Miserikordias Domini 24.4.1966   Abelardskirche, Tübingen

 

75              Christ ist erstanden

499,1-3      Du Wort des Vaters

227,7+8     Nun lasst uns (Wir bitten deine...)

181,7         Gelobt sei Gott (Jauchzet alle Lande)

 

1.Petr 5,1-5

Hes 34,17-24

 

Liebe Gemeinde,

zunächst scheint da nicht viel zu sagen: Die Ältesten, von denen meist die Rede ist – das sind die Pfarrer – in Norddeutschland sagt man sogar Pastor – Hirte. Und für die unter der Kanzel, die Gemeinde – die Jüngeren, heißt es hier: Aber das ist ja nicht so sehr eine Altersangabe wie die Angabe einer Stellung in der Gemeinde – für die bleibt nur die Mahnung: gehorcht, seid untertan, lasst euch leiten. Damit man dieses Miteinander von Ältesten und den Jüngeren, von Hirt  und Herde, von Pastor und Gemeinde nicht missverstehe – als gehe es da um Herrschaft, um Macht, darum, seinen Willen durch zu setzen – wird dann noch die Mahnung zu gegenseitiger Demut angehängt – und dann sollte die Sache ja eigentlich funktionieren. Treue Diener am Wort – und eine willige Gemeinde, die sich etwas sagen lässt, die gehorcht und glaubt – wenigstens dort, wo es sich um das Seelenheil handelt: Ist das nicht das Ideal einer christlichen Gemeinde, die so ist, wie sie sein soll, bei der es klappt – funktioniert?

Geht es darum – hier in den Mahnungen des Mitältesten, der sich immerhin die Freiheit genommen hat, im Namen des Apostels Petrus zu reden? Nun, es sieht schon ein wenig so aus. Wir hören das aus den Worten hier: Das sind kirchliche Worte – wie man sie eben in der Kirche hört und sagt. Vielleicht damals noch nicht so ganz abgegriffen wie heute – aber deutlich schon eine fromme Sprache, deren Bilder nichts mehr sagen: Hirt – Herde – weiden: Man denkt da nicht mehr an das, was die Worte sagen, Schafe, die da irgendwo von einem Hirten zur Weide getrieben werden; man denkt nur noch an den übertragenen gemeinten Sinn: den Pastor, den Ältesten damals, und die Gemeinde – sagen wir einmal: Das Gemeindeleben, das er in Gang zu halten hat. Das ist Hirt und Herde und weiden. Und der Oberhirte, der Erzhirte – das ist eben der gute Hirte – ich brauche gar nicht zu sagen, dass das Jesus ist. Das versteht sich von selbst. Und der unverwelkliche Kranz – niemand denkt da zunächst an den Eichenkranz, den der Turner als Siegespreis heim bringt – jeder denkt sofort an das ewige Leben als Ziel christlicher Hoffnung.

„Deine Sprache verrät dich“ – so wollten wir auch zu diesem Petrus sagen! Wo man so redet, da funktioniert das kirchliche Leben. Da weiß jeder genau, wo er dran ist: Der Pfarrer genau so wie die Gemeinde. Jeder weiß, was von ihm erwartet wird – und auch, was er zu erwarten hat – beispielsweise die feierlichen und doch vertrauten Worte, die nur hier, in der Kirche, eben diesen besonderen Sinn haben (deshalb empfinden wir es witzig, wenn das dann Kindermund herum dreht, und von einem guten Hirten sagt, es habe den Herrn Jesus gesehen!).

Damals wie heute – ein funktionierendes Gemeindeleben! Und wo es einmal zu Reibungen kommt – wir sind ja alle Menschen – da soll das Öl der christlichen Demut nachhelfen, damit alles wie gewohnt weiter läuft.

Sie mögen nun einwenden: Das stimmt doch nicht. Ein Körnchen Wahrheit mag wohl dran sein! Aber so ist doch unser Gemeindeleben nicht, etwas, das läuft – warum? Darf man so überhaupt fragen? Muss es nicht so sein? Ich gebe gerne zu, dass es so einfach nicht ist. Hoffentlich nicht ist. Dass zum Gemeindeleben noch etwas anderes gehört, als ein funktionierender Apparat – von Außen gesehen sagte man vielleicht: Zur Befriedigung religiöser Bedürfnisse, von Innen her redete man stattdessen von Dienst und Auftrag, von Gott und Seele und Ewigkeit.

Aber was ist dieses Andere? Hier in unserem Abschnitt kommt es kaum zu Wort – Da ist fast nur noch die funktionierende Sprache und Veranstaltung des kirchlichen Lebens. Und so mag es oft genug sein – so dass Einer, der nur gelegentlich herein hört, bloß dieses Funktionieren bemerkt – und das berührt ihn nicht. Und es mag auch sein, dass Andere über diesem Funktionieren die Frage nach dem „Warum?“ fast schon vergessen haben – auch das gibt es – nicht bloß bei den Hirten, sondern auch bei der Herde. Aber das Andere ist da! Und von ihm her hat auch das, was ich ein bisschen böse vielleicht, übertreibend, karikierend das „Funktionieren“ nannte, seinen guten Sinn – ein Gemeindeleben, wie wir es zustande bringen und in Gang halten können und sollen!
Noch einmal: Wo ist dieses Andere? Was ist dieses Andere? Ich kann ganz einfach antworten: Die Welt ist dieses Andere! Freilich ist damit noch nicht viel gesagt. Denn Welt gehört ja auch zu dem funktionierenden Gemeindeleben dazu – sie ist eingeordnet in die kirchliche Sprache; als das, wovon man sich abhält, sondert. Die böse Welt, in der der Fürst dieser Welt herrscht – Babylon (das gibt unser Briefschreiber als Absender an!) oder die Welt als Gegenstand kirchlicher, christlicher Aktivität – Kirche für die Welt, Brot für die Welt, Weltmission und was derlei Worte mehr sind. Noch einmal: Ich will all das nicht abwerten und verurteilen. Es ist recht und gut, dass Eine vielleicht mehr, das Andere weniger. Aber so gesehen ist die Welt noch nicht das Andere, sondern eingebaut in das funktionierende Gemeindeleben.

