Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres 6.11.1988 Erlangen-Neustadt
435,1-4 All Morgen
Intr 18
153,1-4 Wir warten
dein
242,7 Dein Wort
ist unsres...
294,1-5 Aus tiefer
Not
414 Verleih
uns Frieden
Epistel Röm 14,7-9
Evangelium Lk 17,20-24
Du unser Gott,
der du lebendig bist und allem Lebendigem nahe, wir bitten
dich, komm uns entgegen in deinem Geist, dass wir allein dir vertrauen und
geborgen sind in deiner Macht, durch unsern Herrn und Bruder Jesus Christus,
deinen Sohn, der mit und dem Heiligen
Geist lebt und regiert in Ewigkeit. Amen.
Du unser Gott, lass uns erfahren, dass du uns nahe bist.
Lass uns hören, wie du zu uns redest.
Wir bitten dich für deine Gemeinde an diesem Ort und in
aller Welt. Gib du Vollmacht, dein Wort zu Menschen zu sagen, und die rechte
Zeit, in deinem Namen zu reden.
Wir bitten dich für die Wahl der Kirchenvorsteher. Gib die
richtigen Frauen und Männer, die wir brauchen.
Wir bitten dich für die Völker und Staaten. Gib allen
Menschen ihr Recht und ihre Freiheit. Hilf denen, die unter der Gewalt leiden,
und leite die, die Gewalt haben, damit es Frieden geben kann unter dienen
Kindern.
Wir bitten dich für alle Menschen. Gib du ihnen, was sie
brauchen, Brot und Arbeit, Heimat und Anerkennung. Wehre du der Ausbeutung der
Menschen und aller deiner Geschöpfe und lass dem Leben auf dieser Erde eine
gute Zukunft kommen.
Besuche die Kranken und Einsamen, geleite die Sterbenden,
tröste die Trauernden. Sei du mit allen, die deiner bedürfen, und geleite uns
auf unserem Weg durch dieses Leben hin zu dir. Amen.
Liebe Gemeinde,
dass es so sein kann: Du Gott fragst, und ich antworte; oder ich frage und du, Gott, antwortest: Das
ist es, was sich Ijob ersehnt. Dass Gott nicht wortlos bleibt, sprachlos, nur
die namenlose Bedrohung: Das schreckliche Dunkel, das die Welt verschwinden
lässt, die Hand, die an die Kehle greift, dass der Atem immer schwächer wird.
Nein! So darf Gott doch nicht nur begegnen. Und doch nimmt Ijob Gott gerade so
wahr: In seinem Geschick, das sein Leben immer weiter in die Tiefe führt, ins
Elend, in die Ausgestoßenheit. Er redet, Ijob. Redet hinein in dieses Dunkel,
spricht zu dem, was ihn da angefallen hat, bittet, fleht, fordert, schreit danach,
dass es seine Maske fallen lasse, dass da Gott, das „Du“ Gottes zum Vorschein
komme. „Nur zweierlei tun wir nicht, so will ich mich vor dir nicht verbergen:
Lass deine Hand fern von mir sein, und dein Schrecken erschrecke mich nicht;
dann rufe, ich will dir antworten, oder ich will reden, dann antworte du mir“
(13,20-22) Nein! Nicht die Einsamkeit, nicht die tödliche Isolation, nicht die
endlose Rede, immer nur an ein „Du“, das sich nicht fassen lässt! Lass mich
doch endlich wissen, wie ich mit dir dran bin, mein Gott! Sprich doch, damit
ich Bescheid weiß! Lass mich nicht verkommen in meiner Einsamkeit. Gib mir
Antwort, du! Hörst du, gib mir Antwort!
