14. n.
Trinitatis 1. Samuel 2, 1-10 30. August
1959
Wolfenhausen/Nellingsheim
238, 1-4 O dass ich tausend Zungen
283, 1-5 Von Gott will ich nicht lassen
544, 2 Gott lebet, sein Name
544, 4 Gott lebet, sein Name
1. Kor 1, 18-25
1. Samuel 2, 1-10
Liebe
Gemeinde!
Dies Gebet
der Hanna ist ein Psalm - wir würden heute sagen ein Gesangbuchlied, welches
der Erzähler der Geschichte von der Geburt dessen Mutter in den Mund gelegt
hat. Es ist nicht eine einmalige Gelegenheit gewesen, zu der diese Gebetsworte
geformt wurden, sondern sie sind das Glaubenszeugnis von vielen Frommen. Ich
meine, gerade dies sollte uns solche Worte besonders wichtig machen. Geradeso,
wie uns die schönen und gewaltigen Glaubenslieder unseres Gesangbuches lieb und
wert sind. Lieb und wert sind, wenn wir daran denken: Wie viele haben schon mit
solchen Worten ihr volles Herz vor Gott ausgeschüttet, Eltern und Voreltern, in
wie viel Not sind diese Wort schon Trost und Hilfe gewesen. Wie oft schon
dienten sie dazu, einer großen Freude, einer überströmenden Dankbarkeit Gott
gegenüber Ausdruck zu verleihen.
So steht es
auch mit diesen Worten, die wir heute betrachten wollen, mit diesem Lied,
welchen uns als Gebet der Hanna in der Heiligen Schrift überliefert ist: Es ist
Ausdruck der Glaubenserfahrung vieler Geschlechter. Seine Worte haben oftmals
dazu gedient, dem Gefühl des Vertrauens und der Dankbarkeit Gott gegenüber
Ausdruck zu verleihen. Es sind Worte nicht eigentlich des Nachdenkens über Gott
und sein Wesen und sein Tun, es sind vielmehr Worte, die jenem gewaltigen
Gefühl Ausdruck verleihen, welches wir Glauben nennen.
Freilich -
das wird uns nun nicht von der Frage entbinden können, welche in uns
hochsteigt, wenn wir solche Worte lesen, von der Frage nämlich: Ist das denn
wahr, was in diesem Gebet so zuversichtlich behauptet wird? Ist das denn wahr,
dass Gottes Gerechtigkeit so sichtbar und gewaltig triumphiert in dieser
unserer Welt, wie es hier ausgesprochen wird: „Der Bogen des Starken ist
zerbrochen, und die Schwachen sind umgürtet mit Stärke. Die da satt waren,
müssen um Brot bitten, und die Hunger litten, hungern nicht mehr. Die
Unfruchtbare hat sieben geboren, und die viele Kinder hat, welkt dahin. Der
Herr tötet und macht lebendig, führt hinab zu den Toten und führt herauf. Der
Herr macht arm und macht reicht; er erniedrigt und erhöht. Er hebt auf den
Dürftigen aus dem Staub und erhebt den Armen aus dem Kot, dass er ihn setze
unter die Fürsten, und den Thron der Ehre erben lasse.“
Seht – wir
hören das und sagen: Ist es denn wahr, was dies Lied da sagt? Geht es wirklich
so zu in der Welt? Und wir werden suchen nach Beispielen, um die Wahrheit jener
Worte zu erhärten oder zu widerlegen. Es ist wahr: Der Bogen des Starken ist
zerbrochen -wenn wir an den denken, welcher vor nun 20 Jahren den furchtbaren
Krieg vom Zaun gebrochen hat! Aber andere Starke, denen geht’s doch eigentlich
noch ebenso wohl, und sie vermögen uns zu schrecken.
