2.Advent 7.Dezember 1958               Wolfenhausen / Nellingsheim

 

10,1-4                 Wie soll ich dich empfangen

3,1-5          Ihr lieben Christen freut euch nun

7,5.6          Nun jauchzet all, ihr Frommen

10,10                  Wie soll ich dich empfangen

 

Ps 2  Mt 24,1-14

 

Liebe Gemeinde!

 

Es ist eine sehr wichtige und sehr ernste Frage, mit der die Jünger an Jesus heran treten: „Sage uns, wann wird das geschehen? Und welches wird das Zeichen sein deiner Zukunft und des Endes der Welt?“ Denn in dieser Frage, da steckt doch die große Sehnsucht nach der Vollendung. Da steckt doch die große Sehnsucht, Gottes Herrschaft sehen zu dürfen, eine Herrschaft, die nicht mehr getrübt ist durch die menschliche Sünde, eine Herrschaft, die sich über die ganze Welt erstreckt und alle Menschen unter ihren Friedensszepter vereint. Wann wird das geschehen? So fragen die Jünger ihren Herrn. Wann wirst du mit deiner ganzen unbegreiflichen Macht hervor treten aus der Niedrigkeit, in welche du dich bisher verhüllt hast? Wann wirst du deinen Feinden, die dich verfolgen, die dich töten, wann wirst du es ihnen zeigen, dass du der Herr bist, und dass sie gegen dich ganz gewiss nicht ankommen können?

Doch nun müssen wir noch einmal genauer hinsehen auf diese Frage: Wann wir das geschehen? Und welches wird das Zeichen sein deiner Zukunft und des Endes der Welt? Die Jünger haben ja diese Frage gestellt, als Jesus ihnen die Zerstörung des Tempels voraus sagte. Sie hatten ihm diesen Tempel gezeigt, seine Mauern, die wie für die Ewigkeit gebaut schienen. Und Jesus sagte ihnen: Kein Stein wird auf dem anderen bleiben. Und da haben die Jünger gedacht: Wenn das geschieht, dann ist ganz gewiss das Ende der Welt da. Wenn dieser Tempel in Jerusalem zerbrochen ist, dann ist ganz gewiss das größte und gefährlichste Bollwerk zerbrochen, das der Herrschaft Christi im Wege steht! Wie recht haben sie damit gehabt, wenn sie meinten: Dieser Tempel, in welchen sich die jüdische Gemeinde zum Gottesdienst versammelt, in welchem geopfert, gebetet, gepredigt wird – gerade dieser Tempel, dieser Ort der Ewigkeit, sei ein gefährliches Bollwerk, das der Herrschaft Christi entgegen steht. Denn die dort im Tempel, die Priester, die frommen und gesetzestreuen Schriftgelehrten, die ganze festesfreudige Menge – die dachten: Was brauchen wir denn auf Jesus zu hören? Wir haben doch Gott in unserer Mitte! Gott ist bei uns! Wir sind mit ihm im Reinen, wenn wir nur nach seinen Geboten leben! Was brauchen wir das Reich Christi? Was brauchen wir seinen Ruf zur Buße? Was brauchen wir die Gnade und Sündenvergebung? Was brauchen wir die Liebe, von der er redet?

Seht, liebe Freunde: Weil sie den Tempel hatten, darum meinten die Juden, sie brauchten Jesus und sein Wort nicht. Weil sie den Tempel hatten, als ein sichtbares Zeichen dafür, dass Gott in ihrer Mitte sei, darum hatten sie Jesus ausgestoßen!

