Jubilate, 10.5.1981                                 Martin-Luther-Kirche, Büchenbach

 

83, 1-5

81, 1-3

86

139

Intr. 10

 

Johannes 16, 16-23

 

Herr Gott, himmlischer Vater,

 

der du Jesus Christus auferweckt hast von den Toten und hast uns in ihm ewiges Leben geschenkt, wir bitten dich, richte unsere Hoffnung auf ihn und erfülle unsere Herzen mit der Freude darüber, dass er lebt und wir mit ihm leben werden, der mit dir und dem Heiligen Geist regiert in Ewigkeit.

Amen

 

Vater im Himmel, wir danken dir für deine Gemeinschaft und die Freude, die du dem gewährst, der dich in deinem Sohn sieht, unserem Bruder Jesus Christus. Richte unsere Hoffnung auf deine Zukunft, in der diese Freude nicht mehr aufhört.

Wir bitten dich um den Frieden. Wehre du der Angst in unseren Herzen und lehre uns vertrauen. Lehre uns vertrauen in deine Verheißung, dass du Leben willst und nicht den Tod, die Gemeinschaft der Menschen untereinander und nicht ihre Vernichtung. Darum wehre der Feindschaft, der Angst und dem Misstrauen. Lass du uns Mut fassen, dass wir einander vertrauen.

Wir bitten dich für die Politiker und ihre Berater. Wehre du der Verblendung, der Machtgier und der Selbstsucht, dass sie tun, was für den Frieden gut ist. Wir bitten dich für die Völker, dass sie nicht nur an sich selbst denken, sondern Gemeinsamkeit lernen und erkennen, wie wir alle aufeinander angewiesen sind.

Wir bitten ich, lehre uns auf das Leben achten und es nicht gleichgültig und selbstsüchtig zerstören. Wir bitten dich um den Frieden.

Amen

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Unser Text redet vom Sehen und der Freude, aber auch von der Traurigkeit dort, wo einer nicht sieht. Ich will das ausführen und auf uns beziehen. Aber dazu ist dann eine doppelte Vorüberlegung nötig. Einmal dies, dass wir alle recht wenig mit einem Bibeltext anfangen können, solange wir noch nicht gemerkt haben, wo und wie wir selbst in diesem Text vorkommen. Wenn wir bloß die vergangene Geschichte vor uns hätten, wären wir arm dran.

Ich müsste dann sagen: So ist es damals eben gewesen. Am letzten Abend vor seiner Gefangennahme, seiner Verurteilung und seinem Tod, da hat Jesus von seinen Jüngern Abschied genommen und hat ihnen auch gesagt: Jetzt müsst ihr dann durch eine kurze Zeit der Traurigkeit hindurch. Da bin ich nicht bei euch, ihr werdet mich nicht sehen. Da werden meine Feinde über mich triumphieren. Aber das dauert nicht lang. Über ein kleines, dann werdet ihr mich wieder sehen. Da folgt dann auf den Karfreitag Ostern, und auf die Trauer die Freude. Ich sage: Wenn wir so nur eine fremde, vergangene Geschichte vor uns hätten, dann wären wir arm dran. Wir waren damals ja nicht dabei und die Traurigkeit der Jünger am Karfreitag ist uns genauso fremd wie ihre Osterfreude. Wir feiern diese Zeit zwar auch in unseren Gottesdiensten – aber das ist doch ganz anders als die Unmittelbarkeit eines eigenen Erlebens. Wo und wie sind wir dabei in der Geschichte, die da erzählt wird? So, dass wir dann bemerken, wie nicht bloß von dem Sehen der Jünger und ihrer Freude die Rede ist, und von ihrer Traurigkeit, weil sie Jesus nicht sehen. Sondern dass von uns selbst die Rede ist, von unserer Traurigkeit und Freude. Danach will ich fragen.