Welt – als dieses Andere, das, was unserem kirchlichen Leben, unserem Gemeindeleben, oder wie wir immer sagen wollen, seinen Sinn gibt – Welt ist das, worüber wir keine Macht haben; ist das, dem wir nurmehr ausgesetzt sind; das wir nur erleiden können. Aber eben so gehört Welt mit dazu! Ich könnte auch, vielleicht ein bisschen überspitzt, so sagen: Ebenso, als das, worüber wir keine Macht haben, dem wir ausgesetzt sind, das wir nurmehr erleiden können – eben so ist die Welt der eigentliche Mittelpunkt unseres Gemeindelebens. Wohlgemerkt – das ist nicht Verweltlichung, sondern deren genaues Gegenteil – denn ich sage ja: Welt, das ist hier gerade nicht Gegenstand unseres Handelns, unserer Aktivitäten. Sondern das, was sich nur in völliger Ohnmacht erleiden lässt.

Darum nennt sich der Verfasser unseres Briefes einen Zeugen der Leiden Christi – damit ist eben diese Ohnmacht der Welt gegenüber gemeint, die Passivität, in der wir um Christi willen nurmehr ausgesetzt sind! Und er meint: Lasset euch das nicht befremden, so, als wäre das etwas Fremdartiges – freut euch vielmehr, denn so gehört es sich! Darum, weil sie auf dieses Andere bezogen sind, haben die Mahnungen unseres Abschnittes ihren Sinn, der hinausgeht über das, was ich eingangs sagte – dass die einen führen und die Anderen gehorchen sollen, und dass man die menschlichen Reibungen mit dem Öl der Demut lindern solle!

Gut – es ist nicht befremdlich, nicht seltsam – obwohl das zunächst so scheint, als ob das Gemeindeleben da bedroht und über den Haufen geworfen würde. Es ist nun einmal so – die Welt, als das, was in Ohnmacht eben nur ertragen werden muss, gehört nun einmal zum Wesen der Kirche – denn sie ist eben dazu da, mit Christus zu leiden. Aber mit dieser allgemeinen Feststellung sind wir ja noch keinen Schritt weiter. Wo ist das Andere – Welt, der wir ausgesetzt sind (Gericht am Hause Gottes nennt unser Briefschreiber das!)? Nun – ich will eines nennen – das Nichtverstehen. Es scheint so, als sei das die Ohnmacht, der wir ausgesetzt sind, das die Welt, unsere, hier, nicht versteht. Das Wort Gottes nicht versteht – wie wir’s treiben, auslegen, predigen, damit umgehen. Auch das ist Ohnmacht – gegen die wir anscheinend nicht ankommen: Wir bemühen uns, moderne Mittel – Presse, Rundfunk, Fernsehen – moderne Sprache – moderne Gottesdienste! Moderne Theologie – Gespräche mit der Welt, Akademien usw. nicht wenig! – was da versucht wird, um Wege zu finden von der Kirche zur Welt! Ich meine auch nicht, dass all das sinnlos und nutzlos wäre. Gewiss nicht. So muss das ja sein. Die Herde Gottes weiden, wie es da befohlen wird, das heißt ja gewiss nicht, im alten Trott einfach weiter machen.

Aber es scheint so, als helfe das nicht – im Gegenteil: Es scheint immer wirrer zu werden. Die Ohnmacht – ich sagte: Wir können uns nicht verständlich machen – sie schlägt auf uns zurück: Verstehen wir noch?

Um was es da geht, das ist klar! Nun sollen wir uns aber mit der Sache dieser Ohnmacht nicht befassen – so vielfältig sie ist, zunächst soll sie einfach anerkannt werden als das, was sie ist! Uns geht’s um die Folgen. Dass da diese Welt in das Gemeindeleben hinein greift. Sein Funktionieren bedroht! Die Welt: Unglaube, Nichtverstehen. Wer kann da reinlich scheiden? Ich nicht! Wie sollen wir das aushalten? In der Absonderung derer, die die Wahrheit besitzen? Aber wenn das bloß noch Formeln wären? Überliefert, aber nicht mehr angeeignet? Oder in Solidarität mit der Welt, die nicht verstehen kann? Wie aber, wenn wir dabei die Botschaft verlieren? Darüber ist Streit! Und da gilt die Mahnung! Nicht beherrschen – Vorbild geben. Wie?

1. Demut! Das heißt einsehen, das Buße nötig ist. Nicht für die Welt, die nicht verstehen will, oder die, die zu weit solidarisieren – für die Welt als Gemeinde, die Gottes Gericht nötig hat – damit sie merkt, sie ist nicht Selbstzweck.

2. Hoffnung. Gerade das Andere – das sich da zeigt, ist Anlass zur Hoffnung. Ohnmacht verweist auf Macht Gottes.

3. Geduld – miteinander! Banal – aber notwendig. Amen.