Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres, 8.November 1959 Wolfenhausen/Nellingsheim
288, 1.2 In dir ist
Freude (129)
564, 1-5 Gott wohnt
in einem Lichte (107)
53, 7.8 Jesus ist
kommen (138 oder 145)
254, 6.7 Ich will
dich lieben (124)
Daniel 7, 1-15
Matthäus
12, 38-42
Liebe Gemeinde!
Wer seine Bibel ein wenig kennt, und weiß, in welchem
Zusammenhang unser Schriftabschnitt überliefert ist, der wird sich gewiss
gewundert haben über die Frage der Schriftgelehrten und Pharisäer: „Meister,
wir wollten gerne ein Zeichen von dir sehen.“
Denn eben noch hatten diese Schriftgelehrten und Pharisäer
ja ein Wunder gesehen, hatten gesehen, wie Jesus einen geisteskranken Menschen
durch die Kraft seiner Persönlichkeit gesund gemacht, wie er seinen verwirrten
Geist wieder zurecht gebracht hatte und ihn zu denen geleitet hatte, denen er
vorher durch sein Irresein, das den Verstand blendete und verstummen ließ, so
unendlich weit entfernt war, auch wenn er leiblich unter ihnen weilte.
So hatte Jesus geheilt und zurecht gebracht – war das nicht
Zeichen genug?
Anscheinend genügte es jenen Leuten nicht. Anscheinend
wollten sie mehr sehen als das, was Jesus tat. Anscheinend genügte ihnen sein
Heilen und Zurechtbringen nicht. Sie wollten etwas ganz Bestimmtes sehen, ehe
sie bereit waren, Jesus anzuerkennen. Und wir können sogar recht genau sagen,
was das gewesen ist, was sie sehen wollten. Es ist an anderer Stelle des
Matthäusevangeliums noch einmal von dieser Zeichenforderung der Pharisäer die
Rede. Und da heißt es, ein klein wenig ausführlicher: Sie „forderten, dass
er sie ein Zeichen vom Himmel sehen ließe.“ Jesus hat genau verstanden, was
seine Gegner meinten, wenn sie von ihm ein Zeichen vom Himmel forderten: Was er
ihnen zeigen sollte, war der Menschensohn, von dem einst Daniel geträumt hatte,
der auf den Wolken des Himmels kommen sollte und sein ewiges Reich aufrichten
sollte. Das war das Zeichen, genau das, das die Pharisäer und Schriftgelehrten
von Jesus sehen wollten: Den, der mit unwiderstehlicher Gewalt Gericht hielte. Den,
der die Bosheit dieser Welt, die Tiere aus dem Meer, aus dem Abgrund,
vernichten sollte. Den, der den guten, den frommen Menschen, der den heiligen
Gottes das Reich verschaffen sollte, die Herrschaft in dieser Welt und über
diese Welt.
Seht – das müssen wir zunächst einmal begriffen haben, wenn
wir Jesu rätselhafte Antwort hören wollen, sie nicht nur den Worten nach hören
wollen, sondern sie auch in ihrem Sinn verstehen wollen. Wir werden dann auch
begreifen, dass jenes Fragen der Pharisäer und Schriftgelehrten gar nicht so
weit weg ist von unserem Fragen. Von unserem Fragen, das gewiss in uns
hochsteigen mag, wenn wir hineinblicken in unsere Welt! Wenn wir sehen, wie es
da zugeht. Wenn ich nun anfangen wollte, das alles miteinander aufzuzählen,
würde ich ganz gewiss nicht bald zu einem Ende kommen. Aber wir wissen ja
selber wohl, wie es aussieht in dieser Welt, wie es da zugeht. Wie einer des
Anderen Feind ist. Wie einer den anderen ausnützen will, wie er ihn
übervorteilen will. Wie da gelogen wird, verleumdet, Ehre geschändet, um Macht
und Vorteil zu erlangen. Wie da gemordet wird, im Kampf der Menschen und der
Völker. Wie da gerüstet wird und auf die Vernichtung des Gegners gesonnen wird.
Ich könnte die Gebote Gottes hernehmen, vom ersten bis zum zehnten und könnte
fragen: Wo ist der Ort, wo diese Gebote noch gelten? Wo Gott wirklich geehrt
wird; wo sein Name heilig gehalten und nicht missbraucht wird; wo der Feiertag
geheiligt wird; wo die Jungen die Alten ehren, wie sich das gehört; wo das
Leben des Menschen geachtet wird; wo die Ehe rein bewahrt wird; wo Gut und
Besitz, die dem anderen gehören, wirklich respektiert werden; wo die Ehre des
Mitmenschen gilt, und niemand wagt, sie willkürlich in den Dreck zu reißen; wo
man weiß, dass die Begierde nach dem, was des anderen ist, der Anfang aller
Sünde ist. Wo ist der Ort, wo dies alles gilt? Wo ist der Ort, wo man Gottes
Willen heilig hält?
