Rogate, 22. Mai 1960 Wolfenhausen/Nellingsheim
332, 1-4 Gottlob der Sonntag (67)
241, 1-4 Vater unser im Himmel (234)
193, 4 Wo Gott der Herr (269)
241,9 Vater unser (234)
Lukas 18,1-8a
Jer. 29, 1.4 – 14a
Liebe Gemeinde!
Die Verbannten in Babylon,
an welche der Prophet Jeremia schrieb, hatten allen Grund, mit ihrer Lage
unzufrieden zu sein. Sie hatten im Grunde nichts anderes mehr, an das sie sich
halten konnten, als die Hoffnung, dass es bald anders werde, möglichst bald
sich eine entscheidende Änderung ihrer Lage ergebe. Und das konnte im Grund nur
dies sein, dass es mit der Macht ihrer Unterdrücker, mit der Macht der
Babylonier ein Ende nehme.
Ja – es waren vermutlich
nicht einmal die schlechten äußerlichen Verhältnisse, in welchen diese Menschen
lebten, Entbehrungen und Armut, welche sie besonders bedrückten, als vielmehr
dies, dass sie sich sagten: In dem Land; wo wir jetzt leben, da können wir auch
unsern Glauben nicht mehr festhalten.
Es ist ein gottloses Land,
nicht Eigentum des Herrn; wie das Land Kanaan. Und es ist ein Land, wo wir
keine heiligen Stätten aufsuchen können, um zu Gott zu beten. Die Orte, an
denen einst unsere Väter Gottes Hilfe suchten und fanden, … und Hebron, Bethel
und Jerusalem, können wir nicht mehr aufsuchen - es ist aus mit unserem
Glauben.
Seht - wenn wir genauer
zusehen, werden wir vielleicht sogar feststellen können, dass wir alle
miteinander gar nicht so weit weg sind von solche Klagen und Zweifeln wie sie
damals die jüdischen Verbannten in Babylon bewegten. Freilich, wir sind nicht
in ein anderes Land verschleppt, das dem Glauben fremd und feindlich
entgegenzusetzen scheint. Aber leben wir nicht in einer Zeit, welche uns gar
nicht passen will? In einer Zeit, welche dem Glauben gar nicht günstig zu sein
scheint? Leben wir nicht in einer Zeit, welche wir mit einer ganzen Reihe von
recht kräftigen Vorwürfen zu überschütten pflegen.
Wir sagen diese Zeit sei
eine materialistische Zeit, eine Zeit, welche keinen Idealismus mehr kennt,
keine Begeisterung, keinen Einsatz nur um der Sache willen, sondern nur Geld
und Gelderwerb. Wir sagen, diese unsere Zeit sei eine Zeit des Unglaubens, eine
Zeit, welche den Sinn für das Ewige verloren habe. Wir sagen, diese Zeit sei
eine böse und unruhige Zeit, eine Zeit des Rennens und des Jagens, eine Zeit
der Hetze und der Hast die niemand mehr zu Ruhe und Besinnung kommen lassen. -
Ich könnte lange fortfahren in den Vorwürfen, mit welchen wir unsere Zeit
bedenken. Sie sind Ausdruck eines Gefühles, dass wir lieber zu einer anderen
Zeit leben wollten. Und vielleicht sind wir gar der Meinung, andere Zeiten
hätten es leichter gehabt zu glauben, hätten es leichter gehabt, Gottes Willen
zu erfüllen, weil sie doch nicht in solch einer bösen und gottfeindlichen Zeit
leben mussten.
Seht - wie sie damals (und
gewiss nicht ohne Grund), darüber klagten, dass sie in ein solch böses und
gottfeindliches Land verschleppt wurden, so sind wir heute nur zu gerne
geneigt, darüber zu klagen, dass unsere Zeit eine solche schlimme und gottlose
Zeit sei. Wir wollten gerne heraus sein aus dieser Zeit, wollten gerne
zurückkehren in die gute, alte Zeit, wo es noch alles ganz anders war. Es ist
darum für uns alle eine recht heilsame und wohltuende Sache, wenn wir
aufmerksam auf die Worte des Propheten Jeremia hören: „Baut Häuser, und
wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; nehmet euch Frauen und zeugt
Söhne und Töchter…mehret euch dort, dass ihr nicht weniger werdet.“
Da wird gar nicht viel
geredet; da geht es nicht darum, dem nachzuhängen, was vergangen ist, und noch
weniger versucht der Prophet, das, was nun einmal ist, zu entschuldigen und zu
rechtfertigen. Vielmehr werden seine Leser angewiesen, das zu tun, was nun
einmal notwendig ist. Sie werden angewiesen, sich fest und dauerhaft
einzurichten, dort, wo es ihnen eigentlich gar nicht recht gefallen will.
