Kantate, 26. April 1959 Wolfenhausen/Nellingsheim
199, 1-6 Lobet den
Herren, denn er ist
239, 1-6 Nun freut
euch, lieben Christen
238, 5 O
dass ich tausend Zungen
188,4.5 Nun lob
mein Seel den Herren
Psalm 8
Matthäus
21, 14-17
Liebe Gemeinde!
Ich glaube nicht, dass jene Kinder im Tempelhof gewusst
haben, was das bedeutete, was sie da riefen: „Hosianna dem Sohne Davids!“ Sie
hatten es ein paar Stunden vorher gehört, beim Einzug Jesu in Jerusalem, als
eine ganz begeisterte Volksmenge geschrien hatte. Und nun haben sie
weitergemacht, haben sie weitergerufen. Auch als die anderen, die erwachsenen
Hosiannarufer schon längst wieder auseinandergelaufen waren, wollten sie das
neue, interessante Spiel weitertreiben.
Aber dieses Rufen, das hat den Alten nun nicht gepasst.
Sicher war es nicht die Sorge darum, der Lärm könne die Heiligkeit des
Gotteshauses stören. Um den Tempel herum war es immer recht laut, und es hatte
ja auch niemand – keiner außer Jesus, daran Anstoß genommen, dass sich
allmählich im Tempelvorhof ein halber Jahrmarkt angesammelt hatte von Leuten,
die Geld wechselten, oder Andenken verkauften, oder Opfertiere feilboten. Nicht
um die Heiligkeit des Tempels ging es diesen Leuten, als sie Jesu auf dies
Geschrei aufmerksam machten mit der unausgesprochenen, aber sehr deutlichen
Aufforderung, er solle nun raschestens für Ruhe sorgen. Er hatte sich ja eben
auch für die Heiligkeit des Gotteshauses eingesetzt, als er die Händler und
Geschäftemacher voll Wut aus dem Tempel jagte!
Wir brauchen nicht lange herumzurätseln, warum diese Leute,
die da zu Jesus traten, und die der Evangelist etwas allgemein als die
Hohenpriester und Schriftgelehrten bezeichnet, solchen Anstoß an dem Hosianna
der Kinder genommen haben. Dieses Geschrei war ihnen ganz einfach peinlich.
„Hosianna dem Sohne Davids“ – Das hieße, in unsere heutige Kirchensprache
übertragen etwa so viel: „Der Heiland ist da, nun ist alles gut.“ Das hat ihnen
nicht gefallen: Vielleicht hatte sich der eine oder andere am Morgen auch
anstecken lassen von dem Geschrei der Volksmenge, als Jesus auf dem Esel in
Jerusalem einritt. Wir wissen ja sehr wohl, wie ansteckend ein solches
allgemeines Rufen ist. Vielleicht haben wir auch einmal mitgerufen, in jener
Zeit, wo ein solches allgemeines Heil – rufen üblich war, und schämen uns
nachträglich darüber, dass wir so töricht waren, dass wir nicht gemerkt haben,
dass da gar kein Heil, sondern finsteres Unheil sich zusammenbraute!
Jedenfalls – die da zu Jesus kamen, die wollten jetzt nichts
mehr hören von diesem Geschrei.
Auch die unmündigen, die unwissenden Kinder sollten
schweigen-. Denn dazu waren doch die Zeiten nicht angetan, dass man sich
einbildete, der Heiland sei da. Vielmehr, es waren ernste Zeiten, böse Zeiten,
Kriegsgefahr, Fremdherrschaft, immer neue Steuererhöhungen.
