13. n. Trinitatis 23. August 1959            Wolfenhausen/Nellingsheim

 

143, 1-3     0 Gott, du höchster Gnadenhort (102)

244, 1-5     Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ(120)

518,5.6      Ach komm, füll unsre Seelen (173)

254,6.7      Ich will dich lieben (124)

 

Jak  2, 1-13

Markus 12, 41-44

 

Liebe Gemeinde!

 

Es gibt Dinge, über welche man eigentlich nicht reden sollte. Sonst besteht die Gefahr, dass man sie durch solches Reden eher zerstört als dass man sie richtig erfasst. Ich glaube fast, auch die Geschichte von den Scherflein der Witwe gehört zu solchen Dingen, welche der Gefahr ausgesetzt sind, dass man sie zerstört, wo man sie besonders fest und besonders genau zu erfassen versucht – so, wie der zarte Farbschmelz auf dem Flügel eines Schmetterlings gar zu leicht zerstört wird, wo wir ihn berühren und betasten wollen Aber vielleicht werden wir es doch auch bei solchen Reden begreifen, was die Geschichte meint:

Sehen wir einmal genau zu: Da sitzt Jesus neben dem Gotteskasten, neben der Opferbüchse im Tempel, und seine Jünger umstehen ihn, und sie schauen die Leute an, welche da vorbeikommen, und suchen die Münzen zu erkennen, welche die Einzelnen einwerfen. Wir können uns gut vorstellen, wie die Jünger einander ansehen, wenn da in der Hand eines Mannes ein schweres Goldstück aufblinkt. Das ist ein ganz natürliches Verhalten, diese Freude darüber, dass es an Geld nicht fehlt, wo es um die Unterhaltung des Tempels geht. Denn zu diesem Zweck, zur baulichen Unterhaltung des Tempels, ist das Geld jener Opferbüchsen bestimmt gewesen. Und an diesem Zweck gemessen, da waren die zwei Pfennige, welche jene Witwe geopfert hat, eigentlich gar nichts!

 

Seht – so könnten wir fragen: Hat sich das gelohnt, was jene Witwe getan hat? Dass sie auf das Stück Brot verzichtete, welches ihren Hunger hätte stillen können, und dass sie stattdessen ihr Geld zum Tempel brachte, wo man es gewiss nicht notwendig brauchte, wo es nicht einmal zu einen Stein reichte – und wo doch jene vielen Goldstücke waren, welche die Reichen opferten, sehr erfreulicherweise! Und Jesus hat ja auch gewiss nichts dagegen gesagt, wenn er die Witwe lobte: „Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt, als alle, die eingelegt haben. Denn sie haben alle von dem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut alles, wovon sie lebte, ihre ganze Habe, eingelegt“

 

Ja – wenn wir es von beabsichtigten Zweck aus betrachten, dann ist das Verhalten dieser Witwe wirklich töricht gewesen: für die Tempelerneuerung hat sie mit ihren zwei Pfennigen gewiss nichts erreicht! Und wem war denn nun gedient, wenn sie stattdessen hungrig zu Bett gehen musste?

 

Aber seht – das ist es nun ja wohl gerade, worauf uns Jesus hinweisen will: Diese Zwecklosigkeit, die sich im Verhalten der Witwe zeigt. Dies, dass sie gar nicht fragt und überlegt und abwägt! Dass sie sich nicht darüber besinnt, was denn wohl mit ihrem Geld geschehen könnte. Ob es auch gut angewandt sei. Ob es nicht veruntreut oder zweckfremd verwandet werden könne. Dass sie nicht einmal fragt, ob denn irgendwem mit diesem Geld gedient sei.

Vielmehr: Sie hat ein volles Herz, ein Herz voll Liebe gegen Gott, den sie in seinem Tempel besucht hat, und da fragt sie nun gar nicht weiter nach dem Hin oder Her, sondern sie wirft ihr ganzes Geld in die Opferbüchse und geht heim!

Seht – es ist nicht ganz einfach, mit dieser Geschichte fertig zu werden. Was soll sie uns sagen? Soll sie uns ein Vorbild sein für unser Verhalten, wenn wir an der Opferbüchse vorbeigehen? Dass wir dann eben auch alles, was wir haben, opfern? Seht – ich hielte das für ein Missverständnis dieser Geschichte. Wenn wir an die Opferbüchse denken, dann können wir uns eher die Anderen zum Vorbild nehmen, die vielen Reichen, die viel einlegten. Die Menschen, die den Zweck im Auge haben, und die diesem Zweck entsprechend handeln; die sagen: Es liegt mir daran, dass das Gotteshaus in einem würdigen und seinem Zweck entsprechenden Zustand ist. Das gehört sich so, und dazu will ich beitragen, was mir möglich ist. Oder, anderen Zwecken entsprechend, für die unser Opfer begehrt wird: Ich möchte den Kirchen in der Sowjetzone helfen, dass sie ihren Dienst trotz der Feindschaft des Staates weiter tun können. Darum will ich kräftig in meinen Beutel greifen. Oder: Ich sehe wohl, dass der Dienst der Inneren Mission an den Schwachen, Kranken, Heimatlosen, Gefährdeten notwendig und gut ist und dazu will ich nach meinen Möglichkeiten beitragen!

