Christfest 1964 Wolfenhausen/Nellingsheim

 

21, 1-6

15, 1-7       Gelobet seist du (85)

23, 1-3       Es ist ein Ros (280+)

27, 10        Fröhlich soll (82)

27, 12                 Fröhlich soll (82)

 

Luk 2, 1-14 (Luk 1, 46-54)

Jes 11, 1-9

 

Liebe Gemeinde!

 

Ob wir da nun anfangen wie bei einem Märchen: Es war einmal! – oder ob es hier heißt: So wird es dann sein. Das macht im Grunde keinen großen Unterschied. Jedenfalls halten wir das für eine bare Unmöglichkeit, dass sich da Raubiere mit Haustieren vertragen sollen – Raubtiere, deren Natur es nun einmal ist, zu reißen und zu töten! Es kann nicht sein, dass der Löwe Stroh frisst wie das Vieh – sonst ist er kein Löwe mehr, sonst müsste er ein Anderer sein, als ihm das seine Natur gebietet. Wir machen diese Unterscheidung in einer großen Selbstverständlichkeit: Das ist unnatürlich – das kann nicht sein! Oder: Das ist natürlich, so muss es sein: Dass der Wolf das Lamm reißt, und der Leopard das

Böcklein, und der Löwe das Rind. Das ist natürlich so, das muss so sein.

Aber es ist dieser wunderbare Friede unter den Tieren in diesem Jesajawort ja verbunden mit einem ebenso wunderbaren Zusammenleben der Menschen, wie es der bringen soll, welcher da von dem Propheten angekündigt wird. Sollen wir da auch kommen mit unserer Unterscheidung des natürlichen und des Unnatürlichen: Es ist doch ganz natürlich, dass wir Menschen nach dem Augenschein urteilen, und aufs Hörensagen hin richten! Es ist doch ganz natürlich, dass die Gewalttätigen die kleinen Leute einschüchtern und denen ihr Recht nehmen. Es ist doch ganz natürlich, dass jeder dem anderen Schaden zufügt und ihn zu verderben sucht, denn wie könnte es das geben, dass das Land voll Gottesfurcht wäre!

Nun es mag sein, dass uns da diese Unterscheidung dessen, was natürlich ist, und womit man sich eben abfinden muss, von dem Unnatürlichen, das nicht sein kann, nicht mehr so ganz geläufig durchgeht. Denn hier bemerken wir immerhin dies, dass was wir als natürlich empfinden, und mit dem wir uns eben abfinden, so natürlich nun auch wieder nicht ist. Vielmehr: Mögen wir nun über den Löwen, der Stroh frisst, denken, wie wir wollen – dass das, was der Prophet hier als das Tun des kommenden Herrschers schildert, recht ist, dass es so sein sollte, wenn es im menschlichen Miteinader recht gehen soll, das leuchtet uns auf jeden Fall ein. Solche Leute sollten wir haben, in jedem Amt, überall dort, wo einer eine öffentliche Aufgabe erfüllen muss, von denen man sagen könnte: Der richtet nicht nach Augenschein, nach Ansehen, nach Einfluss, Beziehungen und Verwandtschaft. Der lässt sich nichts einflüstern, lässt sich keine Vorurteile beibringen, lässt sich nicht durch schlechte und eigensüchtige Ratschläge bestimmen, den kleinen Leuten schafft er ihr Recht, und die Gewalttätigen weist er in die Schranken.

Solche Leute sollte man haben – das wird jeder zugeben – aber, natürlich hat man sie nicht. Seht – da kommt dann wieder dieses Fatale: Natürlich hat man sie nicht – so wenig ein Löwe Stroh frisst; aber das ist es ja gerade, dass wir aus diesem: Natürlich ist es so – herauskommen! Darum malt uns der Prophet dieses märchenhafte Bild vor Augen, wie da Rind und Löwe miteinander weiden, und ein kleiner Junge vermag sie zu lenken – damit wir begreifen: Diesem Natürlichen, mit dem wir uns so leicht abfinden – bei uns selbst geradeso wie bei anderen – diesem Natürlichen steht Gott entgegen. Das muss nicht so sein, und darf nicht so bleiben, und wird nicht so sein, weil es nicht recht ist.

Freilich – es genügt ja nun gewiss nicht, wenn wir uns bei dem friedlichen Bild, welches der Prophet Jesaja hier malt, in unseren Gedanken, Wünschen und Träumen aufhalten, wenn wir dann nachdenken, wie schöne es wäre, wenn wir auch nur einen solchen hätten, einen Einzigen, von dem wir sagen könnten: „Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein, Wahrhaftigkeit der Gürtel um seine Hüften!“ Deshalb feiern wir ja das Christfest, weil wir einen solchen haben. So haben wir das ja vorhin gesungen: Es ist ein Ros entsprungen, aus einer Wurzel zart – wie uns die Alten sungen, von Jesse kam die Art.“

Das, wovon der Prophet redet: Es wird so sein – davon singt dieses Weihnachtslied: So ist es gekommen!