Es ist
wahr: Die Jünger litten, hungert nicht mehr! Ja, wir sind fast versucht zu
sagen: Es geht ihnen viel zu gut, denen, die in jenem Kriege und in den Jahren
danach bitter genug erfahren mussten, wie der Hunger schmeckt. Und daneben
wissen wir doch, dass in Indien jährlich Hunderttausende umkommen, weil ihnen
das Nötigste zum Leben fehlt. Der Herr macht arm und macht reich! Das haben wir
wohl gesehen, wie wenig verlässlich das Geld ist, das sich die Menschen
angehäuft haben, wie es über Nacht zu wertlosem Papier werden konnte! Aber
daneben sehen wir, dass es doch viele gibt, welche Krieg und Inflation und
Währungsreform ungeschmälert an Besitz und Vermögen überstanden haben, und
heute reicher sind, als sie es je zuvor waren. „Er erhöht den Armen aus dem
Kot, dass er ihn setzte unter die Fürsten…“
Auf das
können wir erleben, wie einfache Menschen rasch zu Ansehen und Einfluss kommen – aber sind das nicht
immer nur wenige, und ist es nicht oft genug ein recht zweifelhaftes Ansehen,
ein recht zweifelhafter Einfluss, den diese Emporgekommenen genießen, die wir
in den Illustrierten oder auf der Filmleinwand bewundern können?
Seht, liebe
Freunde: Wenn wir auf die Wirklichkeit unserer Welt blicken, wenn wir es
versuchen, hier die Wahrheit dieses Liedes zu erweisen, dann werden wir gewiss
eine ganze lange Reihe von Beispielen finden, aus unserer eigenen Erfahrung,
oder aus dem Erleben anderer, die dafür sprechen: Ja, es stimmt.
Aber wir
können eine ganz genauso lange Reihe von Beispielen anführen, nach denen wir
sagen müssten: Nein! Es stimmt nicht, was in den Worten dieses Liedes ausgesagt
wird! Und das ist gut so. Denn dadurch werden wir hingewiesen auf einen
Tatbestande, welchen wir gar zu leicht aus den Augen verlieren: Dies nämlich,
dass es nicht angeht, Gottes Wirklichkeit an der Wirklichkeit unserer Welt zu
messen. Dass es nicht angeht, das, was wir vor Augen sehen, zum Maßstab unseres
Glaubens zu machen. Dazu kann uns ein
solcher vergeblicher Versuch, die Wahrheit der Worte unseres Liedes an
dem zu erweisen, was wir vor Augen sehen, wohl führen. Und dann begriffen wir
vielleicht einmal mehr, was es heißt: Glauben. Begreifen, dass solcher Glauben
nichts anderes ist, als ein bewusstes Wegsehen von dieser Wirklichkeit, welche
uns Tag für Tag vor Augen liegt. Und ein bewusstes Hinsehen auf Gottes
Wirklichkeit, von welcher dies Lied redet: „Es ist niemand heilig, wie der
Herr, außer dir ist keiner, und ist kein Fels, wie unser Gott ist. Lasst euer
großes Rühmen und Trotzen, auch gehe freches Reden nicht aus eurem Munde, denn
der Herr ist ein Gott, der es merkt und von ihm werden die Taten gewogen.“
Seht – dies
Einsehen auf Gott, das ist eine Entscheidung, die tief im Innersten unseres
Herzens erfüllt werden muss. Eine Entscheidung, welche all dem vorausgeht, was
wir vor Augen sehen. Eine Entscheidung, welche uns erst fähig macht, jene
Wirklichkeit, welche unserer Erfahrung offen steht, richtig zu beurteilen und
zu begreifen. Und wo diese Entscheidung gefallen ist, da gibt es die große
Freude über Gott, mit welcher unser Lied einsetzt: „Mein Herz ist fröhlich
in dem Herrn, mein Haupt ist erhöht in dem Herrn. Mein Mund hat sich weit
aufgetan über meine Feinde, denn ich freue mich deines Heils.“
Liebe
Freunde! Um diese Vorentscheidung wurden wir gewiss nicht herumkommen können,
um diese Entscheidung des Glaubens – oder des Unglaubens. Des Glaubens, der
sagt: Gottes bin ich gewiss! Und weil ich seiner gewiss bin, darum vermag ich
sein Walten zu erkennen in der Wirklichkeit, welche mich umgibt. Oder des
Unglaubens, welcher sagt: Dessen bin ich gewiss, was ich vor Augen hab. Und
weil das so undurchschaubar ist, und so widersprüchlich, darum kann es keinen
Gott geben, der hinter dem allem stehen könnte und es lenken nach seinem guten
und gerechten Willen.
