Karfreitag, Hebr 9, 15.26b-28, gehalten am 9.4.1982

 

66, 1-3 Du großer Schmerzenmann

Intr. 14

60, 1-6 Herzliebster Jesu

70, 1.2 Ich grüßte dich am Kreuzestamm

139

444 Herr, du wollst uns

 

Hebr 9, 24-28              Mark 15, 20- 37

 

Herr Gott, himmlischer Vater,

 

der du uns mit dir versöhnt hast durch das Leben, Leiden und Sterben Jesu Christi, und hast uns in ihn deiner Liebe gewiss gemacht,

wir bitten dich,

nimm von uns unsere Sünden, die uns von dir trennen, und lass uns stark werden in der Liebe gegen dich und unter uns, durch unseren Herrn Jesus Christus, deinem Sohn, der mit dir in der Einheit des heiligen Geistes lebt und regiert in Ewigkeit!

Amen

 

Liebe Gemeinde!

 

Was am Karfreitag geschehen ist, das weiß jedes Kind zu erzählen! Wir hören es im Evangelium dieses Tages, wir haben es vor Augen im Bild des Gekreuzigten: Wie sie Jesus verurteilt haben, ihn hinausgeschleppt auf den Galgenberg, ihn angenagelt haben und wie er da gestorben ist, einen schlimmen Tod. Was geschehen ist am Karfreitag, das lässt sich so nacherzählen – aber wissen wir auch, was das bedeutet? Sicher, da kann einer nicht auslernen – beim besten Willen nicht. Aber ein Stück weit sollte doch jeder kommen, so weit, dass er nicht nur sagen kann, was da geschehen ist, sondern weiß, dass das ihm zu gut geschehen ist. Es ist gut, wenn einer seinen Katechismus so weit im Kopf hat, das er das aufsagen kann, uns sich vorsagen kann – gerade heute am Karfreitag, wo wir uns an das Sterben des Heilandes für uns erinnern: „Ich glaube, dass Jesus Christus … sei mein Herr, der mich verlornen und verdammten Menschen erlöset hat, erworben, gewonnen von allen Sünden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels ...“

 

Auch der Hebräerbrief will uns da weiter helfen, dass wir nicht bloß die Geschichte wissen – sondern verstehen lernen, wozu das gut gewesen ist, was da geschah. Freilich scheint es so, wie wenn wir es schwer hätten, hier zurecht zu kommen mit unserem Verstehen. Denn was da angeführt wird, kennen wir nicht mehr: Die Opfer im Jerusalemer Tempel, Jahr für Jahr Gott dargebracht, damit er die Sünder am Leben lasse. Aber vielleicht braucht es das gar nicht, dass wir diese Opfer, diese feierlichen Gottesdienste, vor Augen haben. Vielleicht genügt es schon, wenn wir uns an die Opfer erinnern, die wir selbst immer wieder vor Augen haben.

 

1.

 

Wir reden von den Opfern unseres Straßenverkehrs – jeder von uns weiß von diesem oder jenem Menschen, der da ein Opfer geworden ist. Wir reden von den Opfern des Bürgerkrieges – in El Salvador oder in Kambodscha – und jeder erinnert sich an die schrecklichen Bilder, die uns in diesen Tagen und Wochen vor die Augen gekommen sind. Wir reden von Pofern, die ein Erdbeben, ein Vulkanausbruch, ein Taifun gefordert hat, reden von den Opfern, die Hunger und Krankheit einfordern – immer wieder, Jahr für Jahr, Tag um Tag gar: Blut und Tod! An alle  diese Opfer erinnert uns der Hebräer Brief, wenn er hier vom Opfer Jesu Christi spricht. Ja, ich will das noch ein wenig weiter ausspinnen: Da ist von den Opfern die Rede, die der Hohepriester dargebracht hat – dem fremden Blut. Böcke und Kälber mussten als Opfer sterben – Leben für Leben. Das geschieht bei uns nicht im Heiligtum, und nicht in einen feierlichen Ritual – es geschieht in den Schlachthöfen: Leben für Leben! Denkt einmal daran, nachher beim Essen: Leben für Leben – immer wieder. Das sich hier leben und gelebt habe, lange Zeit und eine gute Zeit: das ist dadurch möglich geworden, dass anderes Leben statt meines Lebens Opfer geworden ist! Jedes Leben geschieht auf Kosten anderen Lebens: Ist uns das klar? Wir sind nicht die Opfer, die wir hier beieinander sind, um Karfreitag zu feiern. Opfer sind andere geworden: Neben jedem Leben steht unsichtbar ein Berg von dafür aufgeopferten anderem Leben.

2.

 

Wir sind mit diesem Gedanken an die vielen Opfer, die jedes Leben kostet, die mein Leben schon gekostet hat und das Leben jedes einzelnen von uns, wie scheinbar weggekommen von dem, was wir als Ziel haben: Jesu Kreuzestod ein bisschen besser zu verstehen: Und wir bleiben bei dem Weg zu diesem Ziel, wenn wir jetzt noch einmal einem Schritt weitergehen: Sicher: Da sind Opfer, menschliches Leben, … natürliches Leben, und jeder von uns wird doch selbst einmal früher oder später Opfer: Das Opfer eines Unfalls, oder eines Herzinfarkts, oder eines Magenkrebses, oder einfach der Altersschwäche. Das steht ja da: Es ist den Menschen gesetzt, einmal zu sterben! Aber es steht doch auch da, dass das eben so ist. Daran ändert keiner von uns etwas! Sollen wir folgern: Daran sind wir also auch nicht schuld – an dem Berg hingeopferten, ungelebten Lebens, den mein Leben – dein Leben – jedes Leben schon gekostet hat. Ändern wir wirklich nichts? Muss es so weitergehen, mit dem Schlachten und Blutvergießen, Menschen und Tiere – Jahr um Jahr, Tag um Tag? Sind sie notwendig, die Opfer, die unser Leben kostet? Als zwei von meinen Kindern vor einen Jahr angefangen haben, kein Fleisch mehr zu essen – da haben sie damit zeigen wollen: Für mich ist das nicht notwenig – da soll Leben am Leben bleiben und nicht geopfert werden.