Ja, die Jünger hatten nicht ganz Unrecht, wenn sie meinten: Sobald der Tempel in Trümmer gefallen ist, wird es aus sein mit der falschen Frömmigkeit und der trügerischen Selbstsicherheit des jüdischen Volkes. Dann, dann werden sie endlich erkennen, was zu ihrem Frieden dient. Dann werden sie endlich auf Jesu Wort hören – dann wird er in der Herrlichkeit seines Reiches kommen können! Seht – Jesus hat den Jüngern diese Meinung nicht bestätigt. Noch immer steht diese Frage über der Christenheit: „Wann wird das geschehen?“ Freilich, der Tempel ist in Trümmer gesunken, wie Jesus das verheißen hatte. Aber sie haben neue Tempel aufgerichtet, Tempel aus Stein, und Tempel aus Gedanken, Tempel, von denen sie meinten, Gott wohne darin, Tempel, die ihnen Sicherheit geben sollten. Nicht nur die Juden haben das getan. Auch wir, liebe Freunde, auch wir sind versucht, solche Tempel zu errichten, Tempel der Selbstsicherheit und der Frömmigkeit, die wir selbst wählen, dass wir darüber Jesu Wort nicht mehr hören. Denken wir einmal 20 Jahre zurück! Haben wir nicht gemeint, unser Volk, das deutsche Volk, das sei in besonderer Weise Gottes Wohnung? Dieses Volk, es sei dazu da, Gottes Willen zu vollstrecken, es sei da, der Welt ihre Ordnung zu bringen! „Am deutschen Wesen wird die Welt genesen!“ So hat es geheißen. Seht, dieser Deutschglaube, der uns noch allen in den Knochen sitzt, den wir alle noch nicht ganz überwunden haben, obwohl er sich heute nur vornehmlich bei ‚Fußball-Weltmeisterschaften austobt – dieser Deutschglaube, der ist auch so etwas wie ein Tempel gewesen. Ein Bollwerk der menschlichen, der deutschen Selbstsicherheit, die sich nicht durch Jesu Wort zur Buße und Umkehr rufen lassen wollte. Wir haben es schrecklich erlebt, wie Gott diesen Tempel zerschlagen hat. Wie er die deutsche Selbstsicherheit zerstörte bis in den tiefsten Grund hinein. Wie wir voll Grauen erkennen mussten, welcher Abgrund von Gemeinheit und Bosheit in der deutschen Seele schlummert. Haben wir etwas gelernt? Wollen wenigstens wir Deutschen es nun bleiben lassen, Tempel der Selbstsicherheit und Selbstgerechtigkeit aufzurichten? Wollen wenigstens wir uns dem Worte Jesu öffnen, uns allein auf seine Gnade verlassen, und allein seiner Liebe in unserem Herzen Raum geben? Nein! Sind wir nicht dabei, aus den Trümmern unseres deutschen Tempels, aus den Trümmern unseres deutschen Glaubens und deutschen Reiches nun einen neuen Tempel zusammen zu fügen, den Tempel des sogenannten christlichen Abendlandes? Meinen wir nicht, Gott sei auf unserer Seite, weil wir Abendländer, weil wir doch die christlichen Völker Europas sind? Meinen wir nicht, Gott sei mit uns in der weltpolitischen Auseinandersetzung, in der wir stehen? Sind wir nicht der Meinung, wir, die westliche Welt, wir verteidigten Gottes Willen und Gottes Gebot?

Ich will damit nicht behaupten, dass Gott nun auf der anderen Seite sei. Aber soviel möchte ich doch sagen: Gott ist auch nicht auf unserer Seite in dieser Auseinandersetzung, und wir geben uns alle einer falschen, gottlosen, trügerischen Sicherheit hin, wenn wir uns einbilden, das sei der Fall! Wenn wir meinen, Gott sei doch ganz gewiss auf unserer Seite, weil wir ja so fest gegen den gottlosen Kommunismus uns rüsten! Wenn wir meinen, Gott sei auf unserer Seite – Hier ist das Christentum, hier ist der rechte Glaube! Wie töricht ist das doch, und welch ein Schrecken muss den fassen, der das ansieht und erkennt, wie da in unserem Deutschland, das sich von dem Schlag des göttlichen Zornes noch nicht erholt hat, schon wieder ein neuer Tempel gebaut wird, ein Bau der menschlichen Selbstsicherheit, der mit frommen Worten verbrämt und mit dem Namen Christi geschmückt wird, der aber wahrhaftig nicht besser ist als jener Tempel, dem Jesus die Zerstörung weissagte! Und im Schutze dieser Sicherheit, die uns das sogenannte christliche Abendland gewährt, von dem wir glauben, dort sei Gott, im Schutze dieser Sicherheit, da jagen wir dann in unserem Materialismus den Gütern dieser Welt nach! Wo bleibt da Jesus? Wo bleibt da sein Wort? Haben wir noch Ohren, auf ihn zu hören? Sind wir bereit, die Botschaft seiner Gnade an zu nehmen? Sind wir bereit, unser Herz von seiner Liebe erfüllen zu lassen?

Seht! Wer das ansieht, dieses ständige Neubauen der Tempel der Selbstsicherheit, wer das ansieht, wie sich da dem Reich Christi immer wieder neue Bollwerke entgegen stellen: Dem wird, mit einem tiefen Seufzen, die Frage auf den Lippen stehen: Wann, endlich, ist es damit vorbei, mit diesen Lügentempeln! Wann fallen sie endgültig in Trümmer, wie du, Herr, das verheißen hast? „Sage uns, wann wird das alles geschehen? Und welches wird das Zeichen sein deiner Zukunft und des Endes der Welt?“ Ja, soll den das ewig so weiter gehen? Wird denn Jesu Kraft und Herrlichkeit ewig verborgen sein? Wird sie nie sichtbar werden, dass es dann aus ist mit aller unserer Selbstsicherheit und Selbstgerechtigkeit. Seht, das ist die Frage, welche die Jünger stellen. Die Frage, die aus einem gläubigen Herzen hervor bricht.

