Menschen, die damals und zu allen Zeiten auf der weiten Erde lebten und leben.

Also ist Gott doch ungerecht? Eigentlich legt sich dieser Schluss sehr nahe. Eigentlich – ja, was hätte Gott eigentlich tun sollen? Wir können ja einmal versuchen, uns das auszumalen. Gott hätte sie vernichten sollen durch eine neue Sintflut, Kaiphas und den ganzen hohen Rat in seiner Selbstgerechtigkeit, den Pilatus und die römischen Soldaten in ihrem brutalen Machtdenken, das Volk in seiner Gleichgültigkeit und in seinem Wankelmut, mit seinem Hosianna und mit seinem Kreuzige ihn, - die ganze verderbte Menschheit hätte Gott umbringen sollen, hätte sich neue Menschen schaffen sollen durch Jesus und die wenigen, die ihm glaubten, eine gerechter, gottgefälligere Menschheit als die, die heute die Erde bevölkert. Das wäre Gerechtigkeit Gottes, wie wir sie eigentlich erwarteten, das wäre Gerechtigkeit Gottes, wie sie unserem Denken entspricht! So hätte der Karfreitag aussehen müssen, wenn – ja wenn wir an der Stelle Gottes säßen, wenn unser Gerechtigkeitsgefühl zu bestimmen hätte, was geschehen soll. Liebe Freunde, so sieht die Gerechtigkeit aus, die unser Denken bestimmt. So seht die Gerechtigkeit aus, die unser Gewissen fordert: Strafe für den Schuldigen, Freispruch für den Unschuldigen. Aber wenn dies unser Denken, diese unsere menschliche Gerechtigkeit zu bestimmen hätte, was geschieht - wo wären wir dann? Tot, vernichtet, bei denen, die das Urteil getroffen hat. Es ist vielleicht wirklich einmal nötig, diese Gedanken zu denken, sie in all ihren Konsequenzen durchzuführen. Denn sonst verstehen wir wohl kaum, was uns Paulus über Gottes Gerechtigkeit zu sagen hat. „Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit Gottes offenbart.“

Gottes Gerechtigkeit steht über dem Gesetz, das uns schuldig spricht in unserem Gewissen. Gott steht über der menschlichen Gerechtigkeit, die den Tod des Übeltäters fordert. Von dieser Gerechtigkeit spricht der Prophet Hesekiel „Meinest du, dass ich Wohlgefallen habe am Tod des Gottlosen, spricht der Herr, Herr, und nicht vielmehr, dass er sich bekehre von seinem Wesen und lebe„ (18,23). Freilich, unser Verstand vermag nicht zu begreifen, warum das so ist. Unser Gerechtigkeitssinn sträubt sich immer wieder dagegen, dass dies wirklich gerecht sein soll, was Gott getan hat: Dass der Unschuldige das Todesurteil erleidet, damit die Schuldigen frei ausgehen. Aber müssen wir sie denn überhaupt begreifen, diese unbegreifliche Gottesgerechtigkeit? Genügt es nicht vielmehr, dass wir sie nur anschauen, dankbar und gläubig anschauen in dem Bilde des Gekreuzigten der für uns den Tod erlitt. In seinem Bild, das mit Recht den Ehrenplatz einnimmt in unseren Gotteshäusern. In seinem Bild, das uns immer neu zuruft: Gott hat geurteilt – wer will da widersprechen? Gott hat geurteilt – darum ist uns das Urteilen verwehrt.

 

Gottes Gerechtigkeit ist unbegreiflich in ihrem gnädigen Freispruch. Darum – das ist das Zweite, was wir uns merken wollen -

Weil Gott sein Urteil an dem Gerechten vollstreckt hat, darum ist uns jeder Blick auf unsere Gerechtigkeit verboten.