Seht-
gerade weil uns dies Gebet der Hanna die Wirklichkeit sehen lehrt mit den Augen
des Glaubens, darum ist es so wertvoll und hilfreich für unsere Betrachtung.
Eine
Strophe dieses Liedes wollen wir nun noch besonders betrachten – die tiefste
und reichste Aussage, welche es über Gottes Wesen zu machen weiß: „Er hebt
auf den Dürftigen aus dem Staub, und erhöht den Armen aus den Kot, dass er ihn
setze unter die Fürsten und den Thron der Ehre erben lasse.“ Freilich – in
der Weltwirklichkeit, in dem Bereich der äußerlichen Erfahrung, da ist solches
Reden unsinnig. Da heißt es: So viele Ehrenthrone gibt es gewiss nicht, dass
alle Armen der Welt sich darauf setzen könnten. Immer wird es das geben: Die
unzählbare Masse, welche in den Staub getreten wird. Und die paar, die Fürsten,
die Edlen, die Prominenz, welche im Lichte stehen, welche Ansehen und Ehre
genießen. Aber seht: nun wird hier ja Gottes Werk gepriesen. Und dies Werk
Gottes ist, dass er sich zu den Armen herabgelassen hat, um sie zu erheben.
Dass er ihnen einen Wert gegeben hat, der größer ist als alles, das wir sonst
als wertvoll ansehen. Einen Wert, der alle anderen Werte übersteigt, von
welchen in diesem Liede die Rede ist. Der mehr ist als die Stärke und Macht,
welche andere zu gewinnen vermag. Der mehr ist als das Brot, welches den Hunger
zu stillen vermag. Der mehr ist als die Freude an den Kindern, welche wir aufwachsen
sehen, und die unserem Arbeiten und Mühen einen schönen Sinn verleihen. Der
mehr ist als Besitz und Reichtum, welche Sicherheit und Einfluss und Ansehen
verleihen können. Ja, der mehr ist als dies Leben, an welchem wir so sehr
hängen. Seht, von dem allem ist auch in diesem Gebete der Hanna die Rede, und
es ist da gesagt, dass Gott dies alles geben und nehmen kann, wie es im
gefällt. Aber da ist nun der große, der einzigartige Wert, den Gott uns gegeben
hat über dem allem, der Wert, der den Armen erhebt und ihn neben den Fürsten
stellt: Das ist dies, dass Gott um seinetwillen Mensch geworden ist. Seht: Das
gilt von uns allen, von jedem, der Menschenantlitz trägt, von jedem, ob er
stark ist oder schwach, reich oder arm, hungrig oder satt, unfruchtbar oder mit
Kindern gesegnet, tot oder lebendig: Es gilt von allen, dass Jesus Christus
ihre Gestalt getragen hat - unser Menschenwesen. Das er nicht anders war als
wir, und doch Gottes Sohn! Er hat uns vor Gottes Angesicht den Wert gegeben,
den niemand uns nehmen kann: Er ist unser Bruder geworden, darum sind wir seine
Brüder und Gottes Kinder. Das ist es, was den Dürftigen aus dem Staub erhebt,
was den Armen aus dem Kot erhöht, ihn unter die Fürsten setzt und ihn den Thron
der Ehre gibt! Das sollten wir begreifen, liebe Freunde. Und sollten zugleich
erfassen, was damit von uns gefordert ist: Dass von uns gefordert ist, dass nun
wir diese Wirklichkeit Gottes erfassen. Dass wir den Wert sehen, welchen er dem
Menschen gegeben hat; jedem, dem Armen auch und dem Dürftigen auch. Allen, sie
mögen aussehen, wie sie wollen, mögen getan haben, was sie wollen. Wir sollen
diesen Wert sehen und achten und anerkennen, und damit Gottes Werk treiben, und
Christi Macht erhöhen, wie es heißt: „Er wird Macht geben seinem Könige und erhöhen
das Haupt seines Christus.“
Amen