Invokavit 8.3.1987 Martin-Luther-Kirche,
Erlangen - Büchenbach
199,1-4
Intr 6
54,1+2
231,1-9
139
Mt 4,1-11 Hebr
4,14-16
1.Mose 3,1-24
Du, unser Gott, der du das Leben willst, Frieden und Heil
aller Menschen und deiner Geschöpfe, die auf dieser Erde wohnen, wir bitten
dich, lass uns auf deinen Willen achten, damit wir uns einfügen in dies Leben
und nicht stören und zerstören, was du uns anvertraut hast durch unsern Herrn
und Bruder Jesus Christus, deinen Sohn, der mit dir und dem Hlg. Geist lebt und
regiert in Ewigkeit. Amen
Lasst uns Gott bitten um sein Wort und seinen Geist, dass er
Glauben schaffe unter uns, und Zeugen seiner Wahrheit erwecke an unserem Ort
und in aller Welt. Wir bitten, Herr, erhöre uns.
Lasst uns bitten um Gerechtigkeit und Frieden unter den
Völkern, dass die Großmächte es lernen, miteinander zu leben und die Waffen weg
zu legen und ab zu schaffen.
Lasst uns bitten um Einsicht und Vertrauen dort, wo Hass und
Angst die Menschen gegeneinander hetzt, dass sie sich das Leben nehmen, im
Libanon, im Golfkrieg, in Südafrika, in Mittelamerika, in Afghanistan.
Lasst uns bitten um Einsicht und guten Willen, bei denen,
die unsere neue Regierung bilden, dass nicht Parteiegoismus und Machtgier
bestimmen, was getan wird, sondern die Sorge um das Gemeinwohl.
Lasst uns bitten um Arbeit und Brot, um gerechten Lohn und
Anerkennung für alle Menschen, dass sie leben können aus der Fülle dessen, was
du allen gibst.
Lasst uns bitten um die Bewahrung der Schöpfung, um gesunde
Luft und reines Wasser, um Lebensraum für alle Geschöpfe, dass nicht Unmaß,
Geldgier und Egoismus diese Welt zerstören. Lasst uns bitten für die Menschen,
die durch das Fährunglück in Zeebrügge betroffen sind, dass Gott den Toten
gnädig sei, die Trauernden tröste und uns allen die Erkenntnis gebe, dass wir
unseren Tod bedenken und klug werden.
Lasst uns bitten für die Kranken, die Einsamen und Alten,
die Sterbenden, die Trauernden, dass sie nicht allein bleiben, sondern dass
ihnen geholfen werde.
Du treuer Gott, begleite unser Leben mit deiner Fürsorge Tag
für Tag, bis du uns zu dir rufst. Amen.
Liebe Gemeinde,
niemand lässt sich gerne die Wahrheit sagen, wenn das einen
unangenehmen Wahrheit ist. Und desto leichter geraten wir hier in eine Haltung
der Abwehr, je direkter uns der kommt, der
uns die Wahrheit sagt. Es ist eine unangenehme Wahrheit, die wir hier zu
hören bekommen. Vielleicht ist es deshalb ganz gut, dass diese Wahrheit in eine
Geschichte eingekleidet ist, die sich anhört wie ein Märchen. So ist das hier,
wie wir das sonst gerade aus dem Märchen kennen: Da spricht ein Tier, da geht
Gott selbst am Abend, als es kühl wird, im Garten spazieren. Da hat sich einer
etwas zu Schulden kommen lassen, und bei der ersten Frage schon verplappert er
sich. Sie ist uns so geläufig, diese Geschichte: „Aber die Schlange ... wer hat
dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du nicht gegessen von dem Baum, von dem
ich dir gebot, du solltest nicht davon essen?“
So weit ist sie uns geläufig diese Geschichte
(überschrieben: Der Sündenfall – aber das ist vielleicht doch nicht die
richtige Überschrift). Doch nun müssen wir gerade hier aufpassen. Ich sagte: Da
kommt eine unangenehme Wahrheit auf uns zu, die Wahrheit über uns selbst. Und
damit wir nicht gleich die Ohren zustopfen und nicht hören, und uns wehren,
darum kommt diese Wahrheit in der Gestalt eines Märchens daher. Bloß, so
einfach ist das nicht, dass wir uns das anhören, und uns erzählen lassen, wie
ein Märchen. Die fangen ja meist so an: „Es war einmal“. Und wenn dann auch der
Schluss, wenn die beiden sich bekommen haben, so lauten mag: Und sie lebten
glücklich und zufrieden, und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute
noch: Ein Märchen, das ist vorbei. Eine schöne Geschichte, und vielleicht auch
eine packende Geschichte. Aber die Märchenwelt, das ist dann doch eine andere
Welt, als die Welt, in der wir leben. So denkt einer jedenfalls. Denn in der
Welt, in der wir leben, da hilft das Wünschen nichts, und es gibt keine gute
Fee, die dem Glückskind drei Wünsche schenkt.
