10.11.1996                  Christuskirche Stadeln

 

EG 450, 1-5       Morgenglanz

EG 518, 1-3       Mitten wir im Leben sind

EG 101, 1-5       Christ lag in Todesbanden

EG 421      Verleih uns Frieden

 

Römer 4, 1-5.16-18.20-25

1.Mose 22

 

Du unser Gott,

der sich den Abraham erwählt hat und durch ihn seinen Segen auch uns zuwendet,

wir bitten dich,

lass uns das Licht deines Wortes leuchten, damit wir dir glauben, wie Abraham, unser Vater im Glauben, und deines ewigen Lebens teilhaft werden,

durch unseren Herrn und Bruder Jesus Christus, deinen Sohn, der mit dir und dem heiligen Geist lebt und regiert in Ewigkeit.

Amen.

 

 

Du lebendiger Gott, wir danken dir, dass du uns deine Wahrheit zeigst in deinem Wort, auch wenn wir immer wieder zweifeln und die Macht des Todes gelten lassen, die wir sehen.

 

Wir bitten dich für deine Gemeinde an diesem Ort und in aller Welt. Gib ihr Standhaftigkeit

und Glaubensmut, dass sie dein Leben bezeugt, das du in der Auferweckung Jesu Christi offenbart hast, und der Macht des Todes widerspricht in Worten und in Taten.

 

Wir bitten dich für Völker und Staaten, für alle, die Macht erleiden und die Macht ausüben.

Schaffe allen Menschen ihr Recht und lass sie in Frieden miteinander leben. Wir bitten dich für die kämpfenden und die flüchtenden Menschen in Ost-Zaire. Gib ihnen Einsicht und die Hoffnung, miteinander leben zu können.

 

Gib allen Menschen, was sie brauchen, Brot und Arbeit, Heimat und Anerkennung. Wehre der Ausbeutung von Mensch und Natur und erhalte die Fülle des Lebens auf dieser Erde.

Besuche die Einsamen und Kranken, geleite die Sterbenden, tröste die Trauernden.

 

Geleite uns alle mit deinem segnenden Angesicht und führe uns zu deinem ewigen Leben.

 

 

Confiteor

 

Wir sind zusammengekommen, um miteinander Gottesdienst zu feiern. Vor Gott bekennen wir, dass wir schuldig geworden sind durch Dinge, die wir getan haben, und durch Dinge, die wir unterlassen haben. Darum bitten wir, dass Gott uns Sündern gnädig sei.

 

Der allmächtige Gott…

 

Der barmherzige Gott hat sich unser erbarmt, seinen Sohn für uns in den Tod gegeben und um seinetwillen uns verziehen. Wer glaubt und getauft wird, der wird selig werden. Das verleihe Gott uns allen.

 

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Ich soll uns ich will heute mit ihnen über die Abrahamgeschichte reden, die uns als „Isaaks Opferung“ geläufig ist. Als eine dunkle Geschichte ist sie angekündigt – und wird das wohl immer bleiben. Aber das heißt gewiss nicht, dass sie uns nichts zu sagen hätte. Ich muss, ehe wir zu dieser Geschichte kommen, mit zwei Vorbemerkungen beginnen. Die eine ist rasch abgemacht: Die jüdische Auslegung redet von dieser Geschichte als von der Akeda, der Bindung oder Fesselung Issaks. Das ist wohl genauer und spricht richtig von dem was die Geschichte erzählt. Isaak wird gebunden, aber er wird nicht geopfert. Das wissen wir, alle, denen diese Geschichte erzählt wird.

Nun aber die anderen Vorbemerkung: Wie unzählige andere Mütter hat meine Großmutter dem Vaterland ihre beiden Söhne geopfert. Der ältere starb im März 1918 im ersten Weltkrieg. Der Jüngste fiel 1942 vor Leningrad. Das war ein Opfer, und Gott hatte dieses Opfer von ihr verlangt: Darüber ließ meine Großmutter nicht mit sich reden. So hatte sie das gelernt, in der Kirche, in der Schule, in ihrem Elternhaus. Und so hatte sie die Trauer über diesen Verlust ertragen können: Opfer, die Gott von ihr forderte.