Wie meine ich das? Jeder von uns möchte doch gerne wissen, was er wert ist. Wir freuen uns über jedes Lob, jede Anerkennung, die wir finden. Aber im letzten Grunde genügt uns das doch nicht so richtig. Wir hätten gern ein objektives Urteil darüber, was wir wirklich wert sind. Ein objektives Urteil darüber, dass wir uns nicht verstecken brauchen vor Anderen, dass wir unseren Mann stellen im Leben, dass unser Arbeiten und Schaffen nicht umsonst ist.

Ist der äußere Erfolg ein solcher Maßstab? Der Erfolg im Beruf, die Strecke, die wir vorwärtskommen im Leben? Das Ansehen, das wir genießen in Familie und Nachbarschaft, in Gemeinde und Staat? Aber wir wissen ja selber ganz genau, dass das nicht nur von unserer Tüchtigkeit abhängt, sondern auch von Glück oder Unglück, von vielerlei Umständen, die ganz und gar nicht in unserer Macht stehen. Nein, dieser Maßstab dessen, was wir wert sind, müsste sicherer sein, nicht so sehr abhängig von Glück und äußeren Umständen, ein Maßstab, den uns selbst das widrigste Schicksal nicht zerbrechen könnte. Haben wir diesen Maßstab nicht an unserem Gewissen, diesen Maßstab, der uns untrüglich unseren Wert anzeigt. Dass wir etwa sagen können, wie ich das schon oft von den verschiedensten Menschen gehört habe: Ich habe mir nichts vorzuwerfen, und niemand kann mir etwas Unrechtes nachsagen. Ich bin ein guter Familienvater - oder eine aufopfernde Mutter, ein fleißiger Arbeiter, ein treuer Christ gewesen bis heute. Das ist mein Wert, den mir niemand nehmen kann. Und dabei - seien wir einmal ganz ehrlich, - schleicht sich dann ganz unversehens der Gedanke ein: Auch der Herrgott im Himmel wird diesen Wert anerkennen müssen. Auch Gott im Himmel wird einmal bestätigen müssen: Du bist ein recht schaffender Mensch gewesen – geh ein in meine himmlische Herrlichkeit. (Zum mindesten erwartet man, dass der Pfarrer am Grab diese Bestätigung geben wird.)

 

Es kann aber auch ganz anders kommen: Dass wir eines Tages erweckt werden in unserem Gewissen, aufgerüttelt aus der Selbstsicherheit und Trägheit, in der wir bisher gelebt haben. Dass wir mit Schrecken erkennen, wie weit wir der Welt verfallen waren. Dass uns ein ganz bestimmter Punkt deutlich wird, wo wir in besonderer Weise der Sünde verhaftet waren. Das kann eine Unehrlichkeit sein, die uns so zur Gewohnheit geworden ist, dass wir es kaum mehr bemerkten, wenn wir logen. Er kann Gleichgültigkeit und Lieblosigkeit gegenüber dem Ehegatten sein – bei jedem etwas anderes, und doch bei allen das gleiche: Wie fühlen mit aller Bestimmtheit, dass es so nicht weitergehen kann. Wir fühlen den Anruf: Es muss anders werden mit dir. Du musst der Lüge, der Lieblosigkeit, oder was es immer sein mag, den Kampf ansagen, musst dich gegen die Welt stellen, die dich gefangen nehmen will. Und dann beobachten wir uns selber in diesem Kampf. Wir registrieren Fortschritte und Rückfälle. Wir beobachten uns ängstlich. Wir vergleichen uns mit anderen, von denen wir glauben, dass sie noch in der Welt gefangen sind. Und bei diesem Vergleich finden wir, dass wir doch ein gutes Stück weitergekommen sind, finden, dass wir durch unsere Entscheidung doch ganz andere und neue Menschen geworden sind. Finden, dass Gott das doch eigentlich auch merken müsste, dass er dem seine Anerkennung doch wohl nicht gut versagen könne, was wir da geleistet haben. Dass wir nun doch eigentlich zu ihm gehören und nicht mehr zur Welt, und dass er davon auch Notiz zu nehmen habe, und seine besondere Fürsorge und sein besonderes Wohlwollen zuzuwenden habe.

