Invokavit 12.3.2000 Martin-Luther Kirche Büchenbach

 

450, 1-5     Morgenglanz der Ewigkeit

347, 1-6     Ach bleib mit deiner Gnade

284, 1                 Lasset uns mit Jesus ziehen

365, 1-5     Von Gott will ich nicht lassen

 

2. Kor 6, 1-10

 

Du unser Gott,

 

der du uns befreist von unserer Schuld und uns leben lässt in deiner Gnade,

wir bitten dich, lass uns dein Heil sehen und leite uns in deiner Wahrheit,

durch unsern Herrn und Bruder Jesus Christus…

 

Guter Gott,

 

du gibst uns die Zeit deiner Gnade, dass wir miteinander vor dir leben können. Wir bitten dich

für deine Gemeinde an diesem Ort, und in der ganzen Welt, dass sie glaubwürdig deine Wahrheit bezeuge in Worten und Taten.

Für die Völker und Staaten, für alle, die Gewalt erleiden und Macht ausüben, dass allen Menschen ihr Recht werde.

Gib du, dass Versöhnung und Solidarität unser Leben miteinander bestimmt und wir einander helfen, wo das möglich ist.

Gib allem Menschen, was sie brauchen, Brot und Arbeit, Heimat und Anerkennung. Bewahre deine Schöpfung vor Ausbeutung und Zerstörung.

Besuche die Einsamen und Kranken, geleite die Sterbenden, tröste die Trauernden.

Gott, lass uns dein Heil schauen.

Amen

 

Wir sind zusammengekommen um miteinander Gottesdienst zu feiern. Vor Gott, der uns besser kennt, als wir uns selbst, bekennen wir, dass wir vor ihm und aneinander schuldig geworden sind durch Vieles, was wir getan und unterlassen haben. Darum bitten wir: Gott, sei uns Sündern gnädig.

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Eine gute Zeit wünschen wir uns, wenn wir uns begrüßen: einen guten Morgen, einen guten Tag, einen guten Abend. Aber die Zeit, die Paulus hier ansagt, die ist noch einmal in ganz anderer Weise eine gute Zeit: Jetzt ist die Zeit der Gnade, jetzt ist der Tag des Heils. Jetzt, wo Gott selbst dabei ist, wo er uns frei macht, wo er die Last wegnimmt, mit der ich mich abplage, wo er mir den Rücken freihält, dass mich nicht mehr einholen kann, was gewesen ist und doch nicht vorbei ist.

Das mag jetzt noch allgemein klingen. Aber wer zusieht, was unter uns passiert, der kann das leicht wahrnehmen. Denkt an das Evangelium von der Versuchung Jesu, das wir vorhin gehört haben. Ich kann das mit einem Wort zusammen nehmen: Um die Versuchung der Macht geht es da. Jesus hat diese Versuchung bestanden. Aber wer kann das von sich sagen. Macht, die lockt. Macht, die eigene Position auszunützen – sei es auch nur gegenüber dem Ehegatten, den Kindern, oder den Mitarbeitern im Betrieb oder den Freunden in  der Clique. Das sieht erst einmal so ganz selbstverständlich aus. Ich weiß doch was richtig ist; weiß das besser als die andern. Und darum muss ich das auch durchsetzen. Und dann läuft das in einer fatalen Eigendynamik ab, die wir nicht mehr in der Hand haben. Macht, die Versuchung der Macht, der Missbrauch der Macht – das hängt uns an.

Den guten Willen will ich da gar nicht bestreiten, und will gerne das nachsprechen, was der Apostel da von sich gesagt hat: „Und wir geben in nichts irgendeinen Anstoß, damit unser Amt nicht verlästert werde.“ Aber gibt das dann wirklich jene Freiheit, die wir so gerne hätten? Auch das kann Paulus ja sagen. Ich bin mir zwar keiner Untreue, keines Machtmissbrauchs bewusst: Aber damit bin ich noch nicht gerechtfertigt.

Ich streiche das noch einmal heraus, indem ich darauf hinweise, wie wir mit diesen Lasten umgehen, die uns da anhängen: Wir entschuldigen uns. Das mag angehen, wenn ich im Gedränge unabsichtlich jemanden angestoßen habe. Aber schon ein böses Wort, das getroffen hat, lässt sich nicht entschuldigen. Was soll das Eingeständnis einer Schuld der Kirche, wie das der Papst heute vorbringen will.

Das ist doch entweder eine Banalität: Dass Kreuzzüge und Hexenverbrennungen, dass die Spaltung der Kirche und der Streit der Konfessionen und Religionen nicht gut ist, das weiß ich sowieso. Oder es ist eine bloße Geste der Demut, die in der ganzen Zweideutigkeit unserer zwischenmenschlichen Beziehungen bleibt. Wie zweideutig, das zeigt sich doch schon daran, dass noch ehe das bekannt ist, was der Papst sagen will, die Erklärung da ist, das dürfe man nicht missverstehen, und die Kritiker der Kirche sollten ja nicht meinen, das sei nun Wasser auf ihre Mühlen.

Entschuldigung, eine Geste der Demütigung in unserer Öffentlichkeit: Wir haben das ja nachgerade bis zum Überdruss erlebt in den letzten Wochen. Aber was ist dann mit einer solchen Entschuldigung bereinigt? Jeder kennt das und weiß genau, dass das nicht jene Freiheit bringt, die wir brauchen, jene Zeit der Gnade, jenen Tag des Heils, nach dem uns verlangt, die Öffentlichkeit, die solche Entschuldigung empfängt – die ist doch in aller Regel gnadenlos. Was soll’s also?