 

Wir sind wahrscheinlich nicht mehr so rasch und unmittelbar bereit, solche Opfer auf Gottes Willen und Verlangen zurückzuführen. Aber wir reden deswegen nicht weniger von Opfern: Da sind die Drogenopfer, da sind die Verbrechensopfer, da sind die Verkehrsopfer. Und immer noch die Erinnerung an die unzähligen Opfer, die der Nationalismus forderte – die Millionen Juden – Abrahams Samen – die Opfer eines Rassenhasses wurden, den wir Älteren noch wohl kennen: Ich schäme mich dafür. Und die Kriegsopfer – nächsten Sonntag ist wieder der Volkstrauertag. Opfer über Opfer, jetzt wieder in Ostzaire: Wo ist da Gott? So unmittelbar wie meine Großmutter werden wir Gott wohl kaum mit diesen Opfern in Verbindung bringen. Aber, ist es nicht so: damit Leben weitergehen kann auf dieser Erde, muss Leben geopfert werden – auch menschliches Leben. Der Papst hat jetzt die Möglichkeit des Darwinismus eingeräumt: Überleben derer, die am besten angepasst sind, fit für den Überlebenskampf. Wie viel Leben ist verbraucht worden, geopfert, in einer langen Geschichte der biologischen und der gesellschaftlichen Evolution, damit wir hier beieinander sind. Und wem diese Überlegung zu fremd ist und zu fern, zu abstrakt: Ich weiß, dass sich mein Leben dem Ende zuneigt, dass ich abtreten muss, um anderen Platz zu machen.

 

Ist es also doch so: Damit Leben, menschliches Leben, weitergehen kann, muss Leben, menschliches Leben, geopfert werde. Ist es Gott selbst, der dahinter steht? Ist es Gott selbst, der Leben gibt und Leben nimmt? Aber hieße das dann nicht: Der eigentliche Herr des Lebens, das ist der Tod? Gott und der Tod, die rückten da zusammen, dass sie fast miteinander verschmelzen?

 

Leben muss geopfert werden, damit Leben weitergehen kann: Das ist anscheinend ein unumstößliches Gesetz – und also kann es doch wohl nur Gott sein, der hinter diesem Gesetz steht. So haben das Menschen immer schon wahrgenommen, und haben es in ihren jeweiligen Gottesglauben mit hineingenommen. Nur wenn wir dass sehen, und wissen: Auch uns ist solch ein Gedanke, ist diese Erfahrung nicht fremd – nur dann werden wir wenigstens vorläufig und vielleicht doch noch sehr von Ferne uns der Geschichte von der Bindung Isaaks annähern können.

 

„Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham“ – so setzt sie ein, in 1. Mose 22. Nach diesen Geschichten – einige haben wir an den letzten vier Sonntagen betrachtet; die Geschichte von Abrahams Berufung; die Geschichte von der gewaltigen Verheißung – zahlreich wie die Sterne am Himmel sollte die Nachkommenschaft Abrahams werden. Die Geschichte von Hagar, der Leihmutter. Die Geschichte von Saras Lachen und der Geburt des Isaak und dann von der Vertreibung des Ismael und seiner Mutter. Nach diesen Geschichten könnte es nun doch ruhiger werden – alt genug sind sie ja, Abraham und seine Frau Sara. Aber da versuchte Gott den Abraham – oder soll ich sagen: Er erprobte ihn? Abraham hört sich gerufen, und antwortet: hier bin ich. Und vernimmt: „Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde.“

 