Häuser sollen sie bauen, die bisher notdürftig in Barackenlager untergebracht
waren, damit sie wirklich einen ordentlichen und dauerhaften Platz um Wohnen
haben.
Seht – genauso gilt das uns
Christen: Wir sollen einen anständigen und dauerhaften Raum uns bereiten, dass
wir in unserer Zeit zu leben vermögen. Und das ist ja gewiss nicht allein von
den Häusern im wörtlichen Sinn gemeint. Sondern es gilt von uns, dass wir uns
in unserer Zeit zurechtfinden, und verantwortlich an ihr mitbauen. Zum Beispiel
an unserem Staatswesen! Dass wir nicht sagen: Es war eben früher viel besser,
als wir noch einen König und Kaiser hatten, als es eine Obrigkeit gab, die
bestimmte, was recht ist und was geschehen soll, und als für den einzelnen
Bürger nichts anderes übrig blieb als eben der Gehorsam. Was nützt das?
Vielleicht war es tatsächlich einfacher, der gehorsame Untertan einer
gottgesetzten Obrigkeit zu sein, vielleicht war es einfacher, seinem Glauben in
so geordneten Verhältnissen zu bewähren – aber das ist nun einmal vorbei. Unsre
Zeit verlangt den verantwortlichen, den politische interessierten und
engagierten Staatsbürger: Halten wir uns daran, bauen wir mit an unserem
Staatswesen!
Oder denken wir an unsere
ganze Wirtschaft. Gewiss war es früher einfacher zu wirtschaften. Gewiss waren
die Menschen nicht so anspruchsvoll und vielleicht waren sie sogar, aufs große
Ganze gesehen, zufriedener, als sie das heute sind. Aber was hilft es, dieser
vergangenen Zeit nachzutrauern, oder die Industrialisierung und Technisierung
zu beklagen, welche eine Fülle der schwierigsten Probleme und Entscheidungen
mit sich bringt gerade für den, der versuchen will, im Rahmen seiner
Möglichkeiten anständig zu wirtschaften. Da gibt es keine andere Wahl: Man muss
sich einrichten. Man soll nicht daran sich halten, dass es irgendwann doch
einmal wieder anders herum gehen müsse, dass die Zeiten sich ändern und einmal
die wieder gut dran sein werden, die jetzt sich in der Entwicklung
benachteiligt vorkommen. So soll es nicht sein! Vielmehr, schauen wir darauf,
was die Zeit erfordert, richten wir uns darauf ein, nicht zweiflerisch, sondern
wirklich für die Dauer.
Seht – es wäre jetzt
natürlich noch eine ganze Menge darüber zu sagen, wie dieses: „Baut Häuser, und
wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte…“ nun im Einzelnen aussieht.
Aber ein anderes ist vielleicht noch wichtiger und noch notweniger: Dass wir
uns von dem Propheten zeigen lassen, dass ein solches „mit der Zeit gehen“
nicht bloß deshalb das richtige Verhalten ist, weil uns ja sowieso nichts
anderes übrig bleibt. Sondern dass wir merken: Gerade diese Zeit, in der wir
stehen, ist aus Gottes Willen so, wie sie ist. Und wir sollen uns nicht über
sie beklagen, weil wir mit dazugehören nach Gottes Willen. „Suchet der Stadt
Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum Herrn, denn
wenn es ihr wohl geht, so geht es euch auch wohl.“ Seht, wir brauchen bei
diesen Worten des Propheten nur an Stelle der Stadt Babel unsere moderne Zeit
zu setzen, dann werden wir leicht begreifen, was gemeint ist: Ihr gehört mit
dazu, ihr Gläubigen Gottes. Denn Gott ist es, der euch dorthin gebracht hat, wo
ihr seid. Und nun sollt ihr begreifen, dass ihr solidarisch seid mit eurer
Zeit, ihr Christen, denn sie ist Gottes Zeit, wie jede andere Zeit auch.