 

Aber auch dies kommt immer wieder vor: Wir merken, dass die Welt stärker ist als unser Wille, dass wir unsere Entscheidung doch nicht durchhalten können, dass wir immer und immer wieder gerade dort zu Fall kommen, wo wir uns ganz besonders in acht nehmen wollten. Und wir geraten in Zweifel, in Angst und Anfechtung, unser Gewissen klagt uns an, wir sehen unseren Wert, den dies Gewissen doch eigentlich bestätigen sollte, dahinschwinden, wir verzweifeln an uns selber und an unserem ewigen Heil.

 

Liebe Freunde! Weil Gott sein Urteil an dem Gerechten vollzogen hat, darum ist uns jeder Blick auf unsere eigene Gerechtigkeit – und auf unsere eigene Ungerechtigkeit verboten. Hätte Gottes Sohn, hätte der Gerechte Jesus sterben müssen, wenn es irgendeinem Menschen möglich gewesen wäre, sich einen Wert zu geben, den auch Gott anerkennen muss? Hätte er unser Todesurteil auf sich nehmen müssen, wenn unsere Rechtschaffenheit, das Ansehen, das wir vor uns selber uns vor unseren Mitbürgern haben, genügen würde, um diesem Todesurteil zu entgehen. Hätte er sterben müssen, wenn es uns möglich wäre, uns herauszuhalten aus Welt und Sünde wenn es dazu nur einer klaren Entscheidung bedürfte und einer ausdauernden Willensanstrengung?

 

Nein! Nicht wir können den Wert bestimmen, den unser Leben in den Augen Gottes hat. Nicht an uns, auch nicht an unserem Gewissen ist es, das Urteil über uns selber  zu sprechen. Schauen wir auf zu den Gekreuzigten, so vergeht es uns, an unseren eigenen Wert zu denken. Das ist unser Wert: Verdammt, hingerichtet. Wo bleibt nun der Ruhm? Er ist ausgeschlossen. Weil Gott sein Urteil an dem Gerechten vollstreckt hat, darum ist uns der Blick auf unsere Gerechtigkeit, auf unseren Wert verboten. Aber damit ist nun noch nicht alles gesagt, was uns das Kreuz Jesu zeigt von der Gerechtigkeit Gottes. Vielmehr: Gottes Urteil, das den Gerechten tötet, macht den Sünder gerecht.

 

Es wäre unendlich viel zu sagen über dies tiefste Geheimnis christlichen Glaubens. Darf ich versuchen, wenigstens in einigen kurzen Andeutungen davon zu reden.

Einmal: Der Wert unseres Lebens entscheidet sich nicht an den Maßstäben, die wir daran anlegen. Vielmehr: Wie wertvoll wir sind in den Augen Gottes, das zeigt sich daran, dass er um unsertwillen seinen Sohn in den Tod gegeben hat. Was brauchen wir nach einer anderen Bestätigung unseres Wertes zu suchen? Was brauchen wir zu vertrauen auf unsere Rechtschaffenheit? Was brauchen wir eine Bestätigung durch unseren Erfolg im Leben?

Was brauchen wir zu beobachten, wie weit es uns gelungen ist, der Welt und der Sünde zu entfliehen? Was brauchen wir zu verzweifeln, wenn wir immer wieder das Ziel der Heiligung nicht erreichen, das wir uns gesteckt haben? Was brauchen wir uns groß zu bekümmern um die gute oder schlechte Meinung, die andere von uns haben?

 

Liebe Freunde! Wenn wir wissen wollen, was wir wert sind, dann haben wir nur auf den zu schauen, der um unsertwillen am Kreuz hängt. Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf das alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Solchen Wert haben wir in den Augen Gottes!

