19. nach Trinitatis, 20.
Oktober 1963 Wolfenhausen/Nellingsheim
288, 1.2 In
dir ist Freude (129)
227, 1-8 Nun
lasst uns Gott (186)
289, 1.2.3 Auf
meinen lieben Gott (13)
289 4+5 Auf
meinen lieben Gott (13)
Ex 34, 4b-10
Markus 1, 32-39
Liebe Gemeinde!
Stellen wir uns die Verlegenheit vor, in die Petrus und die
anderen Jünger Jesu gerieten, als die Leute da am Morgen dastanden und fragten:
Wo ist er? Wo ist Jesus? Wo ist der, der uns helfen kann! Und sie mussten
sagen: Er ist nicht da, er ist fort gegangen. Wartet – wir wollen ihn suchen
und ihn euch herbringen. Ganz gewiss. Er kommt, er wird euch helfen. Und erst
recht dann die Verlegenheit, als sie Jesus gefunden hatten, und meinten, der
könne gar nicht anderes tun, als auf der Stelle mit ihnen zu kommen, um sich
des Elendes anzunehmen, das da auf ihn wartete. Und er wollte nicht, sagte,
dazu sei er nicht da, er müsse weiter, müsse predigen, hier und dort.
So sind wir dran, genau in dieser Verlegenheit. Und wären
unehrlich und töricht, wenn wir meinten, wir könnten diese Verlegenheit vor
anderen oder vor uns selbst verstecken und so tun, als seien wir besser dran
als Petrus damals. Da ist der Heiland – und da ist das Elend auf dieser Welt.
Wir möchten beides zusammenbringen, wir wollen ihn dazu bringen, dass er sich
dieses Elends annimmt – er kann es doch! Und bringen ihn nicht dazu, zu tun,
was wir wollen.
Und es ist ja wahrhaftig kein eingebildetes Elend, das da ist, das wir wahrnehmen, das nach einen schreit, der hilft, wirklich hilft, weil er es kann. Da ist unser so bedrohter Friede – immer wieder geht es hier oder dort los – die Russen machen auf dem Weg nach Berlin Schwierigkeiten, und die Algerier und Marokkaner schießen aufeinander. Warum können sie denn nicht miteinander in Frieden auskommen! Ein Elend ist das, das nach einem Helfer schreit, das nach dem Heiland schreit. Wo ist er? Da ist der Irrsinn unserer Welt, die nicht zusammenstimmt, wo die einen am Hunger zugrunde gehen, und die anderen mit ihrem Überfluss nicht fertig werden. Warum das? Müsste da nicht einer kommen, der hier Ordnung und Gerechtigkeit schaffen kann, der Helfer, der Heiland? Da ist die Liederlichkeit und Unmoral, in der die einfachsten Regeln von Anstand und Sitte mit Füßen getreten werden, da Gottes Gebote missachtet werden, da die Menschen sich selbst und andere ruinieren, weil sie nicht gehalten sind von einem Höheren, der über ihnen steht, sondern getrieben sind von ihren Begierden, deren sie nicht Herr werden können.
Ein großes Elend, wahrhaftig, das nach dem Helfer schreit,
nach dem Heiland! Da ist die Sinnlosigkeit unseres Lebens, die in Gang gehalten
ist dadurch, dass jeder immer mehr will – und hat er das eine Ziel erreicht,
diese oder jene Anschaffung gemacht, sich zugelegt, was er wünschte, so kommt schon
ein Neues, für das er schaffen uns sparen und sich einsetzten muss. Und so geht
das weiter und immer weiter, in einem Rennen und Jagen ohne Ende!
Ist das nicht ein Elend, das nach seinem Helfer schreit, der
Sinn und Inhalt gibt, dem, was wir tun – nach dem Heiland. Da ist die
Eintönigkeit unseres alltäglichen Tuns, wo es eben immer weiter geht, wo unsere
Zeit Schritt für Schritt hineingezogen wird in ein Tun, das doch nie aufhört,
wo die Arbeit kein Ende nimmt, und wir fragen uns dann: Wozu eigentlich? Wozu
leben wir, wo doch nichts passiert! Ein Elend, das nach dem Helfer schreit,
nach dem Heiland!
Und wie wir von dem Elend, das ich da aufgezählt habe, alle
mehr oder weniger betroffen sind, so hat jeder seine eigenen Sorgen: Die
Müdigkeit des Leibes und der Seele, dass man sich eben so daher schleppt,
Schritt für Schritt. Den Kummer mit diesem oder jenem Menschen – die Krankheit
- die eigene, die schwer genug zu ertragen ist, oder die eines lieben Menschen,
die oft genug noch schwerer aufliegt, wenn man da zusehen muss, und kann doch
nur so bitter wenig tun – das Sterben, das auseinander reißt, die doch
zusammengehörten – wahrhaftig, Elend über Elend, das nach dem Helfer schreit,
nach dem Heiland!