 

Und – das ist nun die andere Vorüberlegung – dem kommt eine Eigentümlichkeit des Evangelisten Johannes entgegen. In dem, was er uns von Jesus und seinen Jüngern berichtet, ist oft nicht nur eine einfache Bedeutung gegeben. Sondern manche Ausdrücke und Gedanken sind bewusst mehrdeutig gehalten. Und um auf diese Mehrdeutigkeit aufmerksam zu machen, lässt der Evangelist die Jünger fragen, weil sie das nicht verstehen, was zu ihnen gesagt wird. Und Jesus gibt dann noch einmal eine Erklärung seiner Worte, die freilich die Mehrdeutigkeit gerade nicht beseitigt, sondern unterstreicht. So ist es ja auch hier in unserem Text, wo es um das mehrdeutige Sätzlein geht:

„Über ein kleines, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals über ein kleines, dann werdet ihr mich sehen.“ Sicher ist da gemeint, was ich zunächst genannt habe: Jesu Tod und seine Auferstehung. Aber es ist mehr gemeint. Zur Begründung für diese kurze Zeit des Nichtsehens ist ja genannt, dass Jesus zum Vater geht. Dass ihn die Jünger nicht sehen, und darum traurig sind, während die Welt triumphiert, das dauert nicht nur die kleine Zeit zwischen Karfreitag und Ostern. Es ist doch auch jetzt – und da sind wir doch mit dabei, die Jesus jetzt nicht sehen, und warten. Wir wollten gerne, dass er in seiner Herrlichkeit wiederkommt, um diese Welt zurechtzubringen, wie wir es im Glaubensbekenntnis sagen: „Sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.“ Jenes mehrdeutige Sätzlein bezieht sich doch auch auf unser Nichtsehen jetzt und auf dieses Sehen Jesu, das wir erwarten. Aber damit ist sein Sinn noch nicht erschöpft, dass wir sagen: „Es gab dieses Sehen einmal, als die Jünger den Auferstandenen gesehen haben. Und es wird dieses Sehen einmal geben, wenn er in seiner Herrlichkeit wiederkommen wird. Das hieße ja, dass jetzt eben nur die Zeit des Nichtsehens ist – und also für seine Jünger nur die Zeit der Traurigkeit, des Weinens und Heulens. Dass Jesus zum Vater gegangen ist, das heißt ja nicht nur, dass er jetzt fort ist, dass seine menschliche Gegenwart ein Ende hat. Es heißt doch zugleich auch, dass nun seine Gegenwart uns in der Weise der Gegenwart Gottes begegnen kann. Über ein kleines, dann kann das geschehen, dass auch wir ihn sehen. Wenn das geschieht, ist alles klar und fraglos eindeutig. „Ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.“ 

 

Davon will ich zu reden versuchen – von diesem Wiedersehen, und seiner Freude. Es hat viele

Gestalten, das will ich gleich bemerken, und ich kann jetzt nur auf eine dieser Gestalten näher eingehen. Ich sagte ja schon, dass wir da Jesus in der Weise begegnen, wie man Gott begegnet. Das geschieht nicht direkt und unmittelbar – sonst müssten wir vor der Herrlichkeit Gottes vergehen. Es geschieht so, dass wir Gott in seinen Geschöpfen begegnen, in Menschen zumal. Da ist dann Jesu dabei. Wir treffen mit Jesus zusammen, indem wir durch ihn mit Gott zusammentreffen. Noch einmal: Es gibt mancherlei Weise, in der wir so Jesus sehen, und das, wovon ich jetzt reden will, das ist gewiss nicht die einzige Weise!

Aber auch sie gehört dazu, und ich will von ihr reden, gerade weil von ihr nur selten die Rede ist in unseren Kirchen und in unsrer Theologie. Es ist die Weise, Jesu in der Einsamkeit zu begegnen; oder vielleicht sollt ich besser und unmissverständlicher formulieren: In der Einsamkeit mit Jesus Gott begegnen.

