Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr 7.11.1982 Martin-Luther-Kirche Büchenbach


349,1-3 Morgenglanz der Ewigkeit

Intr 18

318,1,2,5 Valet will ich dir geben

188,1-4 Nun lob' mein Seel'

139


Lk 17,20-24

Röm 14,7-9


Hi 14,1-6


Herr, unser Gott,

der du unserem Leben nahe bist in guten und in bösen Tagen, wir bitten dich, lass uns in deinem Wort deine Nähe wahrnehmen zu unserem Trost und Heil, durch unseren Herrn Jesus Christus, deinen Sohn, der mit dir und dem Heiligen Geist lebt und regiert in Ewigkeit. Amen.


Herr,

wir danken dir, dass du dich finden lässt durch unser Lob und unsere Klage, durch unseren Dank und unsere Bitte.

Wir bitten dich für die ganze Christenheit und für deine Gemeinde an diesem Ort. Mach du zu Zeugen deiner Herrlichkeit alle, die dir vertrauen. Insbesondere bitten wir dich für die Wahl unserer Kirchenvorsteher. Erwähle du durch uns Menschen, die dir dienen und dieser Gemeinde nach deinem Willen vorstehen.

Wir bitten dich für unser Land und alle, die zu seinem Wohl arbeiten in politischen Ämtern und Aufgaben. Gib ihnen den rechten Sinn für das, was dem Gemeinwohl dient. Führe die Völker zum Frieden, dass sie in Achtung voreinander und im Verständnis füreinander zusammen leben.

Erhalte das bedrohte Leben in dieser Welt. Lehre uns, dienen Reichtum gerecht zu verteilen, dass alle Menschen Arbeit und Brot finden. Wehre der Ausbeutung und Verschwendung und lass uns mit allen deinen Kreaturen zusammen leben zu deiner Ehre. Amen.


Liebe Gemeinde,

Neulich erhielt ich einen Brief, der mit dem ungewöhnlichen Wunsch schloss, ich möge ein glücklicher Mensch sein und segensreich wirken, von Gottes Gnade und Liebe getragen. Dieser Wunsch geht mir nach. Ich frage mich: Bin ich das eigentlich, ein glücklicher Mensch? Was heißt überhaupt Glück – an welchem Maßstab lässt sich das messen? Und erst recht frage ich: Muss einer denn glücklich sein, um recht von Gott zu reden und seine Herrlichkeit zu bezeugen? Der fromme Mann Hiob jedenfalls hat gerade in seinem Unglück Gott bezeugt und recht von ihm geredet. Unser Predigttext heute ist aus dem Buch Hiob genommen. Ich werde jetzt über dieses Buch mit ihnen reden. Das beginnt damit, dass es diesen Hiob in seinem Glück schildert: Fromm und rechtschaffen war er, gottesfürchtig und mied das Böse. Und Gottes Segen war mit ihm: Sieben Söhne und drei Töchter hatte er, und war reicher als alle, die im Osten wohnen. Aber dann bricht das Unglück über ihn herein, und eine Hiobspost jagt die andere. Ein Knecht kommt daher: Räuber haben die Rinder und Esel weg getrieben, und die Knechte tot geschlagen. Ich allein bin übrig, um dies zu sagen. Und der zweite: Feuer fiel vom Himmel auf Schafe und Hirten: Ich allein bin übrig geblieben, um das zu sagen. Und der dritte: Die Beduinen der Wüste töteten die Wächter und raubten die Kamele. Und dann kommt der letzte: Deine Söhne und Töchter feierten Geburtstag bei ihrem ältesten Bruder. Da kam ein gewaltiger Sturm aus der Wüste und riss das Haus um, dass es auf die jungen Leute fiel. Ich allein blieb am Leben, um dies zu sagen. Doch das war noch nicht alles: Eine böse Krankheit befällt den Hiob, voll juckender und schmerzender Geschwüre sitzt er draußen in der Asche, auf dem Müll, und kratzt sich mit einer Tonscherbe. Wo ist nun Glück und Segen Gottes für diesen frommen Mann? Was soll dieser erbärmliche Rest von Leben noch bringen? Seine Frau hält ihm das vor:“ Sage Gott ab und stirb!“ Aber Hiob gibt zur Antwort: „Wie die dummen Weiber redest du daher. Haben wir Gutes empfangen von Gott, und sollten das Böse nicht auch annehmen?“ Und dann kommen drei Freunde, die von Hiobs Unglück gehört haben. Sieben Tage und sieben Nächte sitzen sie bei ihm und schweigen. Denn sie sahen, wie groß sein Schmerz war.

