5. nach Trinitatis 13. Juli 1952 Bolheim
47, 1-5 Morgenglanz der Ewigkeit
439, 1-6 Ach komm, füll unsre Seelen ganz
290, 7.8 Ich bleib im tiefsten Demutsgrunde
279, 2 Es ist ja dein Geschenk und Gut
Mt 5, 38-48 D.162
1. Petr. 3, 8-15 D.212
Liebe Gemeinde!
Es gibt einen Gedanken in
der Welt, der wie eine schleichende Krankheit das Zusammenleben der Menschen
immer mehr und mehr vergiftet; es gibt eine Angst, die immer wieder von neuem
Besitz ergreifen will von uns, eine Sorge, die sich in unserem Herzen einnisten
will, die uns immer mehr unter ihre Herrschaft bringen will; diese Angst und
Sorge: Es ist die Angst, zu kurz zu kommen im Leben!
Woher kommt diese Angst und
Sorge? Wir sehen doch ganz deutlich, wie aus dieser Angst und Sorge Hass und Neid
und Missgunst und Feindschaft erwächst. Wir sehen, dass Not und Leid in unserem
Leben daherkommen, dass eines dem anderen dies Leben schwer macht. Weil wir
rücksichtslos mit unseren Ellbogen uns vorarbeiten, um ja gewiss einen „Platz
an der Sonne“ zu gewinnen, wie es so schön heißt. Was soll nun da mit auf
anderen, der vielleicht nicht so stark ist, Rücksicht nehmen? Dass ich ja nicht
zu kurz komme in meinem Leben: Dieser Gedanke ist es doch, der uns Menschen
alle miteinander hetzt und jagt und treibt!
Der uns hineintreibt in die
Hetze und Jagd nach Besitz und Reichtum, Vergnügen und Genuss – der uns von der
Arbeit zu einem oft so inhaltlosen Hasten und Feiern zerrt, und dann wieder
zurück zur Arbeit. Nur nicht zu kurz kommen im Leben! Mit diesen Gedanken, den
der Teufel in unsere Herzen gelegt hat, herrscht er in der Welt, gerade in
unserer heutigen Welt, und in unserer heutigen Zeit, in der wir doch erfahren
haben, wie schnell es wieder anders werden kann, wie schnell uns die
Möglichkeiten zum Feiern genommen werden können, ja – wie schnell es mit
unserem Leben selbst zu Ende sein kann. Darum: Nur ja nicht zu kurz kommen im
Leben! Es scheint fast, als ob das Gericht Gottes über unser Deutsches Volk
dies nun noch viel mehr von Gott weg getrieben habe, hin in die Arme des
Teufels – es scheint so, dass die harten Schläge Gottes unsere Herzen nicht
weich gemacht haben, auf sein Wort zu hören – es scheint, als ob wir nur noch
Ohren hätten für das Flüstern des Teufels: Sieh zu, dass du nur ja nicht zu
kurz kommst! Wer hat denn heute noch Zeit, sich um andere Menschen zu kümmern?
Wer sieht noch die vielen, die am Wege liegen geblieben sind, weil sie die
Hetze nicht mehr mitmachen konnten? Ja, wer nimmt überhaupt noch Rücksicht auf
den, der neben ihm seinen Weg geht?
Liebe Freunde! Wie gut ist
es, dass wir uns jeden Sonntag eine Stunde lang herausreißen lassen können aus
dieser Jagd und Hetze, in der uns der Teufel dahin treibt durch die Angst, die
er in unsere Herzen gelegt hat, durch die Angst, nur ja nicht zu kurz zu
kommen! Wie gut ist es, dass uns Gottes Wort immer wieder von neuem unser
Menschenbild vor Augen stellt, so wie Gott uns haben will:
Was ist es für ein
Menschenbild, das der Apostel heute uns vor Augen stellt, damit wir all unser
Leben und Handeln danach ausrichten?
1)
Dies Bild, das der Apostel
uns vor Augen stellt, setzt sich zusammen aus vielen kleinen Einzelzügen. Aber
es ist wohl der Mühe wert, dass wir diese Züge einen nach dem anderen
betrachten: Denn sie sollen uns ja Richtung weisen für unser Handeln!