Seht – das alles, wie es in dieser Welt zugeht, das liegt
uns ja sehr nahe vor Augen. Es liegt uns tagtäglich vor Augen. Und wo wir das
sehen, werden wir da nicht mit einer inneren Notwendigkeit fragen müssen: Wie
kann Gott das zulassen? Muss er nicht endlich einmal mit Feuer und Schwert
dreinschlagen? Muss er nicht dieser Welt wirklich einmal den Herrn und Meister
zeigen, der er ist?
So ist es damals gewesen, als die Pharisäer und
Schriftgelehrten Jesu Zeichen herausforderten. Da meinten sie: Dauernd redest
du vom Himmelreich, redest du vom Reich Gottes, das nahe herbeigekommen ist.
Jetzt lass uns einmal davon etwas sehen. Hat dir Gott wirklich die Macht
gegeben, dies Reich hereinzubringen in unsere Welt, so zeig doch dieser Welt
einmal ihren Herrn und Meister. Zeig ihnen doch einmal, dass sie es nicht
treiben können, wie sie wollen, sondern dass du gegen ihre Bosheit etwas
ausrichten kannst.
Nicht wahr – das alles ist es, was drin liegt in dieser
Zeichenforderung der Pharisäer und Schriftgelehrten. Und das kennen wir doch
sehr gut. Es steckt drin in unserem Herzen. Wir sehen uns herausgefordert durch
das, was in dieser Welt geschieht. Sehen uns herausgefordert im Namen Gottes
und sehen uns herausgefordert im Namen unseres Glaubens. Denn muss sich nicht
jeder schämen, der bei so einer Welt noch an Gott glauben will? Muss er nicht
verstummen und sich abwenden, wenn er hört, was wir alle, und gewiss nicht nur
einmal, gehört haben: Ihr mit eurem Gott! Ich habe mein Teil erlebt, ich bin im
Krieg gewesen, in der Gefangenschaft, auf der Flucht. Ich habe mein Teil
erlebt, und habe mir mein Teil dabei gedacht. Was ich gesehen habe, das reicht
mir! Wenn Gott so etwas geschehen lässt, dann ist er für mich erledigt. Dann
mögen andere an ihn glauben. Bei mir, da ist es mit dem Glauben endgültig
vorbei.
Nicht wahr – das kennen wir, solches Reden? Und es tut uns
weh bis ins innerste Herz hinein. Aber was sollen wir dazu sagen? Sollen wir
nicht auch eben schreien: Meister, wir wollten gerne ein Zeichen von dir sehen!
Zeig es Gott, zeig es lieber Heiland, dass du der Meister bist, der fertig wird
mit der Bosheit dieser Welt. Zeig ihr den Meister – lieber Herr! Seht, so
müssen wir die Pharisäer und Schriftgelehrten sehen, mit denen Jesus
aneinandergeraten ist. Es war ihnen bitterernst mit ihrem Fragen! Es war ihnen
bitterernst mit ihren Warten und Hoffen, dass es doch möglichst schnell vollends
zu Ende ginge mit dieser Welt, mit der Bosheit dieser Welt, mit ihrer
Gottlosigkeit, mit all ihrem Elend. Wir müssen sie verstehen, liebe Freunde,
müssen begreifen, dass es wohl unser eigenes Herz, unser eigener Glaube ist,
der so fragt, heischt, fordert – wie sie Gottes Gerechtigkeit und sein Gericht
herausgefordert haben. Wir brauchen gewiss nicht auf sie herabzusehen. Es war
ihnen bitterernst mit ihrem Glauben, mit Gottes Gerechtigkeit, mit der
Anfechtung, die ihnen daraus erwuchs, dass so bitter wenig von dieser
Gerechtigkeit Gottes zu sehen war in dieser Welt.
Gerade dann, wenn unser Herz mit diesen Pharisäern und
Schriftgelehrten schlägt, gerade dann, wenn wir ihre Frage wirklich zu unserer
Frage gemacht haben, gerade dann, und nur dann, liebe Freunde, werden wir Jesu
Antwort begreifen können: „Das böse und abtrünnige Geschlecht sucht ein
Zeichen; und es wird ihm kein Zeichen gegeben werden denn das Zeichen des
Propheten Jona.“
Diese Antwort ist ein Rätsel. Ein Rätsel, das er ganz
bewusst seinen Gegnern aufgegeben hat – dass sie es lösen sollten. Sie waren ja
fromme, schriftgelehrte Leute, sie kannten ja das Prophetenbüchlein von Jona,
der in die große Stadt Ninive gehen sollte, um ihr Gottes Gericht anzukündigen.
Und der geflohen ist vor diesem Auftrag, bis ihn Gott durch die Schrecken des
Meeres, durch den Walfisch, der ihn verschluckte und wieder ausspie, doch dazu
brachte, dass er diesen Auftrag erfüllte (Nachlesen!). Sie waren
schriftgelehrte Leute, also sollten sie nachdenken und jenes Rätsel lösen, das
er ihnen mit dem Wort vom Jonazeichen aufgegeben hatte.
