Neujahr 1958 Wolfenhausen/Nellingsheim


233, 1-3 Sei Lob und Ehr

42, 1-7 Nun lasst uns gehn…

43,3 Jesus soll die Losung sein…

43,5


Gal 5,1a (Jahreslosung)

So bestehet nun in der Freiheit, zu der uns Christus befreit hat.


Liebe Gemeinde!


Wir sind miteinander ins neue Jahr eingetreten, in das Jahr 1958. Und es ist nur natürlich, dass am Neujahresmorgen sich unsere Gedanken in die Zukunft hinein tasten. Dass wir uns mit der Frage beschäftigen, was uns denn dieses neue Jahr bringen wird. Freilich, es kann ganz verschiedene Weisen geben, in diese neue Jahr hinein zu greifen mit den Gedanken unseres Herzens. Es kann sein, dass wir voll Vertrauen in dies neue Jahr hineinblicken. Und freilich, wir haben wohl Grund, zu vertrauen, dass es ein richtiges Jahr werden wird, ein Jahr mit Frühling und Sommer und Herbst und Winter, ein Jahr, dessen vorgeschriebener Gang in Gottes Schöpferhand liegt. Darauf können wir ganz gewiss vertrauen, dass Gottes Verheißung auch in diesem Jahr gelten wird, die Verheißung, die er dem Noah nach der Sintflut gegeben hat: So lange die Erde besteht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. Diese Verheißung Gottes ist der Grund, dass wir vertrauend in das neue Jahr hineingehen können, vertrauend darauf, dass es wirklich ein richtiges Jahr werden kann. Und doch blicken wir auch voll Sorge in dieses Jahr. Voll Sorge, dass menschlicher Übermut, menschliche Machtgier, menschlicher Zerstörungssucht störend und zerstörend in Gottes Schöpfungswerk eingreifen kann. Das vergangene Jahr hat uns als Zeichen dieser menschlichen Machtgier den Sputnik gebracht? Was wird uns das kommende Jahr an solchen zweifelhaften Überraschungen und Errungenschaften des menschlichen Geistes bringen? Hier liegt der Hauptgrund unserer Sorge für das kommende Jahr, der Sorge die uns alle umgreift, über die Sorgen hinaus, die ganz gewiss jeden Einzelnen von uns in seinem persönlichen Bereich bewegen. Und doch: Wir blicken auch voll Hoffnung hinein in dieses neue Jahr. Denn das ist ja eine seltsame und eigentlich recht bewundernswerte Fähigkeit des menschlichen Herzens, dass es zu hoffen vermag, auch wo eigentlich nicht all zu viel da ist, was dieser Hoffnung ihre Berechtigung geben könnte. Wir hoffen auf dies Jahr 1958, hoffen darauf, dass es ein gutes Jahr werde. Hoffen darauf, dass es uns manchen Wunsch erfülle, den wir jetzt vielleicht noch nicht einmal auszusprechen wagen.


So liegt nun das Jahr 1958 vor uns wie ein Weg, den wir alle zu gehen haben. Den wir alle miteinander gehen müssen, und wissen doch, dass dieser Weg für jeden anders aussehen wird. Wir können noch nicht sagen was uns auf diesem Weg durch das Neue Jahr wohl alles begegnen wird. Aber dies eine wissen wir ganz bestimmt: Es wird nicht immer leicht sein, diesen Weg zu gehen. Es wird unebene und beschwerliche Strecken auf diesem Weg durch das neue Jahr geben, wo wir Mühe haben werden, richtig durchzukommen. So stehen wir nun am Anfang dieses Weges durch das Jahr 1958. Unser Herz erfüllt mit Vertrauen, Hoffnung und Sorge. Werden wir den Weg durch dieses Jahr gut zu Ende bringen?


Seht: Wenn wir einen Weg zu machen haben, der uns über unebenes Gelände und beschwerliche Strecken führt, dann sorgen wir doch ganz bestimmt darum, dass wir ordentliches Schuhwerk an den Füßen haben. Und wenn wir nicht ganz sicher auf den Füßen sind, dann werden wir auch danach sehen, das wir einen ordentlichen Stock mit auf diesen Weg nehmen, damit wir eine Stütze bei uns haben, wo die Gefahr droht, dass wir zu Fall kommen oder nicht mehr weiter können. Sollten wir es nicht bei unserem Weg durch das Jahr 1958 genau so machen? Der Stock, der uns auf diesem Weg durch das Jahr 1958 als Stütze angeboten wird, das ist unsere Jahreslosung. Ist das Wort aus dem Brief des Apostels Paulus an die Galater: „So besteht nun in der Freiheit, zu der uns Christus befreit hat.“


Dies Wort lasst uns nun miteinander betrachten, damit wir erkennen, wie es uns helfen kann, unseren Weg durch das Jahr so zu gehen, dass wir uns dieses Weges nicht zu schämen brauchen, wenn wir in einem Jahr auf diesen Weg zurückblicken werden.

