10.1.1987, 1.n. Ephiphanias Prackenfels
46, 1-5 Herr Christ, der einzig
53, 1-3.7.8 Jesus ist kommen
48, 4.5 Von Gott kommt mir
139 Verleih uns Frieden
Jesaja 8, 23 – 9,6
Matthäus
4, 12-17
Vater im Himmel,
der du uns freundlich entgegenkommst im Wort deines Sohnes,
lass uns dies Wort hören und zeige uns deine Nähe durch
dieses Wort,
dass wir uns zu dir kehren und vor dir das Leben haben
durch unseren Herrn Jesus Christus, deinen Sohn,
der mit dir und dem Heiligen Geist lebt und regiert in
Ewigkeit.
Amen
Unser Gott,
Dein Licht leuchtet – lass es uns sehen. Du bist uns nah –
lass es uns erfahren. Tröste uns, erwecke uns, führe uns.
Wir bitten dich für die Christenheit. Lass sie dich
erkennen, und deine Herrschaft bezeugen,
ohne Menschenfurcht und in der Vollmacht deines Geistes. Hilf den
Menschen, die dir dienen wollen, dass sie zu dir finden und deinen Willen tun.
Wir bitten dich um den Frieden. Lass die Völker und die
Machthaber erkennen, was gut ist vor dir, und das Rechte tun. Verleihe du jeden
sein Menschenrecht. Lass die politische Auseinandersetzung in unserem Land
nicht entarten und hilf, dass das gemeinsame Gut sich durchsetzt.
Wir bitten dich, dass allen Menschen zuteil wird, was sie
brauchen, Nahrung und Kleidung, Heimat, Arbeit und Anerkennung. Bewahre das
Leben auf dieser Erde für uns und die nach uns kommen.
Sei mit den Einsamen, besuche die Kranken, steh den
Sterbenden bei, tröste die Trauernden.
Dein Reich kommt. Lass uns das sehen und geleite uns durch
dieses Leben zu dir.
Amen
Liebe Schwestern und Brüder,
alles zusammen ist da eingetroffen – so erzählt es uns der
Evangelist Matthäus: Jesus ist in Kapernaum eingetroffen, hat dort seinen
festen Wohnsitz genommen.
Und damit ist die Verheißung des Propheten Jesaja
eingetroffen, vom heidnischen Galiläa, dem das Licht aufgehen sollte. Und so
ist das Reich Gottes eingetroffen. Alles zusammen ist da eingetroffen – so
erzählt uns das der Evangelist. Merkwürdig und seltsam geht es schon zu, als da
alles eintrifft. Jesus „entweicht“, wie Luther das übersetzt hat, als er von
der Gefangennahme des Täufers hört – hätte es nicht nahegelegen, dass er dessen
Arbeit aufgenommen und weitergeführt hätte, dort am Jordan. Und von Nazareth
reißt er sich los, wo er zu Hause war, im Ort und bei den Menschen, um in
Kapernaum zu wohnen. So kann dann eintreffen, was Jesaja angekündigt hatte (ich
will nun nicht lange darüber reden, dass uns nicht so sehr einleuchten will,
wie sich jenes Wort auf dieses Geschehen beziehen soll). Das Licht scheint auf,
der Heiland erscheint: wo es besonders finster war, da wird es nun hell. Das
ist eingetroffen, merkwürdig und seltsam – mit jenem Wohnen Jesu (hat er denn
doch ein Haus gehabt? Aber wie steht es dann mit dem Wort von den Füchsen, die
ihren Bau haben usw.), in Kapernaum (das tiefer stürzen soll als Sodom, weil es
dieses aufscheinende Licht dann anscheinend doch nicht wahrgenommen hat). Und
so ist das Reich der Himmel, Gottes Reich eingetroffen. Oder ist es nur nahe
herbeigekommen, aber eben gerade noch nicht da? Oder vielleicht doch schon da,
in Jesu Predigen, in seinem Heilen, das die Leute zusammenlaufen lässt von weit
her. Offensichtlich ist da alles zusammen eingetroffen; so erzählt es uns der
Evangelist. Und dann ist es doch recht merkwürdig und seltsam, dieses Eintreffen.
