Sexagesimä, 1.2.1959                  Wolfenhausen/Nellingsheim

 

293, 1-4     Jesu meine Freude

259, 1-4     Eins ist not

436, 1.2     Herr dein Wort

259, 10      Eins ist not

 

Hebräer 3, 6-14

Lukas 10, 38-42

 

Liebe Gemeinde!

 

Diese Geschichte von Maria und Martha gehört zu jenen fast allzu bekannten Geschichten des Neuen Testaments, welche wir kaum mehr genau und scharf hören können. Denn wir meinen, wir hätten das doch schon lange begriffen, was jene Geschichte uns zu sagen hat mit ihrem: „Eins aber ist not!“ Wir sind gleich bereit, festzustellen, dass die Martha halt jene Weltmenschen vertrete, die vor Sorgen und Hetzen und vieler Arbeit und Mühe nicht mehr dazukämen, das Wort zu hören. Und dass man sich darum eben Zeit lassen müsse, auch noch auf Jesus zu hören. So oder ähnlich sind wir es gewöhnt, die Geschichte von Maria und Martha aufzufassen. So meinen wir,  jenem: „Eins aber ist not“ gerecht zu werden, wenn wir es dem Vielerlei der Anforderungen, die die Welt an uns stellt, entgegensetzten, und meinen, das fordere dieses Wort von uns, dass wir eben auch noch für Jesus Zeit haben. Gewiss ist ein solches Verständnis unserer Geschichte nicht ganz und gar falsch. Gewiss geht es in dieser Geschichte auch um die Forderung, dass wir uns Zeit nehmen sollen, zu hören. – Aber wenn wir dann so schnell bei der Hand sind, die Martha abzuurteilen, da vergessen wir doch wohl allzu gerne das, dass es ja Jesus ist, dem sie dient, dass es ja Jesus ist, um den sie sich Sorge und Mühe macht. Sie ist es, die Jesus ins Haus aufnimmt, sie ist es, die sich um ihn sorgt, die ihn pflegt, die ihn ehrt als den vornehmsten Gast, der je über die Schwelle ihres Hauses gekommen ist!

 

Nur dann verstehen wir unsere Geschichte richtig, wenn wir verstehen, dass sie beide, jede auf ihre Art, den Herrn aufgenommen haben, die Maria und die Martha. Dann verstehen wir es richtig, was uns diese Geschichte lehrt, wenn wir es verstehen, dass es in dieser Geschichte darum geht, uns zu lehren, wie wir den Herrn richtig aufzunehmen haben!

 

Freilich, zunächst werden wir da wohl einmal zu überlegen haben, wie er denn uns begegnet! Nicht wahr, so wie bei Maria und Martha werden wir’s wohl kaum erleben, so, dass Jesus leibhaftig in unsere Mitte tritt – dass er durch unser Dorf geht, dass wir ihn die Haustür aufmachen können, und ihn einladen können, er möge doch zu uns hereinkommen, und bei uns zu Gaste sein – so, wie ihm die Martha ihre Haustüre aufgemacht hat, und hat ihn zu sich hereingebeten!

Das wissen wir wohl: So leibhaftig, wie die Martha können wir dem Herrn nicht die Türe aufmachen. Und da meinen wir dann: Natürlich muss man das heute geistlich verstehen, natürlich muss man Jesus die Herzenstüre aufmachen, damit er zu uns kommen kann. So, so ist das eigentlich gemeint! Ich glaube, dann wenn wir uns so zu denken angewöhnt haben, dann werden wir zum mindesten diese Geschichte von Martha und Maria nicht richtig begreifen können. Denn deshalb ist uns diese Geschichte im Evangelium überliefert, nicht, um uns einfach zu erzählen, dass das einmal geschehen sie, und dass es die Martha so gemacht habe, und die Maria so, als sie beide miteinander Jesus in ihr Haus aufgenommen haben.

 

Vielmehr, deshalb steht diese Geschichte im Evangelium, um uns zu sagen: Seht, so sollt ihr den Herrn aufnehmen, wenn er kommt, wenn er leibhaftig bei euch ankommt. Wir wollen jetzt nicht zu schnell sagen: Ja. Das ist doch nicht möglich! Denken wir einmal an die Worte, die Jesus den Aposteln sagte, als er sie ausgesandt hat, das Evangelium zu predigen: „Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf.“ Und so ist von Jesus über die Apostel hin die Kirche ausgesandt worden. So will der Herr, der erhöhte, der auferstandene Herr kommen, dass er in Gestalt von Menschen kommt, die in seinem Namen da sind, die an seiner Stelle da sind. Das ist dann das, was man so gemeinhin die „Kirche“ heißt, obwohl es eigentlich nur ein Teil der Kirche ist: Die Bischöfe und die Pfarrer, alle jene, die Träger eines geistlichen Amtes sind!

 

Seht, es geht nicht an, das nun zu verdrehen und zu sagen, dass es doch wohl so wörtlich nicht gemeint, sei, dass etwa der Pfarrer an der Stelle Christi stehe, und dass, wer ihn nicht achte, auch Christus nicht achte! Wohl geht das an. Denn da ist nun einmal jenes klare Wort des Herrn, an welchem wir mit dem besten Willen nicht vorbei können –jenes: Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf, wer aber mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat. Vielleicht, dass unsere katholischen Mitchristen ein wenig mehr davon begriffen haben, wenn sie ihre Pfarrer mit den Worten begrüßen: „Gelobt sei Jesus Christus!“ Vielleicht, dass sie sogar ganz allgemein ein wenig mehr begriffen haben von der Leibhaftigkeit, mit der unser Herr Jesu Christus da ist in dieser Welt! Und dass sie darum von klein auf in Ehrfurcht und in Ehrerbietung diesen Herrn gegenüber erzogen werden. Ihr könnt es ja oft genug in der Rottenburger Post lesen, wie da vom Bischof die Rede ist, in welcher Art er aufgenommen wird, als der leibhafte Platzhalter des Herrn.