1.)


Zunächst einmal zeigt uns dies Wort, wie wir wirklich bereit sein können, ohne Hemmnis den Weg durch diese Neue Jahr anzutreten. Es spricht uns allen die Freiheit zu. Die Freiheit, zu der uns Christus befreit hat. Freilich, werden wir sogleich richtig verstehen, wie dies Wort gemeint ist von der Freiheit, zu der uns Christus befreit hat? Denn mit diesem Wort Freiheit, da geht es doch in unserer Zeit genau so, wie es mit dem Wort Frieden geht. Es ist zu einem üblen Schlagwort geworden, das sich die beiden großen Machtblöcke unserer Welt gegenseitig an den Kopf werfen. Die im Osten sagen: Ihr im Westen seid ja gar nicht frei, denn ihr schmachtet noch unter dem Joch eurer kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Und die im Westen sagen: Genau umgekehrt ist es richtig. Ihr im Osten seid alles andere als frei, seid ihr doch nichts als Knechte und Sklaven einer kommunistischen Funktionärskaste. Nun haben wir freilich das sichere Gefühl, dass es mit der Freiheit im westlichen Teil der Welt doch um ein ganzes Stück besser bestellt ist als drüben im Osten, wo die bolschewistische Diktatur regiert. Aber eben so deutlich ist es uns wohl allen: Die Freiheit, von der der Apostel Paulus redet, ist etwas ganz anderes als die Freiheit, die wir in unserer demokratischen Staatsform genießen. Die Galater, an die der Apostel Paulus schrieb, konnten sich noch recht deutlich erinnern an die Zeit, wo sie diese Freiheit noch nicht besaßen. Sie wussten noch ganz genau, wie sie in Unfreiheit, in Angst und Aberglauben drin steckten, als sie noch ihren heidnischen Götzen dienten. Für uns liegt diese Zeit der Unfreiheit viel weiter zurück. Wir waren ja nie Heiden, und unsere Väter und Großmütter waren's auch nicht. Und doch – auch wir kennen im Grunde diese Unfreiheit, kennen sie sogar aus eigener Erfahrung: Vielleicht, dass wir zurückdenken an eine ganz bestimmt Sünde, der wir immer und immer wieder erlegen sind, bis uns schließlich unser Herr geholfen hat, frei zu werden. Vielleicht, dass wir zurückdenken an eine Zeit der Gleichgültigkeit dem Wort Gottes gegenüber, die einmal unser Leben gekennzeichnet hat. Bis wir bemerkten: Halt, ohne dieses Wort kommst du nicht weiter. Diesem Wort musst du folgen, soll es mit deinem Leben recht werden. Wir kennen die Macht der Knechtschaft, die Macht der Unfreiheit, die jeden unter uns immer wieder bedroht. Die ihn zwingen will, wieder der Welt zu dienen. Nichts Höheres zu kennen als Besitz und Verdienst. Nichts anderes zu schätzen als das eigene liebe Ich und seine Bequemlichkeit, seinen Willen, seine Lust. Seht – hinter uns liegt die Unfreiheit, und sie lauert nur darauf, einzubrechen in unser Leben und es von neuem in Besitz zu nehmen. Doch wir sind gerufen, liebe Freunde, unseren Weg durch das neue Jahr 1958 in Freiheit zu gehen: Frei durch unseren Herrn Jesus Christus. Frei dazu, nicht dem Mammon, nicht der Sünde nicht der Welt zu dienen, sondern frei dazu, im Gehorsam gegen unseren Herrn Jesus Christus durch diesen neue Jahr zu gehen.


2.)