Und dazu ein ständig stärker werdender Abfall vom Glauben,
den nur noch wenige mehr richtig erst nahmen. So sah es aus. Da war es doch
wirklich nicht an der Zeit, zu schreien: „Der Heiland ist da! Jetzt ist alles
gut!“
Aber warum kamen sie dann ausgerechnet zu Jesus, diese
Leute? Seht, sie dachten gewiss: Der ist ein vollmächtiger Mann; ein gewaltiger
Prediger; einer, der wunderbare Macht über die Krankheit hat; einer, dem
niemand widerstehen kann, wenn ihn einmal der heilige Zorn packt – so wie sie
das eben noch bei der Tempelreinigung erlebt hatten. Das alles haben sie ja
gesehen und erlebt, und werden’s wahrscheinlich eben hingenommen haben, ob es
ihnen nun besonders gefiel oder nicht. Aber sie meinten: So vermessen kann er
doch nicht sein, dass er von sich selber glaubt, er sei der Heiland
höchstpersönlich. Da müsste schon noch ein ganz Anderer kommen, einer, der die
Zeiten ändern würde, so, dass es einem frommen und gottesfürchtigen Menschen
wieder gefallen kann in dieser Welt! Darum meinten sie: Jesus hat`s vielleicht
noch gar nicht recht beachtet, was die Kinder da schreien. Wenn wir es ihm
sagen, dann wird er dieses Geschrei bestimmt abstellen, damit ja kein
Missverständnis entsteht!
Und dann mussten sie ihre Enttäuschung erleben; denn Jesus
bedeutete ihnen: Das ist gar kein Missverständnis, jenes Rufen der Kinder, „Der
Heiland ist da, nun ist alles gut!“ Sondern das ist wahr und richtig, ob es
diese Kinder da nun verstehen oder nicht. Das muss so sein – und nach der
Überlieferung dieses Wortes, wie sie uns im Lukasevangelium erhalten ist, hat
Jesu sogar gesagt: Wenn diese schweigen, dann werden die Steine schreien. Das
muss so sein, hat Jesu jenen Leuten zur Antwort gegeben, und hat`s ihnen noch
besonders bewiesen, indem er auf eine Weissagung der Schrift deutete: „ Habt
ihr nie gelesen: Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du Lob
zugerichtet.“
Das gehört sich so, das ist ganz in Ordnung nach der Meinung
Jesu, dass man das nun hören soll: “ Der Heiland ist da, nun ist alles gut.“
Soweit unsere Geschichte, die wir zunächst einmal recht begreifen müssen, ehe
wir nun weiterfragen: Ja, aber was soll das für uns sagen.
Wir werden sicher nicht bestreiten, dass die Kinder damals
mit Recht gerufen haben: „Der Heiland ist da, jetzt ist alles gut!“ Denn das
haben wir ja von klein auf gelernt, dass Jesu der Heiland ist! Wir werden das
nicht bestreiten, dass die Kinder damals recht gehabt haben. Aber eben damals –
und dies damals, das hilft uns heute doch eigentlich gar nichts mehr. Denn
können wir heute mit unseren Nöten, mit unseren Krankheiten des Leibes und der
Seele, zu Jesu kommen, damit er uns heile, so wie damals die Lahmen und Blinden
gekommen sind im Tempel, und er machte sie gesund?
Seht, liebe Freunde- darum geht`s recht eigentlich in dieser
Geschichte, ob wir das auch hören, und sagen und singen können, wie es die
Kinder damals im Tempel getan haben: „Hosianna, dem Sohn Davids!“ „Der Heiland ist da, nun ist alles gut!“
Alles gut? Nichts ist doch gut, so wollten wir lieber sagen!
