Jesaja 11, 1-9, 24.12.1974,
Kosbach
Herr Gott, du unser
himmlischer Vater, der du uns in Jesus Christus deine Wahrheit zeigst, wir
bitten dich,
öffne unsere Herzen, das wir
auf dich achten und deiner Gnade teilhaftig werden durch unseren Herrn Jesus
Christus, der mit dir und dem heiligen Geiste lebet und regieret in Ewigkeit.
Amen.
Herr Jesus Christus,
du rührst an unser Gemüt,
wenn wir dich vor uns sehen als Kindlein in der Krippe.
Wir bitten dich, lass uns
nicht nur deine Güte fühlen, sondern denken, was recht ist und dir von ganzem
Herzen folgen.
Amen
Liebe Gemeinde,
„An Weihnachten sind die
Menschen alle anders“- sagte mir ein etwas abgerissener junger Mann, der nach
einer Predigt am Christfest zu mir in die Sakristei kam. Ich dachte - ich war
damals junger Vikar - er wolle mich anbetteln. Aber das wollte er nicht. Er
musste nur reden, und hatte dafür niemand anders als mich, in dessen Predigt er
durch irgendeinen Zufall geraten war. Hatte er recht? An Weihnachten sind die
Menschen alle anders?
Fangen wir einmal beim
Naheliegenden an, beim Gefühl – bei der Stimmung. In der Tat gehört zum
Weihnachtsfest eine besondere, eigentümliche Stimmung. Anders als sonst!
Zu dieser Stimmung gehört die Weihnachtsgeschichte, wie sie der Evangelist
Lukas erzählt. Es gehört dazu das Bild vom Kindlein in der Krippe – es gehören
dazu die Hirten auf dem Feld und die Engel, die singen von Frieden auf Erden.
Frieden – Versöhnung, Güte – mit solchen Worten lässt sich die Stimmung
beschreiben, die zum Weihnachtsfest gehört. Und dazu passt das Bild, das der
Prophet Jesaja uns vor Augen malt: Wölfe und Lämmer beieinander, der Leopard
neben dem Böcklein. Der kleine Junge mit seinem Stecken, der Kälber und Löwen
miteinander auf die Weide treibt!
Frieden, Versöhnung, Güte –
das ist die Stimmung von Weihnachten. Es ist gut, wenn wir uns dieser Stimmung
überlassen, es ist gut, wenn dieses Gefühl uns fasst, und niemand sollte sich
schämen, wenn ihm dabei die Augen nass werden.
Es ist schön, wenn wir uns
so rühren lassen – an Weihnachten sind die Menschen anders. Sonst laufen wir
aneinander vorbei – nicken uns vielleicht zu, wenn wir uns kennen. Jetzt kommen
wir zusammen, hören miteinander das Evangelium von der Geburt Christi, singen
miteinander die schönen Weihnachtslieder! Das Gefühl des Weihnachtfestes will
uns herausrufen aus dem Gewöhnlichen, Alltäglichen – aus dem, was wir immer
tun, denken, was uns immer beschäftigt.
Herausrufen – provozieren
könnte ich auch sagen, mit den lateinischen Fremdwort. Wohin will uns dieses Gefühl rufen? Zunächst
einmal zum Denken. Das ist das Zweite, was uns jetzt klar werden soll:
Das Gefühl, die Stimmung ist gut. Aber es soll dabei nicht bleiben. Wir sollen denken.
Anders denken? So einfach geht das nicht. Im Gefühl, in der Stimmung, da geht
ein Wechsel rasch von sich. Das wissen wir aus Erfahrung.
Jetzt sind wir froh und
zufrieden – und dann, unerklärlich fast, schlägt die Stimmung um. Das kennen
wir. Darum ist das andere Gefühl, die Weihnachtsstimmung, auch leicht erreicht
– der Lichterbaum, ein strahlendes Kinderauge, die Melodie eines seit
Kindertagen vertrauten Liedes – schon ist die Stimmung da. Aber die soll ja
nicht einfach vorbeigehen. Die Stimmung will uns zum Denken provozieren. Und
dieses Denken, das kann sich’s nicht so leicht machen. Das will Gründe – anders
als die Stimmung. Das beharrt auf
seiner Erfahrung. Darum ist Denken immer ein Diskutieren, ein Hin und
Her von Rede und Widerrede.
