Karfreitag, Hebr 9, 24-28, gehalten am 15. April 1960

 

Wolfenhausen/Nellingsheim

 

60, 1-6 Herzliebster Jesu(108)

62, 1-4 Ein Lämmlein geht(63)

64, 8.9 O Welt, sieh hier(214)               

62, 5 Ein Lämmlein (63)                         

404 …(257)       

136 Christi du Lamm (24)

62,8 (63)

 

 

Mark 15, 20-37

Hebr 9, 24-28

 

Liebe Gemeinde!

 

Was geschehen ist, als Jesus am Karfreitag ans Kreuz geschlagen wurde, als er sein Leben unter bitteren Qualen aushauchte, das kann uns eigentlich jedes Kind erzählen. Was geschehen ist – das wissen wir wohl, wenigstens soweit es sich um den äußeren Vorgang dieses Geschehens handelt. Aber freilich – wenn wir uns nicht damit begnügen wollen, eben nur den äußeren Vorgang jenes Sterbens uns vor Augen zu stellen, wenn wir vielmehr weiterfragen, was denn dieses Sterben bedeute: Dann werden wir sehr rasch an der Grenze unseres Verstehens angelangt sein. Wenn wir fragen, was denn das Sterben Jesu bedeute, für uns bedeute, so merken wir bald, wie wenig wir doch wissen von der Tiefe des Sterbens Jesu!

 

Seht, der Hebräerbrief versucht es auf seine Weise, uns zu einem Verständnis dieses Geschehens anzuleiten. Freilich – wir haben nicht mehr die unmittelbare Anschauung von dem Vollzug des jüdischen Opferdienstes, der dem Apostel als Abbild dessen dienen muss, was im Tode Jesu geschehen ist. Aber das ist nicht allzu wichtig. Es genügt fast, so meine ich, wenn wir den Gegensatz begreifen, von welchem der Apostel redet: Da steht auf der einen Seite der Hohepriester, der alle Jahre am großen Versöhnungstag seine Opfer vollbringen musste, um die Schuld und Sündenlast, welche das Volk im Laufe dieses Jahres auf sich geladen hatte, weg zu schaffen. Und dem gegenüber steht Jesus, der einmal erschienen ist, um durch sein Opfer die Sünde aufzuheben.

 

Alle Jahre – einmal: Ich meine, es sei schon sehr viel, wenn wir das einmal begriffen haben, was mit diesem Gegensatz ausgedrückt ist. Alle Jahre – immer wieder und noch einmal und noch einmal, und noch einmal dasselbe: Ist das nicht in klares Sinnbild unseres menschlichen Bemühens? Unseres menschlichen Bemühens und seiner Vergeblichkeit. Alle Jahre – immer wieder dasselbe. Immer der gleiche Kreislauf von Frühling, Sommer, Herbst ,Winter, in die unser Leben eingespannt ist. Und immer dieselbe Arbeit, das Jahr durch, immer dieselbe Mühe und dieselben Schwierigkeiten. Freilich auch immer dieselbe Freude, und der Erfolg, und die Befriedigung. Und über diesem alle Jahre, über diesem immer wieder, verzehrt sich unser Leben. Aber: Vergessen wir das ja nicht: Diese alle Jahre, das sind Jahre, da sich die Schuld, da sich unsere Sünde angehäuft hat! Alle Jahre ist der Hohepriester ins Heiligtum gegangen mit dem Blut der Opfertiere, um Gott zu versöhnen: Alle Jahre wieder; alle Jahre wieder ist das nötig gewesen – haben wir das nötig. Denn diese Jahre, von denen da die Rede ist, das sind ja Jahr des Zorns, Jahre der Sünde. Alle Jahre – immer wieder: Das gilt doch eben nicht nur von unserem Erleben, von unserer Arbeit, von unserer Mühe und von unserem Erfolg. Es gilt auch von unserem Streit, von unserer Lüge. Es gilt von Eigensucht und Betrug, von Hass und Neid. Es gilt von unserem Miteinander, das da gestört und verderbt ist. Es gilt von den Gesetzen, die unser Leben bestimmen. Dass wir sagen: Das muss es eben immer wieder geben, wie es gewesen ist und sein wird, dass einer des anderen Feind ist; dass einer den anderen betrügt; dass ein Volk gegen das andere aufsteht im Krieg und Blutvergießen. Immer schon ist das so gewesen, und wir auch immer wieder so sein!

 

Seht, liebe Freunde! Das müssten wir eigentlich vor Augen haben, wenn wir hören, wie der Hohepriester alle Jahre in das Heiligtum hineingeht mit fremdem Blut. Alle Jahre: Eben weil nichts anders wird durch diesen Gottesdienst. Eben weil nichts anders wird, weil sich nichts ändert in der menschlichen Natur. Eben deshalb ist dies alles so, dass wir eben aufgeben, dass wir resignieren, dass wir sagen: Freilich, es müsste anders werden. Freilich, es dürfte keinen Krieg mehr geben. Freilich, wir müssten alle miteinander wirken und arbeiten, statt gegeneinander. Aber das kommt doch alles immer wieder, und darum hat es gar keinen Sinn, dagegen anzugehen. Man muss es nehmen, wie es kommt, immer wieder, alle Jahre, so, wie es eben der Welt Lauf ist!