Mühe und Arbeit von morgens bis abends! Und wenn es nur das wäre. Aber da ist
der Ärger. Der Ärger darüber, dass nichts so voran geht, wie wirs`s eigentlich
wollten. Der Ärger darüber, dass die andren nicht so wollen, wie wir selber. Da
ist die Angst davor, dass wir noch einmal so schlechte Zeiten erleben müssen,
wie wir sie durchgemacht haben. Die Angst, ob unsere Wirtschaft weiter günstig
laufe. Die Angst, ob uns der Friede erhalten bleibe. Da ist die Sorge um die
Jungen, denen anscheinend gar nichts mehr heilig ist. Die sich um die alten,
überlieferten Sitten gar nicht mehr kümmern. Die den Glauben, der uns heilig
ist, gar nicht mehr achten. Da ist die Sorge um Kraft und Gesundheit, darum, ob
wir auf unser Alter hin wirklich auch
gut versorgt sind. So hängt eines am anderen. Und davon können wir doch einfach
nicht absehen. Können doch nicht einfach so tun, als ob es das alles nicht
gäbe. Können doch nicht einfach sagen: „Der Heiland ist da, nun ist alles gut.“
Seht, liebe Freunde! Erst, wenn wir so weit sind mit unseren
Fragen, erst dann werden wir begreifen, was Jesu meint, wenn er seine Gegner
fragt: „Ja! Habt ihr nie gelesen: Aus dem Mund der Unmündigen und Säuglinge
hast du Lob zugerichtet.“
Freilich, dann haben wir dieses Wort noch nicht richtig
begriffen, wenn wir meinen, das hieße nun eben, wir sollten das Loben den
Kindern überlassen. Wir sollten es ihnen überlassen, zu singen und zu sagen:
„Der Heiland ist da, nun ist alles gut!“
Sollten ihnen das überlassen, und uns weiter plagen mit den
Realitäten dieser Welt, von welcher wir doch gewiss bei einer halbwegs
nüchternen Betrachtung sagen müssen: Nichts, aber auch gar nichts ist gut! Und
erst recht wird nichts besser, sondern eher schlimmer und schlimmer.
Nein! Nicht das meint Jesu Wort, dass wir den Kindern jenen
Glauben überlassen sollen, der da heißt: „Der Heiland ist da, nun ist alles
gut.“ Sondern das heißt Jesu Wort: Begreift einmal, dass nicht die recht haben,
die da sagen: Nichts ist gut! Das wissen wir genau. Sondern alles ist schlecht und
wird nur immer schlechter. Begreift einmal, dass nicht die Recht haben, die so
sagen, sondern, dass das wirklich wahr ist: „Der Heiland ist da, nun ist alles
gut!“
Vielleicht würden wir diesen Satz sogar als richtig
zugestehen, wenn er ein wenig eine andere Form hätte, wenn er so lautete: „Wenn
der Heiland da wäre, dann wäre alles gut!“
Seht, hier geht’s nun wirklich um die ganz Wahrheit unseres
Glaubens, und die heißt: Der Heiland ist da – ist da, wenn du ihn haben willst.
Die Hohepriester und Schriftgelehrten, die wollten ihn ja nicht haben – und so
heißt es ganz kurz und einfach: „Und er ließ sie da und ging zur Stadt
hinaus nach Bethanien.“ Er ließ sie da, lies sie stehen, weil sie das nicht
begreifen wollten, was die Kinder gerufen haben. Begreifen wir es?
Seht - das fällt uns gewiss schwer. Denn es verlangt von
uns, dass wir wirklich glauben. Und glauben, das ist eine schwere Sache, eine
große Kunst. Eine Kunst, die man nicht einmal erlernen kann, sondern die einen
von Gott geschenkt werden will. Seht, da merken wir nun noch einmal, was es
heißt, dass es gerade die Kinder gewesen sind, die Jesus zuriefen. Und dabei
spielt es meines Erachtens gar keine Rolle, ob diese Kinder verstanden haben,
was sie taten, oder nicht!
Das soll uns zeigen: Seht, ihr könnt nicht Kinder werden!
Mit all euerer Anstrengung, mit all eurem Bemühen würdet ihr es höchstes soweit
bringen, eben kindisch zu sein! So steht es mit eurem Glauben: Und wenn ihr
euch noch so anstrengt, den rechten Glauben, der zu rufen versteht: „Der
Heiland ist da, nun ist alles gut“- den werdet ihr nicht hervorbringen, sondern
höchstens einen falschen, eingebildeten, selbstgemachten Glauben – kein
kindliches Zutrauen, sondern eine kindische Einbildung. Das zeigt uns dies
Geschehen im Tempel: Wir haben es nicht in der Hand, dass uns diese Gewissheit
erfüllt: „Der Heiland ist da, nun ist alles gut!“
Aber – eines können wir vielleicht doch tun, ob wir`s nun
verstehen oder nicht, und uns dabei des trösten, dass die Kinder es ja auch
nicht ganz begriffen haben: Wir können singen und loben.
Amen