1.n.Epiph. 11.1.1959 Wolfenhausen/Nellingsheim
50, 1-6 O Jesu Christe, wahres Licht
47,1-8 O süßer Herre Jesus Christ
53, 6.7 Jesus ist kommen
53,8
1.Mose 28,10-22
Johannes
1, 43-51
Liebe Gemeinde!
An Nathanael sehen wir beispielhaft vor Augen, wie ein
Mensch den Weg zu seinem Heil zu finden vermag. Lasst uns diesem Weg einmal
nachdenken. Am Anfang dieses Weges zum Heil, da steht Philippus – einer, der
schon gefunden hat – oder sollten wir nicht besser sagen: Einer der schon
gefunden wurde. Und der jetzt nicht anders kann, als das dem nächsten Menschen
weiterzusagen, der ihn so halbwegs bekannt ist, eben diesem Nathanael: „Wir
haben den gefunden, von welchem Mose im Gesetz und die Propheten geschrieben
haben, Jesus, Josephs Sohn, von Nazareth.“
Das ist sehr genau und eindeutig gesagt, und es zeigt uns
zugleich, wie liebevoll dieser Philippus auf Nathanael eingegangen ist. Denn er
wusste ja, was es war, das Nathanael suchte; wusste, dass dessen Sehnsucht auf
den Tag hinzielte, da Gott seine Verheißungen wahr machte, und den Heiland
senden würde! – Haben wir uns schon einmal klar gemacht, wie sehr wir dazu
gerufen sind, einen solchen Dienst zu tun, wie ihn Philippus dem Nathanael
leistete? Und haben wir uns auch schon überlegt, wie sehr es gerade dazu der rechten
Liebe bedarf, die weiß, was sie zu sagen hat, der Liebe, die bereit ist, auf
den anderen Menschen einzugehen? Der Liebe, die über das Herz des anderen
Menschen Gewalt gewinnt, weil sie es vermag, sich in dieses Herz und in seine
innerste Sehnsucht hineinzudenken! Seht, dazu ist gerade der am besten
imstande, der einmal in der gleichen Lage gewesen ist. Philippus, das war
gewiss einer wie Nathanael, ein Schriftkundiger, einer, der Gottes Verheißungen
kannte, und der darum den Nathanael verstand, und ihm sagen konnte: Du brauchst
nicht länger zu suchen und zu warten, dort ist, was du ersehnst, bei Jesus von
Nazareth, Josephs Sohn! Seht – es kann sein, dass du einmal eine Zeit gehabt
hat, wo du gar nichts geglaubt hast, außer dem, was du sehen, hören, betasten
konntest. Und vielleicht war es gerade die Suche nach einer handfesten, nach
einer gewissen und unumstößlichen Wahrheit, die dich dazu gebracht hat. Und
wenn du nun gefunden hast – dann gerade kannst du zu einem solchen
Wirklichkeitsmenschen gehen und sagen: Sieh, was du suchst, jene handfeste,
jene schlechthin unumstößliche Wirklichkeit, die du suchst, die habe ich
gefunden: Jesus. – Es mag sein, dass du einmal gemeint hast, du seist dazu da,
zu arbeiten, zu verdienen, reich zu werden, Besitz anzuhäufen. Das du gemeint
hast, das sei ein Lebenssinn, das gebe eine Sicherheit, das verleihe deinem
Leben das richtige Gewicht, so wie sich das gehört für einen rechten Mann, der
etwas hinter sich zu bringen hat in seinem Leben. Und nun hast du gefunden. Und
kannst zu dem hingehen, der so denkt, wie du einmal dachtest, der so lebt, wie
du einmal lebtest – gerade du kannst zu ihm hingehen und sagen: Schau her, das,
was du erstrebtest, jenen Sinn des Lebens, jenes Gewicht, - ich habe es
gefunden: Bei Jesus. Es mag sein, dass du einmal hinter dem Glück hergejagt
bist, das diese Welt mit ihren mannigfachen Verlockungen uns so vielfältig
verspricht. Dass du dies Glück gesucht hast in der Zerstreuung des Vergnügens,
in dem vielfältigen Trubel, der allmählich unseren Feierabend so anstrengend zu
machen droht, dass wir uns schließlich noch in unserer Arbeit erholen müssen
von diesem „Feiern“. Wenn du einmal auf diesem Weg dein Glück gesucht hast,
dann kannst du jetzt gerade zu einem solchen Menschen hingehen und sagen: Sieh,
was du erstrebt mit deinem Rennen und Hasten nach Vergnügen und Zerstreuung –
dieses Glück, das habe ich gefunden: Bei Jesus.