Schließlich ist es Hiob selbst, der das Wort nimmt und sein elendes Leben beklagt: Hätte ich doch nie das Licht der Welt gesehen! Verflucht der Tag, an dem ich geboren wurde, die Nacht, in der sie mich gezeugt haben. Wäre ich doch abgegangen als Fehlgeburt; hätten sie mich doch liegen lassen, als ich aus dem Mutterleib kam. Was mussten sie mich an die Brust legen und aufziehen. Jetzt hätte ich meine Ruhe, läge da und schliefe mit allen Toten! Was sollte er auch sonst sagen, dieser Mann, jetzt, wo es vorbei ist mit seinem Glück, wo ihm nichts mehr bleibt, als auf den Tod zu warten.

Und was sagen wir zu dieser Geschichte? So ist das Leben nun einmal? Auf das Glück ist kein Verlass. Vielleicht geht’s nicht immer so hoch hinauf wie bei Hiob. Aber dann geht’s auch nicht so tief hinunter. Doch es bleibt ja nichts übrig, als sich in dieses wechselnde Menschenlos zu schicken. So hat es zum Beispiel Matthias Claudius zusammen gereimt, der kluge und fromme Mann, in einem Gedicht „Der Mensch“. „Empfangen und genährt vom Weibe wunderbar kömmt er, und sieht und höret, und nimmt des Trugs nicht wahr; gelüstet und begehret; und bringt sein Tränlein dar; verachtet und verehret; hat Freude und Gefahr; glaubt, zweifelt, wähnt und lehret, hält nichts und alles wahr; erbauet und zerstöret; und quält sich immerdar; schläft, wachet, wächst und zehret, trägt braun' und graues Haar. Und alles dieses währet, wenn's hoch kommt, achtzig Jahr'. Denn legt er sich zu seinen Vätern nieder und er kömmt nimmer wieder.“ Sollte mir das unsere Lehre und der Trost des Hiob-Buches sein, dass man sich in das Unvermeidliche schicken soll? Ist das gar das wahre Glück – wie das Volkslied singt: „Glücklich ist wer das vergisst, was nun einmal nicht zu ändern ist.“

Nein! Das ist nicht Hiobs Sache, so sich in das scheinbar Unvermeidliche zu ergeben. Er weiß: Was da auf ihn eindringt, ist nicht das launische Glück oder ein Menschenlos, in das er sich nun einmal schicken muss. Nein! Der ihn da anfällt, der auf ihn eindringt wie sein schlimmster Widersacher, das ist in Wahrheit sein Gott. Nicht „es“ sagt er zu dem, was ihm widerfährt, das Schicksal, das Unglück. Er sagt „du!“, so im 14. Kap, V 1-6, unserem Predigttext: „ … „

Das ist es, was ihm keine Ruhe lässt, was ihn quält: Sein Gott ist da gegen ihn aufgestanden, sein Gott geht auf ihn los.

In seinem Glück, damals, in seiner guten Zeit, da war dieser Gott bei ihm. Da konnte er danken und loben, weil ihm das Leben so freundlich entgegen kam. Aber jetzt hat ihn die böse Zeit ereilt, und das Leben wird eng, und es scheint keinen Ausweg zu geben. Und wieder ist jetzt Gott bei, und blickt auf ihn. Dass das ein Segen sei, hat dieser arme Mensch Hiob wohl auch einmal gedacht: Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig. Der Herr erhebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden! Das ist nun vorbei. Nicht die Nähe Gottes ist vorbei, aber Segen und Frieden. Statt dessen ist das Elend und Schrecken. „Du tust deine Augen wider einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst.“ Das ist nicht mehr Gottes freundliches Angesicht. „Sein Grimm hat mich zerrissen und er war mir Feind. Er knirschte mit den Zähnen gegen mich; mein Widersacher funkelt mich mit seinen Augen an.“ So klagt Hiob. Und bleibt gerade mit dieser Klage dabei, „du“ zu sagen zu dem Leben, das ihm nun als die böse Zeit feindlich entgegen steht. „Mein Gott!“ sagt er zu dieser bösen Zeit, die da über ihn gekommen ist.

Das ist nicht recht. So darf einer nicht sagen – das ist die Meinung seiner Freunde. Und ihre Reden, die als Trost begonnen haben, werden mehr und mehr zur Zurechtweisung: „Soll ein weiser Mann so aufgeblasene Worte reden und seinen Bauch so blähen mit losem Geschwätz? Dein Mund verdammt dich, deine Lippen zeugen gegen dich.“ Und sie wollen ihn überzeugen: Man weiß doch, wie das ist. Gott straft nicht ohne Grund. Das soll Hiob einsehen. Er soll seine Sünde vor Gott bekennen, er soll sich bekehren, er soll um Vergebung bitten – dann hat seine Not ein Ende und er kann wieder glücklich werden. So halten sie es ihm vor, wie wenn Hiob das noch nie gehört hätte: Wer sich zu Gott hält, der ist ein glücklicher Mensch, geborgen in Gnade und Liebe. Das soll Hiob gefälligst einsehen und zugeben, dass er nur darum ins Unglück geraten ist, weil er sich von Gott abwandte, vom Glauben abfiel. Denn der Gläubige ist ein glücklicher Mensch, und der Ungläubige hat sich sein Elend selbst zu zu schreiben. Was die Freunde da vorbringen, klingt eigentlich ganz gut, und ich selbst habe das mit unterschiedlichen Worten schon oft gehört. Aber dem elenden Hiob ist damit nicht geholfen: Leidige Tröster seid ihr! Was sollen diese leeren Worte? Ich könnte genau so daher reden, wäre ich an eurer Stelle.