 

Seht – so suchen wir uns zu entschuldigen, suchen wir uns zu retten, indem wir sagen: Es ist doch immer wieder das Gleiche. Es wird doch nichts anders! Wehe uns, wenn wir so denken! Wehe uns, wie danach leben! Wehe uns, wenn wir auch unseren Glauben eben mit hinein nehmen in dies immer wieder, in dies: Alle Jahre! Wenn wir immer wieder, alle Jahre, Weihnachten feiern, oder Karfreitag, oder Ostern und Pfingsten, und es wird doch nichts anders. Wehe uns! Wehe uns, wenn unser Glaube zerbricht an der Gewohnheit –wenn er nicht den Mut aufbringt, wenn er nicht die Kraft aufbringt, anzugehen gegen die Gewohnheiten, anzugehen gegen jenes verderbliche und sündhafte immer wieder: Immer wieder Lüge; immer wider Hass; immer wieder Ehebruch; immer wieder Krieg! Wehe uns! Denn es stimmt ja gar nicht mit diesem immer wieder. Und das sollten wir alle wissen. Sollten es alle vor Augen sehen und uns danach einrichten. Vielmehr: „Es ist dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben, danach aber das Gericht!“ Aus all unserem immer wieder werden wir herausgerissen werden. Einmal, unwiderruflich. Eben einmal, und dann wird unser Leben gewogen werden. Da lässt sich dann nichts mehr wiederholen, im Guten nicht und im Schlechten nicht (keine Seelenwanderung).

 

Denken wir daran, liebe Freunde! Seht, das ist das, was wir heute am Karfreitag in  besonderer Weise bedenken sollen. Wozu uns unser Text in besonderer Weise anleitet: Dass wir begreifen, wie unserem oft doch sehr bequemen und meist sehr verlogenen „immer wieder“ das „einmal“ des Kreuzestodes Jesu entgegensteht. „Wie den Menschen gesetzt ist einmal zu sterben, danach aber das Gericht: So ist Christus einmal geopfert, wegzunehmen vieler Sünden!“ Dass wir doch das erkennten. Und begriffen, was dieses einmal für uns heißt!

 

Seht, weil er einmal für uns gestorben ist, darum sind wir frei von dem lähmenden und beschämenden „immer wieder“. Freilich, diese Freiheit, die müssen wir bewähren. Auf diese Freiheit hin müssen wir es wagen. Sie gilt es zu fassen, zu fassen und festzuhalten im unerschütterlichen Glauben, dass er recht habe, der am Kreuze hängt und sein Blut vergießt, und nicht die anderen, die eben immer wieder ihr altes Lied singen und im alten Trott weitermachen: Immer wieder Sünde. Immer wieder die alten Streitereien. Immer wieder die alten Gelüste. Immer wieder der alte Neid. Immer wieder der alte Eigensinn. Inner wieder das alte Gegeneinander. Immer wieder die alte Angst. Immer wieder Ausbeutung, und Geiz. Immer wieder Völkerhetze und Rassenhetze. Und immer wieder Krieg – weil das eben so ist, weil man dagegen nichts machen kann, weil man da eben mitmachen muss. Vielleicht mit einem schlechten Gewissen. Deshalb hat ja der Hohepriester opfern müssen. Und wo das … da ist, da tut`s schließlich auch anders, um dies Gewissen zu beruhigen. Vielleicht, dass man alle Jahre, immer wieder, vielleicht öfters oder gar regelmäßig zur Kirche kommt, das Heilige Abendmahl feiert – immer wieder alle Jahre: Und es wird doch nicht anders.

 

Seht, liebe Freunde: Die da das alte Lied singen, die da im alten Trott weiter machen, das sind wir. Leider sind wir das, immer wieder, wir, die wir uns nach dem Gekreuzigten nennen, wir die wir es besser wissen sollten – es besser glauben sollten. Wir nennen uns nach dem de r „einmal“ gestorben ist – sollte uns das nicht heraushelfen aus den alten Gleisen, aus den alten Sündentrott. Seht: Glaube, das ist mehr, als immer wieder dasselbe tun. Sonst hätte der Hohepriester Kaiphas, der Jesus verurteilte, einen besseren Glauben gehabt als Jesus selber. Sonst wären die Juden, die sich alle Jahre mit Gott versöhnen lassen, durch das Blut der Opfertiere, reiner gewesen von Sünden, als die Christen, die an die einmalige Kraft des Todes Jesu glaubten. Nein! Nicht immer wieder dasselbe, alle Jahre, immer wieder Gewohnheit und immer wieder Sünde. Vielmehr: Der Gekreuzigte zeigt uns den Weg ins Freie, den Weg zur Hoffnung. Einmal ein Opfer – das erste Wort nach dem Streit. Einmal ein Wagnis – das Vertrauen zu einem Menschen. Einmal wirklich glauben, hoffen, bewirken, dass etwas anders wird, durch uns, durch dich und mich. Denn nur so will er wiederkommen, um alles anders zu machen. Zum andern Male wird er nicht um der Sünde willen erscheinen, sondern denen, die auf ihn warten, zum Leben. Amen