So hat Philippus den Nathanael gerufen – liebevoll, indem er
ihn auf das tiefste Sehnen seines Herzens hin angesprochen hat. Werden auch wir
dazu bereit sein? – Aber – vergessen wir nun nicht: Dieser Nathanael, der ist
ja nicht gleich dem Philippus freudig in den Arm gefallen, sondern er hat ihn
abgewehrt, er ist gar nicht auf ihn eingegangen: „Was kann aus Nazareth Gutes kommen?
Das war seine Entgegnung. Seine verständliche Haltung: Wer kannte damals schon
dieses kleine Dorf, in dem ein paar Bauern und Handwerker wohnten! Wie sollte
ausgerechnet von dort der Heiland kommen? Das war doch zu unwahrscheinlich.
Geht es uns heute anders? Hören wir es nicht in den verschiedensten Ausdrücken,
jenes ungläubige, wegwerfende: Was kann aus Nazareth Gutes kommen? Jesus – was
soll das schon heißen. Gottes Wort – eine altbekannte Sache, die man schon
längst hinter sich gelassen hat. Die christliche Kirche – ein mehr als
veralteter Verein, belastet mit soviel Irrtum und Schlechtigkeit, dass von dort
gewiss nichts Neues und erst recht nichts Gutes mehr zu erwarten ist! Haben wir
es so nicht schon oft genug gehört – und vielleicht schon selber gedacht und
ausgesprochen? Und doch gilt das: Dort haben wir gefunden bei Jesus, in der
Bibel, in der christlichen Gemeinde, und können nichts anderes sagen, als ganz
einfach dies: „Wir haben ihn gefunden, Jesus, Josephs Sohn von Nazareth.“
Freilich, man kann nun versuchen, das den Menschen ein wenig
anziehender und einleuchtender zu machen, dieses Jesus von Nazareth: Da ist zum
Beispiel die kath. Kirche: eine imponierende Organisation, eine gewaltige
Machtentfaltung, ein blendender Prunk, wie er kaum sonst irgendwo in der Welt
zu finden ist. Da wird etwas geboten! Für jeden etwas!
Da ist es nicht mehr einfach: Jesus von Nazareth. Da ist die
heilige Gottesmutter Maria, und da ist der Papst, das sind die Heiligen und das
Weihwasser, feste Prozessionen, eine große Vielfalt, die doch von einem Willen
gelenkt ist. – Würde es den Menschen nicht leichter, zu glauben, wenn das bei
uns auch so wäre?
Oder da habe ich neulich einen „Wachturm“ durchgeblättert,
die Zeitschrift der Zeugen Jehovas. Und darin wurde die größte Mühe aufgewandt,
darzutun, dass sich die Bibel mit keinem Wort widerspreche, und dass es darum
doch jedem unbefangenem Menschen einleuchten müsse, dass sie Gottes Wort sei! –
Würde es den Menschen nicht leichter fallen zu glauben, wenn wir das auch so machen
könnten, wie die Zeugen Jehovas?
Oder vielleicht habt ich schon im heutigen Gemeindeblatt
geblättert, und den Bericht über die Evangelisation des Amerikaners Tommy Hicks
gelesen, der es darauf anlegt, die Menschen in eine möglichst große seelische Erregung
hineinzusteigern, damit sie die Kraft des Heiligen Geistes auch gewiss
leibhaftig zu verspüren vermögen. – Würde es den Menschen nicht leichter
fallen, zu glauben, wenn wir Evangelischen das auch so machten?
Seht – gerade weil er menschlich so naheliegend und so
verständlich ist, jener Einwand des Nathanael: Was kann schon aus Nazareth
Gutes kommen? – oder wie es heute heißt: Was kann schon dran sein an dem
altbekannten Glauben, an Jesus, an der Bibel, an der Predigt, die der Pfarrer
Sonntag für Sonntag hält, an der christlichen Gemeinde, an der Kirche, die so
viele Fehler und Mängel aufzuweisen hat – gerade weil es menschlich so
verständlich ist, dieses: Was kann den von dort her schon Gutes kommen – sind
wir gar zu leicht versucht, dass wir denken: wir müssen es den Menschen
einfacher machen. So, wie die Katholiken, oder die Zeugen Jehovas, oder die
Pfingstbewegung es den Menschen einfacher machen wollen. Aber seht: Philippus,
der hat diesen Versuch gerade nicht unternommen. E hat gerade nicht zu einem
ausführlichen Beweis angesetzt, dass das doch stimme, was er gesagt habe, und
zwar aus den und den klarem und einleuchtenden Gründen! Philippus, der hat das
gerade nicht getan. Er antwortete nur mit drei kurzen Worten: „Komm und sieh
es!“ Darauf kommt es an – für uns alle miteinander: „Komm und sieh es!“ Dazu
sollen wir die anderen rufen, die ihn noch nicht gefunden haben, unseren Herrn.