Freilich, und dagegen lässt sich zunächst auch gar nichts sagen: Das hielt ja nicht weit! Sollen wir nun alle zu Vegetariern werden? Ist`s nicht schon in der Natur so, dass ein Lebendem anderen zum Opfer fällt: Dass die Katze die Maus erbeutet, und der Fuchs den Hasen, und der Löwe das Reh? Wie gesagt: Dagegen lässt sich zunächst nicht viel vorbringen – so ist das Leben. Aber es kann doch die Fragen einschärfen, ein solches Verhalten: Welches der vielen Opfer für mein Leben, für dein Leben ist eigentlich notwendig? Muss unsere Welt so sein, wie sie ist? Ist das unumgänglich, dass jeden Feiertag die Opfer auf unseren Straßen sterben?

 

Ist das unumgänglich, dass Menschen anderen Mensch nach dem Leben trachten, weil die anders sind – eine andere politische Einstellung haben, Recht fordern, ihr Menschenrecht, das ihnen vorenthalten wird? Sind die Opfer des Hungerns notwendig, weil der Reichtum unserer Welt zu Waffen wird?

 

Welches Opfer ist notwendig? Unser Text erklärt uns: Dies eine, das Opfer Jesu, ist das notwendige Opfer. Darum ist es einmal, und nur einmal geschehen. Die anderen Opfer alle, wieder und immer wieder dargebracht – die ändern nichts. Aber hier hat sich etwas verändert: Darum ist dieses Opfer Jesu das eine, notwenige Opfer.

 

 

3.

 

Ich lebe, wir leben: Neben unserem Leben steht, unsichtbar, aber sehr gegenwärtig, ein gewaltiger Berg ungelebten Lebens, das hingeopfert wurde, damit wir leben, noch leben können. Aber nun ist dieses hingeopferte Leben zusammengefasst, und ist sichtbar in dem einen, notwendigen Opfer: Jesus Christus. Das heißt dann, dass wir an der Last unserer Sünde – die wohl etwas mit diesem für uns hingeopferten Leben zu tun hat – nicht zerbrechen müssen: Darum ist`s notwendig, dass dieses hingeopferte Leben sichtbar wird in der Gestalt des Gekreuzigten: Der ist nicht einfach weg und verschwunden, sondern uns vor Augen gestellt, mit Worten, in seinem Bild: „Zum andern Mal wird er nicht um der Sünde willen erscheinen, sondern denen, die auf ihn warten, zum Heil.“

 

Zwei Folgerungen daraus will ich nennen: Die eine ist die Folgerung der Hoffnung: Das ungelebte Leben, das für mich hingeopfert worden ist, das ist nicht vergeblich und vorbei – vergangen, wie mein Leben selbst vergangen sein wird, bald schon. Das ungelebte Leben des Gekreuzigten, indem das geopferte Leben zusammengefasst ist, das ist eingegangen zu Gott: vor ihm ist er erschienen für uns. Da ist das Opfer an seinen ihm zukommenden Ort – vor Gott. Das kann Hoffnung geben und trösten angesichts all der Opfer, die da gefallen sind, Jahr um Jahr und Tag für Tag. Hoffnung: Weil das Opfer aufhört! Aber das Leben geht weiter!

 

Das ist dann die zweite Folgerung: Da, einmal, ist den Opfern in diesem Kreuzestod Jesu ein Ende gesetzt worden. Das heißt dann aber: Es muss nicht so weitergehen, Jahr um Jahr, Tag für Tag. Wer das sagt, der sagt`s nicht im Namen Gottes, der die Sünde aufgehoben hat, sondern im Namen der Götzen. Er muss nicht so weitergehen – das kann einer in der Tat damit zeigen, dass er kein Fleisch mehr isst. Er kann es zeigen damit, dass er den Glauben an die Macht der Waffen aufgibt. Dass er sein Auto am Sonntag stehen lässt! Es muss nicht so weitergehen: kein Opfer ist mehr notwendig.

Amen

 

Herr unser Gott,

 

du Herr allen Lebens und Geber aller Gaben, wir danken dir für das Heil, das du uns in Jesus Christus geschenkt hast. Auf ihn hoffen wir – lass uns nicht zuschanden werden, du treuer Gott.

 

Wir bitten dich für deine Gemeinde an diesem Ort und in aller Welt: Mach sie stark im Glauben an dich und lass ihr ganzes Leben zum Zeugnis deiner Liebe werden.

 

Wir bitten dich um den Frieden in diese Welt: Mach dem Blutvergießen ein Ende und gib den verfeindeten Nationen, Rassen und Klassen, dass die Kraft der Versöhnung von deinem Sohn Jesus Christus ausstrahlen auf alle dienen Kinder.

 

Wir bitten dich, lass alles hingeopferte Leben teilhaben an der Hoffnung, die du uns im Opfer Jesu Christi eröffnet hast. Mach uns in ihm stark, dass wir dir dienen und uns selbst dir zum Opfer geben in allem, was wir denken, reden und tun! Amen