Vielleicht liegt das so Beliebige, das zugleich Würdelose und scheinbar Schlaue solcher Entschuldigungen daran, dass die richtige Adresse nicht da ist, an die sich das Eingeständnis der Schuld zu richten hat. So sagt das Psalm 51,6: „An dir allein habe ich gesündigt und Unrecht vor Dir getan, damit du recht behältst in deinen Worten und rein dastehst, wenn du richtest.“ Da ist das Urteil, das trifft, weil Gott nicht bloß die Worte hört, sondern das Herz kennt. Vor ihm kann ich sagen, was mich bedrückt, und weiß, dass er versteht. Nicht nur versteht, sondern frei macht.

Nun kann mir da freilich einer einwenden: Da machst du es dir aber sehr bequem, wenn du dich bloß vor Gott demütigst und dabei die Leute außen vor lässt, die doch betroffen sind durch dich, durch deine Machtgier und deinen Machtmissbrauch. Wer so redet. – und ich kann das schon auch verstehen -, der weiß noch nicht so recht, was „Gott“ heißt. Für den ist Gott bloß ein Wort. Aber da ist ja nun die Ausführung des Apostels Paulus, für den „Gott“ ganz gewiss nicht bloß ein Wort ist. Er weiß vielmehr, wovon er redet, wenn er uns ermahnt, die Gnade Gottes nicht zu versäumen. Er weiß, wovon er redet, wenn er sagt, er erweise sich in allem als Diener Gottes. Und zählt dann auf, was das heißt, wenn jene Zeit der Gnade, wenn dieser Tag des Heils begegnet: „In großer Geduld.“ Das ist sozusagen die Überschrift. Die können wir uns vorhalten und durchbuchstabieren. In großer Geduld: das heißt, dass er Zeit hat, das aufzunehmen, was jetzt auf ihn zukommt. Wie oft sind wir doch ungeduldig, haben keine Zeit, jetzt, sind ganz anderswo mit unseren Gedanken, mit unseren Wünschen, mit unseren Erwartungen. „Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe jetzt ist der Tag des Heils!“ In großer Geduld lässt der Apostel den auf sich zukommen, weil eben das der Dienst Gottes ist, dem er sich verschrieben hat. Was er dann aufzählt, ist ja keineswegs so verlockend und wünschenswert, dass wir das als Gandenzeit bezeichnen wollten. Von Gott her widerfährt ihm, was da auf ihn zukommt und seine Geduld herausfordert: Klagen, Nöte, Ängste, Schläge, Gefängnisse, Verfolgungen. Ich brauche das nicht weiter auszuführen: Das sucht man sich nicht, das kommt eben so. Sicher ist auch damals vieles andere ebenso auf den Apostel zugekommen, gute Tage, Glück, Freundschaft und Zuneigung. Allein diese schlimmen Dinge, die er aufzählt: Das hielte ja kein Mensch aus. Aber es gehört eben auch dies Unerwünschte, das Böse, das Erleiden von Gewalt, mit dazu zu dem, was ihm von Gott her zukommt. Und so nimmt er es an als Dienst an Gott. Und beschreibt weiter, wie er das annehmen und verarbeiten kann. Gewiss, auch da sind zunächst Dinge genannt, die uns nicht so anziehend und erfreulich erscheinen, dass wir sie uns wünschen und von Gott erbitten wollten: Mühen, Wachen, Fasten. Aber dann geht es ja weiter in der Beschreibung, wie sich annehmen lässt, was von Gott her widerfährt: in Lauterkeit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, im heiligen Geist, in ungefärbter Liebe, in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken – als Schutz wie als Zugriff.

In großer Geduld – so führt das Paulus aus. Weil er dabei bleibt bei dem, was jetzt da ist, weil er sich nicht anderswo aufhält, darum lässt sich das nun durchstehen. Nicht nur durchstehen: Da öffnet sich Gottes Fülle und Reichtum. Und jeder von uns kann sich aus diesem Katalog jetzt herausnehmen und behalten, was ihm gerade jetzt in seiner Lage besonders wichtig und nötig erscheint. Freilich: am Ende ist der Apostel nicht in seiner Beschreibung jener Zeit, die ihm Gott schenkt und die er so in großer Geduld und in dieser Fülle der Gaben anzunehmen vermag. Es ist ja nicht die Zeit, die er allein und nur im Gegenüber zu Gott verbringt. Die Leute sind dabei, die ihm begegnen. Und wo die Leute sind, da schauen sie nicht bloß zu; sondern sie zerreißen sich die Mäuler mit ihrem Urteilen. Und unberührt ist keiner von solchen Urteilen. Es kann beeindrucken, kann auch die eigene Selbstbeurteilung mitbestimmen. Wenn ich gewusst hätte, dass die Leute das so aufnehmen und verstehen oder auch missverstehen – dann hätte ich manches anders gemacht! Aber auch dann bleibt ja die Zweideutigkeit. In großer Geduld erträgt er diese Zweideutigkeit, der Apostel. Denn da ist ja nicht nur die Zeit des Heils und der Gnade. Sondern zugleich ist da unsere Zeit – gnadenlos zumeist. Davon sind wir betroffen. Im Urteilen und auch im beurteilt werden. Darum in Ehre und Schande…

Eine gute Zeit!