Dazu sollen wir aber genauso selber uns rufen lassen – wie ja auch Philippus
mitgegangen ist mit Nathanael! Seht, wir sind es oft genug so müde, wirklich
noch etwas zu erwarten. Sind es so müde, die Schrift zu durchforschen. Und
sollten doch gerade das wissen und erkennen: Dort sehen wir. Komm und sieh es!
So rufen uns die Glocken am Sonntagmorgen. Aber wir: Sind wir bereit? Oder
schieben wir diesen Ruf nicht gar zu gern von uns ab? Was wird es auch schon zu
Hören geben? Neues doch bestimmt nicht! Und wir bleiben weg! Aber nur der
sucht, findet! Nehmen wir darum gerade dies besonders zu Herzen, dies: „Komm
und sieh es!“
Doch nun zeigt uns unser Evangelium ein weiteres: Als
Nathanael zu Jesus kommt – da ist nicht nur er mit seinem Fragen und Suchen,
der zuerst das Wort ergreift – sondern Jesus, der ihn sieht, und der es ihm
zeigt, wie er ihn kennt, wie er ihn durchschaut hat! Liebe Freunde: Nicht nur
dem Nathanael geht es so. So geht es uns allen miteinander. Seht – das ist der
erste Schritt auf dem Weg des Glaubens – dass wir merken, wie gut uns Jesus
kennt. Dass wir merken, wie genau sein Wort uns trifft. Dass wir feststellen,
wie nahe uns seine Wahrheit kommt. Vielleicht sogar wie unangenehm nahe sie uns
rückt. Das ist der erste Schritt auf dem Wege zum Glauben, dass wir es merken:
Jesu Wort, das trifft. Das ist eben nicht irgend so ein Gerede, ein
wirklichkeitsfernes, erbauliches Geschwätz, sondern das trifft uns. Es nagelt
uns auf dem fest, was wir sind. Es behaftet uns bei unserer sehr menschlichen
Wirklichkeit!
Es mag sein, dass das eine gute und anstrengenswerte
Wirklichkeit ist, so wie damals bei Nathanael, über den Jesus sagen konnte:
„Siehe, ein rechter Israelit, in welchem kein Falsch ist!“ Aber, es muss uns
nicht immer so gut gehen, wie dem Nathanael, wenn uns die Wahrheit des
Gotteswortes begegnet. Es kann auch anders gehen. Es kann auch heißen: Siehe,
ein großer Lügner, der sich selbst und anderen wunder was vormacht. Siehe, ein
törichter Mensch, der gemeint hat, es gebe nichts Besseres auf der Welt zu
finden als das Geld, dem er nachläuft, oder das Vergnügen, an dem er sich zu
berauschen sucht! Seht, das kann wohl sein, dass uns Jesu Wort so trifft und
wir des merken: Er kennt uns. Er durchschaut uns. Sein Wort, das trifft uns,
wie wir wirklich sind. Wohl uns, wenn wir uns das gefallen lassen. Wohl uns,
wenn wir dadurch zum Glauben an Jesus geführt werden. Wohl uns, wenn wir ihn
als unseren Herrn anzuerkennen vermögen, wie das Nathanael getan hat, als er
sagte: „Rabbi, du bist Gottes Sohn, du bist der König von Israel!“
Ich sagte, das sei der erste Schritt zum Glauben hin, wenn
wir so getroffen werden durch Jesu Wort. Wenn wir es merken: Ich bin
durchschaut! Er kennt mich! Er weiß um mich Bescheid! Er trifft mich so, wie
ich wirklich bin. Und wenn mir dadurch dazu geführt werden, ihn als unseren
Herrn anzuerkennen. Das ist der erste Schritt. Doch der Weg des Glaubens führt
weiter, wie das Jesus verheißt : „Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Ihr werdet
den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf und herab fahren auf des
Menschen Sohn.“ Seht, nicht nur dem Philippus und dem Nathanael und den anderen
Jüngern gilt diese Verheißung. Darum lasst uns bei Jesu Wort bleiben, dass auch
wir dies Größere sehen.
Amen