Und hinter dem allem, oft zu gedeckt, und dann doch immer
wieder einmal aufstehend: Die Schuld, die uns anspringt – das hast du versäumt,
jenes hast du schlecht gemacht, da hast du versagt, dort hat der Zorn dich
hingerissen, da hat dich die Freude am Bösen getrieben, zu verletzten, weh zu
tun. Dumm bist du gewesen faul und schlecht – und ist es nicht so: Wenn man die
Dummheit, und Faulheit, und Schlechtigkeit alle auf einen Haufen wirft – dann
kommt eben jenes Elend heraus, über das wir so jammern – und an dem doch keiner
ganz unschuldig ist. Ist da nicht das größte Elend, das nach dem Helfer
schreit, nach dem Heiland!
Da ist das Elend – und dort ist der Heiland – im Buch, in
den Worten. Da steht es doch: Er hat die Macht! Er hat die Teufel verjagt und
die Kranken gesund gemacht – ja, selbst über den Tod ist er Herr geworden: Da
ist er der Heiland, der Helfer – und da ist dies Elend: Und wir bringens nicht
zusammen – bringen ihn nicht dazu, dass er dieses Elends sich annimmt, hilft,
heilt, in Ordnung bringt!
Liebe Freunde! Das ist unsere Verlegenheit, dass wir beides
nicht zusammenbringen, das Elend und den Heiland. Decken wir uns bloß diese
Verlegenheit nicht zu, denn damit ist gewiss niemand geholfen. Man kann diese
Verlegenheit zudecken indem man die Schuld auf die Elenden schiebt – sagt: Bei
uns stimmt das eben nicht, dieses „Jedermann sucht dich“’. Sie gehen ja nicht
in die Kirche, die Leute, sie lesen nicht in der Bibel, sie beten nicht, sie
sind nicht fromm. Darum ist ihnen auch nicht geholfen. Töricht! Sind wir denn
fromm? Und wenn wir hundertmal frömmer wären, wären wir dann aus unserem Elend
heraus?
Nein! Wir machen’s nicht, und wenn wir hundertmal besser all
die Elenden an den Heiland weisen!
Wir können uns die Verlegenheit freilich auch anders
verdenken, so, dass wir uns sagen: Er ist doch da! Er ist da, weil wir
Christen, weil die Kirche da ist. Wir könnens, helfen, heilen das Elend aus der
Welt schaffen, wenn wir uns nur ein bisschen zusammennehmen! Und die anderen –
die Elenden, die fragen dann: Wo sieht man’s? Was tut die Kirche wirklich für
den Frieden, für die Hungernden, für die Moral und so weiter. Und dann stehen
wir erst recht da in unserer Verlegenheit, weil wir auf einmal doch merken: Sie
suchen und wollen den Petrus und die Jünger ja gar nicht, sie suchen und wollen
den Papst nicht und das Konzil nicht, die Landesbischöfe und die Pfarrer nicht,
sie wollen nicht die Frommen und die Gläubigen – sondern nur den einen, den
Helfer, den Heiland! Wo ist der?
Ich sagte: Das ist unsere Verlegenheit, unsere christliche
Verlegenheit, die Verlegenheit der Kirche, der Frommen, die Verlegenheit
gegenüber der Welt: Dass wir das Elend und den
Heiland nicht zusammen bringen, der diesem Elend wehren
kann. Wo ist er? Wie können wir ihn holen – so wie ihn Petrus und die Jünger
damals holen wollten?
Seht: Wir können ihn nicht holen; er hat sich damals nicht
holen lassen, so gut der Versuch des Petrus und der anderen gemeint war. Er
lässt sich genauso wenig heute holen, so gut wir`s auch meinen! Was tun? Da
heißt es: Er sei weitergegangen in die anderen Städte und habe dort gepredigt,
und viele Teufel ausgetrieben. Fangen wir mit dieser Auskunft etwas an? Sind
wir damit aus unserer christlichen Verlegenheit heraus? O nein! Wir sind drin,
und bleiben drin, wenn wir uns nicht darüber weg betrügen. Freilich: Wenn wir
genauer zusehen, bemerken wir, dass wir nicht allein drin stecken in dieser
Verlegenheit. Er ist mir dabei – der Heiland! Je mehr wir seinen Namen anrufen
über dem Elend, ist er mit dabei. Je mehr wir seine Macht predigen, ist er mit
dabei. Darum predigen, beten, warten.
Amen