5. nach Trinitatis 22. Juli 1962

 

126, 1-4     Herr Jesu Christ, dich zu (102)

206,1-4      Preis, Lob und Dank (133)

256,6         Mir nach, spricht Christus (169)

499,8         Du Wort des Vaters

 

Lk 6, 20-36

1. Petr. 3,8-15a

 

Liebe Gemeinde!

 

Aus Gerede ist unsere Welt gemacht, mehr als wir das wissen und sicher mehr, als wir das zuzugeben bereit sind. Aus Gerede, aus Geschwätz ist diese Welt aufgebaut. Natürlich nicht die Welt der Dinge. Aber die Welt, die wir mit uns im Kopf herumtragen. Und diese Welt die wir im Kopf herumtragen, die ist es ja, welche uns bestimmt, unser Handeln, die Art, wie wir uns in dieser Welt einrichten, unsere Sorge, unsere Angst. Sie werden bestimmt durch das Bild, das wir uns von dieser Welt gemacht haben.

Diese Welt meine ich, wenn ich sage, die Welt sei aus Geschwätz aufgebaut: Zu dieser Welt gehören ja beispielsweise die Menschen, mit welchen wir umgehen. Wodurch haben wir ein Bild von ihnen genommen, nach dem wir sie beurteilen, nach dem wir uns ihnen gegenüber verhalten? Ist nicht das meiste Geschwätz, das wir gehört haben, Geschwätz, das wir selber so lange weitergesagt haben, bis wir es schließlich auch glauben, Geschwätz, das wir von diesem Menschen gehört haben. Und wie es mit solch einem Menschenbild ist, welches wir im Kopf herumtragen – es ist genauso mit dem Bild, welches wir von ganzen Menschengruppen haben – ein bisschen Erfahrung und viel Gerede, wobei es kaum einen Unterschied macht, ob es gesprochen ist oder auch gedruckt. Ein bisschen Erfahrung, und viel Gerede, das ist`s, was unser Bild bestimmt, von den Russen und Amerikanern, oder von den Afrikanern, von den Flüchtlingen oder von den Gewerkschaften, von den Parteien und von den Kirchen! Und es ist ja so: Aus diesen einzelnen Bildern von denen, die mit uns sind in dieser Welt, da setzt sich jene Welt zusammen, welche wir im Kopf herumtragen: Viel Geschwätz und ein bisschen Erfahrung!

 

Und es sage niemand, darauf komme es nicht an, wie diese Welt in unseren Kopf drin aussehe. Die Bäume bleiben immer noch grün, auch wenn wir meinten, sie seien rot, und der Himmel sei blau, auch wenn wir noch so sehr davon überzeugt wären, dass er gelb sei! Das ist schon wahr: Wie die Menschen wirklich sind, wie die Welt in Wahrheit aussieht, das wird häufig ganz anders sein als das, was wir als Bild dieser Welt in unserem Kopf herumtragen. Aber das, was wir im Kopf haben, das bestimmt unser Tun. Natürlich kann es bloß Einbildung sein, wenn ich beispielsweise einen bestimmten Menschen für einen notorischen Lügner halte, weil ich schon dies oder jenes Stücklein über ihn habe erzählen hören. Ich sage: Das kann Einbildung sein, wenn ich ihn für einen Lügner halte, und in Wirklichkeit ist er ein wahrhaftiger Mensch wie nur einer – es war nur das böse Geschwätz, das ihn zum Lügner machte. Das ist Einbildung, aber wenn ich glaube, er sei ein Lügner, so werde ich ihm nicht vertrauen, und dieses Misstrauen, das ist gewiss keine Einbildung, sondern eine unbezweifelbare Realität. Darum ist sie so gefährlich, jene Welt, die wir im Kopf herum tragen, weil sie unser Verhalten bestimmt, unter den Einzelnen, unter den Gruppen eines Volkes, zwischen den Völkern.

Nicht die wahre Realität bestimmt dies Verhalten, sondern jene Welt aus ein bisschen Erfahrung und viel Geschwätz, welche in den Köpfen herumspukt.

 

Wir Christen sollen uns von diesem Geschwätz nicht beirren lassen. Das ist die Mahnung des Apostels. Sie schwätzen über euch, und halten euch für üble Leute: Lasst euch davon nicht bestimmen. „Seid allesamt gleichgesinnt, mitleidig, barmherzig, brüderlich, demütig. Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern dagegen segnet.“

Ich sagte: Aus ein wenig Erfahrung und viel Geschwätz sei jene Welt aufgebaut die wir in unserem Kopf herumtragen. Ein wenig Erfahrung: Gut, die mag ihr Recht haben. Aber wenn sie von dem Gerede, dem leichtfertigen und verlogenen und bösartigen Geschwätz umgeben ist, dann ist auch die beste Erfahrung nichts mehr wert. Dann ist sie drin in jener verdrehten Welt, die wir im Kopf mit uns herumtragen.