 

Doch ein zweites ist ebenso wichtig, wie diese Erkenntnis des Glaubens, die uns lehrt, welchen Wert wir für Gott haben. Es könnte ja nach dem Gesagten leicht das Missverständnis aufkommen, gegen das sich schon der Apostel Paulus wehren musste: Weil es ja doch nicht möglich ist, Gottes Willen so ganz zu erfüllen, dass wir ihm gefallen könnten auch ohne Christus, darum lassen wir uns nun ruhig gehen in unserem Leben.

Christus ist ja für uns gestorben – da kommt es nun doch auf meine Sünde, auf ein kleines mehr oder weniger Ungerechtigkeit in meinem Leben, gar nicht mehr an. Nein! Jetzt gerade, wo wir erkennen, dass Gott unser Leben, dein und mein Leben, für so wertvoll erachtet, dass er dafür das Leben seines Sohnes in den Tod gibt. Jetzt gerade gilt für uns: Dein Leben gehört nicht mehr dir! Es gehört dem, der für dich gestorben ist. Wir sind nun Christi Eigentum, seine Knechte, die nicht mehr nach ihrem eigenen Willenleben können, sondern nach dem Willen dessen, dem sie gehören. Er unser Herr, hat die Sorge für unser Leben übernommen. Und zwar für unser Leben, das nicht mehr allein dies zeitliche Leben ist, sondern das ewige Leben, das uns auch durch den Tod nicht mehr geraubt werden kann. Er hat diese Sorge für uns übernommen, und darum sind wir nun frei dazu, das zu tun, was sein Wille von uns fordert.

Nicht wahr, es wäre sehr einfach, diesen Dienst zu tun, wenn Christus sich irgendwo in unserer Mitte niederlassen würde, wie ein weltlicher Herr in seiner Residenz, uns wir uns nun als sein Gefolge um ihn  scharen könnten, ihm diesen, seine Befehle ausführen könnten. Doch das ist nicht sein Wille. So ist er nicht unter uns zu finden. Er ist nicht in unserer Mitte, wie ein Mensch, der dieser Welt angehört. Und darum sind wir oft genug ratlos, auch wenn wir den besten Willen haben, ihn nun wirklich zu dienen, ihm nun wirklich das zurückzuerstatten, was er in seiner unbegreiflichen Gerechtigkeit uns geschenkt hat: Unser Leben. Aber er hat uns doch eine klare Weisung gegeben, wie wir ihm diesen Dienst tun können, den wir ihm schuldig sind.

Er hat nämlich einen Stellvertreter auf Erden eingesetzt, uns angewiesen, diesem den Dienst zu tun, den wir dem Herrn schuldig sind. Diese Stellvertreter ist nicht der Papst in Rom. Er ist sehr verborgen, dieser Stellvertreter Christi, und wird von uns immer wieder übersehen, er, dem doch unser Leben gehören soll, das der Herr vom Tod losgekauft hat. Er hat viel Namen, viele Gesichter, vielerlei Bedürfnisse und vielerlei Not. Wir kennen ihn alle unter seiner allgemeinsten Bezeichnung, diesen Stellvertreter Christi: Es ist de Nächste.

Liebe Freunde: Entschuldigen wir uns nun nicht wie jener Schriftgelehrte im Evangelium mit der Frage: Wer ist denn mein Nächster? Dem der Herr dann statt einer Antwort das Gleichnis vom barmherzigen Samariter erzählte. Sondern nehme wir das wirklich herein in unser Leben, das uns durch Christi Opfer geschenkt ist: Dies Leben gehört nun nicht mehr uns, sondern Christus und seinem Stellvertreter, dem Nächsten. Wenn wir damit von Herzen Ernst machen, dann sind wir gerecht. Dann ist die Gerechtigkeit Gottes auch an uns offenbar geworden, diese Gerechtigkeit Gottes, die nicht den Tod des Sünders will, sondern die macht, dass er sich bekehrt von seinem bösen Wesen und lebt.

Amen