Endlich aber sind allesamt:
a) Gleichgesinnt – wir könnten auch sagen: Geht
aufeinander ein in dem, was ihr denkt, und glaubt, und fragt und tut. Nicht,
dass ja der nur für sich lebt und glaubt, sondern dass jeder zugleich mit
bedenkt, was für alle gut ist.
Seid:
b) Mitleidig:
Ja, eigentlich nicht nur mitleidig, sondern wirklich mitleidend; nicht bloß so,
dass man treu am Krankenbett einige teilnehmende Worte findet, dann aber sehr
froh ist, wenn nun Not und Elend nicht mehr Augen hat, und sie darum vergessen
kann. Nein! Wir sollen diese Not und Sorge wirklich mittragen in unsere Herzen,
wir sollen auf Abhilfe sinnen, wir sollen aber auch vor allem gerade dies
fremde Leid, diese fremde Not in unserem Gebet vor Gott dem Herrn tragen.
Seid:
c)
Brüderlich:
Wir wissen schon, was mit diesem Worte gemeint ist: Brüderlich, das heißt:
nicht so, wie es Brüder meist sind, wenn die Eltern gestorben sind und es nun
ans Erbteilen geht. Nein! Brüderlich, das heißt: Wir sollen wissen, dass wir
einen Vater im Himmel haben, und darum sollen wir einer den anderen zu diesem
Vater bringen, wir sollen eines dem anderen helfen, diesen Vater lieben zu
lernen und ihm zu gefallen.
Seid:
d) Barmherzig: Wenn wir das griechische Wort, das an
dieser Stelle steht, wörtlich übersetzen, dann heißt es eigentlich: Mit guten
Eingeweiden! Haben wir das schon richtig bedacht, liebe Freunde, dass einem
Christen eigentlich nie die Galle überlaufen dürfte, dass ihn eigentlich nie
die Nerven durchgehen sollten. Bis in diese körperlichen Erscheinungen, gegen
die man angeblich nichts machen kann, sollte sich unser Christ sein auswirken.
Seid:
e) Freundlich, oder eigentlich sollten wir besser
übersetzen: Niederträchtig – nun nicht in dem Sinn, den dieses Wörtlein heut in
unserer Sprache gewonnen hat. Sondern so: Wir sollen nicht danach trachten, für
uns Hohes zu erjagen, sondern danach, dass wir wirklich demütige Menschen
werden, Menschen, die sich nicht schämen, auch den, der in den Augen der Welt
verachtet und gering ist, Bruder zu nennen – ja, die wissen, dass wir vor Gott
alle arm und gering sind, dass wir alle von seiner Gnade leben.
Wenn wir das wissen, liebe
Freunde, dann wird es uns nicht schwer fallen und auch die Mahnung des
folgenden Verses zu beherzigen: Vergeltet nicht Böses mit Bösem, oder
Scheltwort mit Scheltwort, sondern dagegen segnet, und wisset, dass ihr dazu
berufen seid, dass ihr den Segen erbet. Warum gibt es das immer wieder neu,
dass auf ein böses Wort ein schlimmeres folgt, dass auf jeden Schlag der
Gegenschlag kommt? Weil wir der Meinung sind, und weil sich dies Gift so tief
in unser ganzes Wesen hineingefressen hat, das wir meinen, das sei eben
natürlich und ein ewig gültiges Gesetz, dass wir uns aus eigener Kraft
behaupten müssen. Warum meinen wir das eigentlich? Sagt uns doch Gottes Wort in
aller Deutlichkeit: Ihr sollt wissen, dass ihr den Segen ererbet.
Und dann legt der Apostel
seinen Finger noch auf einen ganz besonders wunden Punkt: Denn wer leben will
der schweige seine Zunge, dass sie nichts Böses rede, und seine Lippen, dass
sie nicht trügen. Ja, da fällt es uns doch ganz besonders schwer, uns im Zaun
zu halten, da ist besonders leicht der Weg des göttlichen Gebotes zu verlassen,
da macht sich am allerleichtesten die Lieblosigkeit breit, wo wir beisammen sind
und nun über Andere losziehen. Ach, das tut doch niemand weh – so entschuldigen
wir uns gerne – und wissen doch genau, welch tiefe Wunden das Misstrauens und
der Verachtung wir mit unserer Zunge schlagen können.