Oder wie sie von den jungen Männern reden, die sich zum Priesterberuf bereit finden. Mit welcher Dankbarkeit und Freude das alle miteinander erfüllt – dass der Herr weiterhin bei ihnen gegenwärtig sein will. Weiter unter ihnen da sein will!

Schauen wir uns das ruhig einmal an! Sehen wir diese Ehrerbietung. Sehen wir die Achtung vor jenen leibhaftigen Platzhaltern Christi! Vielleicht könnt ihr mich nun fragen: Ja, was hat denn das alles, das du uns da erzählst, mit der Geschichte von Maria und Martha zu tun? Seht, ich meine, unseren Katholiken erginge es fast so wie der Martha. In lauter Freunde darüber, dass der Herr bei ihr war, dass er zu ihr gekommen war, hatte sie es vergessen, wozu er gekommen war. Ich habe oft genug den Eindruck, dass es den Katholiken mit ihrer Hierarchie genauso geht: Vor lauter Freude, dass sie ihre Priester haben, und ihre Bischöfe, und ihren Papst, und vor lauter Ehrerbietung diesen Platzhaltern Jesu gegenüber, vergessen sie, wozu die da sein sollen, die Jesus ausgesandt hat: Um das Evangelium zu predigen, so wie er das Evangelium gepredigt hat! Seht – ich meine, das sei schon richtig, dass er der katholischen Kirche so geht wie der Martha: Da ist viel Ehrerbietung dem Herrn gegenüber, da macht man einen großen Aufwand, da gibt man sich wirklich viele, und ernste Mühe, um es ja richtig zu machen, um ja nichts zu versäumen, jenen Herrn gegenüber, um dessen leibhaftige Gegenwart in seiner Kirche man genau Bescheid weiß. Und darüber vergisst man dann, wozu er eigentlich da ist, dieser Herr. Man vergisst das Hören - man vergisst auch, bei denen, die so geehrt werden, nur gar zu leicht das richtige Predigen, das Evangelium!

 

Also – die katholische Kirche: Das ist die Martha. Und dann können ja wir Evangelischen getrost die Hände reiben und sagen: Wir, wir sind dann also die Maria, wir, wir haben dann also das gute Teil erwählt, das nicht von uns genommen werden soll! Seht! Wenn es so wäre, dann brauchte ich jetzt nicht über diese Geschichte zu predigen. Denn dazu sind wir gewiss nicht beieinander, um uns miteinander durch dies Evangelium bestätigen zu lassen.

 

Aber: Vielleicht könnte es sein, dass uns die Katholiken weit voraus sind, voraus sind in der Ehrerbietung ihrer Kirche gegenüber. Das sie wenigstens jenes eine wissen und begriffen haben, dass ihnen da der Herr leibhaftig begegnet. Dass sie Jesus aufnehmen, wenn sie ihre Kirche und deren Amtsträger aufnehmen. Dass sie dem Herrn Ehrerbietung erweisen, wenn sie ihre Priester ehren. Dass sie es als echte Sorge umfassen, dass doch ja nicht jenes Wunder aufhöre, dass der Herr bei ihnen da ist in seinem leiblichen Platzhaltern, den Priestern. Vielleicht sind sie uns weit voraus, die Katholiken, die wissen, dass Jesu darauf wartet, von ihnen aufgenommen zu werden, in die sich darum alle Mühe geben, ihn auch ja in der rechten Ehrerbietung aufzunehmen. Vielleicht sind sie uns darin weit voraus – weil wir schon gar nicht mehr bereit sind, unsere Kirche so ernst zu nehmen, sie ernst zu nehmen als die leibhaftige Gestalt der Gegenwart unseres Herrn Jesus Christus.

 

Seht, lernen wir das ruhig zunächst einmal an der Martha, dass nichts zu viel ist an der Ehrerbietung, mit der wir den Herrn aufnehmen. Und dann, dann lasst uns von Maria lernen, welcher Art dann die rechte Ehrerbietung ist: Dass sie darin besteht, auf das Wort zu hören! Seht, liebe Freunde: Das ist nun die Ehrerbietung, welche ihr mir als eurem Pfarrer schuldig seid. Und diese Ehrerbietung, die muss ich schon von euch verlangen. Nicht um meiner Person willen – sondern um meines Amtes willen, um des Herrn willen, welchen ich vertrete: Das ist die Ehrerbietung, die ich zu fordern habe, mit allem Ernst und mit allem Nachdruck: Dass ihr es macht wie die Maria. Dass ihr hinsitzt und hört! Ob mich einer auf der Straße zuerst grüßt oder nicht, das ist gleichgültig! Ob er mich für einen heiligen Mann hält und achtet oder nicht, das kümmert mich nicht. „Eins aber ist not!“ Eins ist die richtige Weise, dem Herrn die Ehrerbietung zu bezeugen. Den Herrn, der kommt in dem Vertreter seiner Kirche, aufzunehmen: Das ist das Hören! Das will uns die Geschichte von Maria und Martha sagen, das und nichts anderes.

Amen