 

Dazu will ich an eine merkwürdige Notiz im Markusevangelium anknüpfen. Da heißt es, nachdem von der Taufe Jesu durch Johannes die Rede war: „Und alsbald trieb ihn der Geist in die Wüste; und er war in der Wüste vierzig Tage und ward versucht von dem Satan und war bei den Tieren, und die Engel dienten ihm.“ Ich will jetzt zunächst nur zwei Stichworte aufgreifen: Die Einsamkeit und das andere Leben, die Tiere. In der Einsamkeit, beim anderen Leben, mit Jesus Gott begegnen! Vielleicht kann einer etwas davon ahnen, was das heißt, wenn er beobachtet, wie ein Kind hingegeben seine Katze streichelt. Das mag ein erster Hinweis sein. Doch was da gemeint ist kann noch weiter beschieben werden. Die Wüste, die Einsamkeit, das ist Erfahrung der Nähe des anderen: In der Einsamkeit kann einen die Angst packen, in der ihm das Herz bis zum Hals herauf schlägt. Da fühlt er sein Leben besonders deutlich. Aber die Einsamkeit kann nicht nur diesen bedrückenden Charakter haben, der damit angedeutet ist, dass Jesu da von dem Satan versucht wurde. Die Einsamkeit kann Glück sein – er war bei den Tieren und die Engel dienten ihm. Das hat vielleicht doch der eine oder andere auch schon erlebt, in einer jener ganz seltenen Stunden, wo die Einsamkeit mich nicht in mir selbst verschließt, sondern wo sie mich öffnet.

 

Das meine ich: Dass da Leben, mein Leben, sich verbindet, mit dem Licht, mit der Luft, die ich atme, der Sonnenwärme, die ich auf meiner Haut spüre, und dem leichten Windhauch, dem Duft der Pflanzen, wenn die Sonne an einen Sommertag auf eine Schonung im Wald brennt, dem Gurren einer Taube, oder dem Ruf des Kuckucks, oder dem Schlag einer Amsel.

Dass ich erfahre, wie ich nicht, einfach ich selber bin, außen meine Haut und innen mein Denken, wie vielmehr das alles auch zu mir selber gehört. Das Leben, Gottes Herrlichkeit in seinen Geschöpfen, füllt mich da aus. Das meine ich, wenn ich sage: In der Einsamkeit mit Jesus Gott begegnen. Das ist eine Weise jenes Sehens, von der hier das Johannesevangelium spricht. Und solches Sehen ist immer Freude, ein unbeschreibliche Freude.

 

Doch gerade weil es einen solchen Tag, eine solche Stunde der Freude gibt, weil diese Zeit des Sehens herein steht in unser Leben, deshalb ist da dann auch die Traurigkeit, eine große Traurigkeit. Ich könnte sagen: Wer so einmal in einer kurzen Stunde das Paradies gefunden hat, der trägt die Sehnsucht danach immer in seinem Herzen mit sich. Es kann ja nicht dabei bleiben, dass mein Leben in Einklang mit allem Leben ist. Ich muss wieder hinein in eine Welt, in der Leben um sein Leben mit anderem Leben kämpfen muss – und Sie wissen, wie hart das ist, wie rücksichtslos wir diesen Kampf führen. Der blutige Klumpen über den ich wegfahre mit meinem Auto – vor kurzem war das noch ein lebendiger Hase, oder Igel – zeigt mir das so deutlich wie das Stück Fleisch, das nachher auf meinem Teller liegen wird.

 

Da ist beides sehr nahe beieinander, die Freude und die Traurigkeit. Es ist aber gewiss gut, wenn wir das erleben – und nicht gleichgültig und stumpf werden. Einfacher mag dass ein; und vielleicht gibt es auch das, dass einer sein Herz hart machen muss, um über eine böse Zeit wegzukommen. Wir aber warten: Dass das sich zuträgt wovon hier die Rede ist: „Über ein kleines, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals über ein kleines, dann werdet ihr mich sehen.“ Ein kleines, und noch ein kleines, bis die Zeit der Trauer ganz an ihr Ende kommt.

Amen