Was mag da in dem Vater Abrahams vorgegangen sein? Ich weiß es nicht, und die biblische Geschichte sagt darüber kein Wort. Will der Gott, der dem Isaak in so wunderlicher und so wunderbarer Weise das Leben geschenkt hat, dieses Leben nun so wieder zurücknehmen, dass Abraham dazu auch noch seine Hand bieten muss? Wer ist dieser Gott? Nimmt er nun doch selbst die Fratze des Götzen an, des Moloch, den die Kanaanäer verehrten, des Götzen, der die Kinder frisst? Ich weiß nicht, was in dem Vater Abraham vorging. Es wird uns nicht erzählt. Nur das wird erzählt, sehr ruhig und sachlich: Am anderen Morgen steht Abraham früh auf, spaltet das Opferholz und belädt damit seinen Esel, nimmt zwei Knechte mit sich und seinen geliebten Sohn Isaak, und macht sich auf den Weg.

 

Am dritten Tag hebt er die Augen auf, der Vater Abraham, und sieht den Berg, auf dem es geschehen soll. Da befiehlt er den Knechten, sich zu lagern und mit dem Esel zu warten. Er legt seinen Sohn Isaak das Holz auf die Schulter, nimmt selbst den Topf mit dem glühenden Feuer und das Messer. So gingen die beiden miteinander. „Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer? Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehn ein Schaf zum Brandopfer. „Und gingen die beiden miteinander.“

 

Was mag in ihnen vorgegangen sein, dem Vater und dem Sohn, wie sie da miteinander gingen. „Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer“ – wer ist dieser Gott? Muss da nicht der lebendige Gott mit dem Tod zusammen kommen – sein segnendes Angesicht – „Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig“ – mit der Fratze des Todes verschwimmen? Ich weiß es nicht, was in dem Vater Abraham und in seinem Sohn Isaak vorging. Die biblische Geschichte erzählt davon nichts. Sie sagt nur, was passierte: „Als sie an die Stätte kommen, die ihn Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete.“

 

So weit ist es gekommen. Aber da fällt Gottes Engel dem Abraham in die Hand: Tu dem Knaben nichts an! Ich weiß jetzt, dass du Gott wirklich fürchtest. Und zeigt im den Widder, den Schafbock, der da mit seinen Hörnern in der Hecke hängt. Den opfert Abraham anstatt seines Sohnes Isaak.

Und nun erfährt er die Bestätigung des Segens: Wie die Sterne am Himmel, wie der Sand am Meer, so zahlreich sollen seine Nachkommen sein. Bei sich selbst beschwört ihm das Gott! Gott, nicht der Moloch, der die Kinder frisst, Gott, nicht die Fratze des Todes – nein! Gott, der sein segnendes Angesicht über Abraham erhoben hat und über seine ganze Nachkommenschaft.

 

Freilich, wie ich dieser Geschichte eine lange Vorbemerkung vorausgeschickt habe, so braucht sie nun auch ihr Nachwort, das auf diese Vorbemerkung eingeht: Vater der Glaubenden, aller Glaubenden – so auch unser Vater ist Abraham, weil er dem Gott geglaubt hat, der die Toten lebendig macht und ruft das, was nicht ist, dass es sei. Solcher Glauben widerspricht jener Erfahrung, dass Leben nur weitergehen kann, wenn Leben, menschliches Leben, dem Tod geopfert wird. Solcher Glaube widerspricht der Erfahrung, die Gottes segnendes Gesicht in die Fratze des Todes verwandeln will, der seine Opfer verschlingt, z.B. die Verkehrsopfer, wie einst der Moloch der Kanaanäer die Kinder, die sie in seinen glühenden Bauch warfen. Das ist nicht Gott. Uns wo es so zu sein scheint, da ist unser Glaube zum Widerspruch herausgefordert. „Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? Der auch seinen eigenen Sohn nicht hat verschont, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“ (Römer 8, 31f)

 

Eine dunkle Geschichte, die Geschichte von der Bindung Isaaks? Vielleicht, wenn wir erfahren, wie wir einbezogen sind in diese Geschichte – Aber zugleich ist es doch die Geschichte, die den Tod und Gott gerade unterscheiden heißt – um Abrahams und Christi willen. Darum können wir auf sie mit Luthers Osterlied antworten.