Tit 2,11-14
24.12.1959 (Christvesper), Wolfenhausen/Nellingsheim

EG 27,1-6 Lobt Gott ihr Christen
EG 23,1-7 Gelobet seist du, Jesu Christ
EG 37,4 Ich steh an deiner Krippen hier
EG 39,7 Kommt und lasst uns Christus ehren

Lk 2,1-18
Tit 2,11-14

Liebe Gemeinde,
Weihnachten, das ist doch heutzutage für unser Gefühl das größte, das wichtigste Fest, obwohl das in der Geschichte der Christenheit gar nicht immer der Fall gewesen ist. Aber wir sind das ja eigentlich schon von Kind auf gewöhnt, wo wir die Zeit von Weihnachten bis Weihnachten gerechnet haben. Wo wir, kaum war das Weihnachtsfest vorüber, schon gefragt haben: Wann ist es denn wieder Christtag? Warum war es uns denn schon als Kindern so lieb, dieses Fest? Es hatte eben seinen Zauber, und im Mittelpunkt dieses Weihnachtszaubers stand das Christkindle. Wir haben es uns einmal vorgestellt als ein seltsames, nicht ganz klar fassbares Wesen, das an Weihnachten all die schönen Sachen gebracht hat. Freilich, den Glauben an dieses Christkindle, das an Weihnachten all die schönen Dinge bringt, den haben wir sehr rasch verloren. Und die Bezeichnung „Christkindle“, die ist eben an diesen Dingen hängengeblieben. Und jetzt ist alles ein „Christkindle“, was wir auf Weihnachten so bekommen, bis hin zu der Weihnachtsgratifikation und der Belegschaftsdividende, die vom Betrieb auf Weihnachten ausgeschüttet wird.
Warum heißt denn das alles „Christkindle“? Selbstverständlich: sobald wir diese Frage stellen, vermögen wir sie auch zu beantworten. Christkindle – das ist das Christuskind, dessen Geburtstag wir heute begehen. Jenes Kind, das wir kennen, das wir als den Mann kennen, als Jesus, unseren Heiland. Als den, von welchem es in unserem Text heißt „unser Heiland Christus Jesus, der sich selbst für uns gegeben hat, auf dass er uns erlöse von aller Ungerechtigkeit“. Von ihm hat all das, was wir als „Christkindle“ bezeichnen, seinen Namen. Nicht nur seinen Namen, sondern auch seinen Sinn. Denn welchen anderen Sinn können denn alle jene Gaben, mit welchen wir uns an Weihnachten beschenken, überhaupt haben, außer dem, dass sie hinweisen auf die eine, die große und unermessliche Gabe Gottes: Sein Christuskind, seinen Heiland, welchen er uns geschenkt hat. Nur eben als Hinweis auf jene Gabe hat all unser Geben seinen Sinn – als eine Nebensache, die eben neben jener Hauptsache, neben dem Christuskind, das Gott uns geschenkt hat, nebenher geht – wirklich nur als eine Nebensache!
Freilich – wer weiß das noch? Ist es nicht bei uns gemeinhin genau umgekehrt? So, dass die vielerlei Christkindle, das wir schenken und geschenkt bekommen, zur Hauptsache geworden sind, und dass Gottes Gabe eben noch gerade zu dem traditionellen Rahmen des Festes halt mit dazu gehört. Dass diese Gabe Gottes dazu dient, unserem Schenken und Beschenkt-Werden eine feierliche Stimmung zu geben, einen religiösen Hintergrund. Dass zu Weihnachten eben neben vielem anderem auch noch das „Stille Nacht“ und das „O du fröhliche“ dazugehört, die stimmungsvolle Weihnachtsgeschichte, der Stall von Bethlehem, und die Engel und die Hirten. Dass es mit dazugehört, neben vielem anderem, und dass es eben gerade nicht mehr die Hauptsache ist, der Mittelpunkt, um den sich alles andere mehr oder weniger am Rande des Festes gruppieren sollte.
Seht – wir sind es eben von klein auf gewöhnt, dass wir unser gutes Recht haben auf unsere verschiedenen Christkindle, von den Eltern, von den Paten, vom Arbeitgeber, von der staatlichen Fürsorge. Wir sind daran gewöhnt, halten das für ein selbstverständliches Recht. Und weil wir auf diese Gaben, die ja doch eigentlich nur eine Nebensache sind bei unserem Fest, einen Rechtsanspruch zu haben glauben, darum haben wir es so schwer, nun doch die eigentliche Hauptsache, Gottes Gabe, sein Christuskind, recht zu empfangen. Gehört es uns nicht eben auch zu den Selbstverständlichkeiten des Festes, auf die wir einen Rechtsanspruch zu haben glauben, dass das wirklich uns gilt, jenes: „Euch ist heute der Heiland geboren“. Haben wir darauf ein Recht, wie auf alle unsere Christkindle, mindestens ein durch lange Übung fest eingebürgertes Gewohnheitsrecht? Seht – das ist die Gefahr bei unserer Art, das Weihnachtsfest zu feiern, dass wir meinen, es gehöre eben auch dazu, als ein Stück, auf das wir genauso unser Recht haben wie auf unser Christkindle, jenes „Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen.“ Und es ist nicht ganz leicht, dieser Gefahr zu begegnen. Darum ist es sehr gut, wenn es dort beim Apostel weitergeht: „Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes und nimmt uns in Zucht.“ Das heißt: Nicht wir haben ein Recht, ein selbstverständliches Recht darauf, das uns Gottes Gnade erschienen ist, sondern umgekehrt: Das, dass Gottes Gnade erschienen ist, dass uns der Heiland geboren ist, das begründet einen Rechtsanspruch Gottes uns gegenüber. Nicht Gott ist uns gegenüber verpflichtet, uns seine Gnade zukommen zu lassen, mögen wir im Übrigen tun und lassen, was wir wollen, sondern, wenn wir es recht verstehen, was das heißt, dass uns der Heiland geboren ist, so bedeutet es, dass wir verpflichtet sind, uns von ihm in Zucht nehmen zu lassen. Uns von ihm erziehen zu lassen. Uns von ihm zeigen zu lassen, was das heißt, „züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser Welt.“
Seht, dann haben wir Gottes Geschenk, sein Christkind, richtig empfangen, wenn wir es als Maßstab für unser Leben nehmen. Wenn wir begreifen, dass wir durch dieses Gottesgeschenk verpflichtet sind – verpflichtet sind, seinem Vorbild gemäß zu leben. Was aber heißt das nun? Greifen wir einfach eines heraus, was uns gesagt ist – jenes: „der sich selbst für uns gegeben hat!“ Sich selbst geben – das zeigt er uns, das zeigt uns Gottes Gnade. „Sich selbst geben“, das ist es, was wirklich heilsam ist! Da wir nun schon einmal dabei sind, uns unseren Gebrauch des Weihnachtsfeierns klar zu machen – schauen wir doch einmal zu, was jenes Vorbild, jenes „sich selbst geben“ bedeutet für unser Schenken und Beschenkt werden?
Es legt uns die Frage vor: Seid ihr nicht deshalb so eifrig mit eurem Schenken, weil ihr nicht bereit seid, euch selber zu schenken? Ja, weil ihr vielleicht nicht einmal recht wisst, wie ihr das machen sollt? Schenkt ihr deshalb die vielen, ja, die oft auch recht überflüssigen Sachen, weil ihr es nicht fertigbringt, euch selber zu geben? So fragt uns jenes Christuskind, das sich selbst für uns gegeben hat! Nicht wahr, in einen Laden zu gehen und für die Kinder Geschenke, vielleicht sogar recht teuere Geschenke herauszusuchen, das ist nicht allzu schwer. Aber damit ist noch nicht Weihnachten gemacht. Das andere, das ist viel, viel schwerer: Gerade in diesen Tagen so für die Kinder da zu sein, sich so mit ihnen abzugeben, dass sie es begreifen: Ich habe einen Vater, eine Mutter, die mich lieb hat. Die mich versteht. Und je größer die Kinder werden, desto schwerer wird das sein. Und doch ist das das einzige Geschenk, das wirklich zählt, dass wir richtige Eltern sind.
Werden wir uns selbst so geben können, unserem Ehegatten so geben können, dass er das begreift, versteht, annimmt, dass die großen oder kleinen Dinge, die wir einander unter den Christbaum legen, nur Zeichen sind dafür, dass da ein Mensch ist, der ihm gehört mit Leib und Seele und mit jedem Herzschlag und mit jedem Atemzug. Ja – um gleich zum Fernsten zu gehen, da ich ja doch nicht all unser Schenken im Einzelnen durch zu gehen vermag: haben wir unsere Gaben in die Opfertüte mit dem Aufdruck „Brot für die Welt“ eben hineingesteckt, wie wir doch durch die vielen Sammlungen nun nahezu bis zum Überdruss gewohnt sind, oder haben wir etwas begriffen von den hungernden Menschen, die da zu uns rufen? So, dass wir unruhig werden bei unserem Haben, bei unserer Sattheit?
Seht, so nimmt uns der in Zucht, der als Gottes Gnadengabe uns geschenkt ist, in heilsame Zucht. Dass wir begreifen, was Schenken heißt: Nicht aus allen den Sachen, den „Christkindle“, eine Mauer um uns zu bauen. Sondern gerade alle Mauern einzureißen, dass wir uns selbst hineingeben in unser Schenken. So, wie er alle Mauern eingerissen hat, um sich in seiner göttlichen Liebe uns zu nahen. Amen.