Sicher, da sind die Freunde Ijobs. Sie meinen es gut mit
ihm. Das soll ja nicht bestritten werden. Sie wollen ihm Partner sein in dem
Gespräch, das er sucht. Aber das gehört zu seinem Elend mit dazu, dass es ihnen
nicht von Ferne gelingt, Gott zu vertreten. Wo Gottes Antwort aussteht, was
sollen da ein paar Leute sagen, auch wenn sie so bekannte Namen haben wie
Elifas von Temon und Bildat von Schuach und Zofar von Naama. Da Gott nur da ist
in dieser Anonymität des schrecklichen Geschickes, das Ijob betroffen hat, in
dem Dunkel des Schreckens, das die lebendige Welt zurück weichen lässt, in der
Hand, die die Kehle abschnürt: Da Gott nur so und gerade so da ist, wie sollen
sie, diese paar Leute, den ausstehenden Gott vertreten, das „Du“, nach dem Ijob
verlangt, zu dem er spricht, nach dem er ruft, fleht, schreit. Ein Gespräch
wird das nicht, zu dem sie doch gekommen sind, die Freunde. Ein Gespräch über
Gott, ein Gespräch über den Glauben – dazu hat ein Ijob keine Zeit, jetzt,
hier, so wie er dran ist. Allenfalls Stichworte können ihm die Freunde liefern,
damit seine Klage weiter gehen kann, die da anscheinend ins Leere geht; sein
wortreicher Monolog an dieses Du Gottes, des ausstehenden Gottes, seine Klage,
die sich immer mehr zur Anklage wenden muss.
„Rufe, ich will dir antworten, oder ich will reden, dann
antworte du mir!“ – Nein! Dieses Du, das Ijobs Klage sucht, das können die
Freunde nicht vertreten. Was hier zu sagen wäre, das können sie nicht sagen.
Und da sie doch vorgeben, sie wüssten, was hier zu sagen ist, darum trifft sie
zurecht Ijobs Vorwurf: „Was ihr wisst, das weiß ich auch, und ich bin nicht
geringer als ihr. Doch ich wollte gerne zu dem Allmächtigen reden und wollte rechten
mit Gott. Aber ihr seid Lügentüncher und seid alle unnütze Ärzte. Wollte Gott,
dass ihr geschwiegen hättet, so wäret ihr weise geblieben“ (13,2-5). Sie haben
es doch so gut gemeint, und sie haben sich sicher auch intensiv vorbereitet auf
dieses Gespräch über den Glauben, das sie mit ihrem Freund Ijob führen wollten.
Aber es geschah zur Unzeit, dass sie sich da eingeschaltet haben, in jenes
wortlose und wortgewaltige Gespräch Ijobs mit seinem Gott. Er wischt ihre Worte
weg, das, was sie sich zurecht gelegt hatten.
„Siehe, das alles hat mein Auge gesehen und mein Ohr gehört,
und ich hab’s verstanden. Was ihr wisst, das weiß ich auch, und ich bin nicht
geringer als ihr.“ (13,1-2). Und das stimmt ja. An Weisheit, die das Leben
kennt, da braucht Ijob hinter seinen Freunden gewiss nicht zurück zu stehen. Er
hat seine Sprüche auch gelernt, und weiß die anzubringen, wenn das passt: „Der
Mensch, vom Weib geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie
eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht“ (14,1-2).
Wer weiß das nicht? Wer will das bestreiten: So ist der Mensch. Ich sage es
jetzt ein bisschen ausführlicher mit den Worten von Matthias Claudius: „Empfangen
und genährt vom Weibe wunderbar kömmt er, und sieht und höret, und nimmt des
Trugs nicht wahr; gelüstet und begehret; und bringt sein Tränlein dar;
verachtet und verehret; hat Freude und Gefahr; glaubt, zweifelt, wähnt und
lehret, hält nichts und alles wahr; erbauet und zerstöret; und quält sich
immerdar; schläft, wachet, wächst und zehret, trägt braun' und graues Haar. Und
alles dieses währet, wenn's hoch kommt, achtzig Jahr'. Denn legt er sich zu
seinen Vätern nieder und er kömmt nimmer wieder.“ Was ihr wisst, das weiß ich
auch. Und wendet sich ab von den Freunden, und wendet sich wieder hin zu dem
Dunkel des Schreckens, das die lebendige Welt zurück weichen lässt: „Doch du
tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht
ziehst!“ Muss das denn auch noch sein? Reicht nicht, was jeder sowieso weiß,
der das Leben kennt: „Der Mensch, vom Weib geboren, lebt kurze Zeit und
ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten
und bleibt nicht.“ Reicht es nicht, so wie es ist? Du, du, du, kannst du diesem
elenden Menschen nicht wenigstens seine Ruhe lassen. „Sind seine Tage bestimmt,
steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht
überschreiten kann: So blicke doch weg von ihm, bis sein Tag kommt, auf den er
sich wie ein Tagelöhner freut“, bis es endlich und endgültig Feierabend ist.