Gottes Zeit, in welche er
euch hineingestellt hat. Eine Zeit, zu welcher ihr euch halten sollt. In einer
dreifachen Weise schildert der Prophet, wie sich unsere Solidarität mit unserer
Zeit nun bewähren soll; in welcher zugleich uns Christen und dieser Zeit mit
uns geholfen ist:
Wir sollen beten für diese
Zeit, dass sie eine Zeit des Heiles und nicht des Unheils sei. Seht: Es ist
schon ein großer Unterschied, ob wir klagen, ob wir schimpfen, ob wir uns
fürchten, wenn wir auf all das blicken, was in unserer Zeit geschieht – oder ob
wir beten. Beten, dass das Gute, das in dieser Zeit liegt, ihre besten
Möglichkeiten zum Zuge kommen, und die zerstörerischen Kräfte, die ganz gewiss
auch in dieser Zeit drin liegen, gebannt werden. Beten wir, dass die Gefahr des
grässlichsten Krieges, der ungeheuerlichsten Vernichtung, welche die Welt ja
gebaut hat, zum Guten ausschlage: Dass sie die Vernunft wecke, in welcher jeder
begreift, dass es zu diesem grässlichen, alles vernichtenden Krieg nicht kommen
darf, und dass darum der Krieg überhaupt aufhören muss und alle miteinander es
lernen sollen, sich zu vertragen. Beten wir dafür, dass der Überfluss, welcher
sich in den Industrienationen ergibt aus der gewaltigen Steigerung der
Produktivität durch Technik und Wissenschaft, nicht die Gefahr eines
wirtschaftlichen Krieges heraufbeschwöre, sondern die Verantwortung wecke,
denen zu helfen, die noch in Not und Entbehrung leben.
- Seht, so gilt es zu beten
für unsere Zeit, dass die guten Möglichkeiten, die ganz gewiss auch in ihr
liegen, entwickelt werden und zum Zuge kommen, und dass es gelingt, die
Gefahren dieser Zeit zu bannen.
Im Gebet für diese Zeit, dem
Gebet, das ihr Gutes erkennt und fördert, sollen wir unsere Solidarität mit
dieser Zeit bewähren. Und sollen 2. diese Solidarität dadurch bewären, dass wir
nicht versuchen, uns aus dieser Zeit herauszuschleichen, uns um sie zu drücken,
und sei es gerade auf dem Wege eines vermeintlichen Glaubens. Damals unter den
Verbannten in Babel sind falsche Propheten und Wahrsager aufgestanden, die den
Leuten vormachten: Gleich wird es zu Ende sein mit eurem bösen Schicksal.
Wartet nur noch ein kleines bisschen, dann werdet ihr befreit sein. Lasst euch
erst gar nicht nieder in diesem fremden Land. Das lohnt sich doch nicht. Seht,
so gibt es auch unter uns die, welche ihre religiösen Geschäfte machen wollen
mit unserem Aber gegen diese Zeit und ihre Gefahren. Die diese Zeit zur Endzeit
stempeln wollen, die sagen: So schlimm ist`s nun, dass Gott gleich, ganz bald
noch, so, dass wir`s bestimmt noch erleben, sein Ende machen wird. –„Lasst
euch nicht betrügen“
So warnt hier der Prophet.
Die Träume gelten nicht, die sie träumten. Vielmehr: Da Gott auch unsere Zeit
in der Hand hält, mit ihrem Bösen, und mit ihrem Guten, gilt es, diese Zeit
ernst zu nehmen. Unsere Zeit, in der wir leben, und wo auch unsere Kinder
einmal leben sollen (70 Jahre).
Und zum 3. gilt es, diese
Zeit nicht ernster zu nehmen, als Gott sie nimmt. Gerade dann, wenn wir nicht
mehr hinaussehen, wenn wir uns fragen: Wird diese Zeit nicht das Ende bringen,
das Ende des Berufstandes etwa, vielleicht gar das Ende des Glaubens, sollen
wir erkennen: Auch über diese Zeit herrscht Gott, und er setzt ihr das Ende
wenn es ihm gefällt, zum Heil seiner Gläubigen. So sollen wir die Solidarität
mit unserer Zeit bewähren: 1.2.3.
Dann werden wir erkennen,
wie Gott uns durchhilft. Wie er gewiss unseren Glauben prüft, ob er nur fromme
Sitte ist, die mit der alten Zeit untergehen müsste, oder ob er die Kraft hat,
sich der neuen Zeit zu stellen und sie zu bewältigen. Aber wie er gerade darin
aushilft und uns das Heil schafft. Amen