So ist das. Wenn einer gute Weile hat und das Leben gelingt ihm, ist ihm zu Willen – dann kann er leicht sagen: Ich glaube an Gott. Aber so ein Glaube wiegt auch nicht viel. Da braucht bloß ein kalter Wind auf zu kommen, dann ist er weg geblasen, dieser Glaube. Ich frage mich manchmal, wie es uns Christen hier gehen wird, wenn die bösen Zeiten kommen, die sich immer deutlicher ankündigen. Ob ich dann dabei bleibe, und auch zu den Schrecken und der Enge und dem Verderben „du!“ sage, wie Hiob? Es ist wohl gut, wenn wir beizeiten lernen, dass man Gott nicht nur loben kann: In meinem Glück bist du mir nah. Sondern dass auch die Klage an Gott fest hält und seine Nähe bezeugt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ So bezeugt der Klagende Gottes Zuwendung gerade in der bösen Zeit, im Unglück.

Solche Klage ist anders als unser alltägliches Jammern über den Stress, und dass wir nie Zeit haben, und dass man so viel von uns erwartet. Dieses Jammern kannst du vergessen! Doch die Klage, die ist unvergessen: Die Klage Hiobs, die Klage des Gekreuzigten, die Klage all derer, die die böse Zeit durchlitten haben, und dabei blieben, „du!“ zu sagen. Die Klage ist unvergessen, denn sie bezeugt Gottes Nähe, und er hört sie und erhört sie. Diese Klage der Frommen ist eine gewaltige Macht. Luther redet einmal im Großen Katechismus von unserem Jammern, dass es uns so übel geht, und von unserer Faulheit, mit der wir uns drücken um Gottes Willen, wo immer das geht. Und meint dann: „Es müssen noch irgendwo fromme Leut' auf Erden sein, dass uns Gott noch so viel Gutes lässet, unser'thalb sollten wir keinen Heller im Haus, keinen Strohhalm auf dem Feld behalten.“ Die Klage der Frommen ist eine gewaltige Macht. Ich habe mir's gemerkt und weiß es hoffentlich auch dann noch, wenn die böse Zeit an ich kommt.

Freilich: Mit der Klage kann man nicht aufhören. Das Buch Hiob nicht und meine Predigt auch nicht. Doch die frommen Reden der Freunde Hiobs bringen die Klage nicht zu Ende. Die sind schon lange abgefertigt, mit gutem Recht. Darum lässt der Dichter des Hiobbuches am Ende Gott selbst erscheinen und aus dem Gewitter zu Hiob reden: „Wer klagt da? Wer ist's, der den Ratschluss verdunkelt ohne Verstand? Willst du mein schönes Leben schlecht machen, weil über dich die böse Zeit gekommen ist?“ Und dann bricht Gottes Fragen über Hiob herein: „Kannst du die Sterne hervor gehen lassen in ihrer Ordnung? Kannst du Regen bringen in der Wüste? Machst du, das die Gämsen in den Bergen gebären und die Hirschkuh zur rechten Zeit ihr Kalb wirft? Sag es doch, wenn du klüger bist als das Leben selbst!“ Ja, was können wir anderes tun, als das 'Wunder des Lebens hin nehmen – eine Blume in ihrer zarten Schönheit? Als Gott selbst hin zeigt auf die Wunder seines Lebens, da muss Hiob verstummen mit seiner Klage: „Zu gering bin ich, was soll ich antworten? Ich lege meine Hand auf einen Mund!“

Es kann sein, dass einer mit diesem Ende der Klage Hiobs nicht zufrieden ist. Das Hiobbuch bietet uns darum auch noch einen weiteren Schluss an: Es erzählt, wie Hiob wieder zum Glück gekommen ist, zu Kindern und zum Reichtum. Und berichtet, dass er schließlich alt und lebenssatt gestorben ist, glücklich. Ich weiß nicht, ob dieses Happy End der Klage Hiobs angemessener ist, als der Hinweis auf das wunderbare Leben in seinem unergründlichen Reichtum. Wie es hinaus laufen soll mit meinem Leben, mit dem Reichtum allen Lebens auf dieser Erde, weiß ich nicht; Gott weiß es. Könnte ich ihm dieses Leben überlassen, in Lob und Klage, in Klage und Lob – vielleicht wäre ich dann ein glücklicher Mensch wie Hiob. Amen.