Mit dieser Geschichte ist es anders. Sicher, sie erzählt vom
Paradies – und wer träumt sich nicht hin und wieder sein Paradies? Wo es schön
ist, das Leben, und harmonisch. Wo Mensch und Tier friedlich beieinander sind.
Wo es keine Angst gibt, und nicht den Druck der Arbeit und Leistung und nicht
die Konkurrenz, und nicht Leute, die das Sagen haben, und andere, die gehorchen
müssen. Soll ich da Träume malen? (Helmer Heine) (Kinderbuch Anm.d.Red.)
Aber das Leben ist anders. Und jeder von uns weiß das, und lernt es bald, und
wer es nicht lernen will, dem wird es beigebracht. Warum ist das so? Nun,
unsere Erzählung von Adam und Eva und vom verlorenen Paradies, die gibt darauf
die Antwort. Man kann sie geradezu als eine solche Erzählung verstehen, die
diese Frage beantwortet, warum es so ist, das Leben – nennen wir sie eine „Warum-Geschichte“.
Warum gibt es ein so seltsames Tier wie die Schlange? Jedes Tier hat doch seine
Beine, auf denen es daher läuft, und die Vögel haben noch ihre Flügel obendrein.
Bloß die Schlange kommt auf ihrem Bauch daher gekrochen. Und den Menschen
graust vor diesen Schlangen, und er tritt sie tot, wo er sie erwischt und die
Schlange mit ihrem Giftzahn beisst zu, um sich zu wehren. Warum ist das so?
Dass die Männer stärker sind als die Frauen? Und warum muss das sein, dass
dort, wo Mann und Frau beieinander sind und miteinander schlafen, die Frau die
Last hat, dass sie schwanger wird, immer wieder? Und warum muss der Mensch sich
eigentlich so plagen, sein Lebtag lang? Das Unkraut wächst von selbst auf seinem
Acker, und mit Mühe und Not kommt er dahin, dass er seinen Lebensunterhalt
gewinnt. Und dahinter erst recht die Frage: Warum geht es zu Ende dies Leben,
dem einen früh, dem anderen spät, aber jedem ganz gewiss? Was ist es, dieses Leben,
und was bleibt von diesem Leben?
Unsere Geschichte gibt darauf ihre Antwort – eine
„Warum-Geschichte“ habe ich sie deshalb genannt. Gehen wir sie also weiter
durch. Der Mensch, der Adam hat sich verraten. Und schiebt nun die Schuld auf
die Frau, und die Frau schiebt die Schuld auf die Schlange. Und bei ihr fängt
Gott dann an: „Da sprach Gott der HERR zu der Schlange: Weil du das getan hast,
seist du verflucht, verstoßen aus allem Vieh und allen Tieren auf dem Felde.
Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Erde fressen dein Leben lang. Und ich
will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe und zwischen deinem
Nachkommen und ihrem Nachkommen; der soll dir den Kopf zertreten, und du wirst
ihn in die Ferse stechen“. Das ist die erste Antwort, vielleicht für uns ein
bisschen fremd, und ein bisschen kindlich. Damit wären wir nicht zufrieden,
haben da andere Antworten. Und dann kommt die Frau dran: „Ich will ... - deine
Schwangerschaften will ich viel machen, so müssten wir wörtlicher übertragen -
... er soll dein Herr sein“. Und dann kommt der Mann dran: „Weil du ... du bist
Erde und sollst zu Erde werden“. Adam heißt er, und der Erdboden, den er
bebaut, der heißt „Adamah“. Eigentlich müssten wir also seinen Namen etwa mit
„Erdling“ übertragen.