Doch mit dieser Behauptung ist es ja nicht getan. Vielmehr wird da jetzt erst recht die Frage dringlich werden, ob das denn stimme! Und es mag da ja gar nicht so leicht sein, dem nun nahe zukommen, das nun zu erfragen. Denn daran, ob diese Behauptung stimmt, hängt ja unser Recht, Weihnachten zu feiern, hängt der Sinn dieses Festes. Wäre es nur dazu da, einen Tag lang zu träumen, einen Tag lang die harte Realität zu vergessen, einen Tag lang sich in einer Einbildung von Frieden, Freude, Güte und Freundlichkeit zu wiegen – dann ließen wir dies Fest lieber bleiben. Es geht da nicht um Stimmung; es geht da um die Erinnerung an das, was ist – Erinnerung, dass das Natürliche, auf das wir uns mit soviel Selbstverständlichkeit einlassen, nicht einfach das ist, was wir hinzunehmen haben. Dass dies, was wir das Natürliche nennen, vielmehr das Alte ist, das Veraltete, das Hinfällige und Vergängliche, das, was Gott missfällt – und darum keinen Bestand hat. Veraltet und abgeschafft ist das – wie es das Wort des Propheten Jesaja voraussagte und wie es in dem Kommen Jesu Christi wahr und wirklich geworden ist.

Das, so sage ich, ist die Behauptung der Bibel, ist die Behauptung des christlichen Glaubens. Aber freilich: Behaupten kann man viel. Worauf es ankommt ist dies, ob diese Behauptung auch stimmt. Wie wollen wir sie begründen? Nun: Sie scheint zunächst einmal ganz unbegründbar zu sein.

Wo gibt es denn das, dass ein Löwe Stroh frisst? Und wenn wir ihm tausendmal vorsagen: Der Heiland ist geboren, jetzt ist Friedenszeit – wird und kann er denn von seinem Wesen loskommen? Er ist nun einmal ein Raubtier, das fressen, reißen, töten muss. Und ist es denn bei dem Menschen anders? Es mag ihm tausendmal gepredigt werden: Der Heiland ist geboren! Hilft ihm das? Macht ihn das anders? Wird das einen Deut dran ändern, dass nun einmal Macht vor Recht geht - auch wenn die Formen des Machtkampfes vielleicht wenigstens teilweise ein bisschen zivilisierter sind? Ändert es etwas daran, dass das Ansehen den Mann macht und nicht das Tun? Ändert es daran, dass das giftige Gerücht und das törichte Wort gelten, nicht Tat und Wahrheit? Und dass wir lieber einen anderen alle Hinterhältigkeiten und bösen Absichten zutrauen – statt unsere Schuld zuzugeben an dem, was geschieht!

Noch einmal: Hilft das denn, wenn tausendmal gepredigt wird, dass der Heiland geboren ist, wo doch nichts, gar nichts sich ändert! Wo der Wolf dem Lamm an die Gurgel fährt, und die Gewalttätigen auf den kleinen Leuten herumtreten –natürlich auch da dreht sich das Rad, und reißt die einen, die noch oben waren, hinab, und bringt andere nach oben: Aber das ändert ja nicht das Wesen, ändert ja nicht den Kern!

Seht - so führen wir unsere Erfahrung an, gegen die Wahrheit der Behauptung, dass Jesus es sei, von dem der Prophet redet. Oh nein – nicht mit Worten. Da sind wir ja alle dabei und haben die warme und freundliche Stimmung des Festes gern. Nicht mit Worten widersprechen wir dem, sondern mit unserem Tun. Seht – wo es darum geht, dass wir leben, weiterkommen, Erfolg haben, mit der Zeit gehen. Da müssen wir ja unsere Möglichkeiten kennen. Da müssen wir so gut es geht, in die Zukunft hinein planen, voraussehen, was sein wird. So ist es mit dem Glauben. Der weiß Bescheid, der kennt die Wirklichkeit. Der hält sich an sie und lässt das gelten, dass Jesus der ist, von welchem der Prophet hier redet. Und dass es richtig ist, sich darauf einzustellen, nach jener Erkenntnis Gottes sich zu richten, von der da die Rede ist.

Nur so kommen wir nämlich weiter, nur so bleiben wir nicht stecken in dem elenden Morast unserer schäbigen Anschläge und Eitelkeiten, Rechthaberein und Besserwissereien, von Hetze, Rache, Hass, von Vorurteilen, von Träumereinen, die dem alten nachhängen, und von Einbildungen, die das Neue sich erdenken, statt es zu schaffen. – Nur so, dass wir das gelten lassen: Er, Jesus, ist`s. Er ist der Maßstab für das, was wahr und recht ist. Er ist`s, der Recht schafft. Wie das? Ich könnte es ganz einfach auf die Formel bringen: Er hat nicht reagiert, sondern das Notwendige getan. Maßstab war ihm nicht das Natürliche, sondern das was kommt, - und hat damit des Gottes Verhalten entsprochen, der seine Sonne aufgehen lässt über die Bösen und über die Guten, und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte; das ist unnatürlich, so selbstverständlich wir es hinnehmen.

Nun! Das ist das Tun, das Zukunft hat. Darauf läuft`s hinaus, da gehen wir mit der Zeit – mit der Zeit Gottes, mit der Zeit, die Heil bringt. Natürlich ist das nicht. Natürlich ist vielmehr die Unnatur. Aber die gilt nicht. Des zur Erinnerung feiern wir das Christfest. Aber wir feiern es nur recht, wenn wir uns dadurch einweisen lassen in die neue Zeit des Herren aus Jesses Geschlecht. Amen.