11. nach Trinitatis  2. Sept. 1962          Wolfenhausen/Nellingsheim

 

143, 1-3     O Gott du Höchster (102)

195, 1-5     Aus tiefer Not (17)

250, 3.4     Ist Gott für mich (233)

211,2         Einer ist`s, an dem (239)

 

Jeremia 9, 22.23

1. Kor 1, 26-31

 

Liebe Gemeinde!

 

Ihr kennt das Sprichwort, in welchem wir eine Seite unseres Menschenwesens kennzeichnen: „Eine Bildung braucht der Mensch – und wenn es bloß die Einbildung ist.“ Gewiss, das ist ein scherzhaftes Wort, und es mag wohl sein, dass man jener Untugend, die wir die Einbildung nennen, oft genug am besten dadurch beikommt, dass man diese Einbildung lächerlich macht. Aber trotzdem ist sie eine sehr ernsthafte Sache, sonst müsste sich der Apostel Paulus nicht solche Mühe geben, gegen diese Einbildung anzugehen. Ja, mehr noch: Gott selber, so meint der Apostel, habe so gehandelt, dass sich vor ihm kein Fleisch rühme; und dieses Sich-Rühmen, das ist ganz genau das, was wir als Einbildung bezeichnen.

 

Wir werden nun freilich recht vorsichtig sein, damit wir diese Einbildung nicht missverstehen. Wenn wir von Einbildung reden, dann meinen wir ja meist die falsche Aufgeblasenheit, in der einer so tut, als sei er etwas, und ist es doch in Wirklichkeit nicht. Aber es kann einer sich doch beispielsweise mit Recht etwas darauf einbilden, wenn er mit Sparsamkeit und Fleiß es zu etwas gebracht hat. Es kann einer sich doch mit Recht etwas darauf einbilden, wenn er mehr gelernt hat als andere, wenn er etwas kann, was sie nicht fertigbringen. Ja- kann einer sich nicht auch mit Recht etwas darauf einbilden, wenn er ein anständige Leben führt, wenn er sich zusammen nimmt, wo andere sich gehen lassen, wenn er auf sich hält, und weiß, was sich gehört, auch dort, wo anderen das anscheinend nicht mehr wissen!

 

Seht: Werden wir das nicht gelten lassen müssen, dass sich einer auf das, was er ist und was er tut, etwas einbildet, gerade dann, wenn er aus eigener Kraft und durch eigene Leistung zu dem geworden ist, was er ist? Werden wir da nicht zugeben müssen, dass einer sich mit Recht etwas darauf einbilden kann, dass er es zu dem gebracht hat, zu dem Wissen, zu dem Vermögen, zu dem Anstand, der ihn vor anderen auszeichnet? Kann solche Einbildung denn etwas Schlechtes sein?

 

Seht – wir werden da in unseren Überlegungen recht vorsichtig sein müssen. Gewiss, das ist eine ganz natürliche Sache, eine solche Einbildung, ja, wir könnten sogar sagen, es sei eine gesunde Sache, denn nur aufgrund solcher Einbildung entwickelt einer den Ehrgeiz, dass er lernen und vorwärts kommen und etwas zustande bringen will. Aber ihr wisst ja auch, dass eine solche Einbildung ganz natürlicherweise noch eine andere Seit hat: Dies, dass man auf andere herabsieht, dass man sich ihnen gegenüber abhebt, dass man sich für etwas Besseres hält als die es sind. Da können vielerlei Wertungen eine Rolle spielen.