Warum ist das leben so? Und nun sollten wir gewiss nicht so
tun, wie wenn wir da weiter gekommen wären, und dabei, mithilfe unserer
Wissenschaft und Technik so etwas wie ein Paradies zu schaffen. Sicher: Gegen
die vielen Schwangerschaften hat man die Pille und sonst eine Reihe von
Verhütungsmitteln erfunden. Aber heißt das denn, dass damit nun der angstfreie
Verkehr da sei, sozusagen eine paradiesische Sexualität? Ist da nicht die Angst
um den Partner – wird er mir bleiben? Die drohende Aids-Seuche braucht es dazu
noch nicht einmal. Ist es vorbei mit der Männerherrschaft? Aber ist damit dann
Herrschaft abgeschafft? Sicher können wir dem Unkraut den Dornen und Disteln
auf dem Acker ganz anders auf den Leib rücken mit den schweren Maschinen und
den chemischen Herbiziden. Aber hört damit die Mühe menschlicher Arbeit auf?
Und erst recht: Ist der anstehende Tod weniger bedrohlich, wenn es der Medizin
gelingt, die Lebenserwartung hoch zu drücken? Oh nein! Ich will das Leben
gewiss nicht schlecht machen. Aber ich denke: Auch wenn sich da eine Menge
geändert hat, seit jene „Warum-Geschichte“ aufgeschrieben worden ist: Das ist
doch geblieben, das wir wissen: Schöner könnte es sein, das Leben – viel, viel
schöner! Auch wir träumen vom verlorenen Paradies und kennen das Elend des
menschlichen Lebens.
Wir können damit umgehen, mit dieser Tatsache, dass unsere
Welt nicht das Paradies ist, und dass das Leben oft genug eine elende Sache
ist. Können damit umgehen, wenn uns das so erzählt wird – aber das heißt dann
nicht, das wir uns damit die unangenehme Wahrheit schon vom Leibe gehalten
hätten, die uns diese „Warum-Geschichte“ vorhält: Ich bringe sie einmal auf den
ganz kurzen Nenner: Du Adam, bist selbst schuld, dass das so ist. Und Adam: Das
heißt, du Mensch! So ist das mit dieser Geschichte, das die gerade dann, wenn wir
sie so zu Ende gebracht haben, noch einmal anfängt. Womit fängt sie noch einmal
an? Nicht mit der Schlange, diesem sprechenden Tierlein (unschuldig ist das,
und hoffentlich haben wir das gelernt). Sie fängt an mit dem, was jeder von uns
kennt: Was gut ist, was geboten ist – weißt du dies nicht ganz genau, du
Mensch? Du bist nicht Gott, und sollst nicht Gott sein wollen. So ließe sich
das sagen. Gott sein wollen – dich heraus nehmen aus der Gemeinschaft des Lebendigen
in Gottes Schöpfung und selbst Gott werden. Das klingt dann sehr großartig, und
ist doch ganz einfach. Ich bin doch der, der Bescheid weiß, und brauche mich da
nicht um andere zu kümmern. Ich nehme jetzt das Allersimpelste: Bei der
Smog-Warnung – soll ich da die kleine Unbequemlichkeit auf mich nehmen? Ich
habe mir’s überlegt, und bin einmal mit dem Bus gefahren. Nur einmal! Warum
auch? Ich muss doch wissen, was für mich gut ist. Soll ich weiter machen?
Nicht die Schlange, das harmlose Tierchen ist es: Jeder von
uns macht mit. Und keiner kann aussteigen. Sehnsucht nach dem Paradies: Aber
das ist lange vorbei.
Und doch leben wir, können und dürfen leben; unsere Zeit,
unsere begrenzte Zeit – und nicht dort, im Paradies. Aber da sind zwei
Hoffnungszeichen. Eva – die Mutter der Lebendigen – so nennt der Mensch seine
Frau. Das verbrauchte Leben darf sich erneuern ( jedes Kind – nicht bloß das
eigene Kind, ist so ein Trost; und wohl uns, wenn wir wahrnehmen – als Kinder
hat er Adam und Eva gezeichnet, der Helmer Heine, und ich freue mich daran).
Und Gott macht dem Menschen Kleider, dass sie es aushalten. Er bekleidet sie.
Und damit deutet unsere Geschichte an: Gott bleibt auch bei diesem Leben, das
nicht das Leben im Paradies ist, wie wir es uns erträumen. Und darum ist’s
trotz des Elends, trotz der Mühe, trotz der Schuld gut so. Und das gehört zu
der Wahrheit über uns.