Muss das auch noch sein – das Dunkel des Gottesschreckens,
das die lebendige Welt zurück weichen lässt? Und das die Schuld herbei ruft.
Nein! „Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer.“ Aber in dieses
Kollektiv der Schuldigen hinein darf sich Ijob ja gerade nicht verbergen. Wie
die lebendige Welt zurück weicht im Dunkel des Gottesschreckens, so kommt ihm
die Erinnerung, kommt ihm die Schuld, kommt ihm, was er verdrängt hat, und was
doch zu ihm gehört. Gottes Du muss er fragen, von ihm braucht er die Antwort,
die er sich selbst nicht geben kann, und die erst recht seine Freunde nicht
wissen, die gekommen sind, um Gottes Du im Gespräch mit Ijob zu vertreten –
kläglich scheitern sie mit diesem Anspruch. Gott muss die Antwort geben, wenn
Ijob überhaupt eine Antwort werden soll: „Wie groß ist meine Schuld und Sünde?
Lass mich wissen meine Übertretung und Sünde. Warum verbirgst du dein Antlitz
und hältst mich für deinen Feind? Willst du ein verwehendes Blatt schrecken und
einen dürren Halm verfolgen, dass du so Bitteres über mich verhängst und über
mich bringst die Sünden meiner Jugend? Du hast meinen Fuß in den Block gelegt
und hast acht auf alle meine Pfade und siehst auf die Fußtapfen meiner Füße,
der ich doch wie Moder vergehe und wie ein Kleid, das die Motten fressen.“
(13,23-28).
Lass es mich wissen, Gott, der du es allein weist; wie steht
es mit meiner Schuld? Mit meiner Schuld – ein Kind von neun Jahren, und
erinnere mich wohl noch an den Tag, als ich die qualmende Ruine der Synagoge in
Cannstatt ansah. Und weiß wohl noch, wie wir das Wort „Jud“ gebraucht haben,
uns zu beschimpfen, und wie ich die Karikaturen im „Stürmer“ gerne angeschaut
habe. Sicher waren da Zwänge und Ängste, erst recht in der HJ dann. Aber doch auch das kollektive Machtgefühl,
wenn wir gesungen haben, zum Beispiel: HJ-Kameraden, hängt die Juden, stellt
die ??? an die Wand. Haut’se haut’se haut’se auf die Schnatze – haut’se ins
Genick – mit vergnügtem Sinn, immer in die Fresse rin! Sollen sie einmal hoch
kommen, Sünden der Jugend? Ijob weiß es, und will es wissen: Nicht der
Schrecken, Dunkel, das die lebendige Welt zurück weichen lässt und die böse
Erinnerung herauf kommen. So soll es sein: „Du fragst und ich antworte; oder
ich frage, und du antwortest.“ Danach fragt er, ins Dunkle hinein, bittet,
fleht, fordert, schreit. Danach sehnt er sich – nach dem Gott, der ihn anredet.
„Ach dass du mich im Totenreich verwahren und verbergen wolltest, bis dein Zorn
sich legt, und mir ein Ziel setzen und dann an mich denken wolltest! Meinst du,
ein toter Mensch wird wieder leben? Alle Tage meines Dienstes wollte ich harren,
bis meine Ablösung kommt. Du würdest rufen und ich dir antworten; es würde dich
verlangen nach dem Werk deiner Hände.
Dann würdest du meine Schritte zählen, aber hättest doch
nicht acht auf meine Sünden.
Du würdest meine Übertretung in ein Bündlein versiegeln und
meine Schuld übertünchen.“ (14,13-17). Danach sehnt sich Ijob.