Christvesper Kosbach 1986

 

Jeremia 9, 22.23

 

Herr unser Gott,

 

der du deinen Sohn Jesus Christus zu uns gesandt hast, damit wir in ihm das Leben haben, wir bitten dich, erfülle unsere Herzen mit deiner Freude und gib uns Frieden nach deiner Barmherzigkeit, durch Jesu Chrisus, deinen Sohn, der unser Bruder geworden ist, damit wir mit dir leben können. Amen

 

Liebe Gemeinde!

 

Wärme brauchen wir zum Leben, brauchen Nähe, menschliche Nähe, brauchen Freundlichkeit! Davon leben wir. Wärme, Nähe, Freundlichkeit: Ohne sie kann keiner leben. Vielleicht  liegt darin der besondere Reiz des Weihnachtsfestes, dass es solche Wärme, solche Nähe, solche Freundlichkeit verspricht. Es ist ja das Fest des Kindes und der Kinder. Des Kindes in der Krippe, von dessen Geburt wir heute wieder gehört und gesungen haben. Wen rühren sie nicht ans Herz, die Worte und die Lieder! Und das Fest der Kinder, für die wir die Geschenke aussuchen und den Baum schmücken, damit es wieder ein gutes, ein fröhliches Weihnachtsfest sein kann.

Gerade weil es das Fest des Kindes und der Kinder ist, verspricht uns Weihnachten die Wärme, die Nähe, die Freundlichkeit, von der wir alle leben: Alle, nicht bloß die Kinder. Aber auch wer es sich scheinbar abgewöhnt hat, Wärme zu suchen, menschliche Nähe und Freundlichkeit: ein Kind kann ihm zeigen, wovon wir leben. Ein Kind, das sucht - und findet, was es braucht: Wärme, und menschliche Nähe und Freundlichkeit. Ein Kind sucht und findet solche Wärme, solche Nähe, solche Freundlichkeit, die es zum Leben braucht. Es kennt die Menschen, sucht sie und findet sie, bei denen es geborgen ist. Es lässt sich in die Arme nehmen und drücken, damit es sie fühlen kann diese Wärme. Damit es die menschliche Nähe auch wirklich ganz nahe erfährt, im Leid, im Schmerz und Kummer, wie in der Freude. Es sucht und findet die Freundlichkeit und Zuwendung, die es zum Leben braucht. Und wer von uns wollte einem Kind diese Wärme, diese Nähe, diese Freundlichkeit verweigern? Weihnachten, das Fest des Kindes und der Kinder: Es verspricht uns die Wärme, die Nähe, die Freundlichkeit, die wir zum Leben brauchen. Das macht seinen besonderen Reiz aus, die Anziehung für uns alle.

Sage nun niemand: Ich bin kein Kind mehr, ich brauche sie nicht mehr, Wärme, menschliche Nähe, Freundlichkeit – einen, der den Arm um mich legt, bei dem ich mich geborgen fühle: Wo ich schwach sein kann, wo ich meinen Kummer ablade. Und wo ich für meine Freude ein Echo finde, dass ich mich erst recht freuen kann. Sage nun niemand: Dies alles habe ich hinter mir, seit ich erwachsen bin. Wärme, menschliche Nähe, Freundlichkeit – das mag für Kinder gut und schön sein. Aber davon lebe ich nicht. Ich lebe von dem, was ich mir selbst zusammengebracht habe: Köpfchen muss man haben, muss wissen, wie er durchkommt im Leben. Und muss sich durchsetzen können. Es wird einem nichts geschenkt. Jeder muss sehen, wie er durchkommt, seine Ziele erreicht, die Konkurrenten aussticht. Dann bringt er`s auch zu etwas, kann vorweisen, dass er Erfolg gehabt hat: Ein Haus, ein Auto, die Lebensversicherung und das Bankkonto. Davon leben wir doch: Köpfchen, Durchsetzungsvermögen und das, was wir uns damit erworben haben! Wirklich? Hat er nicht recht, der Prophet Jeremia, wenn er gerade davor warnt: „Ein Weiser …Reichtums.“ Vielleicht kapiert es einer an Weihnachten noch am ehesten: Dass wir davon nicht leben können. Dass wir Wärme brauche, menschliche Nähe, Freundlichkeit. Mit Weisheit, Stärke, Reichtum ist das Leben noch lange nicht gewonnen. Im Gegenteil: Da stiehlt sich einer selbst, was er braucht.

