Tit 2,11-14
26.12.1961 (Christfest II), Wolfenhausen/Nellingsheim

EG 36,1-6 Fröhlich soll mein Herze springen
EG 37,1-4 Ich steh an deiner Krippen hier
18,2 Der Tag, der ist so

Lk 2,15-20
Tit 2,11-14

Liebe Gemeinde!

Nun ist das Fest schon wieder beinahe vorbei: Und seien wir ehrlich: Gar so unglücklich sind wir alle nicht darüber. Natürlich ist es schön, dies Weihnachtsfest, und keiner von uns möchte es missen. Aber zu lange könnten wir es alle nicht verkraften, dies Fest – angefangen von unserem Geldbeutel, der doch wirklich strapaziert worden ist in den letzten Tagen, bis hin zu unserem Gemüt, das durch all das, was so rundum zu Weihnachten gehört, doch heftig ergriffen ist. Ich sage: Allzu lange, so scheint es, können wir Weihnachten nicht verkraften. Können wir das, was dies Fest von uns verlangt, nicht durchhalten – und sind darum im Grunde unseres Herzens doch eigentlich ganz froh, dass wir es wieder einmal mit Anstand hinter uns gebracht haben, so, wie sich das gehört.
Doch fragen wir weiter: Was macht es eigentlich, dass diese Fest auf der einen Seite so ungemein beliebt und populär ist, dass niemand es missen möchte? Was macht es, dass dieses Fest doch ohne Zweifel das unter den christlichen Festen ist, an welchem wir mit unserem Herzen am meisten hängen. Und das uns doch auf der anderen Seite am allermeisten strapaziert? Ist es nicht das, dass an Weihnachten scheinbar alles anders ist, alles umgedreht ist und am meisten wir selber? Dass wir an Weihnachten tun, woran wir sonst allermeist nicht einmal denken? Dass wir da darauf aus sind, zu schenken. Dass wir darauf aus sind, andere fröhlich zu sehen und beglückt. Darauf kommt es ja an – nicht so sehr, dass wir uns beschenken lassen. Darüber sind wir hinweg, seit wir aus den Kinderschuhen hinausgewachsen sind. Nicht dass wir uns beschenken lassen und etwas erhalten, darauf kommt es also an bei diesem Feste, sondern darauf kommt es an, dass wir selber schenken. Und das ist dann die größte Freude bei diesem Fest, wenn wir sehen, dass es uns wirklich gelungen ist, anderen eine Freude zu machen. Darum sind es ja gerade die Kinder, denen unser Schenken besonders gilt, weil die das verstehen, sich beschenken zu lassen, etwas anzunehmen, voll Freude – und uns darum die Freude und Befriedigung zu schenken, dass wir erfüllt haben, was das Fest von uns verlangt, dass wir es fertiggebracht haben, andere wirklich zu erfreuen.
Seht: Ich meine, das sei es, was das Fest so beliebt macht und so anstrengend, dass wir da anders sein sollen als sonst. Dass wir da etwas tun, wirklich sogar tun, was sonst so gar nicht zu dem Sinn unseres Lebens gehört. An einem Tag im Jahr wenigstens wollen wir alle miteinander anders sein. Alle miteinander so tun, als ob diese Welt in ihrer wahren und richtigen Ordnung wäre. So, wie ich das letzte Woche in einer großen Zeitung gelesen habe: „Einmal im Jahr darf der Mensch glauben, dass die Welt schön und der Nachbar gut und der Hunger besiegt ist“ – wirklich? Ist das der Sinn dieses Festes, dass wir uns einmal einer schönen Illusion anvertrauen? Dass wir einmal im Jahr so tun, als sei alles anders, als es in Wirklichkeit ist? Ist das der Sinn dieses Festes, so ist es doch nichts anderes als eben ein großer Selbstbetrug. Wir reden unseren Kindern etwas vor vom Christkindlein, welches alle die schönen Sachen bringt. Und wollten das ja selber so gerne glauben – wenigstens einmal im Jahr. Wollten es so gerne glauben – dass die Welt schön ist und die Menschen gut. Dass vor allem wir gut sind. Wir wollten das, und müssen so tun – ist es am Ende das, was dieses Fest so anstrengend macht?