Und doch, das ist das so sehr Seltsame: Jesus verweigert eine Antwort auf diese Frage. Statt den Jüngern zu sagen, wann das eintritt, was sie ersehnen, statt ihnen zu erklären, wie lange Zeit sie noch warten müssen auf seine Zukunft, auf das Ende der Welt – statt ihnen darauf eine Antwort zu geben, ermahnt Jesus sie. Er sagt ihnen nicht, wie lange diese Welt noch dauern wird. Er erklärt ihnen nicht, wie lange sein Reich und seine Herrschaft in der Verborgenheit bleiben werden. Viel mehr gibt er ihnen eine doppelte Mahnung, die ihnen helfen soll, diese Zeit durch zu stehen, diese Zeit, da Gottes Herrschaft auf dieser Welt verborgen ist in den Herzen seiner Gläubigen. Diese doppelte Mahnung heißt: Lasset euch nicht verführen – und: Harret aus!

Lasset euch nicht verführen. „Denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin Christus und werden viele verführen.“ „Und es werden sich viele falsche Propheten erheben und werden viele verführen.“ Werden wir fest bleiben? Werden wir de Versuchung nicht erliegen? Seht, wenn uns der Kommunismus angepriesen wird als der Weg, auf dem die Menschen glücklich werden können, so wie sie einst im Paradies glücklich waren, so werden wir es wohl alle miteinander nicht sehr schwer haben, dieser Verführung zu widerstehen. Denn der Augenschein belehrt uns ja sehr deutlich eines Besseren. Doch werden wir auch der Verführung so klar widerstehen können, wenn sie sich mit dem Namen Christi bezeichnet? Das hat uns der Herr ja voraus gesagt, dass viele in seinem Namen kommen werden. Dass sie sich inter ihrer Christlichkeit verstecken werden. Dass sie sich als christlich bezeichnen werden und ihre Ziele als die christlichen Ziele darstellen werden! Sie werden viele verführen, sagt uns unser Herr! Haben wir den klaren Blick, zu erkennen, wo es wirklich die Sache Christi ist, die um unseren Beistand ruft. Und wo es nur politische, oder wirtschaftliche, oder auch kulturelle und kirchliche Machtinteressen sind, die uns unter Christi Namen angeboten und auferlegt werden! Seht – das ist wahrhaftig ein Zeichen des Endes, dass Christi Namen missbraucht wird. Missbraucht wird in einer ungeheuerlichen Weise. Sehen wir doch nur an, was sich heute alles christlich heißt! Wir haben einen christlichen Staat und eine christliche Verfassung, wir haben eine christliche Schule und eine christliche Kultur, wir werden von einer christlichen Partei regiert, das Weihnachtsfest, das Fest der Geburt Christi, wird zu einem großen Geschäft – wo wir hinhören, tritt uns Christi Namen entgegen! Lasst euch nicht verführen, so mahnt uns der Herr. „Denn es werden viele kommen unter meinem Namen ... und werden viele verführen.“

Darum ruft uns Christus zu: Harret aus! Denn „wer beharret bis ans Ende, der wird selig.“ Es wird schlimm zugehen in der Welt, Krieg und Kriegsgeschrei, Pestilenz, teure Zeit und Erdbeben hin und her. Verrat und Hass und Ungerechtigkeit unter den Menschen. Aber nicht das alles ist Zeichen dafür, dass das Ende nahe ist. Nicht das alles soll unseren Blick fesseln. Nein! Das, was wirklich wichtig ist, das, was wirklich die letzte und endgültige Entscheidung über diese Welt herbei führen wird, das ist das Evangelium vom Reich, das Evangelium von der verborgenen Herrschaft Gottes in dieser Welt. „Und es wird gepredigt werden das Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zu einem Zeugnis über alle Völker. Und dann wir das Ende kommen.“ Seht, wir fragen in der Ungeduld unseres Glaubens, der den sichtbaren Anbruch des Christusreiches ersehnt, fragen: Wann wird das alles geschehen? Wie Jesu Jünger. Aber der Herr, der verweist uns auf sein Wort. Diese Wort wird gepredigt in aller Welt. Und solange dieses Wort gepredigt wird, solange dauert Gottes Geduld mit uns Menschen. Werden auch wir Geduld haben, wie Gott? Werden wir ausharren, im Vertrauen auf Jesu Wort? Amen.