 

Darum sage niemand: Ich bin kein Kind mehr. Ich brauche dies alles nicht mehr - Wärme, menschliche Nähe, Freundlichkeit. Ich verlasse mich auf meinen klugen Kopf und werde mich schon weiter durchsetzen, und habe vorgesorgt! „Ein Weiser… sondern wer sich rühmen will…spricht der Herr.“ Was wir brauchen, das ist angezeigt mit dem Wort „Gott“. Von Barmherzigkeit ist da die Rede, die Gott tut, von Recht und Gerechtigkeit. Er kommt uns entgegen, jedem. Daran hat er Wohlgefallen, das gefällt ihm. Gott: Wie oft nennen wir ihn. Der Herr: Wie leicht kommt uns sein Name über die Lippen. Aber ist einer, der so Gott nennt, wirklich klug? So klug, dass er kapiert hat, wovon er lebt? Dass er sich nicht auf seinen Verstand verlässt, und nicht darauf, dass er sich schon durchsetzen wird, wenn es darauf ankommt.

Dass er vielmehr von dem lebt, über das er gerade nicht verfügt. Das sich nicht abrufen lässt, wenn einer es braucht: Wärme, menschliche Nähe, Freundlichkeit. Die lässt sich nicht ausdenken, vom gescheitesten Kopf nicht, die lässt sich auch nicht gewaltsam herholen, und kaufen lässt sie sich erst recht nicht. Wer klug ist, der hat genau das verstanden. Und hat dann auf jeden Fall schon angefangen, den Herrn, Gott zu kennen, vielleicht ohne dass er das schon so genau weiß.

 

Gott: In seiner Weisheit hat er sich nicht über uns erhoben. Nein! Er kommt uns entgegen. Nicht mit langen und schweren Ermahnungen und Belehrungen. Da ist das Kind in der Krippe. Wer merkt es nicht, wen rührt das nicht ans Herz? Nicht Weisheit ist da gefragt, ein kluges Köpfchen, das besonders schlau sein will. Das Herz ist da gefragt, das sich rühren lässt, das wahrnimmt, was wir zum Leben brauchen. Er hat seine Stärke nicht ausgespielt, um sich gegen uns durchzusetzen. Er hat es auf sich genommen, zu erleiden, was ihm Menschen antun - was wir Menschen einander antun (auch jetzt in dieser Stunde; wir wissen das gut). Seinen Reichtum teilt er uns mit, lässt uns leben, lässt uns vertrauen, lässt uns finden, was wir suchen: Wärme, menschliche Nähe, Freundlichkeit.

Das tut er! Mit den großen Worten gesagt: Und nun komme ich noch einmal zurück auf Weihnachten, das Fest des Kindes und er Kinder: die wissen, was wir zum Leben brauchen, Wärme, menschliche Nähe, Freundlichkeit. Sie wissen das, und suchen und finden, was sie brauchen. Und wir sind doch gewiss keine Unmenschen, die ihnen das verweigern wollten, sie zurückstoßen, wenn sie auf uns zukommen. Wer wendet sich denn ab, verärgert und böse, wenn ihn ein Kind anlacht? So kommt Gott uns entgegen: in diesem Kind, in den Kindern –aber doch nicht nur in ihnen. Wärme brauchen wir, menschliche Nähe und Freundlichkeit. Wer wollte sie verweigern – wollte klüger sein als Gott, und sich durchsetzen, und auf dem hocken, wovon er doch nicht leben kann?

 

Herr unser Gott,

gib uns, was wir zum Leben brauchen, Wärme und menschliche Nähe und Freundlichkeit, wie es dir wohl gefällt. Wir bitten dich um Frieden in dieser friedlosen Welt. Gib du den Menschen Einsicht und guten Willen. Lass die Mächtigen klug werden. Wir bitten dich für die Unterdrückten in Afghanistan und Südafrika, für alle, denen ihr Menschenrecht vorenthalten wird.

Wir bitten dich für alle die es an diesem Abend besonders schwer haben, weil sie einsam sind, krank, in Trauer, ohne Hoffnung und Vertrauen auf deine Hilfe. Nimm du, was sie quält, und schenke ihnen, was sie brauchen wie wir alle.

Herr, von dir kommt unser Leben, und zu dir gehen wir. Führe uns nach deinem Wohlgefallen. Amen