Dann fasst der Apostel noch
einmal alles zusammen, was er bisher gesagt hat, fasst es zusammen in den
wenigen Worten: Suche Frieden und jag ihm nach. Das soll Ziel und Richtschnur
unseres Christenlebens ein: Nicht dass wir uns von der Angst treiben lassen, zu
kurz zu kommen in unserem Leben, dass wir uns mit hinein ziehen lassen in die
teuflische Jagd und Hetze unseres heutigen Lebens – sondern unser Ziel soll
allein der Friede sein, der Friede mit Gott, und der Friede mit den Menschen.
2)
Liebe Freunde! Wenn wir dies
Menschenbild vor Augen sehen, das der Apostel uns hier zeichnet – liegt uns da
nicht allen schon der Einwand auf der Zunge: Ach, wie schön wäre es, wenn es so
wäre, wie schön wäre es, wenn es solche Menschen gäbe, wie sie der Apostel hier
beschreibt, ja, wie schöne wäre es, wenn wir solche Menschen wären!
Warum sind wir eigentlich
keine solchen Menschen? Einzig und allein darum, weil in unserem Herzen die
Angst und Sorge regiert, zu kurz zu kommen im Leben, einzig und allein darum,
weil auch wir immer wieder und immer von Neuem der Macht des Gedankens
erliegen, den der Teufel uns einflüstert: Sieh, zu, dass du ja nicht zu kurz
kommst in deinem Leben. Wie würde wohl, um nur ein ganz keines Beispiel zu
nennen, das Ergebnis der Sammlung für die Innere Mission aussehen, wenn wir`s
uns alle vorgenommen hätten, mindestens eben so viel in die Opfertäschchen zu
stellen, wie wir auf dem Kinderfestplatz ausgeben!
Liebe Freunde! Es macht uns
allen immer wieder von neuem Not, dass wir diese Macht des Teufels über unser
Herz zu spüren bekommen. Darum wollen wir auch immer neu der Kraft des
Evangeliums vertrauen, wenn uns der Teufel einflüstert: Sieh zu, dass du nicht
zu kurz kommst in deinen Leben: Denn soll es so sein, dass in unsere Herzen
nicht wir diese Stimme herrscht und regiert. Sondern dann soll in unserem
Herzen auch die Stimme der göttlichen Verheißung laut sein, des herrlichen und
trostreichen Evangeliums Jesu Christi, diese Stimme, die uns sagt: Wer ist, der
euch schaden könnte, so ihr dem Guten
Nachkommt. Und ob ihr auch
leidet um‚Gerechtigkeit willen, so seid ihr doch selig!
Das ist es, liebe Freunde,
was uns so gar schwer eingehen will, dass wir auf dem Weg, den Gott uns weist,
eben nicht zu kurz kommen!
Diese Gewissheit ist es, die
uns der Teufel immer neu mit List und mit Gewalt rauben will!
Wie schön wäre es, wenn wir
solche Menschen wären, wie sie der Apostel zeichnet! Wir können solche Menschen
sein, wir dürfen solche Menschen sein! Machen wir doch unsere Ohren fest zu vor
dem, was uns der Teufel immer wieder neu einflüstern will, und machen wir sie
weit auf für Gottes Wort und seine Verheißung. Dann können wir wahrhaft Gott
den Herrn in unseren ehren heiligen!
Dann können wir uns immer
mehr formen lassen zu dem Bild, das der Apostel von uns aufzeichnet. Dann
werden wir aber auch ganz bestimmt erfahren, dass wir auf diesem Weg nicht zu
kurz kommen, sondern dass dies der Weg zum wahren Leben und zur ewigen
Seligkeit ist. Gebe Gott, dass wir es immer mehr lernen, diesen Weg zu gehen,
und dass sein Wort in uns immer mächtiger werde und schließlich den Sieg davon
trage über alle Anfechtung des Satans.
Amen