Ich will ein wenig anfangen
mit diesem Hin und Her: Eine Frage an den Propheten Jesaja, der dieses schöne
paradiesische Bild zeigt, Frieden, Güte, Versöhnung, das gibt Stimmung –
jawohl! Aber gibt es auch Wahrheit? Wie soll das denn zugehen, dass der Löwe Stroh frisst wie das Vieh? Das kann doch
nicht sein! Das ist doch wider die Natur. Der Löwe ist nun einmal ein Raubtier.
Wie wenn das der Prophet nicht auch wüsste! Aber wir sollen ja gerade
provoziert werden – zum Denken.
Die Wölfe und die Panther,
die Bären und die Löwen halten uns den Spiegel vor. Die Stimmung an
Weihnachten ist anders. Aber stimmt das denn, was mir der junge Mann in
der Sakristei sagte: an Weihnachten sind alle Menschen anders? Ist das
Traum und Einbildung, weil wir uns eben nicht ändern können und nicht ändern
wollen. Wie der Wolf eben das Lamm reißt, und der Panther den Bock, und der
Löwe das Rind – natürlich, so, wie es nun einmal seine Natur ist – so natürlich
ist unter den Menschen; die Gewalttätigkeit, der Unfriede, die Bomben und der
Terror. So natürlich ist die Konkurrenz, und der Neid. So natürlich ist es,
dass wir versuchen, jeder den anderen auszunützen, der Mann die Frau und die
Frau den Mann, die Eltern die Kinder und die Kinder die Eltern – nein! Das
stimmt nun gerade nicht!
Es könnte auch anders sein –
Friede, Versöhnung, Güte, das, was den Inhalt der
weihnachtlichen Stimmung
ausmacht, das könnte weiter greifen. Dass die Bomben in Irland nicht bloß die
paar Tage über Weihnachten nicht losgehen, sondern für immer schweigen. Das wir
nicht bloß diesen einen heiligen Abend zueinander finden. Dass wir nicht bloß
heute uns darüber Gedanken machen, wie wir diesem und jenem eine Freude machen
können.
Die Stimmung, das Gefühl des
Weihnachtsfestes will uns zum Denken provozieren. Aber dieses Denken
kommt nicht zu einem Ende! Es könnte anders sein, das müssen wir zugeben. Und
schön wäre das gewiss. Aber – und dann kommen die Einwände –
Ein
guter Mensch sein? Ja, wer wär’s nicht gerne,
doch leider sind auf diesem Sterne
eben die Mittel kärglich und die Menschen roh.
Wer möchte nicht in Fried und Freundschaft leben?
Doch
die Verhältnisse, die sind nicht so.
Unser Denken diskutiert und
kommt nicht zum Ende. Es ist nicht schlecht, wenn wir uns durch die
weihnachtliche Stimmung zu solchem Denken provozieren lassen.
Aber auch das genügt nicht.
Wir brauchen den Entscheid, der die Diskussion zu Ende bringt. Nicht wir
können hier entscheiden. Aber wir können den Entscheid Gottes annehmen. Wir
feiern ja nicht wegen der Stimmung – so schön und gut die ist. Und feiern auch nicht
wegen des Denkens, so richtig und notwendig das ist. Wir feien, weil Gott uns
den Bescheid gegeben hat, der gilt. So, wie das der Prophet Jesaja voraus
verkündigt hat: Es wird ein Reis aufgehen aus dem Stumpf Jesses, ein Spross
wird aus seiner Wurzel entsprießen – und wie wir es vorhin miteinander gesungen
haben: Es ist ein Ros entsprungen aus einer Wurzel zart. Dadurch, allein
dadurch ist etwas anders geworden mit uns Menschen.
Denn das andere, Streit,
Hass, Angst, Selbstsucht steckt tief in uns – so dass man fast sagen könnte,
sie seien unsere Natur. Aber doch nur fast.
Das zeigt uns Gott in Jesus
Christus, dem Heiland, der uns heute geboren ist. Wir sollten dem nachkommen.
Nicht nur mit dem Gefühl. Das ist gut. Aber es wechselt rasch. Nicht nur mit dem
Denken. Das hat seine Gründe, aber es findet auch immer wieder Gegengründe.
Sondern mit dem Herzen,
das Gottes Entscheid annimmt und weiß, so ist es recht, wie Jesus das zeigt.
Dabei will ich bleiben. Dann kann es anders werden.
„An Weihnachten sind die
Menschen alle ganz anders“ – gut: wenn wir da nicht nur durchs Gefühl uns
tragen lassen, wenn wir nicht bloß zum Denken uns provozieren lassen, wenn
vielmehr unser Herz den Bescheid Gottes bekräftigt: Ihm allein, dem Heiland
gilt unsere Hoffnung, dass es anders ist und werden kann. Amen