Seht, liebe Freunde – es ist auch für die Jünger ein Rätsel
gewesen, dieses Wort vom Jonazeichen. Und als die Evangelisten ihre Bücher
schrieben, da haben sie, Matthäus auf seine Weise, und Lukas auf seine Weise,
ihren Lesern einen Hinweis gegeben, wie dies Rätsel zu lösen sei. Ich will auf
den Hinweis des Matthäus gleich zu sprechen kommen. Doch vorher möchte ich
andeuten, wie ich selbst dies Rätsel in Jesu Wort lösen möchte. Dazu muss ich
noch einmal auf den Propheten Jona zu sprechen kommen. Warum wollte er Gottes
Auftrag nicht ausrichten? Warum wollte er diesem Auftrag entfliehen? Das wird
uns dort genau erzählt: Er wusste im Grunde seines Herzens wohl: Ich bin der
Blamierte, wenn ich in diese Stadt komme und sage: Es sind noch 40 Tage, so
wird Ninive untergehen. Warum? Weil doch nichts geschieht. Weil es Gott reut.
Weil er gnädig ist. Das hält er Gott ja vor, dieser Jona: „…ich weiß, dass du
gnädig, barmherzig, langmütig und von großer Güte bist und lässt dich des Übels
reuen.“
Seht – das ist das Zeichen des Propheten Jona, das, was der
gesehen hat von Gottes Gericht über die böse Stadt Ninive: Es ist nicht
gekommen, dies Gericht. Vielmehr, das harte Wort, das Jona redete, das hat
geholfen, geheilt, zurecht gebracht, dass sie weiterbestehen konnte, diese
Stadt Ninive.
So sollten die Juden es merken, so sollten sie Jesus
verstehen und sein Rätselwort vom Jonazeichen deuten: Nicht das ist Gottes
Reich, nicht so zeigt er der Welt den Meister, dass er verdammt und tötet und
richtet und zusammenschlägt. Sondern so zeigt er ihr den Meister, dass er hilft
und heilt und zurecht bringt! Die Niniviten, die haben`s gemerkt – sie haben
sich helfen und heilen und zurecht bringen lassen durch Jona, den unwilligen,
den lieblosen Prediger. Wie viel mehr wir – denen Gottes Wort durch Jesus
gepredigt wird, voll Liebe und Geduld und Langmütigkeit. Wohl uns, wenn wir das
begreifen – dass sich nicht Jesu Wort an uns erfülle: „Die Leute von Ninive
werden auftreten beim Gericht mit diesem Geschlecht und werden es verdammen;
denn sie taten Buße nach der Predigt des Jona.
Das ist das Zeichen des Jona, liebe Freunde, welches uns
gegeben wird, wenn wir mit eifernden und brennenden Herzen das Gericht herab
rufen auf diese böse Welt; das ist das Zeichen, welches Jona empfing, welches
wir empfangen werden: Das Gericht kommt nicht! Vielmehr: So zeigt Gott dieser
Welt den Meister, dass er ordnet und zurecht bringt.
Freilich, die ganze Tiefe jenes Rätsels haben wir noch nicht
gelöst, wenn wir nur dies sagen: Das Gericht kommt nicht. Darauf weist uns der
Evangelist Matthäus hin mit seiner Deutung, welche er Jesu Rätsel gegeben hat: „Gleich
wie Jona drei Tage und drei Nächte in des Fisches Bauch war, so wird des
Menschen Sohn drei Tage und drei Nächte im Schoß der Erde sein.“
Das will uns freilich auch noch ein wenig rätselhaft
erscheinen. Aber so schwierig ist das nicht zu verstehen: Seht, der, welcher
Gottes Strafe leiden muss im Büchlein Jona, das ist der Prophet selber und
nicht die Stadt, in die er gesandt ist. So, meint Matthäus, müsst ihr das
sehen: Der, welcher Gottes Strafe leidet, das ist der Heiland selber, der
Menschensohn, der in die Welt gesandt ist. Nicht die böse, verderbte Welt soll
Gottes Strafe leiden. Sondern der wird leiden, der gekommen ist, um zu helfen
zu heilen und zurechtzubringen. So sieht das aus – ihr mit euren Herzen, die
für Gott zu eifern meinen, die sein Gericht herab rufen möchten über die böse
Welt. So sieht das aus, wenn einer wirklich für Gott eifert, nicht mit bösen
und abtrünnigen Herzen, sondern erfüllt von Gottes Weisheit, die größer ist als
die Weisheit Salomos. Wenn euch die Verderbtheit dieser Welt anficht, dann
stellt euch neben ihn, den Meister, der half und heilte und zurecht brachte und
empfangt weiter den Undank, der nun einmal der Welt Lohn ist – und den Dank
Gottes, der Jona nicht im Bauch des Walfisches verkommen ließ.
Amen