Wir sind frei dazu, liebe Freunde, befreit von Sünde, von der Knechtschaft der Welt, unseren Weg durch dies neue Jahr 1958 zu gehen, wir sind dazu befreit, durch unseren Herrn und Heiland Jesus Christus, der für uns gestorben ist, um uns von diese Knechtschaft zu erlösen. Weil er unser Herr ist, der uns frei gemacht hat von der Last aller Unfreiheit, die vor seinem Kommen über der ganzen Menschheit lag, darum können wir jetzt auch getrost unseren Weg durch dies neue Jahr 1958 beginnen. Darum dürfen wir wissen, dass dies Jahr ein Jahr des Heils, ein Jahr des Herrn werden wird. Doch – nun sind wir heute durch den Apostel dazu aufgerufen, diese Freiheit nicht zu verscherzen, sie nicht zu verscherzen auf dem Weg durch das Jahr, das vor uns liegt. „So besteht nun in der Freiheit, zu der uns Christus befreit hat!“ Diese Mahnung ist uns allen mitgegeben auf dem Weg durch das Jahr 1958, das vor uns liegt. Auf dieses Jahr, dem wir in Vertrauen, Sorge und Hoffnung entgegenblicken. Und diese Mahnung, sie vermag uns darauf hinzuweisen, dass auf diesem Weg durch das neue Jahr eine Gefahr auf uns alle lauert, eine Gefahr, die im Grunde noch viel schlimmer ist, als alle die Wechselfälle des Geschicks, die uns auf diesem Weg durch das neue Jahr begegnen können. Eine Gefahr auf diesem Weg, die schlimmer ist als eine schlechte Ernte. Die schlimmer ist als Krankheitsnot, die dieses Jahr bringen kann. Die schlimmer ist als all die Gefahren, die in diesem Jahre unserem Besitz, unserer Gesundheit, unserem Leben drohen. Ja, eine Gefahr, die schlimmer ist auch als der Tod, der ja jeden von uns in diesem Jahre ereilen kann. Denn diese Gefahr, auf die der Apostel hinweist, die bedroht ja nicht nur unser leibliches Leben, und all das, was wir auf dieser Welt unser eigen nennen können. Diese Gefahr bedroht vielmehr unser ewiges Heil! Es ist die Gefahr, dass wir wieder hinein kommen in die Unfreiheit der Welt. Dass wir wieder in Sünde fallen, von der uns doch Christus freigemacht hat. Wir sind aufgerufen, liebe Freunde! in Freiheit unseren Weg durch diese neue Jahr zu gehen. Sind aufgerufen in diesem neuen Jahr die Freiheit zu bewähren, die unser Herr und Heiland Jesus Christus uns in seinem Kreuzesstod erworben hat. Wird uns das gelingen? Wird es uns gelingen, der Angst zu trotzen, die uns die Welt einjagen will, um uns in ihren Bann zu bekommen: Der Angst, zu kurz kommen in diesem Leben? Wird es uns gelingen, der Verlockung des Besitzes zu widerstehen, mit dem uns die Welt an sich ketten will? Der Verlockung, immer mehr zu erwerben und zu sammeln und zusammenzutragen, um damit Sicherheit zu gewinnen für das eigene Leben und für das Leben der Kinder und Enkel? Werden wir der Versuchung der Macht widerstehen, als Volk und als Einzelne, der Versuchung, über Andere zu herrschen – wo uns doch unser Herr Christus befohlen hat, einander zu dienen? Seht, ich könnte noch lange fortfahren in der Aufzählung der Gefahren, die auf dem Wege durch das Jahr 1958 auf uns lauern, der Gefahren, die unsere Freiheit bedrohen, die uns von unserem Herrn und Heiland Jesu Christus trennen und wieder in die Knechtschaft der Welt zurückbringen möchten.


3.)


Doch nun habe ich noch von einer Gefahr zu reden, die fast noch größer als diese Gefahren. Einer Gefahr, die unserer ganzen evangelischen Kirche droht, und jedem, der ein Glied in ihr ist. Das ist die Gefahr, dass wir alle katholisch werden. Katholisch freilich nicht dem Namen nach – das hat noch gute Zeit, und hier bin ich eigentlich ohne Sorge. Vielmehr katholisch dem Wesen nach. Seht, diese Gefahr geht gerade von denen aus, die es ernst meinen mit ihrem christlichen Glauben. Die die Gefahren sehen, die diesem Glauben in der Welt und von der Welt drohen. Und die darum eine gerade und eindeutige Antwort haben wollen, was sie in dieser Welt zu tun und zu lassen haben. (Beispiel: Sonntagsarbeit.). Ist nicht gerade in den Wochen vor der Wahl der Wunsch laut geworden, die evangelische Kirche möge sich genau so klar und eindeutig für oder gegen eine der konkurrierenden Parteien entscheiden, wie das die katholische Kirche getan hat? Ist nicht vielerorts der Wunsch laut geworden, auch die evangelische Kirche möchte eine so zielbewusste und klare Schulpolitik machen wir die katholische Kirche. Sie möge zur Wiederverheiratung geschiedener Ehepartner ein ebenso klares und eindeutiges Nein! sprechen wie die katholische Kirche. Seht: Auch in diesem allem ist unsere evangelische Freiheit in Gefahr. Ist sie in der Gefahr, der Bevormundung durch eine kirchliche Hierarchie zu weichen, wie wir das bei unsern katholischen Mitbürgern so deutlich vor Augen haben. Liebe Freunde! Jeder von uns hat seinen eigenen Herrn zu stehen. Und kann dann nicht sagen: Die Kirche hat aber so gesagt. Der Pfarrer hat aber so gesagt. Der Papst oder der Landesbischof hat so gesagt. Grabe ich mir damit selbst das Wasser ab? Nein! Was gelten soll, ist Gottes Wort und Christus allein!

Amen

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