 

Seht – das ist ein durchaus richtiges und notwendiges Verhalten: Da müssen bestimmte Dinge getan werden, die kraft Herkommens und sachlicher Notwenigkeit eben der Kirche aufgetragen sind. Und dazu sollen die ihren Beitrag beisteuern, die zur Kirche gehören. Das ist gut, richtig, notwendig so. Das haben wir uns zu überlegen bei unseren Opfer: Da ist der Zweck ein guter und notwendiger Zweck – und da sind meine Möglichkeiten, mein voller oder weniger voller Geldbeutel: Und jetzt habe ich einzuschätzen, wie weit ich zu diesem Zweck beitragen kann und beitragen soll! Ohne ein solches zweckhaften Denken, liebe Freunde, geht es nun einmal nicht in der Welt. Und auch die Kirche, die in dieser Welt ihre Aufgaben hat, muss sich solchen zweckhaften Denken anbequemen. Das müssen wir sehen und auch Jesu hat es gewiss gesehen.

 

Aber da ist nun die arme Witwe, und die hat nicht zweckhaft gehandelt. Und Jesus hat ihre Gabe auch nicht nach dem Zweck eingeschätzte, den sie erfüllen konnte. Denn von dem Zweck her gesehen wäre Jesu Wort ja ein barer Unsinn: „Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt, als alle, die eingelegt haben.“

Wenn wir die Gaben noch ihren Zweck betrachten, welchen sie erfüllen können, dann ist und bleibt eben der Hundertmarkschein, welchen der Reiche eingelegt hat, 5000 mal wertvoller als die zwei Pfennige der armen Witwe.

 

Aber gerade darum lobt sie ja Jesus, und das ist dann auch das Besondere seines Blickes, den er den Jüngern vermitteln will - dass diese Witwe nicht an den Zweck gedacht hat. Dass sie nicht an den Tempel und seine bauliche Unterhaltung gedacht hat. Dass sie nicht danach gefragt hat, ob es wohl einen Sinn habe, wenn sie auf ihr Stücklein Brot verzichte. Sondern dass sie eben so vollen und dankbaren und liebenden Herzens gegenüber Gott gewesen ist, dass sie alle Gedanken an den Zweck vergessen hat, und hingab, was sie besaß. Diese heilige Zwecklosigkeit hat Jesus gelobt, diesen Kindersinn! Diese Selbstverständlichkeit der Hingabe, die eben nur aus der wahren Liebe fließen kann. Darin, in dieser selbstverständlichen, vorbehaltlosen Hingegebenheit an Gott hat Jesus diese arme Witwe uns als Vorbild hingestellt.

 

Freilich: Was kann hier Vorbild heißen? Lässt sich denn diese Hingegebenheit einfach nachahmen? Hätten wir wirklich getan, was diese Witwe getan hat, wenn wir nun unseren Geldbeutel oder unsere Brieftasche nehmen und in die Opferbüchse auslehren würden? Hätten wir wirklich das Gleiche getan, wie es jene Witwe getan hat? Oder könnten wir nicht vielmehr so etwas nun bloß mit den Hintergedanken tun: Ich will auch das Lob Jesu erdienen. Ich will es besonders gut machen, will es besser machen, als alle anderen, die heute auch ihr Geld in die Opferbüchse legen? Seht – diesen Hintergedanken hätten wir gewiss, und damit hätten wir schon die Selbstverständlichkeit, die Zwecklosigkeit der Hingabe zerstört, die jene Frau auszeichnet!

So nur können wir ihr vorbildhaftes Handeln recht verstehen, wenn wir es einfach einmal uns vor Augen stellen, es auf uns wirken lassen, ohne dass wir nun gleich meinen: So und nicht anders musst du auch handeln. So sollen wir sie uns vor Augen stellen, als ein bleibendes Bild. Wie uns das Evangelium ja eine ganze Reihe solcher Bilder vor Augen stellt: Bilder einer selbstverständlichen Hingabe, die den Zweck und das Berechnen ganz aus den Augen verloren hat. Denken wir etwas an die Maria, die ihre teuere Salbe nimmt, um Jesu zu salben und so ihre Hingabe zu bezeugen. Da haben die Jünger ja auch gemeint: Das ist doch ein zweckloses und sinnloses Getue. Was soll die Verschwendung. Diese Salbe hätte man teuer verkaufen können, und das Geld den Armen geben: Dann wäre es richtig und sinnvoll angewandet gewesen. Auch da hat Jesu ja die Jünger zurechtweisen müssen, und jene Maria in Schutz nehmen müssen, die mit ihrem Tun gar keine anderen Zweck verband, als die Liebe zu Jesus zu zeigen, von welcher ihr Herz überfloss! Oder denken wir an den aussätzigen Samariter, der als einziger von den zehn, welche Jesus gesund gemacht hat, zu ihm zurückkehrt, und sich vor ihm niederwirft, um seinen Dank abzustatten. Ist das nicht auch zwecklos? Denn Jesus wird sich doch wohl haben denken können, dass die, welche er geheilt hatte, ihm dankbar waren, und voll Verehrung an ihm dachten. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, der Samariter hätte auch keine Zeit verloren, und wäre heimgeeilt, um die Seinen an der Freude über seine Genesung teilhaben zu lassen? Und doch preist Jesus gerade ihn, so wie er die salbende, verschwenderische Maria preist, so, wir er die arme Witwe preist, die ihr Letztes hingab, um die Liebe zu zeigen, welche ihr Herz erfüllte.

 

Seht, liebe Freunde – so ist sie uns Vorbild, diese Witwe. In ihrer vollen und ganzen Hingabe, die nicht nach irgendeinen Zweck und Sinn fragt, sondern die einfach etwas tun muss, dass nicht das Herz zerspringe, das von Liebe übervoll ist. So ist sie uns Vorbild, in ihrer Liebe, die ohne Hintergedanken ist, ohne Überlegungen; die wahr macht, was Jesu einmal gesagt hat: Wahrlich, ich sage euch, so ihr nicht werden wie die Kinder, werdet ihr nicht ins Reich Gottes kommen.

Amen