Ich erinnere mich noch wohl daran, wie ich seinerzeit – im
kommenden November jährt es sich zum 30. Mal – in Wolfenhausen eingetroffen
bin, um dort zu wohnen: Erst ein paar Wochen provisorisch im Pfarrsaal, bis das
Haus gerichtet war, und dann kam der Möbelwagen, und Frau und Kind, und es kam
die feierliche Installation (Investitur hieß das damals im
Württembergerischen). Da war der neue Pfarrer wirklich eingetroffen. Aber ist
damit auch dem armen Volk der Wolfenhauser und Nellingsheimer jenes Licht aufgegangen,
ist da eine Verheißung eingetroffen? Ist da gar mit dem Pfarrer auch das Reich
Gottes eingetroffen? Einige von ihnen haben schon erlebt, wie das ist, wenn sie
als Pfarrer kommen, um zu wohnen, hier oder dort (einige Installationen habe
ich in den letzten Jahren miterlebt). Jawohl! Da ist Erwartung, Hoffnung, das
Verlangen danach, dass es hell wird – wie es gewesen ist, oder doch vielleicht
ein wenig heller, wenn dieser oder jener Schatten, der sich im Lauf der Zeit
auf das Verhältnis der Gemeinde zu ihrem Pfarrer legte, verschwunden ist und es
einen neuen Anfang gibt. Erwartung, dass es hell wird. Erwartung, die sich
sicher in Gefühlen und Worten auf den Pfarrer da richtet. Aber mit ihm soll
doch Gott selbst nahe kommen und nahe gekommen sein, mit seinem Dienst, mit
seiner Nähe, in der Kirche, in den Häusern rundum. Da ist einer eingetroffen,
um zu wohnen, und die Erwartung richtet sich auf ihn, dass damit doch auch das
Licht Gottes aufscheine und Gottes Nähe erfahren werde. Aber was dann eingetroffen
ist, und nun leuchtet, auf der Kanzel und am Altar, in der Schulstube und in
den Häusern und sonst wo, das ist doch allenfalls ein kleines oder wenn es hoch
kommt ein mittleres Kirchenlicht!
Wir wissen das genau, und die Leute mitsamt ihrer Erwartung,
die sie am Tag der Installation oder sonst auf uns häufen, die wissen es auch.
So, wie es uns der Evangelist erzählt, dass da alles zusammen eingetroffen sei
– mag es auch ein merkwürdiges und seltsames Eintreffen gewesen sein – so
passiert es bei uns nicht. Ich setze jetzt freilich gleich dazu: Die Leute
haben recht damit, wenn sie erwarten, dass es hell wird, und dass da Gottes
Nähe erfahren werden kann. Und haben recht damit, wenn sie diese Erartung nun
gerade an den Pfarrer richten. Aber der hat dann hoffentlich seine Theologie so
gut gelernt, dass er mit einer solchen Erwartung umgehen kann. Sicher wäre es
grundverkehrt, wenn er sein bescheidenes Kirchenlicht mit diesem großen Licht
da verwechselte. Allenfalls hinweisen kann er auf dieses Licht. Nicht sein Amt
macht ihn zu diesem Licht, und ganz gewiss auch nicht seine religiöse Erfahrung
oder seine kommunikative Kompetenz. Aber er soll auch nicht den Leuten
zuschieben, was er selbst nicht aufbringt und aufbringen kann: Dass er ihnen
einreden will, Gottes Nähe werde sich schon einstellen, wenn sie selbst Buße
tun. Die Reihenfolge lässt nicht umkehren: Weil das Reich Gottes eingetroffen
ist, deshalb verändert euch! Ein unbesonnener Theologe, und ein übler
Seelsorger wäre, der stattdessen so sagte: Weil (und wenn) ihr euch verändert,
trifft Gottes Reich ein!
Natürlich wäre das schön – wer von uns Pfarrern und denen,
die das werden wollen, hat das noch nicht sich erträumt - , dass da alles
zusammen eintrifft, wie das der Evangelist Matthäus erzählt: dass da einer zum
Wohnen kommt, und den Leuten geht das große Licht auf, und Gottes Nähe lässt
sich erfahren. Aber wo so etwas geschieht, da kann man, wie die FC (formula
concordiae) sagt, nicht allewege ex sensu, wie und wenn man’s im Herzen
empfindet, urteilen, denn es geht oft mit großer Schwachheit zu. Auch das
gehört mit zu einer ordentlichen Theologie, dass einer das weiß. Und also auch
weiß, dass unvermutet und unbemerkt eintrifft, was die Leute zurecht erwarten:
Licht und Gottes Nähe. Sicher ist unser pfarramtlicher Dienst – gerade in
seiner unumgänglichen Routine, die manchen so schwer aufliegt, ein seltsames
Mimikry mit dem sich Gotte Nähe so verbirgt, wie eröffnet. Aber gerade da ist
Resignation nicht am Platz, und erst recht nicht jenes Ausweichen, von dem ich
eben redete. Was freilich immer am Platz ist, das ist unser Gebet: Das
eintreffe, was die Leute zurecht erwarten (und wir Pfarrer gehören gerade da
erst recht zu den Leuten). Dass Gott uns seine Nähe wahrnehmen lasse, und sein
Licht aufgehe über uns. Sehen wir bloß die Erwartungen, bewusste und vielmehr
die unausgesprochenen und ununeingestandenen, die sich um uns aufhäufen, dann
geraten wir in die Enge, und die Angst ist, wie jeder weiß, ein schlechter
Ratgeber. Im Gebet öffnet sich ein Weg ins Freie.
Und es mag sein, dass wir dann erst anfangen, hier und dort
wahrzunehmen, was da doch eintrifft, merkwürdig und seltsam, so wie nach der
Erzählung des Matthäus alles zusammen eingetroffen ist. Es ist gut, dass das
nicht an uns hängt. Darum können wir das Nötige tun.
Amen