Und diese Welt, so sehr sie bloß Einbildung ist, gleichviel, ob sie nur in einem Kopf ist, oder in vielen, diese Welt ist`s dann, die unser Tun bestimmt. Wir sorgen uns oft genug um Dinge, die es bloß in dieser eingebildeten Welt gibt. Wir haben Angst, oft genug bloß vor Gefahren, die nur in dieser eingebildeten Welt existieren, dieser Welt aus ein bisschen Erfahrung und viel Geschwätz. Diese Welt aus Geschwätz und Gerede, die bestimmt unser Tun, und darum ist sie so gefährlich.

Liebe Freunde: Wir Christen sollen uns nicht von dieser Welt bestimmen lassen, sollen uns nicht einfangen lassen von diesem Geschwätz, das uns die Wirklichkeit unseres Lebens verstellt. Denn wir kennen ein anderes: Dagegen segnet, weil ihr berufen seid, dass ihr den Segen ererbet.“ Merken wir, wie hier anderes sich jenem Geschwätz und Gerede entgegenstellt, aus welchem die Welt in unseren Köpfen aufgebaut ist? Ein anderes Reden, von Gott her: Ihr seid berufen, dass ihr den Segen ererbet. Wäre es doch so, dass jenes Rufen von Gott her unser Ohr füllte, damit uns das vielfältige Geschwätz in dieser Welt nicht irreführt! Wäre es doch so, dass wir das hörten, das Wort unserer Berufung, das uns die Wirklichkeit dieser Welt nicht verstellt, sondern ins Licht bringt. Berufen, dass wir den Segen ererben – wir alle berufen!

 

Seht: Wahrscheinlich ist uns das noch nicht in den Sinn gekommen, wenn wir uns über einen Menschen Gedanken machten: Der ist doch berufen von Gott, wie du. Getauft auf den Namen Gottes, wie du, damit Jesu Tod seine Sünde tilge, und er hineinwachse in das neue Leben, das Gott seinen Kindern schenkt!

Das ist auch ein Wort, das über dem Menschen steht – wie jenes Gerede und Geschwätz – fragt sich nur, welches Wort wir hereinlassen, dass es das Bild dieses Menschen bestimme! Dazu sind wir aufgefordert, liebe Freunde, dies Bild, das Gottes Wort uns zeichnet, gelten zu lassen. Es nicht nur gelten zu lassen, sondern mit dem segnenden Gotteswort gegen das Gerede anzugehen. „Denn wer leben will und gute Tage sehen, der hüte seine Zunge, dass sie nichts Böses rede, und seine Lippen, dass sie nicht trügen. Er wende sich vom bösen und tue Gutes; er suche Frieden und jage ihm nach. Denn die Augen des Herrn merken auf die Gerechten und seine Ohren auf ihr Gebet; das Angesicht aber des Herrn steht wider die, so Böses tun.“

 

Seht -. Diese Berufung, über den Menschen, den Getauften – und denen, die noch nicht dieser Berufung inne wurden, diese Berufung zum Segen von Gott her, die steht über der Welt. Sie mag das Gerede beiseite schieben, dass wir die Wahrheit wahrnehmen. Dass wir dadurch unsere Erfahrung uns leiten lassen. Dann kommt es zu dem: Gleichgesinnt (solidarisch, im Gerufensein wie im Zurückbleiben), mitleidig (wegen der Taubheit, die nur der Geschwätz vernimmt), brüderlich, barmherzig, demütig. Wir werden die Welt aus Geschwätz und Gerede, die Welt in unserem Kopf, nicht mehr gelten lassen, und wird uns gerade darum die Wirklichkeit dieser Welt angehen.

 

Freilich: Nicht dass wir meinen, es würde mit einem Schlag anders. Wenn dir die falsche Welt durch Gottes Wort aus dem Kopf getrieben ist, bei deinem Nachbarn kann sie ja noch drin sein. Es ist möglich, meint der Apostel, dass daraus Unzuträglichkeiten entstehen, ja sogar Streit, Leiden für den, der nicht das Geschwätz gelten lässt, sondern den Segen Gottes. Doch es soll uns solches gerade nicht irre machen. Denn weil Gott hinter uns steht, werden wir allemal die Überlegenen. „Fürchtet euch aber vor ihrem Trotzen nicht und erschrecket nicht; heiliget aber den Herrn Christus in euren Herzen.“ Amen