Der eine bildet sich etwas auf sein Geld ein, und der andere darauf, dass er keines hat. Der eine bildet sich etwas darauf ein, dass er sich zu benehmen weiß, und der andere tut sich etwas darauf zu gut, dass er sich nicht um andere kümmert, sondern sich so rüpelhaft und unflätig aufführt, wie ihm das gerade einfällt. Wir könnten lange so weitermachen – aufzählen, worauf sich der eine etwas einbildet oder der andere, worin der Wert besteht den er sich selber beimisst, was er an anderen auszusetzen hat, die seiner Meinung nach in dieser oder jener Beziehung nicht so viel Wert sind wie er selber. Das, was dabei passiert, wissen wir selbst aus der Praxis unseres Lebens recht genau. Je mehr sich einer für sich selber einbildet, desto weniger ist er für seine Mitmenschen zu haben. Er mag vielleicht sogar niemand kränken wollen – aber in Wirklichkeit kommt es dann eben doch genau so heraus. Vielleicht werden wir durch diese Überlegungen schon merken, dass einer zwar wohl behaupten kann, er könne sich mit Recht auf dies oder das, was er ist oder tut, etwas einbilden; dass dieses angebliche Recht aber in Wirklichkeit doch eine fragwürdige Sache ist; denn der besondere Wert auf welchen wir uns etwas einbilden, der hebt sich ja am vorteilhaftesten ab gegen den Unwert eines anderen, den wir dabei heruntermachen. Und so bringt uns die besondere Einbildung die einer hat, allemal ein Stückchen weiter auseinander.

 

Paulus meint, in Korinth damals die Christen, die hätten ja eigentlich keinen Grund zur Einbildung: Da seien keine besonders Reichen darunter, und keine besonders Gescheiten, und keine besonders Vornehmen. Und trotzdem haben sie gleich ihre besonderen Einbildungen auch gefunden: Der Eine, dass ihn der Apostel Paulus persönlich getauft habe, der andere, dass er sich mit den Anhängern des Petrus, die der nach Korinth geschickt hatte, besonders gut verstand, der dritte bildete sich etwas darauf ein, dass er keinen Paulus und keinen Petrus, und auch keinen Apollos brauche, der sich als wortgewandte Redner einige Zeit im Auftrag des Paulus in Korinth aufgehalten hatte, sondern dass er zum Heiland ein ganz besonders nahes Verhältnis habe.

 

Seltsam, werden wir sagen, auf was die sich etwas eingebildet haben, obwohl sie doch gar keinen Grund hatten. Wohl – das ist schon recht. Wenn wir`s dann bloß richtig drehen, dieses: Seltsam, worauf die sich etwas eingebildet haben – wenn wir es einmal gegen uns drehen und merken, wie seltsam das ist, worauf wir uns etwas einbilden: Was wir für wertvoll halten, wertvoll an uns selber.

 

Liebe Freunde! Ich sagte, es sei bei uns eine sprichwörtliche Sache, dass jeder seine Einbildung habe. Das ist nicht gut, weil es uns aufeinander herabsehen lehrt, und weil es uns, die wir zusammenstehen sollten, auseinanderbringt. Seht: Paulus nennt uns ein Radikalmittel, um diese Einbildung auszutreiben: „Wer sich rühmen will, der rühme sich des Herrn“ – das heißt: Wer sich etwas einbilden will, der soll sich etwas auf seinen Heiland einbilden.

 

Vielleicht, dass wir das nicht so unmittelbar verstehen. Aber im Grunde ist es leicht zu begreifen: Einbildung, das hat einer ja auf das, was er wert ist. Und was wir wert sind, das sehen wir gerade nicht, wenn wir auf uns blicken, das sehen wir nicht, wenn wir uns selber bewerten, und da nacheinander unsere eigenen Werte aufsuchen: Was einer hat oder tut oder durchmacht, - oder was es auch immer sein wird. Was wir wert sind, das sehen wir an dem, der für uns gestorben ist. Soviel sind wir wert – dass der für uns gestorben ist. Freilich – da kann einem die Einbildung vergehen – denn da werden wir uns unseres Wertes gewahr in unserem Gewissen. Da sehen wir, was wir wert sind – und alles, worauf wir uns etwas einbilden könnten, schlägt dem gegenüber nicht zu buche.

 

Wohl: Da ist unser Wert – draußen außerhalb, so, dass wir ihn nicht uns gutschreiben können! Und auf den gehört, was wir an Wert hervorbringen – „Welcher uns gemacht ist von Gott zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung, auf dass wie geschrieben steht: Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!“ Amen