Seht: Es mag schon sein, das dies Fest für viele ein Tag der Illusion, ein Tag des Selbstbetruges ist. Aber es muss nicht so sein. „Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen, und nimmt uns in Zucht.“ Jawohl! Es muss nicht Selbstbetrug und Einbildung sein, dass da etwas anders geworden ist, wenn wir jenes Andere nur zu finden wissen. Jenes andere, das da ist in unserer Welt, das anders ist als diese Welt. Nicht wir sind das. Es ist nicht die Kraft unserer Sehnsucht nach dem Guten und nach dem Schönen, welche diese unsere Welt verwandeln könnte. Wenn wir uns daran halten, dann freilich, dann wird das Weihnachtsfest wirklich zu einem Tag der Einbildung und des Selbstbetruges. Nun – nicht wir machen etwas anders, sondern Gott hat etwas anders gemacht. Darum ja feiern wir Weihnachten, weil Gott etwas anders gemacht hat und weil dies Andere nun da ist in dieser Welt. Seht, es hat auf göttliche Weise begonnen, still und unaufdringlich. Wir wissen da ja, kennen ja die Geschichte von der Geburt unseres Heilandes recht gut. Und es ist dann auf göttliche Weise weitergegangen, so still und unaufdringlich, wie sich das eben nur Gott selber leisten kann, er, der nichts hermachen muss von sich, wie wir das tun. Er, der es sich leisten kann, eben mit einem schwachen Menschen es zu halten – mit einem gar, der seinen Zeitgenossen ein wenig weltfremd erscheinen musste. Denn wie sollte einer mit Worten die Welt andersmachen können? Wie sollte einer mit Worten die Welt andersmachen können, wenn er gar nichts anderes tut, als eben zu predigen? Wie sollte einer Eindruck auf die Menschen machen, der so mit sich umspringen lässt, wie er das getan hat, Jesus? Und der darum so jämmerlich zu Grunde gehen musste, wie er, Jesus, das tat.
Seht: So zu erscheinen, das könnte sich kein Mensch leisten, der etwas erreichen will. So zu erscheinen, das konnte sich wirklich nur Gott leisten – so still und unaufdringlich. So gar nicht gewaltsam. So gar nicht nötigend. So, dass uns wirklich unsere Freiheit gelassen ist. Seht: Das Weihnachtsfest, das, was wir daraus gemacht haben, mit seiner Sitte und seinen Gewohnheiten, denen sich ja keiner entziehen kann – schon dieses Fest ist viel gewaltsamer. In seinem Zwang, mitzumachen – und erst recht alles andere, was uns begegnet in dieser Welt. Es ist wirklich so: Nur Gottes Gnade konnte es sich leisten, so still, so behutsam, so unaufdringlich zu erscheinen, wie wir das sehen, wenn wir unseren Blick auf das Kommen Jesu richten. Und so ist es dann ja auch weitergegangen. Vielleicht nicht mehr ganz so still und ganz so unaufdringlich, je mehr wir Menschen mit unserer Gewalttätigkeit dazwischengekommen sind. Aber doch bis heute in seinem innersten Kern genau so still und unaufdringlich, wie es von Anfang an gewesen ist! Einfach mit Worten. Mit Worten, welche von dieser Erscheinung der göttlichen Gnade in dem Menschen Jesus reden. Die uns auf den hinweisen: Da, da ist das andere! Da, da ist das, was anders ist als diese Welt. Die mit ihren grausamen Gesetzen, denen sich keiner zu entziehen wagte. Denn wir müssen doch wohl oder übel mit den Wölfen heulen. Da, da ist etwas anders! Das, worauf uns jene seltsame Erfahrung des Weihnachtsfestes hinzuweisen vermag, dass wir da, einen Tag im Jahr wenigstens, anders sein wollen. Da, da ist das wirklich, dieses andere, dieses Göttliche. Still und unaufdringlich ist es da, so, wie eben nur Gott selber das sich leisten kann. Seht: So ist sie jetzt da, jene heilsame Gnade Gottes. Jenes Andere, was Gott dieser Welt entgegensetzt. Dieser Welt, von der wir gewiss alle zuzugeben bereit sind, dass sie nicht so ist, wie sie sein sollte. Da hat ihr Gott das Andere, das Richtige, das Wahre entgegen gesetzt. Hat es uns selber entgegengesetzt, die wir doch alle mit dazu gehören zu jener verkehrten Welt. Ja, göttlich hat er es dieser Welt entgegengesetzt, still, verborgen und unaufdringlich, jenes Andere, jenes Wahre, seine heilsame Gnade, die heilzumachen vermag – darauf werden wir gewiesen, heute, durch diese Worte des Apostels (Zit.). Wohl uns, wenn wir sie verstehen. Seht: Einbildung und Selbstbetrug ist das Weihnachtsfest, wenn wir uns einbilden, wir könnten dies Andere, dessen die Welt bedarf und nach dem unser Herz sich sehnt, dieser Welt entgegensetzen. Nur Gott kann das. Uns bleibt nur eines, uns dadurch in Zucht nehmen zu lassen. Amen.